Samstag, 30. November 2013

Xiu Xiu: Deconstructing Jamie

Xiu Xiu
„Nina“

(Graveface)

Jetzt bimmeln sie also wieder, die Jingle-Bells, die klebrig süße Vorweihnachtsatmosphäre schreit nach Kuscheljazz und Wohlfühlsoul und auch Nina Simone wird mit den populärsten ihrer Songs auf einigen dieser schnell zusammengezimmerten Stückgutsammlungen vertreten sein – großartig wehren kann sie sich dagegen nicht, sie ist vor gut zehn Jahren verstorben. Man darf annehmen, dass auch Jamie Stewart, dem Enfant Terrible des amerikanischen Indierocks und Gründer und Charakterkopf der Band Xiu Xiu, diese oft gedankenlos gesampelten Festtagswidmungen ein Grauen sind, reichen seine Beziehungen zur großen Dame des afroamerikanischen Blues doch bis in die Anfangstage seiner musikalischen Erweckung, ihr Werk, so gibt er zu Protokoll, sei tief in ihm verwurzelt und habe ihn zeitlebens inspiriert und seiner Arbeit wichtige Impulse verliehen.

Und so hat er sich für dieses Projekt eine ganz persönliche Liste aus Simone’s Songbook zusammengestellt, Klassiker wie „See Line Woman“ oder „Wild Is The Wind“ wechseln mit weniger bekannten Liedern, und sie alle erfahren eine erstaunlich kompromisslose Neubearbeitung. „There's no possibly way we could sound anything like her, nor would we want to” erzählte Stewart über sich und seine fünf Mitmusiker der US Today – Ergebnis ist eine radikale Dekonstruktion der Stücke, die so zuvor sicher selten zu hören war. Wenn man gemeinhin davon spricht, ein/e Künstler/in habe für ein Cover den entsprechenden Song und seine Strukturen bis auf die Knochen freigelegt, dann hat Stewart hier noch das Mark aus selbigen herausgekratzt. Alle Vertraulichkeit hat er gnadenlos verbannt, seine Versionen klingen wie verstimmte Psychosen im Freejazzgewand, der markante Gesang, hier eher ein wundes Wimmern und Flüstern, tut ein übriges und macht die Interpretationen nicht nur unheimlich – sie sind für unsere harmonieverwöhnten Ohren streckenweise kaum zu ertragen.

Man sollte jedoch nicht vergessen, dass auch Simone experimentelle Instrumentierungen und Dissonanzen keineswegs fremd waren, sie war dazu eine Meisterin der Reduktion und setzte damals (wie Stewart hier und jetzt) lieber die Dramatik der atemlosen Pause vor die wohlmeinende Überlast, in Stücken wie „Don’t Smoke In Bed“, „You’d Be So Nice“ oder „Don’t Explain“ lässt sich all das trefflich bestaunen. Darüber hinaus beherbergen ihre Texte einen gehörigen Leidensdruck, Simone war sowohl Bürger- als auch Frauenrechtlerin, die vorliegenden Stücke kamen also mal mehr oder mal weniger offen politisch („Four Women“, „The Other Woman“) oder verwegen („Pirate Jenny“) daher und erwiesen sich auch sonst schmerzvoll vertraut mit den großen und kleinen Krisen des Zusammenlebens. Dass Stewart versucht, dem Rechnung zu tragen, darf, ja muss man „Nina“ anhören, „Easy Listening“ wäre hier völlig fehl am Platz und ist seine Sache ohnehin nie gewesen. Eine riskante, eine mutige Platte also, nichts für die traute Stunde unterm Nadelbaum, eher was für’s einsame Hinterzimmer. http://xiuxiu.org/

Komplettstream des Albums bei US Today

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