Dienstag, 20. Juli 2010

Gelesen_7



Henning Mankell „Der Feind im Schatten“ (Zsolnay)
Nun ist er also fort, der Kurt Wallander, unwiderruflich. Mankell hat ihm, mit drei endgültigen Sätzen am Ende des Buches, kein Schlupfloch mehr gelassen, es gibt kein Hintertürchen, einen Cliffhanger schon gar nicht. Abgang, Ende. Er ist ja nicht der erste der großen Ermittler, der gehen musste, weil er seinem Schöpfer ausreichend beleuchtet und abgearbeitet schien – auch Nessers van Veeteren, Sjöwall/Wahlöö’s Kommissar Beck, Dexters Inspector Morris und der Commissaris von van Wetering, um nur einige wenige zu nennen, ereilte das gleiche Schicksal.

Und dennoch, als treuer Begleiter von Mankells verschlossenem und wenig lebensfrohem, doch trotzdem sehr erfolgreichen Kriminalbeamten, ertappt man sich während der Lektüre dieses letzten Romans der Reihe desöfteren bei dem Wunsch, Mankell hätte dieses Buch doch besser nicht geschrieben. Für einen leidenschaftlichen Anhänger der stets recht unkonventionellen Wallanderschen Ermittlungsarbeit, sein Gespür für allzu menschliche Ab- und Hintergründe, seine immerwährenden Grübeleien und persönlichen Unzulänglichkeiten klingt dieser Wunsch natürlich etwas widersprüchlich. Und erklärt sich doch aus dem Inhalt des aktuellen Werkes.

„Der Feind im Schatten“ ist mehr noch als seine Vorgänger ein Grenzgänger zwischen Kriminalstück und Gesellschaftsprosa und ähnelt in seiner tieftraurigen, düsteren Diktion eher Mankells historischen Epen „Vor dem Frost“ und „Tiefe“. Ungleich viel mehr Gewicht als dem Spannungsbogen, also der Ermittlung in schwedischen Militär- und Geheimdienstkreisen, wird hier der Privatperson Kurt Wallander geschenkt, das Buch scheint als endloser Abschiedsreigen all seiner größtenteils missglückten und ungelösten Lebensstationen gedacht: die schwierige Beziehung zum verstorbenen Vater, die Distanz zur eigenen Tochter und ihrer neuen Familie, die fast schon aggressive Ablehnung jeglichen Kontaktes zu seiner ebenfalls gescheiterten Exfrau, der schmerzhafte Abschied von seiner großen Liebe Baiba und nicht zuletzt die Unfähigkeit, sich in das eigene, schwindende und beschwerlicher werdendere Leben hineinzufinden. Seite um Seite ringt Wallander mit dem Unabänderlichen, zetert, jammert, hofft und lamentiert, selten wirkt er gefasst oder mit sich im Reinen und wenn er zur Mitte des Buches hin plötzlich einmal beschwingt und beschwerdelos für kurze Zeit einen Spaziergang zu genießen weiß, schrickt man regelrecht auf und bleibt natürlich argwöhnisch wie der Protagonist selbst, weil man die Fallhöhe kennt, die es anschließend auszuhalten gilt.

Natürlich ist Mankells Wallander nie einfach zu haben gewesen, er war immer der Depression näher als dem frohen Überschwang und irgendwie war das ja auch immer Teil seiner Arbeit, an der man so gern teilnahm. Wenn einen anfangs, der langjährigen Verbundenheit wegen, noch Mitgefühl für sein Schicksal einnimmt, stoßen einen Selbstmitleid und Selbstgerechtigkeit dieses Mannes doch zunehmend ab, und gerade das Fehlen einer wirklich fesselnden Rahmenhandlung – der Ausflug ins Spionagemillieu bleibt seltsam blass und ohne wirkliches Crescendo – lässt am Ende leider nur einen verbitterten und vereinsamten alten Mann zurück, der noch lange nicht bei sich angekommen ist und diese Chance wohl auch durch die besonderen Umstände, in welche er gerät, nicht mehr bekommen wird.

Gute Literatur trotzdem und ohne Frage, und doch ein Abschied, den man sich so gern erspart hätte. Im Übrigen gibt es zum Thema Demenz in der neuzeitlichen Kriminalliteratur mit Martin Suters „Small World“ ein mindestens ebenso anrührendes Standardwerk, welches durch etwas mehr Stringenz und Sachlichkeit zu überzeugen weiß.
http://www.mankell.de/

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