Little Simz
„Sometimes I Might Be Introvert“
(Age 101/Rough Trade)
Jetzt müssen wir zu Beginn doch ganz kurz mal in die Zukunft und das gemeinsam mit Sibylle Berg. Diese hat ja vor einiger Zeit eine grandiose Dystopie mit dem Namen „GRM“ geschrieben, in der es nur am Rande um Grime geht – die Musik ist hier mehr Trost und Rückzugsort der Protagonisten und weniger Hauptthema des Romans. Namen werden selten genannt, der von Little Simz aus London ist allerdings schon mit dabei. Und weil sie in dieser heraufdämmernden, endzeitlichen Utopie schon zu den Etablierten, den Superstars gehört, sind die Kommentare zu ihr eher zurückhaltend, vielleicht sogar enttäuscht. Wie schnell diese Zukunft Realität werden kann, sieht und hört man nun an dem aktuellen zweiten Album der Künstlerin. An Selbstvertrauen hat es Simbiatu Ajikawo, Spitzname Simbi alias Little Simz aus dem Stadtteil Islington seit Anbeginn ihrer Karriere noch selten gemangelt, das ist gut so und vollkommen berechtigt – insofern ist der Titel der neuen Platte natürlich schon mal einen Extrapunkt wert.
Ihr Debüt „Grey Area“ war ein Meilenstein, schon dort merkte man deutlich, dass sie unbedingt Grenzen weiten, Stile verbinden wollte, ausschließlich Grime war nicht die Lösung. Den Weg setzt sie auf „Sometimes I Might Be Introvert“ konsequent fort, es beginnt orchestral, mächtige Bläser kündigen den Auftritt an und setzen auf beeindruckende Weise den Kurs – weiblich und schwarz, darum kreist das Album, das ist die Klammer, das Anliegen, das später noch um den Wert der Familie ergänzt wird. „I’m a black woman and I’m a proud one“ – die Zeile aus „Introvert“ ist Tatsache und unverhandelbares Statement zugleich, im darauffolgenden „Woman“ fügt sie diesem zusammen mit Dauergast Cleo Sol die entsprechenden Facetten hinzu. Weniger hart dann, sondern mit souligem Groove.
Little Simz beherrscht ihr Fach, als wäre sie schon Jahrzehnte im Geschäft – die stilistischen Wechsel meistert sie mit bewundernswerter Sicherheit, sie sind die herausragende Stärke dieses Albums. Die schnellen Rhymes sind mal eingebettet in weichen, sanft federnden RnB, dann wieder zu harten Beats gesetzt wie bei „Speed“ und „Rolling Stone“, perkussive Elemente wechseln mit musicalhaften Interludes, später wendet sie sich überzeugend und in Begleitung von Obongjayar aus Nigeria dem Afropop zu. Thematisch wird in der Rückschau ihr Weg bis ins Heute nachgezeichnet, gibt es beißende Ironie („The Rapper Came To Tea“ mit Schauspielerin Emma Corin), nachdenkliche Adressen an Männer im Allgemeinen und den Vater im Speziellen (u.a. „I Love You, I Hate You“), Liebeslieder natürlich und vor allem die Mutmacher, die Aufrufe, es ihr gleichzutun, sich nicht unterkriegen zu lassen. Self-Empowerment rules, in der Tat drängen derzeit viele Künstlerinnen mit Talent nach vorne – so schnell so gut wie Little Simz war bisher noch keine.
Update: Der kenianische Filmemacher Jeremy Ngatho Cole (Cleo Sol, Young Fathers) hat ein neues Video für den Song "I Love You, I Hate You" gedreht, in welchem Little Simz die Beziehung zu ihrem Vater thematisiert.
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