Idles
PULS Indoor Festival, BR Funkhaus, 2. Dezember 2017
(Chuckamuck, Meute, Gurr, Megaloh, The Big Moon u.a.)
Was für ein schöner Zufall: Genau an dem Tag, an dem die Idles in München gastieren, schreibt der Stadt größte Tageszeitung einen Artikel über eine Ausstellung in Frankfurt, genau zu der Zeit, da die Idles durch Deutschland touren, eröffnet dort nämlich eine Ausstellung mit dem Titel „SOS Brutalismus“. Faust auf’s Auge, denn das Debüt der Post-Punk-Kapelle heißt „Brutalism“ und natürlich ist die Band mit ihrem Sound nicht weit entfernt von der Entstehungsgeschichte des besagten Begriffs – Beton Brute, so die französischen Wurzeln des Architekturstils, bezeichnet zunächst einmal die rohe, ungeschönte Form des Materials, von Brutalität ist da noch nicht die Rede. Aber natürlich sind die Assoziationen artverwandt, die beim Betrachten der Kathedralen des Brutalismus in Boston, Wien oder Algier und beim Hören der Musik der fünf entstehen – überwältigend, rabiat, kollossal, und ja, eben auch brutal.
Es ist leicht zu erkennen, daß viele der Gäste das alljährliche Festival nur wegen der weißgewandeten Herren aus Bristol aufgesucht haben. Während nebenan die Hamburger Techno-Brass-Formation Meute das Publikum gehörig in Schwung bringt, herrscht im Saal 2 eher gediegene Langeweile. Chuckamuck holen mit Mühe nur die ersten zweieinhalb Reihen aus der Lethargie, die ach so angesagten Girls von The Big Moon covern schon nach einer Viertelstunde Bonnie Tylers „Total Eclipse Of The Heart“ und werden, was Wunder, auch danach nicht eben mit Beifallsstürmen belohnt. Erst Andreya Casablanca und Laura Lee Jenkins von der Berliner Formation Gurr gelingt der erwartete Turnaround – im Vergleich zu ihrem letzten Auftritt im Frühjahr sind sie noch eine willkommene Spur derber, rotziger geworden, jetzt ist die Menge da, jetzt springt die Moshpit, Ihre abschließende Variation von „Helter Skelter“ kickte folgerichtig um Längen mehr als der bemühte, laue Aufguss der Damen aus London, selbst ein amtliches Crowdsurfing stand am Ende zu Buche. Passt.
Dass es danach noch eine Spur krasser werden würde, ließ sich allein daran erkennen, daß Joe Talbot, Frontmann der Idles, schon während der Umbaupause in angespannter Nervosität die Bühne entlangtigerte, da traute sich selbst die eloquente junge Dame des BR kaum, eine ihrer gefürchteten Anmoderationen zum Besten zu geben – der Mann war ja quasi schon im Sprung. Hinzu kamen hierauf: Schlagmann John Beavis, der rotbärtige Bassist Adam Devonshire (bestens bekannt von seiner legendären Videoperformance aus der Londoner Tate), der irre gute Gitarrist Lee Kiernan, der komplett irre und ebenso gute Gitarrist Mark Bowen – und dann ging er ab, der Punk. Gerade haben die Herren die Auszeichnung zum besten Live-Act der Association of Independent Festivals (AIF) gewonnen und auch wenn man um der Coolness willen mit solch einem Award nicht hausieren geht – schnell wird klar, warum diese Auszeichnung alternativlos war.
Von der ersten Sekunde des (bedauerlich kurzen) Sets an prügelt die Band ihre geballte Energie ungebremst in die Halle. Bowen und Kiernan haben sich offensichtlich entschieden, mehr Zeit vor als auf der Bühne zu verbringen und Devonshire drückt zusammen mit dem Drummer gnadenlos eine Basswelle nach der anderen aus den Boxen. Die johlende Menge nimmt diese dankbar in Empfang, wiegt, zuckt, springt zu Killern wie „Mother“, „Well Done“ oder „1049 Gotho“ – Brexit Stories: „We love the European Union – we miss her so much!“ Exemplarisch der Moment, als Bowen sich ins Parkett setzt und alle im Saal auffordert, es ihm gleichzutun. Die Band hält in ihrem Furor inne, bremst kurz ab, bis auf einen Schlag der Raum explodiert und alle und alles nach oben fährt, mittendrin der verrückte Kerl mit der Gitarre. Eine Intensität, von einer Unmittelbarkeit, die ganz schwer zu toppen ist, man kann nur hoffen, daß sie München bald wieder auf den Tourplan setzen und bis dahin unverletzt bleiben. Best show of the year, word.
Update: Mittlerweile ist es raus - die Idles haben bei Partisan Records angeheuert und auch ihr neues, zweites Album ist auf der Zielgeraden. Das Interview des BR deshalb als Vorgriff und Nachbereitung zugleich.
Mittwoch, 31. Januar 2018
Liebe Frau Gesangsverein: Kein Wunder
Mal ganz ehrlich Leute - Frau und Punk, das geht nicht zusammen? Das ist irgendwie anders? So mancher Text, den man in letzter Zeit über die Kölner Truppe Liebe Frau Gesangsverein liest, kommt aus dem Wundern gar nicht raus, ganz so, als hätte es Patti Smith, Kathleen Hanna, Viv Albertine, Ari Up oder meinentwegen auch Nina Hagen nicht gegeben. Ricarda Giefer jedenfalls nimmt die Sache (wie nicht anders zu erwarten) kämpferisch, an ihr soll es also nicht liegen, das Klischee. Für den 26. Februar haben sie und ihre drei Mitstreiter das Debütalbum "Nackt" via Roaring Disc Records angekündigt, nach der ersten Auskopplung "Hier sein ist so schwer" gibt es heute mit "Für immer wieder" noch einen obendrauf.
23.03. Bochum, Wageni
05.04. Dresden, Chemiefabrik
06.04. Leipzig, Mörtelwerk
07.04. Berlin, Trickster
14.04. Koblenz, Circus Maximus
28.04. Graz, tba
23.03. Bochum, Wageni
05.04. Dresden, Chemiefabrik
06.04. Leipzig, Mörtelwerk
07.04. Berlin, Trickster
14.04. Koblenz, Circus Maximus
28.04. Graz, tba
The Streets: New Private Material [Update]
Auch wenn man solche Unterteilungen gescheiterweise besser nicht vornehmen sollte, aber der weiße Rap (so es ihn denn gibt), pfeift seit einiger Zeit auf dem letzten Loch. Wäre da nicht Eminem mit einem neuen Album, es sähe gänzlich düster aus. Die Beastie Boys sind leider perdu, House of Pain bzw. Everlast ebenfalls, Kid Rock ging noch nie und nach Trump schon gleich dreimal nicht, Action Bronson läßt sich viel, vielleicht zu viel Zeit und Die Antwoord sind für die Nische und kaum für die Masse. Bliebe noch Mike Skinner aka. The Streets. Der hat den Rap auf die Insel und von dort wieder unter die Leute gebracht, formidable Alben eingereicht und selbst Leuten wie den Sleaford Mods den Weg geebnet. Gerade teilt er wieder mal zwei neue Songs - "Burn Bridges" und "Sometimes I Hate My Friends More Than My Enemies". More is yet to come - hopefully.
Update: Irgendwer überrascht, daß das Konzert im Heimathafen Neukölln schon ausverkauft ist!? Nee, 11. April, nur mal so nebenbei. Als Trost heute einen weiteren neuen Song "If You Ever Need To Talk I'm Here" - na, wäre schön gewesen.
Update: Irgendwer überrascht, daß das Konzert im Heimathafen Neukölln schon ausverkauft ist!? Nee, 11. April, nur mal so nebenbei. Als Trost heute einen weiteren neuen Song "If You Ever Need To Talk I'm Here" - na, wäre schön gewesen.
Dienstag, 30. Januar 2018
BELGRAD: Nur die Liebe zählt
Support: Dikloud
Backstage, München, 29. Januar 2018
Manchmal ist es wirklich etwas traurig. Wenn man oft auf Konzerten unterwegs ist, erlebt man neben den vielen guten natürlich auch die schlechten. Und eben leider auch die guten, die schlecht besucht sind. BELGRAD, Post-Punk-Kapelle aus Berlin und Hamburg, Clash of Generationen plus Lebensläufe, haben gerade mit ihrem gleichnamigen Debüt eine der besten deutschsprachigen Platten zur Zeit veröffentlicht. Und wenn wer behauptet, der Erscheinungtermin kurz vor Jahresschluß war schlecht gewählt, dann hat er sicher zur Hälfte recht. Eigentlich aber ist das Album noch früh dran, denn auch wenn es abgeschmackter nicht klingen könnte – zur ernsthaften Auseinandersetzung mit dem bald anstehenden Jubiläum der Wiedervereinigung kann es keinen besseren Soundtrack geben als diesen. BELGRAD wollen weder abfeiern noch abwinken, ihre Musik ist weder billiger Kitt für allzu offensichtliche Brüche noch destruktive Verneinung des Faktischen. Nein, so simpel das klingt – sich ein paar eigene Gedanken machen, das würde schon reichen. Anregen, anstoßen, irritieren, das ist ihr Ziel. Und dann? Kommen nur dreißig Leute.
