Montag, 12. Juli 2010

Gehört_161



M.I.A. „MAYA“ (XL/V2)
Natürlich kann, wer über Mathangi „Maya“ Arulpragasam, kurz M.I.A. und ihre neue Platte schreibt, den Wust an aufgeregtem pseudopolitischem – tja: Content nicht ganz außer Acht lassen. Seit Beginn ihrer Karriere im Jahre 2005 gilt ihre mediale Attitüde als diskussionswürdig, sie selbst je nach Betrachtungswinkel mal als selbstgerechte Salonaktivistin oder streitbare Kämpferin gegen Globalisierung und Weltenarmut. Dass sie zusammen mit dem Sohn des Time-Warner-Chefs Edgar Bronfman im weißen Nobelviertel von L.A. residiert und sich nicht ganz ohne eigenes Zutun zur revolutionären Sexikone stilisieren läßt, erhöht den Irritationsgrad und hält sie im Gespräch, genauso wie ihre leicht angezickten Äußerungen über Kolleginnen wie Lady Gaga.

Eigentlich könnte sie gut auf dieses ganze Ballyhoo verzichten, sagen zumindest diejenigen, die ihr grundsätzlich wohlmeinende Absichten unterstellen und den täglich getwitterten Schwachsinn nicht höher bewerten als einen Fliegenfurz. Denn abseits aller Nebengeräusche macht diese Frau zusammen mit diversen Produzenten seit mehreren Jahren und drei Alben noch immer die interessanteste und aufregendste Musik der Jetztzeit und ist meilenweit davon entfernt, als bloßes Popsternchen wahrgenommen zu werden. Auch „MAYA“ ist, wie seine Vorgänger „Arular“ und „Kala“, wieder ein aufregendes Patchworkmonster geworden, vollgestopft mit elektronisch verschnittenem Baile-Funk, Dance, erstaunlichen Meta(l)morphosen und Industrial, wie gewohnt eingebettet in raues und aggressiv pumpendes Beatgewitter. Nach knapper Einleitung setzt ein träges und schwermetallisches „Steppin’ Up“ den ersten Glanzpunkt, gefolgt vom schnelleren und fast poppigen „XXXO“. Das gut sechsminütige „Teqkilla“ spielt die komplette Klaviatur der M.I.A.’schen Stilmixtur herunter, verrückt, verwegen und gewaltig – fast folgerichtig bezieht sie sich bei der Frage nach ihren aktuellen Vorbildern auch auf die beiden hier schon erwähnten Lieblingskinder der elektronischen Indieszene Crystal Castles und Sleigh Bells.

Bei „Lovealot“ bekommt die NYT-Redakteurin Lynn Hirschberg noch einmal eine unmißverständliche Erklärung für M.I.A.’s Verhaltensmuster, welches sie dank spontan geposteter Mobilnummer schon leidvoll kennenlernen durfte: „I love a lot, but I fight the one that fight me“. Nach lässigen Reggae-Anleihen bei „It Takes A Muscle“ dann der nächste Höhepunkt – zu „Born Free“ und dem dazugehörigen, ebenso genialen wie umstrittenen Videoclip von Romain Gavras ist schon mächtig viel geschrieben worden, der Song selbst ist ebenso brutal wie die ihn begleitenden Bilder – ein Statement, eine Provokation, nicht weniger. Noch härter, aber wesentlich konventioneller dann „Meds & Feds“, ein Gitarrenmashup, gegen den das soulig klagende „Tell Me Why“ fast wie ein Fremdkörper wirken muss.

Dennoch, es bleibt dabei: Es gibt derzeit kaum jemanden, der eine lebendigere, pulsierendere Verpackung für politisch korrekte Straßenkampfpropaganda anbieten kann als die egozentrische Tamilin. Deshalb und in Anbetracht ihres scheinbar unerschöpflichen Talents mag man sich gern den Worten ihres Labelchefs anschließen: „Es geht letztlich [nur] darum, den Moment zu erwischen, in dem man die populäre Kultur ein Stück bewegen kann. Maya kann die Position der Nadel verändern. Ich will dahin, wo sie mich hinbringen wird.“
http://www.miauk.com/

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