Nick Cave & The Bad Seeds
Zenith, München, 21. November 2013
Support: Shilpa Ray & Her Happy Hookers
Irgendwo war zu lesen, der Bart sei ab. Als sachliche Feststellung geht das natürlich in Ordnung, denn Nick Cave hat sich tatsächlich seinen etwas gewöhnungsbedürftigen Schnauzer abrasieren lassen. Im übertragenen Sinne taugt die Feststellung dagegen nichts, denn der Mann hat überhaupt keinen Grund, seinen Krempel hinzuschmeißen und sich fürderhin nur noch mit dem Verfassen alttestamentarischer Traktate zu beschäftigen – auch das randvoll gefüllte Zenith in München durfte sich davon überzeugen, dass der Platz des australischen Mittfünfzigers noch immer auf der Bühne ist. “Verrat!” würde also niemand ernsthaft schreien wollen, denn auch wenn seine Begleiter mit der Urformation nur noch den schaurigen Namen gemeinsam haben, jetzt also eher als angereicherte Grinderman 2.0 fungieren – Cave hat seine Person seit jeher vom Rest der Gruppe getrennt gehalten und darf so als alleinige Konstante, als seligmachende Klammer der dreißigjährigen Bandgeschichte gelten.
Ohnehin ist das Repertoire des Abends aus mittlerweile fünfzehn Alben durch viele Hände (meint: wechselnde Besetzungen) gegangen und ganz so klar gar nicht mehr zu trennen. Auffällig dennoch, dass Cave für diese Tour erfreulich oft in der Vergangenheit gekramt hat, und auch wenn die alten Sachen der Bargeld-Harvey-Adamson-Arä nicht mehr so stringent mit dem tiefschwarzen Flor der ‘Berliner Jahre’ umwickelt sind, allein für sie hätte sich der Besuch schon gelohnt: “Tupelo” und “From Her To Eternity” kommen kraftvoll und ordentlich wütend daher, auch “Deanna”, “The Weeping Song” und natürlich das grandiose “Mercy Seat” lassen kaum etwas von der alten Qualität vermissen. Was die drei Grindermänner nicht schafften, gelingt der nunmehr sechsköpfigen Livekappelle erwartungsgemäß besser – die Stücke wirken nun, ihrem Charakter gemäß, vielschichtiger, zwischentöniger, Cave gelingt neben dem explosiven Gebrüll vor versammeltem Publikum ein ebenso mühelos vernehmbares Flüstern.
So gut wie die alten funktionieren auch die aktuellen Songs – “Jubilee Street” gerät anders als auf dem Album erstaunlich druckvoll, für die “Mermaids” packt der Meister alles an Charme und Schwermut in die Waagschale. Noch besser seine Königsdisziplin, die knochenklappernde Voodoobeschwörung, ob “Higgs Boson Blues” oder das wilde “Stagger Lee”, Cave mutiert zum wildgewordenen, wortspuckenden Bühnenteufel, der nicht weniger als ein Inferno verspricht, Trost ist in diesen Momenten nur schwerlich zu haben. Am Ende verlässt ein gutgelaunter, ausgelaugter und naßgeschwitzter Mann die Halle, Warren Ellis’ Geigenbogen sieht so wirr aus wie seine Frisur und auch das Publikum, dessen Alterschnitt die Vermutung nahelegt, nicht wenige Besucher begleiten Cave schon seit seinen ersten Tagen, verabschiedet die Gäste mit einer Mischung aus Begeisterung, Dankbarkeit und Wehmut. Klar, dass hier nichts so gut passt wie der Titel einer der Zugaben – “Real Cool”, in der Tat.
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