„180“
(Rough Trade)
Frage: Gibt es überhaupt noch irgendwen, der sich völlig unvoreingenommen an eine Platte wie diese setzen kann und aus dem Bauch heraus sein Urteil abzugeben in der Lage ist? Antwort: Wenn wir von einer volljährigen Person ausgehen wollen - wohl kaum, je älter, desto unwahrscheinlicher. Und so ist es kaum verwunderlich, dass die Londoner Palma Violets, bisher nur einem überschaubaren Konzertpublikum bekannt, für ihr Debüt mit einer Mischung aus ängstlichem Abwarten, genervtem „Nicht schon wieder!“ resp. „Don’t believe the hype!“ und vorauseilendem Mitleid bedacht werden. So relativiert der Guardian: „Still, age is on their side“, die BBC trauert schon mal voraus: „So many have tried, so many have failed“ und selbst der NME, der die vier Jungs auf‘s Cover hob, ahnt schon: „The Strokes in ‘01, The Libertines in ‘02 or Arctic Monkeys in ‘05. Faced with a bar set that high, Palma Violets could do nothing but disappoint.“
So neu ist der Super-Retro, mit dem die Band hausieren geht, in der Tat nicht, der Sound ihrer scheppernden Gitarren läßt sich schnell zwischen Ende der 60er und Anfang der 70er verorten, Stones, Velvets, Modern Lovers, ein bisschen Iggy Pop, ein wenig frühe Clash, es kommt so einiges zusammen. Das klingt dabei gar nicht mal so schlecht – die Single „Best Of Friends“ zum Start kratzt angenehm im Mittelohr, der „Rattlesnake Highway“ wummert, dass es eine Freude ist und mit „Chicken Dippers“ gelingt dem Quartett um Sänger Sam Fryer ein veritabler Ohrwurm. Auch dazwischen nicht viel, an dem es Schwerwiegendes auszusetzen gäbe, sie rocken das Haus und schenken sich nichts.
Einziger Haken: Sie kommen spät damit und es wirkt bei wiederholtem Hören etwas arg kalkuliert und routiniert. Ausgenommen vielleicht „14“, das mit seinen acht Minuten und diversen Brüchen vom Haudrauf-Schema abweicht und ein wenig von der Wirkung ahnen läßt, die man auf den Konzerten der Palma Violets bestaunen darf – beim Rest bleibt dennoch das Gefühl, dass man es vielleicht in ein paar Wochen nicht mehr wird hören wollen. Ungerecht, kein Zweifel, den Strokes hat zu „Is This It“ solche Sätze wie die obigen kein Kritiker in’s Stammbuch geschrieben, auch „Up The Bracket“ brauchte sich mit derlei Klugscheißereien noch nicht herumärgern – was also tun? Nun, man könnte ihnen zum Beispiel ein wenig Zeit geben, sich zu beweisen. Wenn’s nicht klappt, darf man sich im Lichte der Allwissenheit sonnen, wenn doch, umso besser.
Komplettstream des Albums auf der bandeigenen Website.
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