Fast möchte man sich also entschuldigen für die Münchner Ignoranz. Iwo, meint Sänger Leo Leopoldowitsch nach der Show, alles halb so wild. Natürlich hätte man sich ein paar Leute mehr im Publikum gewünscht, keine Frage. Aber schließlich wäre dies ihre erste Tour mit der neuen Band, da seien die Erwartungen eher vorsichtig. Und München stände ja keineswegs allein da – quer durch die Republik gäbe es solche und solche Abende: Münster packed, Hannover ebenfalls rappelvoll, Hamburg und Berlin ohnehin, Düsseldorf und Köln eher mau bis dröge, es braucht halt seine Zeit. Vielleicht lags auch daran, daß die komplette Besatzung ihren „Day Off“ in einer Münchner Sauna verbrachte, also Tiefenentspannung und so. Leopoldowitsch hätte im Übrigen guten Grund gehabt, die Lust zu verlieren, schließlich steht er während der Reise fast die doppelte Zeit auf der Bühne – zunächst mit seiner Punk-Formation Dikloud, später mit Hendrik Rosenkranz, Ron Henseler und Stephan Mahler für die Hauptrunde.
Die dann im Vergleich zum ohnehin schon sehr gelungenen Album mit der flankierenden Videokunst noch um einiges zwingender, drängender erscheint, meint: Livepräsenz ersetzt Visualisierung – passt auch. Am beeindruckendsten vielleicht das Schlagzeug. Stephan Mahler hat dort schon (er hört das nicht gar so gern) in den Achtzigern und Neunzigern bei den Hamburger Urpunks Slime gesessen, seine Erscheinung ist so beeindruckend wie die Wucht, die er auf die Felle bringt. Und man wird gewahr, daß er nicht wenige Stücke der neuen Platte auch selbst singt, ihm verdankt das Publikum wohl auch ein Cover der Hamburger Noiserock-Legenden Die Erde. Ein kraftvolles Set, all die denkwürdigen (s.o.) Nummern “Osten”, “Westen”, "Niemand” mit dabei, der Bass satt, der Sound raumgreifend, nichts auszusetzen. Und das Publikum? Dankt es mit den Vieren mit warmem Applaus. Und genau deshalb ist weniger zwar nicht mehr, aber ausreichend. Sagt Leopoldowitsch: “Wenn aus dem Publikum etwas zurückkommt, dann ist es auch egal, wie wenige da unten stehen. Dann ist das gut.” Glück gehabt, München.
30.01. Zürich, Dynamo
31.01. Stuttgart, JuHa West
01.02. Oberhausen, Druckluft
02.02. Leipzig, Neues Schauspiel
03.02. Dresden, Scheune
Ultimate Painting: Aufwärts geht's
Auch ein schöner Name, auch feine Musik: Die Londoner Indiekapelle Ultimate Painting hat die Veröffentlichung ihres vierten Albums angekündigt - "Up!", so der prägnante Titel, soll am 6. April bei Bella Union erscheinen und mit "Not Gonna Burn Myself Anymore" schicken die Herren um Sänger und Songwriter Jack Cooper eine erste Kostprobe voraus, neun weitere sollen bald folgen. Im vergangenen Jahr mit den Fleet Foxes unterwegs, kürzlich in Berlin und Köln zu Gast, auf neue Livedaten müssen wir dann aber noch ein wenig warten.
Soccer Mommy: Sicher kein Bettgeflüster
Wenn es demnächst an die Wahl der lässigtsen Bandnamen des Jahrzehnts geht, ist Sophie Allison garantiert ganz vorn mit dabei. Denn Soccer Mommy ist so aufgeladen mit Klischees, wie man es hierzulande nur von Spielerfrauen und Charityladies kennt. Und als Pseudonym eben an Coolness kaum zu schlagen (okay, kürzlich lag eine CD der Band Acht Eimer Hühnerherzen im Postfach, aber das ist eine andere Geschichte). Von Allison jedenfalls ist bei Wikipedia vermerkt, sie mache Bedroom Pop und da fragt man sich schon, wie es in manchem Schlafzimmer so zugehen mag - ihr Debütalbum "Clean", angekündigt für den 2. März via Fat Possum Records, dürfte und sollte da einiges geraderücken - den Anfang hat ja schon die Single "Your Dog" gemacht, jetzt kommt "Cool" hinterher.
Sonntag, 28. Januar 2018
Steiner und Madlaina: Nicht immer nur Familie
14.02. Innsbruck, Treibhaus
15.02. Linz, Posthof
16.02. Ulm, Roxy
17.02. Regensburg, Airport
18.02. Passau, Zeughaus
Freitag, 26. Januar 2018
Tocotronic: Lebenserhaltende Maßnahme
Tocotronic
„Die Unendlichkeit“
(Vertigo/Universal)
Man darf das ruhig als Privileg betrachten, in dem Alter gibt’s ja nicht mehr viele davon. Daß also eine Band eine so große Spanne des eigenen Lebens lückenlos bespielt, da ist, wenn man sie braucht, am Soundtrack der Biografie mitschreibt, ohne das Leben eines jeden Hörers auch nur ansatzweise in seinen Verästelungen, Wendungen, Brüchen kennen zu müssen. Sie singen vom eigenen – das allein reicht. Und sie tun dies auf der aktuellen Platte mehr denn je und, das ist neu, in programmatischer Form und Folge. Tocotronic haben in den nunmehr fünfundzwanzig Jahren ihres Bestehens schon immer verschiedene Wachstumsphasen thematisiert, waren mal mehr, mal weniger direkt, hier laut und trotzig, dort geheimnisvoll, sphärisch, dunkel sowieso. Nun begleiten sie ihren Protagonisten, nennen wir ihn der Einfachheit mal Dirk, über zwölf Kapitel durch dieses undurchschaubare, kaum planbare, manchmal schmerzhafte, manchmal komische Thing called Leben.
Alles, was diese Zeit mit ihm und uns gemacht hat, was sie geschenkt, was sie genommen hat, welche Rätsel sie aufgab, wann sie einen unsterblich machte und wann sie uns ob unserer Unvollkommenheit und Schwäche frech ins Gesicht lachte, all das ist dabei – zwölf Lieder eben. Die Rebellion, die Lüge, die Träume, das Unverstandensein, die Erkenntnis (die schmerzliche wie die tröstende), Gefühlstau, Enttäuschung, Sehnsucht, und mehr. Das klingt oft wunderbar, manchmal recht wunderlich. „Electric Guitar“ zum Beispiel ist so brillant auf den Punkt, die weiche Stimme, der warme Sound, der Blick zurück auf eine Zeit voller Peinlichkeit, Unentschlossenheit und großen Entdeckungen, die Gitarre als lebensrettende, ja -erhaltende Maßnahme. Dort, wo man von lauter Unverstand umgeben war, konnte sie einem als einzige ein kleines Stück Würde bewahren. Ebenso „Hey Du“, Spießerbeton, rauer Jargon (geborgt), die „Schwarzwaldhölle“ drängt zum Aufbruch – wohin? Egal, einfach raus!
Wenn Tocotronic mal ein paar Metaebenen eindampfen, dann kommt das manchmal erfreulich klar an. An anderer Stelle eher bemüht – „1993“ klingt ziemlich weird, verrückt, über’s Knie gebrochen. Ein jeder hat ja bei dieser Band den Stil, den er am liebsten mag, seine Epoche, seine Phase. Das Schattige, Unscharfe, Unwägbare hat bei ihnen schon immer einen großen Raum eingenommen, es galt nicht zu Unrecht den Sieg der puren Vernunft zu verhindern, den Zweifel zu loben, das Unsagbare irgendwie in Worte zu fassen. Auch diese Platte hat, gerade im letzten Drittel, solcherlei leidenschaftliche, halt- und hilflose, auch bedrohliche Momente, wenn die Rettung von unerwarteter Seite kommt, das weiße Licht den Neuanfang, den Morgen ankündigt und man trotzdem nicht weiß, was wohl wird.. Da rücken sie ganz nah an einen heran – Zusammenhalt. Ein Ende in Ernüchterung und Klarheit, alles zu wollen und (nur?) den Nächstbesten zu bekommen. Reicht das? Und: Was sagt Google dazu? „Bitte, verlasst mich nicht!“ singt der Dirk. Wie könnten wir. https://tocotronic.de/
„Die Unendlichkeit“
(Vertigo/Universal)
Man darf das ruhig als Privileg betrachten, in dem Alter gibt’s ja nicht mehr viele davon. Daß also eine Band eine so große Spanne des eigenen Lebens lückenlos bespielt, da ist, wenn man sie braucht, am Soundtrack der Biografie mitschreibt, ohne das Leben eines jeden Hörers auch nur ansatzweise in seinen Verästelungen, Wendungen, Brüchen kennen zu müssen. Sie singen vom eigenen – das allein reicht. Und sie tun dies auf der aktuellen Platte mehr denn je und, das ist neu, in programmatischer Form und Folge. Tocotronic haben in den nunmehr fünfundzwanzig Jahren ihres Bestehens schon immer verschiedene Wachstumsphasen thematisiert, waren mal mehr, mal weniger direkt, hier laut und trotzig, dort geheimnisvoll, sphärisch, dunkel sowieso. Nun begleiten sie ihren Protagonisten, nennen wir ihn der Einfachheit mal Dirk, über zwölf Kapitel durch dieses undurchschaubare, kaum planbare, manchmal schmerzhafte, manchmal komische Thing called Leben.
