„The Vermilion Border“
(The Cadiz Recording Co.)
Das würdevolle Altern auf der Bühne der Rock- und Popmusik ist seit jeher ein dankbares Diskussionsthema, es gibt positive und negative Beispiele und jeder, sieht er/sie sich als Fan oder neutraler Beobachter, hat eine sehr spezielle Meinung dazu. Wenn der eine meint, ein seidenschalumwickelter, deutlich gefalteter Mick Jagger habe nachgerade etwas Absurdes und Albernes an sich, dann gibt es mit Sicherheit die gleiche Anzahl leidenschaftlicher Befürworter, die meinen, der Mann habe von seinem Charisma keinen Jota verloren. Kann und will man einen John Lydon, der noch heute an der gleichen Attitüde wie von vierzig Jahren strickt, noch ernstnehmen, sind durchsichtige Platikhosen bei Iggy Pop noch okay oder doch schon eher ein Grund für eine Runde Fremdscham?
Keineswegs erstaunlich, dass sich die weiblichen Altstars in der Regel (vergessen wir jetzt mal die Damen Turner und Ciccone) bei dieser Frage eine ganze Ecke vorsichtiger, um nicht zu sagen stilvoller zu präsentieren wissen, nennen wir es ein angeborenes und gut ausgeprägtes Gespür für Zumutbares und allzu Peinliches. Nicht umsonst hat man von Debbie Harry, Kim Gordon oder Marianne Faithful, beide schon sehr lange im Geschäft, keine Fehltritte aktuellen Datums in Erinnerung. Eine vergleichbare Vita kann auch Viviane Albertine vorweisen – vom Groupie zur Band zum Solodebüt. Neben der vor zwei Jahren verstorbenen Ari Up war sie als Gitarristin maßgeblich für den Sound der britischen Girlpunk-Band The Slits im speziellen und für das Frauenbild der alternativen Rockszene im Allgemeinen verantwortlich.
Mit knapp 57 nun also ihr erstes komplettes Album, zwei Songs darauf waren schon auf der EP “Flesh” zu hören, die sie von Buddie Thurston Moore 2010 produzieren ließ. So wandlungsfähig, wie sie auf “The Vermilion Border” ihren Sound arrangiert, so klar behält sie textlich die feminine bis feministische Komponente im Auge. Zu jeder Menge getunten Gitarren und synthetischen Beats gibt sich Albertine kampfeslustig und ordentlich genervt, auch wenn sie hierfür (s.o.) die unterschwellige der gar zu vordergründigen Ausdrucksform vorzieht. Herzstück des Ganzen ist sicher “Confessions Of A MILF”, das sich vom beschaulichen Schunkler zum bitterbösen Klagegesang wendet. Wo zu Beginn noch die häusliche Idylle, so falsch und bigott sie auch ist, gefeiert wird (“Home, sweet home”), folgt gegen Ende das hasserfüllte Stakkato einer wütenden Endfünfzigerin: “…cooking, cleaning, shopping, fucking, baking, …”
Ähnlich sarkastisch auch “Don’t Believe”, eines der besagten älteren Stücke – plattgeredete Privatheiligtümer wie Gott, Liebe und Zeit werden hier zugunsten von lebloser Materie (“Stone, Wire, Wood”) endgültig abgeschrieben, “Still England” gefällt als ironische Aufzählung hochgelobter, britischer Wertschöpfung. Für “When It Was Nice” vermischt Albertine Shoegazingpop mit dem dunklen Scheppern von Velvet Underground, in “Becalmed” trifft stampfender Beat auf Harfenklänge. Ein frisches, ein interessantes Album, gar nicht albern (was, s.o. nicht selbstverständlich ist) und ein Beweis, dass Erfahrung und Substanz sehr wohl Hand in Hand gehen können. http://www.vivalbertine.com/
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