Donnerstag, 7. Juli 2016

The Julie Ruin: Warnung auf Wiedervorlage

The Julie Ruin
„Hit Reset“
(Hardly Art)

Es ist so eine Sache mit dem Respekt. Selbst schon lang in die Mühlen und Mühen des Alltäglichen abgetaucht, in der eigenen Spießigkeit (auch gern neues Familienbild genannt) gefangen, fordert man von den einstigen Idolen der bewegten Jugend – wenn es denn eine war – immer noch die Authentizität und Unangepasstheit ein, die man selbst zu leisten kaum noch imstande ist. Schwierig. Wie gut tut es da zu hören und zu sehen, dass es durchaus Menschen gibt, die wenn auch nicht zum Starschnitt, so doch noch zum Vorbild der Ü40-Generation taugen, ohne sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Kathleen Hanna beispielsweise war immer schon eine unbequeme, wütende Göre, sie hat den Feminismus und das weibliche Rollenverständnis, ob nun mit Bikini Kill, Le Tigre oder auch solo, zuweilen schneller vorangebracht als manche verfilzte Prinzipienreiterin. Und tut es noch.

Hanna litt die vergangenen Jahre an einer das Nervensystem und die Gelenke angreifenden Infektionskrankheit, auch wenn sie zum jetzigen Zeitpunkt geheilt scheint, so fühlte sie sich dennoch, wie sie sagt, zum zweiten Mal in ihrem Leben (nach ihrer recht wilden und oft komplizierten Jugend) in einem fremden Körper gefangen, von Ausgeglichenheit und Zufriedenheit keine Spur. Das letzte Album “Run Fast” läßt sich mit diesem Wissen als bewusste Ablenkung und Hilfeschrei zugleich deuten, mit “Hit Reset” will sie nun den Neuanfang wagen und, den Ehrgeiz hat sie noch immer, andere dazu ermuntern. Und legt sich dabei mächtig ins Zeug. Die neue Platte ist noch lauter, noch bissiger und wütender als der Vorgänger, sie dröhnt und kreischt wie zu seligen Punkzeiten und sollte all den stylischen Spicegirlies, die es (Ironie der Geschichte) ohne die Riot Grrrls nicht gegeben hätte, eine Mahnung auf Wiedervorlage sein.

Dabei geht es einerseits natürlich um das eigene, selbstbestimmte Ich, das mit “I Decide”, den schiefen Gitarren und wummernden Bässen besser nicht befeuert und angespornt werden könnte, um klare Entscheidungen (“I’m Done”) und ein paar mehr oder weniger ernst gemeinte Ratschläge (“Be Nice”, “Hello Trust No One”). Die Männerwelt bekommt die erwartete, sarkastische Breitseite (“Mr. So And So”, “Planet You”) oder wird aus Sicherheitsgründen besser gleich wieder nach Hause geschickt (“Rather Not”), Hannas Lyrics sind amüsant und scharf geschnitten zugleich und haben an Relevanz kein bisschen verloren. Tröstlich dabei, dass auch sie Zugeständnisse machen musste und daraus ihre eigene Lehre zog – so sagte sie kürzlich über die Arbeit mit ehedem verhaßten Majorlabels der SPIN: “ I learned that they’re not an impenetrable wall that nobody can get through, and there are a lot of good people that work at them and there’s a lot of really stupid executives. But I couldn’t complain about it until I knew more.“

Das eindrucksvollste, weil unerwartet anrührende Lied ist ihr und der Band mit dem Schlußstück „Calverton“ gelungen, benannt nach dem Landstrich, in dem sie einige Jahre ihrer Kindheit verbracht hat. Zu dramatischem Piano besingt Hanna hier die Liebe zu ihrer Mutter, die sie zu der gemacht habe, die sie heute ist: „It was really about my mom and her being the person who I always knew was there for me and loves me. If I didn’t have that, I just know I wouldn’t be alive today … part of me is this beautiful, hilarious, funny mom, who didn’t have the skills to get out of a situation and loved me very much, and is the reason why I do what I do. Every time anything good happens to me, I know it’s because of her.“ (SPIN) Viel näher als in diesem Song ist man dieser zornigen, klugen und nicht selten erstaunlich humorvollen Frau selten gekommen, nicht nur deshalb ist dieses Album der reinste Grund zur Freude. http://www.thejulieruin.com/

27.11.  Berlin, Columbia Theater



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