Alles, was diese Zeit mit ihm und uns gemacht hat, was sie geschenkt, was sie genommen hat, welche Rätsel sie aufgab, wann sie einen unsterblich machte und wann sie uns ob unserer Unvollkommenheit und Schwäche frech ins Gesicht lachte, all das ist dabei – zwölf Lieder eben. Die Rebellion, die Lüge, die Träume, das Unverstandensein, die Erkenntnis (die schmerzliche wie die tröstende), Gefühlstau, Enttäuschung, Sehnsucht, und mehr. Das klingt oft wunderbar, manchmal recht wunderlich. „Electric Guitar“ zum Beispiel ist so brillant auf den Punkt, die weiche Stimme, der warme Sound, der Blick zurück auf eine Zeit voller Peinlichkeit, Unentschlossenheit und großen Entdeckungen, die Gitarre als lebensrettende, ja -erhaltende Maßnahme. Dort, wo man von lauter Unverstand umgeben war, konnte sie einem als einzige ein kleines Stück Würde bewahren. Ebenso „Hey Du“, Spießerbeton, rauer Jargon (geborgt), die „Schwarzwaldhölle“ drängt zum Aufbruch – wohin? Egal, einfach raus!
Wenn Tocotronic mal ein paar Metaebenen eindampfen, dann kommt das manchmal erfreulich klar an. An anderer Stelle eher bemüht – „1993“ klingt ziemlich weird, verrückt, über’s Knie gebrochen. Ein jeder hat ja bei dieser Band den Stil, den er am liebsten mag, seine Epoche, seine Phase. Das Schattige, Unscharfe, Unwägbare hat bei ihnen schon immer einen großen Raum eingenommen, es galt nicht zu Unrecht den Sieg der puren Vernunft zu verhindern, den Zweifel zu loben, das Unsagbare irgendwie in Worte zu fassen. Auch diese Platte hat, gerade im letzten Drittel, solcherlei leidenschaftliche, halt- und hilflose, auch bedrohliche Momente, wenn die Rettung von unerwarteter Seite kommt, das weiße Licht den Neuanfang, den Morgen ankündigt und man trotzdem nicht weiß, was wohl wird.. Da rücken sie ganz nah an einen heran – Zusammenhalt. Ein Ende in Ernüchterung und Klarheit, alles zu wollen und (nur?) den Nächstbesten zu bekommen. Reicht das? Und: Was sagt Google dazu? „Bitte, verlasst mich nicht!“ singt der Dirk. Wie könnten wir. https://tocotronic.de/
Die Wilde Jagd: Keine Angst
Wo wir schon mal bei Düsternis und Wavepop sind, sollten wir uns auch um Sebastian Lee Philipp kümmern. Der Berliner, der hinter dem Bandprojekt Die Wilde Jagd steckt, ist 2015 mit seinem Debütalbum, gemeinsam eingespielt mit Produzent Ralf Beck, einer größeren Runde bekannt geworden. Nun schickt er sich an, mit dem Folgewerk "Uhrwald Orange" nachzuziehen - benannt ist die Platte nach Beck's Studio in Düsseldorf, die Rede ist von einer Unmenge analoger Synthesizer, aber auch mittelalterlichen Chören, Klängen aus Nordafrika, Mandolinen und Naturgeräuschen, aufgenommen auf einer Reise durch Portugal. Wem das jetzt noch keine Angst gemacht hat, der kann sich nachstehende Ausschnitte des Werkes anhören, den Rest gibt es dann spätestens am 6. April beim Label Bureau B.
James Blake: Hoffnungsschimmer
"No word yet on an album" - das war und ist die halbe Wahrheit über James Blake, zumindest im Moment. Der Junge bringt ja ab und an einen neuen Song im Radioprogramm unter, was einerseits erfreulich ist, andererseits irgendwie auch ziemlich flüchtig. Das wunderbare "The Colour In Anything" ist mittlerweile endlose zwei Jahre alt, wie gern würden wir also mehr lesen als diese Restzeile bei Stereogum. Erfreulich aber, dass wir gerade einen Videoclip zu einem Track namens "If The Car Beside You Moves Ahead" serviert bekommen, also tatsächlich Song+Bild, was ja wiederum, so die Spekulation, für mehr stehen könnte als another Radio-Airplay. Der Sound und die geschredderte, modulierte Stimme klingen ganz fabelhaft. Und wir hoffen weiter ...
Jack White: Kein Zweifel [Update]
Donnerstag, 25. Januar 2018
Annabel Allum: Aus gutem Grund
Von Annabel Allum war hier schon häufiger die Rede und das aus gutem Grund. Das letzte, was wir von der jungen, trotzigen Londonerin gehört haben, war ihre EP "All That For What", mit der sie auch Beth Ditto auf deren Tour durch England und Europa (muß man das schon so trennen?) begleitet hat. Nun hat die junge Dame einen neuen Song fertig, "Beat The Birds" ist gewohnt grungy und von angenehmer Härte. Was das neue Jahr sonst noch so von ihr bereithält, wird sich zeigen.
Sam Fender: Hoffnungsvoll [Update]
Talentierte junge Männer mit Gitarre gehen immer - erst kürzlich hatten wir hier Kane Strang im Programm und der hatte beileibe kein schlechtes Album abgeliefert. Heute nun also mit Sam Fender ein Junge aus Newcastle, der noch nicht so viele Songs auf dem Konto, aber dafür schon viele Fürsprecher zählt und unter anderem schon mit Hozier, Daughter, Catfish And The Bottlemen und Michael Kiwanuka die Bühnenbretter teilte. Nach seinem feinen Songdebüt "Play God" schickt er gerade die Single "Greasy Spoon" ins Rennen, wer auf den Geschmack gekommen ist, kann schnell noch auf einem der beiden ausstehenden Konzerte vorbeischauen.
13.09. Frankfurt, Batschkapp (Support Bear's Den)
14.09. Bochum, Zeche (Support Bear's Den)
15.09. Haldern, Haldern Pop Bar (solo)
29.01. Berlin, Columbia Theater (mit Dermot Kennedy)
30.01. München, Strom (mit Dermot Kennedy)
Update: Und hier kommt dann auch gleich noch mit "Millennial" ein weiterer Song des überaus talentierten Burschen, jetzt auch mit Video und zwei Terminen für die zweite Chance.
13.09. Frankfurt, Batschkapp (Support Bear's Den)
14.09. Bochum, Zeche (Support Bear's Den)
15.09. Haldern, Haldern Pop Bar (solo)
29.01. Berlin, Columbia Theater (mit Dermot Kennedy)
30.01. München, Strom (mit Dermot Kennedy)
Update: Und hier kommt dann auch gleich noch mit "Millennial" ein weiterer Song des überaus talentierten Burschen, jetzt auch mit Video und zwei Terminen für die zweite Chance.
Cosby: Mehr davon
Das ist natürlich immer heikel - lachende Kinder aus Afrika, da ist man schnell in der Schublade Spendenaufruf, Patenschaft, Herzfürkinder, etc. Dessen werden sich die Münchner von Cosby sehr wohl bewusst gewesen sein, als sie das Video zum Titeltrack ihres neuen Albums "Milestone" in Malawi gedreht haben. Ein gutes Gefühl bekommt man dennoch dabei, sieht man doch, wieviel Spaß die Dreharbeiten augenscheinlich allen gemacht haben. Und der Song ist ohnehin Klasse - war aber auch nicht anders zu erwarten. Nach "Greyblue" und "Get Up" ist das im Übrigen der dritte Track der künftigen Platte, die für den Februar terminiert ist.
02.03. Leipzig, Neues Schauspiel
03.03. Berlin, Kantine Berghain
04.03. Hamburg, Prinzenbar
05.03. Regensburg, Alte Mälzerei
07.03. Saarbrücken, Garage
08.03. Köln, Yuca
09.03. Nürnberg, Club Stereo
10.03. Frankfurt, Zoom
11.03. München, Technikum
02.03. Leipzig, Neues Schauspiel
03.03. Berlin, Kantine Berghain
04.03. Hamburg, Prinzenbar
05.03. Regensburg, Alte Mälzerei
07.03. Saarbrücken, Garage
08.03. Köln, Yuca
09.03. Nürnberg, Club Stereo
10.03. Frankfurt, Zoom
11.03. München, Technikum
Mittwoch, 24. Januar 2018
Leyya: Ganz ohne Verkleidung
Leyya
„Sauna“
(Las Vegas Records)
Das ist schon ein ziemlich markiger Satz. Einer, den man nicht so leicht dahinsagt, sondern nur, wenn man weiß, was man kann. Einer, an dem man sich auch später messen lassen muss. Marco Kleebauer und Sophie Lindinger, unter dem Namen Leyya gerade als „Austrias next big thing“ und für die Wiederbelebung alpenländischer Electropop-Tradition seit den Herren Kruder und Dorfmeister gefeiert, haben kürzlich gemeint: „Man kann uns konsumieren, wie man möchte. Aber wer nach Substanz sucht, wird sie bei uns finden.“ Word. Man muss vielleicht dazusagen, dass es in dem Gespräch um das Verhältnis der beiden zum Formatradio und sogar darum ging, ob denn von ihrer Seite ein Auftritt beim Eurovision Songcontest denkbar wäre. Nun ist ihr klug verbastelter Sound gottlob mit dem windschnittig gestanzten Allerweltsgedudel dieser Tage nicht zu vergleichen, deshalb erübrigt sich eigentlich auch eine Antwort auf die zweite Frage. Erstaunlich und begrüßenswert allerdings, wie sie, nachdem der deutschsprachige Popsong zuvor schon von Bands wie Wanda, Bilderbuch, Einhorn oder Granada erfolgreich geentert worden ist, nun drauf und dran sind, auch die Tanzmusik um Coolness und Lässigkeit zu bereichern.
