Blood Orange
„Freetown Sound“
(Domino)
Es gibt ja kaum Peinlicheres als Männer, die sich selbst zu Feministen ausrufen, nur weil sie eine knappe Stunde allein im Zimmer mit ihrem Neugeborenen überlebt haben (und anschließend die Babykotze am Shirt über Tage wie eine Auszeichnung umhertragen) oder an der Fleischtheke seit Neuestem geschnittene Gelbwurst ohne zu stottern bestellen können – Fremdscham rules. Respekt deshalb für einen wie Dev Hynes. Dieser Mann macht auf seinem neuen Album gleich mal richtig Platz für jede Menge stimmgewaltiger Frauen, die natürlich auch thematisch bestens zu seiner Sicht der Dinge passen. Und diese ist auf der einen Seite – nicht so ungewöhnlich für einen schwarzen, englischen Musiker in New York mit westafrikanischen Wurzeln – ausgesprochen neugierig und weltoffen, auf der anderen Seite aber, bedingt durch seine eigenen Erfahrungen, sehr kritisch gegenüber den gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre. Es überrascht also nicht wirklich, dass Themen wie Rassismus, Geschlechtergleichheit, Genderdebatte, soziale Ungerechtigkeit bei ihm den Ton angeben.
So vielfältig die Einflüsse, so reichhaltig das Angebot, das er auf seiner Platte mischt. Hynes selbst betrachtet „Freetown Sound“ ja eher als sehr persönliches Mixtape verschiedenster Stile, er liebt Samples und selbstaufgenommene Stimmsequenzen, afrikanische Rhythmen, Latinosounds, Raps, Dance, Disco, Jazz, Soul sowieso und auch schmachtenden Pop. Gemeinsam mit Ava Raiin, Kelsey Lu, Debbie Harry, Lorely Rodriguez, Zuri Marley, Nelly Furtado und Carly Rae Jepsen wird daraus ein irre funkelnder, flirrender Klangkosmos und natürlich sind es ganz bewußt die weiblichen Stimmen, die ihm zur Geltung verhelfen: “I use women singers because there’s a lot of emotions that I want that I can’t get to. The woman’s voice, and not necessarily just her singing voice, is powerful and needs to be heard. It’s the most important voice in general, and that can’t be denied“ – Furchtlosigkeit, Wut, Trauer, Sexyness und vieles mehr kommen so mächtiger denn je zu Gehör.
Es sind zwei Dinge, die das Klangbild der siebzehn Stücke vornehmlich bestimmen: Auf der einen Seite verwendet Hynes Drums und Percussions in beeindruckender Vielfalt und Schattierung, zum anderen gerät ihm vieles ausgesprochen smooth – wo „E.V.P.“ den ausgelassenen Funk der 70er von der Leine läßt und „Augustine“ Synthpop mit viel Drive bietet, kommen das Cover von Eddy Grant’s „Come On Let Me Love You“ („Love Ya“) und das traumhafte „Hadron Collider“ butterweich daher. Flickenteppich, Wundertüte, Bonboniere, Kaleidoskop – man kann es nennen wie man will, wenn man nur nicht vergisst, wie großartig der Mann seine Schaffenslust und Genialität in die richtigen Bahnen zu lenken versteht. Solche Platten können verunsichern, nerven, überfordern – diese hier sollte vor allem eines wie so leicht keine zweite: Begeistern.
1 Kommentar:
Meine Güte, darauf wäre ich NIE von allein gekommen, zu allererst nicht mit diesem (auf den zweiten Blick absolut genialen) Cover. Danke, nach erstem Reinhören sind die Ohren gespitzt und klar, dass darauf definitiv noch einige Zeit verwendet wird. Höchst überraschend, bunt und schick!
A.
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