Ought
„Room Inside The World“
(Merge)
Wer seine frühe Jugend auch als dürrer Schlaks verbracht hat, der schaut gerade mit Bewunderung und wohl auch ein wenig Neid auf Tim Darcy, Sänger der kanadischen Kapelle Ought. Denn es ist ja nun mal so, daß man sich in dieser Zeit selten sehr wohl in seinem Körper fühlt, alles irgendwie zu lang geraten, kaum zu koordinieren und die Klamotten, die man dazu auswählt, können einfach nicht passen. Jahre später empfindet man beim Blick auf die Fotos dieser Zeit eigentlich nur Scham. Gut möglich, daß Darcy das erspart bleiben wird, denn nach nunmehr drei erfolgreichen Alben und einem fast noch famoseren Solodebüt sieht es ganz danach aus, als müsse sich der Junge seiner Vergangenheit später keineswegs schämen. Und das liegt nicht an der Kleiderordnung. Sondern zu großen Teilen an seinem unleugbaren Talent, richtig gute Songs zu schreiben und dazu noch den Post-Punk zuvorderst nicht als Nische für schwarzumrandete Blaupausen des tausendundeinsten Joy-Division-Hear-A-Like-Contests zu verstehen, sondern als Chance, die vielfältigsten Einflüsse der frühen 80er mit dem Indiesound von heute zu verbinden.
Hat er schon immer gemacht. Deshalb klingen die drei Platten auch so angenehm unterschiedlich. Das Debüt noch suchend, indifferent, der Nachfolger ein harscher Gitarrenkracher, windschief und laut. Für sein Solowerk belieh Darcy schon überaus gekonnt Ikonen wie David Bowie, Bryan Ferry und vor allem Lou Reed, diese standen nun für „Room Inside The World“ erneut Pate. Seine herrlich verbeulte Stimme tut ein Übriges dazu, so daß die neun Songs ein erstaunlich großes Feld aufziehen, auf dem sich Darcy zusammen mit seinen Kollegen Matt May (Keyboard), Ben Stidworthy (Bass) und Tim Keen (Drums/Violine) weidlich austoben können. Während der Opener „Into The Sea“ im genretypischen Sinne tatsächlich noch traditionell gebaut ist, schwankt die Single „Disgraced In America“ zwischen den Strokes und Velvet Underground. Ein erster Höhepunkt dann „Disaffectation“, ein zorniges Stück gegen alles, was die Wachheit beeinträchtigt und die Wut betäubt: „Disaffection is holy, it makes me feel alive and I'll do it again!”
Die Wandelbarkeit geht so weit, daß Ought auch das Hymnische, Weihevolle nicht scheuen und in seltenen Momenten sogar etwas U2-haftes bekommen – etwa beim wunderbaren „Desire“. Im Videoclip findet ein junger Mann sein zweites Ich als Drag-Queen, Darcy croont zum Herzerweichen und im Hintergrund jubiliert das vielstimmige Ensemble Choir! Choir! Choir! aus Toronto, das muß man sich erst mal trauen. Berührungsängste kennen Ought jedenfalls keine, auf den Krach folgt die zarte Ballade, zwischendrin taumeln Sound und Gesang auch mal unschlüssig und weitläufig (“Pieces Wasted”) durch die Gegend und man hat trotzdem Freude daran. Zwischentöne sind das Maß der Dinge, im Text wie im Ton: “[It's] not like we have an answer or anything like that, but working within grey areas and the angst that comes from that as a person, thinking about the world and also how to still be productive, still care about people and figure out your own shit.” Viel passender als Darcy gegenüber dem Netzportal The Skinny kann man ihre Arbeit kaum beschreiben, man hat wahrhaftig schon weitaus ödere Statements in diesem Alter gelesen. Not that bad, lad!
30.04. Lausanne, Le Romandie Rock Club
01.05. Winterthur, Albani
03.05. Köln, Bumann und Sohn
04.05. Berlin, Kantine Berghain
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