Was manchem wie ein Debüt vorkommt, ist schon der zweite Wurf von Leyya, gleichwohl könnte gerade mit diesem der große Durchbruch tatsächlich gelingen. Denn das Album verbindet auf beeindruckende Weise eingängige Arrangements mit herrlich vertrackter Klangkunst – wollte man alle Tracks, die sich von gängiger Durchschnittsware abheben, farbig markieren, man bräuchte den Stift gar nicht erst beiseitelegen. Angefangen bei „Drumsolo“ mit Lindigers sanfter Stimme und soften Beats, die angefunkten Bläser zur sorgsam verschränkten Loops von „Zoo“, dessen Video ganz nebenbei noch als hintersinnige Kritik an überkommenen Verständnis der Geschlechterrollen gelesen werden kann, „Candy“, „Oh Wow“, „Heat“ – Leyya wissen, wie man Pop buchstabiert, damit er nicht langweilig, sondern originell klingt. Einflüsse aus Jazz, Trip-Hop, Dub, Synthie werden hier miteinander vermengt, es ist kein Wunder, daß Lindiger den ähnlich perfekten Stilmix der Alabama Shakes und ihrem „Sound And Colour“ zur Lieblingsplatte auserkoren hat, ein Vergleich, den das Duo keineswegs scheuen muß.
Wer die allgegenwärtige Genderproblematik anreißt, wie die beiden dies ja (s.o) ganz bewusst tun, der darf natürlich auch die Deutung des Albumtitels aus den Linernotes nicht unerwähnt lassen: „Die Sauna als Ort der Zusammenkunft, ohne soziale Schranken, wo die Nacktheit aller auch eine ultimative Gleichheit schafft“ – was auf den ersten Blick etwas verwegen und konstruiert klingt, macht durchaus Sinn. Die Hitze hat und macht uns alle gleich, das lästige Schwitzen, das Dampfen der Körper, die sehnsüchtig erwartete Abkühlung, die einem jeden gleichermaßen Reinigung verheißt. Für die nötige Entspannung sorgen Leyya zum Schluss, ganz Dienstleister am Kunden, höchstselbst, „We Did Ok“ vibriert in angenehmer Kühle, an die wunderbaren Portishead gemahnend, dem Fadeout entgegen und beendet eine bemerkenswerte Arbeit. Kurz noch mal zum Grandprix: „Wenn Musik eine gute Geschichte braucht, um zu überleben, faszinierende Personen in Glitzerkostümen, dann können wir einpacken“, so Kleebauer an anderer Stelle des erwähnten Artikels – Leyya werden im März dieses Jahres nach ausführlicher Europatournee auch beim honorigen SXSW-Festival in Austin zu Gast sein, nicht auszuschließen, daß dann der nächste kräftige Karriereschub folgt. Ganz ohne Verkleidung.
31.01. Linz, Posthof
01.02. Dresden, GrooveStation
02.02. München, Milla
03.02. Darmstadt, Staatstheater
20.02. Dortmund, FZW
22.02. Hamburg, Häkken
23.02. Berlin, Lido Berlin
24.02. Nürnberg, club stereo
25.02. Leipzig, Täubchenthal
„Sauna“
(Las Vegas Records)
Das ist schon ein ziemlich markiger Satz. Einer, den man nicht so leicht dahinsagt, sondern nur, wenn man weiß, was man kann. Einer, an dem man sich auch später messen lassen muss. Marco Kleebauer und Sophie Lindinger, unter dem Namen Leyya gerade als „Austrias next big thing“ und für die Wiederbelebung alpenländischer Electropop-Tradition seit den Herren Kruder und Dorfmeister gefeiert, haben kürzlich gemeint: „Man kann uns konsumieren, wie man möchte. Aber wer nach Substanz sucht, wird sie bei uns finden.“ Word. Man muss vielleicht dazusagen, dass es in dem Gespräch um das Verhältnis der beiden zum Formatradio und sogar darum ging, ob denn von ihrer Seite ein Auftritt beim Eurovision Songcontest denkbar wäre. Nun ist ihr klug verbastelter Sound gottlob mit dem windschnittig gestanzten Allerweltsgedudel dieser Tage nicht zu vergleichen, deshalb erübrigt sich eigentlich auch eine Antwort auf die zweite Frage. Erstaunlich und begrüßenswert allerdings, wie sie, nachdem der deutschsprachige Popsong zuvor schon von Bands wie Wanda, Bilderbuch, Einhorn oder Granada erfolgreich geentert worden ist, nun drauf und dran sind, auch die Tanzmusik um Coolness und Lässigkeit zu bereichern.
Was manchem wie ein Debüt vorkommt, ist schon der zweite Wurf von Leyya, gleichwohl könnte gerade mit diesem der große Durchbruch tatsächlich gelingen. Denn das Album verbindet auf beeindruckende Weise eingängige Arrangements mit herrlich vertrackter Klangkunst – wollte man alle Tracks, die sich von gängiger Durchschnittsware abheben, farbig markieren, man bräuchte den Stift gar nicht erst beiseitelegen. Angefangen bei „Drumsolo“ mit Lindigers sanfter Stimme und soften Beats, die angefunkten Bläser zur sorgsam verschränkten Loops von „Zoo“, dessen Video ganz nebenbei noch als hintersinnige Kritik an überkommenen Verständnis der Geschlechterrollen gelesen werden kann, „Candy“, „Oh Wow“, „Heat“ – Leyya wissen, wie man Pop buchstabiert, damit er nicht langweilig, sondern originell klingt. Einflüsse aus Jazz, Trip-Hop, Dub, Synthie werden hier miteinander vermengt, es ist kein Wunder, daß Lindiger den ähnlich perfekten Stilmix der Alabama Shakes und ihrem „Sound And Colour“ zur Lieblingsplatte auserkoren hat, ein Vergleich, den das Duo keineswegs scheuen muß.
Wer die allgegenwärtige Genderproblematik anreißt, wie die beiden dies ja (s.o) ganz bewusst tun, der darf natürlich auch die Deutung des Albumtitels aus den Linernotes nicht unerwähnt lassen: „Die Sauna als Ort der Zusammenkunft, ohne soziale Schranken, wo die Nacktheit aller auch eine ultimative Gleichheit schafft“ – was auf den ersten Blick etwas verwegen und konstruiert klingt, macht durchaus Sinn. Die Hitze hat und macht uns alle gleich, das lästige Schwitzen, das Dampfen der Körper, die sehnsüchtig erwartete Abkühlung, die einem jeden gleichermaßen Reinigung verheißt. Für die nötige Entspannung sorgen Leyya zum Schluss, ganz Dienstleister am Kunden, höchstselbst, „We Did Ok“ vibriert in angenehmer Kühle, an die wunderbaren Portishead gemahnend, dem Fadeout entgegen und beendet eine bemerkenswerte Arbeit. Kurz noch mal zum Grandprix: „Wenn Musik eine gute Geschichte braucht, um zu überleben, faszinierende Personen in Glitzerkostümen, dann können wir einpacken“, so Kleebauer an anderer Stelle des erwähnten Artikels – Leyya werden im März dieses Jahres nach ausführlicher Europatournee auch beim honorigen SXSW-Festival in Austin zu Gast sein, nicht auszuschließen, daß dann der nächste kräftige Karriereschub folgt. Ganz ohne Verkleidung.
31.01. Linz, Posthof
01.02. Dresden, GrooveStation
02.02. München, Milla
03.02. Darmstadt, Staatstheater
20.02. Dortmund, FZW
22.02. Hamburg, Häkken
23.02. Berlin, Lido Berlin
24.02. Nürnberg, club stereo
25.02. Leipzig, Täubchenthal
Dienstag, 23. Januar 2018
First Aid Kit: Bedenkenlos
First Aid Kit
„Ruin“
(Smi Col)
Irgendwie müßte man doch annehmen, eine der beiden Seiten sollte mit der Zeit eigentlich genug davon bekommen: Seit knapp acht Jahren versorgen uns die Geschwister Klara und Johanna Söderberg als First Aid Kit mit wohlklingenden, gefühligen Folkpopmelodien, drei Alben sind bislang dabei herausgekommen und wirklich schlechter sind sie, das muß man anerkennen, trotz zunehmender Popularität nicht geworden. Der eine oder andere mag bemängeln, daß sich Ecken und Kanten in ihrem Werk kaum finden lassen, daß zudem das Themenspektrum ein recht eindimensionales ist – selten einmal wagen sich die beiden Schwedinnen wie bei ihrem Stück „You Are The Problem Here“ am Internationalen Frauentag 2017 aus der Deckung ihrer programmatischen Innerlichkeit heraus. Das kann man bedauern, ist aber wie es ist. Von Übersättigung aber, und das ist das Erstaunliche, ist hier wie dort nichts zu hören und zu spüren. Denn auch das neue, vierte Album präsentiert sich als eine Supersize-Packung Melancholie und – nein, es gelingt einem tatsächlich nicht, dem Zauber dieser Musik zu entkommen.
Der Schmelz der Stimmen, die behutsame Hinwendung zum Countrysong samt Steelguitar und zaghaft eingestreuten Bläsersätzen, das alles ist wieder ganz vortrefflich gelungen und erneut gilt: Wenn einen die aktuellen wie die alten Stücke in der richtigen Stimmung finden, macht Widerstand keinen Sinn, ist hemmungslose Schwelgerei keine Schande. Einmal mehr geht es natürlich um Träumereien, Erinnerungen und Sehnsüchte, aber öfter als zuvor ist das Licht drumherum nicht durchweg golden, sondern von vielen Schatten, sprich Zweifeln durchsetzt. Häufiger tauchen jetzt dunkle Bilder auf, solche von Enttäuschung, Einsamkeit, Schwäche – falsche Hoffnungen („Rebel Heart“) werden ebenso besungen wie gescheiterte Beziehungen („It’s A Shame“) und Lebensentwürfe („Ruins“). Manchmal ist es nahe am Kitsch wie „Hem Of Her Dress“, aber hat man das bei ABBA (die Parallele drängt sich irgendwann auf) nicht auch schon gesagt? Und ihnen jeden dieser Ausrutscher verziehen? Vielleicht kann es gar nicht schaden, wenn man ab und an alle Bedenken beiseite schiebt, die Platte gibt dazu reichlich Gelegenheit. http://www.firstaidkitband.com/
08.03. Berlin, Columbiahalle
10.03. Hamburg, Große Freiheit
„Ruin“
(Smi Col)
Irgendwie müßte man doch annehmen, eine der beiden Seiten sollte mit der Zeit eigentlich genug davon bekommen: Seit knapp acht Jahren versorgen uns die Geschwister Klara und Johanna Söderberg als First Aid Kit mit wohlklingenden, gefühligen Folkpopmelodien, drei Alben sind bislang dabei herausgekommen und wirklich schlechter sind sie, das muß man anerkennen, trotz zunehmender Popularität nicht geworden. Der eine oder andere mag bemängeln, daß sich Ecken und Kanten in ihrem Werk kaum finden lassen, daß zudem das Themenspektrum ein recht eindimensionales ist – selten einmal wagen sich die beiden Schwedinnen wie bei ihrem Stück „You Are The Problem Here“ am Internationalen Frauentag 2017 aus der Deckung ihrer programmatischen Innerlichkeit heraus. Das kann man bedauern, ist aber wie es ist. Von Übersättigung aber, und das ist das Erstaunliche, ist hier wie dort nichts zu hören und zu spüren. Denn auch das neue, vierte Album präsentiert sich als eine Supersize-Packung Melancholie und – nein, es gelingt einem tatsächlich nicht, dem Zauber dieser Musik zu entkommen.
Der Schmelz der Stimmen, die behutsame Hinwendung zum Countrysong samt Steelguitar und zaghaft eingestreuten Bläsersätzen, das alles ist wieder ganz vortrefflich gelungen und erneut gilt: Wenn einen die aktuellen wie die alten Stücke in der richtigen Stimmung finden, macht Widerstand keinen Sinn, ist hemmungslose Schwelgerei keine Schande. Einmal mehr geht es natürlich um Träumereien, Erinnerungen und Sehnsüchte, aber öfter als zuvor ist das Licht drumherum nicht durchweg golden, sondern von vielen Schatten, sprich Zweifeln durchsetzt. Häufiger tauchen jetzt dunkle Bilder auf, solche von Enttäuschung, Einsamkeit, Schwäche – falsche Hoffnungen („Rebel Heart“) werden ebenso besungen wie gescheiterte Beziehungen („It’s A Shame“) und Lebensentwürfe („Ruins“). Manchmal ist es nahe am Kitsch wie „Hem Of Her Dress“, aber hat man das bei ABBA (die Parallele drängt sich irgendwann auf) nicht auch schon gesagt? Und ihnen jeden dieser Ausrutscher verziehen? Vielleicht kann es gar nicht schaden, wenn man ab und an alle Bedenken beiseite schiebt, die Platte gibt dazu reichlich Gelegenheit. http://www.firstaidkitband.com/
08.03. Berlin, Columbiahalle
10.03. Hamburg, Große Freiheit
Montag, 22. Januar 2018
VETO: Nicht das Übliche
Wie soll man das am besten beschreiben? Es ist dramatisch, kraftvoll, hochmelodisch und man bekommt es so schnell nicht aus dem Kopf. VETO sind ein dänisches Quintett, dessen Mitglieder aus Aarhus und Kopenhagen kommen - gerade haben sie die Arbeit an ihrem aktuellen, vierten Album "16 Colors" abgeschlossen. "A Pit", der Song, von dem wir hier sprechen, behandelt unsere Unfähigkeit, die Mannigfaltigkeit der Welt abseits der gängigen Symbole und Vereinfachungen zu begreifen und zu verarbeiten, überfordert von der alltäglichen Medienflut, keine Chance zu differenzieren. Experimenteller Rock ist das, ideenreich, elektronisch, auch tanzbar und getragen von der markanten Stimme des Sängers Troels Abrahamsen - mehr davon am 9. Februar oder live unterwegs.
17.03. Hamburg, Uebel und Gefährlich
21.03. Berlin, Bi Nuu
22.03. Köln, Gebäude 9
17.03. Hamburg, Uebel und Gefährlich
21.03. Berlin, Bi Nuu
22.03. Köln, Gebäude 9
Samstag, 20. Januar 2018
Hobbyist: Rätselhaft
Hobbyist
"Sonic Cramps"
(Old Wooden Magnet Club)
Ab und an ist es ganz gut, der Rätselhaftigkeit und der Unschärfe ein kleines Loblied zu singen. Immer alles wissen, deuten zu können ist keinesfalls ein Segen, manchmal tut es ganz gut, im Ungefähren zu bleiben, genug Spielraum zu haben für abseitige Gedanken und Interpretationen. Holly Prindle und Marc Mozga, gemeinsam seit 2013 unter dem Namen Hobbyist unterwegs, lassen ihren Zuhörern genug davon. Die eigenwillige Mixtur aus rohem Blues, bissiger Punkattitüde und programmierten Synthetikbeats steckt ein ziemlich großes Feld ab, mal ist es Tricky, mal Nick Cave, ja sogar The Cramps selbst, die sich als Referenz in Erinnerung bringen. Es klingt, als würden einen die beiden für einen Zug durch die verruchtesten Kaschemmen ihrer Heimatstadt Chicago an die Hand nehmen, dort trifft man den heruntergekommenen "Company Man" in genervter Begleitung ebenso wie die teuflische Pastorenfrau, es rumpelt, pocht und ächzt in den Kulissen, zahlreiche Geräuschfetzen und Einspieler illustrieren eine verwegene, abenteuerliche Szenerie voller dunkler Momente. "Sonic Cramps" ist das zweite Album des mittlerweile verheirateten Duos, nach ihrem Debüt hatten sich Mozga als Filmemacher versucht, während sich Prindle einer polnischen Theatergruppe anschloß - dennoch fanden sie für die Musik wieder zusammen und nahmen schlußendlich in Barcelona und Chicago das aktuelle Album auf. Sie werden, so ist zu vermuten, mit ihren teilweise doch recht sperrigen, ja experimentellen Stücken kein allzu großes Publikum erreichen, spannend ist der Ausflug mit ihnen auf jeden Fall.
"Sonic Cramps"
(Old Wooden Magnet Club)
Ab und an ist es ganz gut, der Rätselhaftigkeit und der Unschärfe ein kleines Loblied zu singen. Immer alles wissen, deuten zu können ist keinesfalls ein Segen, manchmal tut es ganz gut, im Ungefähren zu bleiben, genug Spielraum zu haben für abseitige Gedanken und Interpretationen. Holly Prindle und Marc Mozga, gemeinsam seit 2013 unter dem Namen Hobbyist unterwegs, lassen ihren Zuhörern genug davon. Die eigenwillige Mixtur aus rohem Blues, bissiger Punkattitüde und programmierten Synthetikbeats steckt ein ziemlich großes Feld ab, mal ist es Tricky, mal Nick Cave, ja sogar The Cramps selbst, die sich als Referenz in Erinnerung bringen. Es klingt, als würden einen die beiden für einen Zug durch die verruchtesten Kaschemmen ihrer Heimatstadt Chicago an die Hand nehmen, dort trifft man den heruntergekommenen "Company Man" in genervter Begleitung ebenso wie die teuflische Pastorenfrau, es rumpelt, pocht und ächzt in den Kulissen, zahlreiche Geräuschfetzen und Einspieler illustrieren eine verwegene, abenteuerliche Szenerie voller dunkler Momente. "Sonic Cramps" ist das zweite Album des mittlerweile verheirateten Duos, nach ihrem Debüt hatten sich Mozga als Filmemacher versucht, während sich Prindle einer polnischen Theatergruppe anschloß - dennoch fanden sie für die Musik wieder zusammen und nahmen schlußendlich in Barcelona und Chicago das aktuelle Album auf. Sie werden, so ist zu vermuten, mit ihren teilweise doch recht sperrigen, ja experimentellen Stücken kein allzu großes Publikum erreichen, spannend ist der Ausflug mit ihnen auf jeden Fall.
Freitag, 19. Januar 2018
Corniglia: Wie Land und Leute
Moaning: Besser schimpfen [Update]
Für ein neues Signing bei Sub Pop darf man sich ruhig mal einen Moment mehr Zeit nehmen. So auch bei Moaning aus Los Angeles. Sean Solomon, Pascal Stevenson und Andrew MacKelvie kennen einander, wie das bei vielen Bands eben so ist, schon seit Jahren, am 2. März 2018 soll nun ihr selbstbetiteltes Debütalbum erscheinen, auf dem befindet sich dann auch die Vorabsingle "Don't Go". Produziert hat die Platte Alex Newport, der auch schon für At The Drive-In, The Mars Volta und Bloc Party hinter den Reglern saß, das charmant chaotische Video wiederum haben die Jungs zusammen mit Freunden unter der Regie von Michael Schmelling gedreht. Und wenn sie weiter so schimpfen, könnte aus den dreien direkt noch was werden.
Update: Mit "Artificial" haben wir jetzt einen weiteren Song vom kommenden Album - ebenso zwingend, spannend. Das Video stammt von Marz Miller.
Update: Mit "Artificial" haben wir jetzt einen weiteren Song vom kommenden Album - ebenso zwingend, spannend. Das Video stammt von Marz Miller.
I Am Hill: Gute Kombi
Noch ein Banger für den Freitag? Bittesehr - eine wütende Texanerin, die unter dem Namen I Am Hill firmiert und Maschinenbeats mit catchy Soul kombiniert - nicht die schlechteste Sache. Wie sie schreibt, wurde der aktuelle Song "Give It A Rest" in den frühen Morgenstunden mit einem Analog-Synthesizer eingespielt und mit Hilfe von reichlich Apple-Equipment gefixt, obendrauf gibt es noch das etwas ältere und etwas geschmeidigere "On Camera". Eine EP ist für Beginn 2018 in Planung, wir sind dann mal gespannt.
SPINN: Reifeprüfung [Update]
Oh Mann, schau sich einer die Jungs an: Schüchtern bis linkisch blicken sie in die Kamera und man gäbe einiges dafür, es ihnen gleichtun zu können. Jonny, Andy, Sean und Louis kommen aus Liverpool (und sind so unverschämt jung wie man es selbst gern wäre) - unter dem Namen SPINN erschien vor zehn Monaten ihre erste Single "Home", einige Zeit später dann "Notice Me" und vor Tagen dann "She Takes Her Time". Feinster englischer Gitarrenpop, das aktuelle Video dazu in allerbester DIY-Manier, man muß sie einfach gern haben. Für den März 2018 ist ihre erste EP angekündigt, da sollte eigentlich kaum etwas schiefgehen.
Update: Ganz frisch reingeschneit die Single Nummer 3 "After Dark" - bleibt gut.
Update: Ganz frisch reingeschneit die Single Nummer 3 "After Dark" - bleibt gut.
Faber: Ermahnung
Viel mehr kann man nun wirklich nicht tun. Irgendwann ist dann auch mal gut. Wenn da draußen immer noch wer ist, der nicht kapiert hat, dass der Schweizer Faber eine Ausnahmeerscheinung im gängigen Musikbetrieb darstellt und dass es dringend notwendig ist, den Jungen auch mal live zu sehen (von dem wunderbaren Album "Sei ein Faber im Wind" einmal abgesehen), tja, dem ist schlußendlich nicht mehr zu helfen. Für alle, die nicht genug bekommen können, hier der neuste Videoclip zur Single "Laß mich nicht los", abweichend von seinen bisherigen Filmen einer ohne ihn selbst, gedreht von M.A. Littler und mit Malina Heid und Milton Welsh.
02.02. Aarau, Kiff
03.02. St. Gallen, Palace
05.02. München, Muffathalle
07.02. Wien, Arena
09.02. Cottbus, Gladhouse
10.02. Annaberg Bucholz, Alte Brauerei
11.02. Dresden, Beatpol
14.02. Innsbruck, Treibhaus
15.02. Linz, Posthof
16.02. Ulm, Roxy
17.02. Regensburg-Obertraubling, Airport
18.02. Passau, Zeughaus
20.02. Erlangen, E-Werk
21.02. Tübingen, Sudhaus
22.02. Heidelberg, Halle02
23.02. Luxembourg, Rotondes
24.02. Osnabrück, Hyde Park
27.02. Berlin, Huxleys Neue Welt
28.02. Hamburg, Grosse Freiheit
01.03. Kiel, MAX
02.03. Dortmund, FZW
03.03. Düsseldorf, ZAKK
29.03. Zürich, Kaufleuten
30.03. Bern, Dachstock
02.02. Aarau, Kiff
03.02. St. Gallen, Palace
05.02. München, Muffathalle
07.02. Wien, Arena
09.02. Cottbus, Gladhouse
10.02. Annaberg Bucholz, Alte Brauerei
11.02. Dresden, Beatpol
14.02. Innsbruck, Treibhaus
15.02. Linz, Posthof
16.02. Ulm, Roxy
17.02. Regensburg-Obertraubling, Airport
18.02. Passau, Zeughaus
20.02. Erlangen, E-Werk
21.02. Tübingen, Sudhaus
22.02. Heidelberg, Halle02
23.02. Luxembourg, Rotondes
24.02. Osnabrück, Hyde Park
27.02. Berlin, Huxleys Neue Welt
28.02. Hamburg, Grosse Freiheit
01.03. Kiel, MAX
02.03. Dortmund, FZW
03.03. Düsseldorf, ZAKK
29.03. Zürich, Kaufleuten
30.03. Bern, Dachstock
Donnerstag, 18. Januar 2018
Zugezogen Maskulin: Freie Radikale
Zugezogen Maskulin
Support: BLOND
Strom, München, 17. Januar 2018
Da hat sich doch einiges geändert. Noch vor zwei Jahren spielten die Grime-Rapper von Zugezogen Maskulin – gerade war ihr furioses Debüt „Alles brennt“ erschienen – im Münchner Feierwerk, das Publikum war überschaubar, eher reserviert und von Textsicherheit noch nicht viel zu hören. Und heute? Der Club größer, alle Plätze bis auf den letzten Quadratzentimeter gefüllt und die Stimmung angespannt bis euphorisiert. Was ist passiert? Nun, das, was wir Zivilgesellschaft nennen, bröckelt in der Mitte wie am Rand, das Gift aus Misstrauen, diffuser Angst und gegenseitiger Entfremdung durchdringt das Öffentliche wie auch das Private, es kämpfen nicht mehr nur links gegen rechts und oben gegen unten, sondern "Alle gegen alle" – und ZM liefern den krassen Soundtrack zum täglichen Gefecht. Wie nur wenige andere Bands haben Testo und Grim104 die Binse verinnerlicht (der Plastikgeld-Jingle läßt grüßen), nach der Freiheit nicht einfach nur da ist – man muß sie sich auch nehmen.
Und sie nehmen reichlich. Zu derben Reimen mischen sie vorzugsweise Brachialbeats mit geschmeidigen Popmelodien, eigentlich ein No-Go im brettharten Business. Ein weiteres Gegensatzpaar liefern sie in Sachen Optik – obschon sich ZM eigentlich als unpolitisch begreifen, hauen sie der Crowd unablässig Statements und Parolen um die Ohren, die verspießerten Alt- und Neunationalen kräftig Bauchschmerzen bereiten dürften – das Ganze aber gern mit Frakturschrift und in der obligatorischen Fred-Perry-Uniform. Irritation und Provokation als Einstellungsfrage haben die beiden also perfekt verinnerlicht: Die Alten sollen sich gefälligst wegmachen, für die Gestrandeten ist zwar genug da, kriegen tun sie trotzdem nix, ein Jahresgehalt für ein Paar Halbgottsneaker, ein Hoch auf den Fettranzen, Tod dem Hipster und dem Blumenkind, steiler geht es tatsächlich kaum. Zynismus als Kalkül, Widerspruch erwünscht.
Dass man unter schwarzen Wolken aber trotzdem ganz gut abfeiern kann, beweist der Abend. Anders als noch bei letzten Besuch brauchen ZM keine Minute, um die Menge zum moshen zu bringen. Es ist dies nicht die Zeit für neunmalkluge Textanalysen, ein unablässigen Hin- und Her aus verschwitzten Körpern, garniert mit Konfettikanone und fliegenden Bierbechern, Satzfetzen skandierend, außer Rand und Band. Groteske Szenen gibt es da: Während unten der Mob tobt, spielt oben im Nebel eine einsame Geige, die Masse grölt dem Gevatter Tod eine Ballade, später bricht der Sound unvermittelt ab, Fortsetzung erfolgt mittels flacher Hand auf nackten Bauch – Deichkind hätten es nicht besser hinbekommen. Die Provinzheinies, die gern mit der Plattenbautristesse kokettieren (oder war es umgedreht?) machen das richtig gut. Die Lage ist ernst, vielleicht sogar hoffnungslos, aber für den Moment scheint selbst das egal. Solange der Beat stimmt.
Support: BLOND
Strom, München, 17. Januar 2018
Da hat sich doch einiges geändert. Noch vor zwei Jahren spielten die Grime-Rapper von Zugezogen Maskulin – gerade war ihr furioses Debüt „Alles brennt“ erschienen – im Münchner Feierwerk, das Publikum war überschaubar, eher reserviert und von Textsicherheit noch nicht viel zu hören. Und heute? Der Club größer, alle Plätze bis auf den letzten Quadratzentimeter gefüllt und die Stimmung angespannt bis euphorisiert. Was ist passiert? Nun, das, was wir Zivilgesellschaft nennen, bröckelt in der Mitte wie am Rand, das Gift aus Misstrauen, diffuser Angst und gegenseitiger Entfremdung durchdringt das Öffentliche wie auch das Private, es kämpfen nicht mehr nur links gegen rechts und oben gegen unten, sondern "Alle gegen alle" – und ZM liefern den krassen Soundtrack zum täglichen Gefecht. Wie nur wenige andere Bands haben Testo und Grim104 die Binse verinnerlicht (der Plastikgeld-Jingle läßt grüßen), nach der Freiheit nicht einfach nur da ist – man muß sie sich auch nehmen.
Und sie nehmen reichlich. Zu derben Reimen mischen sie vorzugsweise Brachialbeats mit geschmeidigen Popmelodien, eigentlich ein No-Go im brettharten Business. Ein weiteres Gegensatzpaar liefern sie in Sachen Optik – obschon sich ZM eigentlich als unpolitisch begreifen, hauen sie der Crowd unablässig Statements und Parolen um die Ohren, die verspießerten Alt- und Neunationalen kräftig Bauchschmerzen bereiten dürften – das Ganze aber gern mit Frakturschrift und in der obligatorischen Fred-Perry-Uniform. Irritation und Provokation als Einstellungsfrage haben die beiden also perfekt verinnerlicht: Die Alten sollen sich gefälligst wegmachen, für die Gestrandeten ist zwar genug da, kriegen tun sie trotzdem nix, ein Jahresgehalt für ein Paar Halbgottsneaker, ein Hoch auf den Fettranzen, Tod dem Hipster und dem Blumenkind, steiler geht es tatsächlich kaum. Zynismus als Kalkül, Widerspruch erwünscht.
Dass man unter schwarzen Wolken aber trotzdem ganz gut abfeiern kann, beweist der Abend. Anders als noch bei letzten Besuch brauchen ZM keine Minute, um die Menge zum moshen zu bringen. Es ist dies nicht die Zeit für neunmalkluge Textanalysen, ein unablässigen Hin- und Her aus verschwitzten Körpern, garniert mit Konfettikanone und fliegenden Bierbechern, Satzfetzen skandierend, außer Rand und Band. Groteske Szenen gibt es da: Während unten der Mob tobt, spielt oben im Nebel eine einsame Geige, die Masse grölt dem Gevatter Tod eine Ballade, später bricht der Sound unvermittelt ab, Fortsetzung erfolgt mittels flacher Hand auf nackten Bauch – Deichkind hätten es nicht besser hinbekommen. Die Provinzheinies, die gern mit der Plattenbautristesse kokettieren (oder war es umgedreht?) machen das richtig gut. Die Lage ist ernst, vielleicht sogar hoffnungslos, aber für den Moment scheint selbst das egal. Solange der Beat stimmt.
Mittwoch, 17. Januar 2018
Lake Jons: Einfach so
Lake Jons
"Lake Jons"
(Anti Fragile Music)
Man muß ja nicht jedes Mal das beliebteste Vorurteil über die Finnen aus dem Keller zerren (und tut genau das gerade wieder), nach dem dieses Volk im Grunde nur drei Dinge mag: Alkohol, Black Metal und übertriebene Saunagänge. Alles Quatsch, es gilt anzuerkennen, daß die Finnen in vielerlei Hinsicht voller Überraschungen stecken. Und das betrifft eben auch die Popmusik. Wie zum Beweis haben gerade Jooel Jons, Mikko Pennanen und Jaska Stenroth, drei junge Herren aus Helsinki, ihr Debüt (nach zwei EP aus dem Jahr 2016) veröffentlicht und dieses strotzt nur so von hochmelodiösen, leichtfüßigen LoFi-Klängen. Zugegeben, der Hinweis, sie hätten die Stücke während einer mehrmonatigen Session tief im Waldesinneren ihrer Heimat ganz ohne fließendes Wasser aufgenommen, klingt nun wieder sehr holzfällerisch aka. naturburschenhaft aka. finnisch. Aber es hat offenkundig geholfen, eine stattliche Anzahl lohnenswerter Ideen anzustoßen, die das Album zu einem (größtenteils) sehr hörenswerten machen. Denn auch wenn sie es manchmal mit der Lieblichkeit allzu gut meinen - vom üblichen Raster formatierten Radiomainstreams sind die drei doch eine ordentliche Strecke entfernt, der Elektronikfolk kann, wie bei "Call Me", "Breath Out The Fumes" oder "Colors", mit feinen Grooves aufwarten und hält fast immer ein paar tricky Wendungen und Haken parat. Ein erstklassiges Mittel gegen überkommene Klischees und ganz ohne gefährliche Nebenwirkungen.
"Lake Jons"
(Anti Fragile Music)
Man muß ja nicht jedes Mal das beliebteste Vorurteil über die Finnen aus dem Keller zerren (und tut genau das gerade wieder), nach dem dieses Volk im Grunde nur drei Dinge mag: Alkohol, Black Metal und übertriebene Saunagänge. Alles Quatsch, es gilt anzuerkennen, daß die Finnen in vielerlei Hinsicht voller Überraschungen stecken. Und das betrifft eben auch die Popmusik. Wie zum Beweis haben gerade Jooel Jons, Mikko Pennanen und Jaska Stenroth, drei junge Herren aus Helsinki, ihr Debüt (nach zwei EP aus dem Jahr 2016) veröffentlicht und dieses strotzt nur so von hochmelodiösen, leichtfüßigen LoFi-Klängen. Zugegeben, der Hinweis, sie hätten die Stücke während einer mehrmonatigen Session tief im Waldesinneren ihrer Heimat ganz ohne fließendes Wasser aufgenommen, klingt nun wieder sehr holzfällerisch aka. naturburschenhaft aka. finnisch. Aber es hat offenkundig geholfen, eine stattliche Anzahl lohnenswerter Ideen anzustoßen, die das Album zu einem (größtenteils) sehr hörenswerten machen. Denn auch wenn sie es manchmal mit der Lieblichkeit allzu gut meinen - vom üblichen Raster formatierten Radiomainstreams sind die drei doch eine ordentliche Strecke entfernt, der Elektronikfolk kann, wie bei "Call Me", "Breath Out The Fumes" oder "Colors", mit feinen Grooves aufwarten und hält fast immer ein paar tricky Wendungen und Haken parat. Ein erstklassiges Mittel gegen überkommene Klischees und ganz ohne gefährliche Nebenwirkungen.
Young Fathers: Ansichtssachen
Und auch dieses Album hatten wir eigentlich schon auf dem Zettel: Im November letzten Jahres kamen die Young Fathers mit einem neuen Track "Lord" plus Video um die Ecke und alle Welt gierte ab sofort nach dem dazugehörigen dritten Album der Schotten. Das kann nun vermeldet werden - am 9. März soll "Cocoa Sugar" bei Ninja Tune erscheinen und auch diesmal gibt es einen neuen Song zur Nachricht, "In My View" wird von einem Video des Regisseurs Jack Whiteley flankiert. Das markante Cover zur Platte stammt im Übrigen von der Künstlerin Julia Noni.
Eels: Halbwissen [Update]
Nennen wir es der Einfachheit halber mal: Album. Ganz genau weiß man nämlich noch nicht, was Mark Oliver Everett aka. Eels da mit dem kleinen Teaserfilmchen ankündigt. Natürlich liegt der Schluß nahe, daß es die Folgeplatte für das letzte Studiowerk "The Cautionary Tales Of Mark Oliver Everett" und den ebenso formidablen Livemitschnitt "Royal Albert Hall" wird. Der Titel wird aller Voraussicht nach "The Deconstruction" lauten und als Erscheinungstag ist der 6. April avisiert. Nun warten wir nur noch auf eine entsprechende Klarstellung.
Update: Stimmt alles, sagt die Plattenfirma. Und unten erklingt der Titelsong dazu.
17.06. Mannheim, Maifeld Derby
25.06. München, Tonhalle
28.06. Berlin, Tempodrom
29.06. Hamburg, Große Freiheit
Update: Stimmt alles, sagt die Plattenfirma. Und unten erklingt der Titelsong dazu.
17.06. Mannheim, Maifeld Derby
25.06. München, Tonhalle
28.06. Berlin, Tempodrom
29.06. Hamburg, Große Freiheit
Dienstag, 16. Januar 2018
Editors: Faust auf's Auge
Na, das sieht ja einigermaßen martialisch aus: Die Editors haben für den 9. März ihr sechstes Studioalbum "Violence" angekündigt, neun Songs sind dafür geplant und "Magazine" ist der erste, den die Herren um Sänger Tom Smith voranschicken. Das Video wurde von Rahi Rezvani gedreht, der schon längere Zeit mit der Band zusammenarbeitet, der Song thematisiert die grassierende Korruption und den Machtmissbrauch unter Anzugträgern in Politik und Wirtschaft. Nun ja.
18.03. Wiesbaden, Schlachthof
24.03. Münster, Jovel
25.03. Köln, Palladium
31.03. Hamburg, Mehr Theater
01.04. Berlin, Tempodrom
02.04. Leipzig, Haus Auensee
18.04. Wien, Gasometer
20.04. München, Tonhalle
21.04. Zürich, Komplex 457
24.04. Lausanne, Les Docks
18.03. Wiesbaden, Schlachthof
24.03. Münster, Jovel
25.03. Köln, Palladium
31.03. Hamburg, Mehr Theater
01.04. Berlin, Tempodrom
02.04. Leipzig, Haus Auensee
18.04. Wien, Gasometer
20.04. München, Tonhalle
21.04. Zürich, Komplex 457
24.04. Lausanne, Les Docks
Montag, 15. Januar 2018
Xul Zolar: Ein Fähnchen mehr
Xul Zolar
„Fear Talk“
(Asmara Records)
Unlängst schrieb selbst die altehrwürdige ZEIT: „Hamburg hatte seine Hamburger Schule um Tocotronic. Stuttgart hatte seine Hip-Hop-Bands. Berlin hatte alles. Köln hatte die Höhner.“ Nun, für die Bäckerblume der Hochschulprofessoren ist das zwar recht grob sondiert, aber grundsätzlich nicht ganz falsch formuliert. Und auch wenn die Domstadt mittlerweile auf der Habenseite mit den hinlänglich bekannten AMK einen gut machen konnte – es war bislang im Vergleich zu anderen Szenestädten nicht das Gelbe. War – denn auch wenn sich aus dem Folgenden sicher noch kein belastbarer Trend zimmern läßt, scheint man am Rhein etwas aufzuholen. Schon im vergangenen Jahr traten mit Komparse und vor allem Woman zwei Band jenseits des Unterhaltungsmainstreams auf den Plan, letztere konnten sich mit ihrem Langspieldebüt „Happy Freedom“ gleich in so einige Bestenlisten eintragen. Und nun meldet sich mit Xul Zolar gleich die nächste Überraschung.
2011 von Ronald Röttel und Marin Geier gegründet, später zum finalen Lineup um die beiden Denisse Hofmann und Enyan ergänzt, gab es 2015 mit „Tides“ die erste EP und nun einen Erstling, der – sieh an – vom Kölner Lokalmatador Marvin Horsch betreut wurde, der wiederum auch schon bei Woman im Boot resp. an den Reglern saß. Und auch diesmal gibt es feingewirkten Pop aus der Delikatessabteilung, warme Synthflächen, Röttels zarte Kopfstimme und viele (und keinesfalls störende) Bezüge zu den Jahren 80 bis 90. Die Melancholie ist mit den Händen zu greifen, gern wird auch mal der eine oder andere Chorgesang eingeflochten („Meridian“) und wer in der Verweiskette Namen wie ABC, New Order und Alphaville memoriert, muß sich nicht schämen, es hat schließlich schon weitaus schlimmere Verdächtigungen gegeben.
Neben dem feinen Titelsong darf man vielleicht noch „Soft Drones“ und „Combat“ aus der ohnehin schon hochklassigen Auswahl herausheben, der Groove ist ein vorsichtiger und dennoch entkommt man ihm kaum. Wer die Herkunft des Bandnamens im Übrigen auf den Buchseiten von Stanislaw Lem und Douglas Adams sucht, wird wohl ewig blättern müssen, hier stand der argentinische Avantgardist Xul Zolar Pate, beim Albumtitel wiederum wird es etwas politisch. Denn mit diesem spielen die vier Herren auf das Vokabular an, mit welchem von Demagogen und Vereinfachern dieser Welt zum Zwecke der Kontrolle (leider auch in unseren Zeiten) bewusst Ängste erzeugt werden. Ein kleines Wunder, daß derlei düstere Anspielungen mit den geschmeidigen Popsongs des Quartetts zusammengehen, es wird also Zeit, ein Fähnchen mehr in die Landkarte zu stecken. An unvermuteter Stelle.
03.02. Köln, Gebäude 9
14.02. Dortmund, Oma Doris
15.02. Hamburg, Prinzenbar
16.02. Bremen, Lagerhaus
21.02. München, Rote Sonne
22.02. Jena, Cafe Wagner
23.02. Dresden, Altes Wettbüro
24.02. Bayreuth, Schokofabrik
25.02. Berlin, Roter Salon
„Fear Talk“
(Asmara Records)
Unlängst schrieb selbst die altehrwürdige ZEIT: „Hamburg hatte seine Hamburger Schule um Tocotronic. Stuttgart hatte seine Hip-Hop-Bands. Berlin hatte alles. Köln hatte die Höhner.“ Nun, für die Bäckerblume der Hochschulprofessoren ist das zwar recht grob sondiert, aber grundsätzlich nicht ganz falsch formuliert. Und auch wenn die Domstadt mittlerweile auf der Habenseite mit den hinlänglich bekannten AMK einen gut machen konnte – es war bislang im Vergleich zu anderen Szenestädten nicht das Gelbe. War – denn auch wenn sich aus dem Folgenden sicher noch kein belastbarer Trend zimmern läßt, scheint man am Rhein etwas aufzuholen. Schon im vergangenen Jahr traten mit Komparse und vor allem Woman zwei Band jenseits des Unterhaltungsmainstreams auf den Plan, letztere konnten sich mit ihrem Langspieldebüt „Happy Freedom“ gleich in so einige Bestenlisten eintragen. Und nun meldet sich mit Xul Zolar gleich die nächste Überraschung.
2011 von Ronald Röttel und Marin Geier gegründet, später zum finalen Lineup um die beiden Denisse Hofmann und Enyan ergänzt, gab es 2015 mit „Tides“ die erste EP und nun einen Erstling, der – sieh an – vom Kölner Lokalmatador Marvin Horsch betreut wurde, der wiederum auch schon bei Woman im Boot resp. an den Reglern saß. Und auch diesmal gibt es feingewirkten Pop aus der Delikatessabteilung, warme Synthflächen, Röttels zarte Kopfstimme und viele (und keinesfalls störende) Bezüge zu den Jahren 80 bis 90. Die Melancholie ist mit den Händen zu greifen, gern wird auch mal der eine oder andere Chorgesang eingeflochten („Meridian“) und wer in der Verweiskette Namen wie ABC, New Order und Alphaville memoriert, muß sich nicht schämen, es hat schließlich schon weitaus schlimmere Verdächtigungen gegeben.
Neben dem feinen Titelsong darf man vielleicht noch „Soft Drones“ und „Combat“ aus der ohnehin schon hochklassigen Auswahl herausheben, der Groove ist ein vorsichtiger und dennoch entkommt man ihm kaum. Wer die Herkunft des Bandnamens im Übrigen auf den Buchseiten von Stanislaw Lem und Douglas Adams sucht, wird wohl ewig blättern müssen, hier stand der argentinische Avantgardist Xul Zolar Pate, beim Albumtitel wiederum wird es etwas politisch. Denn mit diesem spielen die vier Herren auf das Vokabular an, mit welchem von Demagogen und Vereinfachern dieser Welt zum Zwecke der Kontrolle (leider auch in unseren Zeiten) bewusst Ängste erzeugt werden. Ein kleines Wunder, daß derlei düstere Anspielungen mit den geschmeidigen Popsongs des Quartetts zusammengehen, es wird also Zeit, ein Fähnchen mehr in die Landkarte zu stecken. An unvermuteter Stelle.
03.02. Köln, Gebäude 9
14.02. Dortmund, Oma Doris
15.02. Hamburg, Prinzenbar
16.02. Bremen, Lagerhaus
21.02. München, Rote Sonne
22.02. Jena, Cafe Wagner
23.02. Dresden, Altes Wettbüro
24.02. Bayreuth, Schokofabrik
25.02. Berlin, Roter Salon
Tocotronic: Und alles ist klar
Und wieder wird es Zeit für ein weiteres Kapitel der Unendlichkeit unseres unsteten, rätselhaften Lebens. Tocotronic schicken nach dem Titelsong und dem Gitarrenkracher "Hey Du" mit "Electric Guitar" ein weiteres Stück ihres neuen Albums samt Bildertagebuch in die Runde und irgendwie wird man das gute Gefühl nicht los, die Jungs kommen immer mehr zu sich selbst. Ein Schwelgen, ein Raunen, ein wohliges Kribbeln, der Song ist ein Traum und das nicht nur im übertragenen Sinne. Schauspielerisch begleitet hat hier übrigens Jasna Fritzi Bauer, gedreht wurde der Clip wiederum von Maximilian Wiederhofer.
Freitag, 12. Januar 2018
The Radio Dept.: Bleibt dabei
Da ist immer Vorsicht geboten: Die schwedischen Synthpopper The Radio Dept. haben ein begnadetes Talent, gewichtige Inhalte in leichte Formen zu fassen - man denke nur an das Stück "Swedish Guns" vom letzten Album "Running Out Of Love" und ebenso bekannte wie berüchtigte Frühwerke. Gerade haben die zwei Herren die Single "Your True Name", die erste Veröffentlichung ihres eigenen Labels Just So! veröffentlicht - die 7" folgt der EP "Teach Me To Forget" aus dem Sommer des vergangenen Jahres.
Pale Grey: Überraschungsgast
Die belgische Band Pale Grey, ein Brüsseler Quartett um Sänger Gilles Dewalque, hatte sich bislang eigentlich eher den leisen und behutsamen Tönen verschrieben - hört man sich beispielsweise die beiden letzten Singles "Blizzard" und "Billy" an, kann man (bei entsprechender Veranlagung) leicht ins Schwärmen geraten. Für den aktuellen Track "Late Night" haben sich die Jungs allerdings die Unterstützung von David Cohn , besser bekannt unter seinem Künstlernamen Serengeti, geholt, seines Zeichens weltbekannter Rap-Star aus Chicago. Und sofort bekommt ihr Sound eine neue, interessante Komponente. Das dazugehörigen Album "Waves" wird im Übrigen am 2. März bei JauneOrange Records erscheinen.
Donnerstag, 11. Januar 2018
Wolf Alice: Im Handumdrehen
Wolf Alice
Support: PABST
Ampere, München, 10. Januar 2018
So richtig perfekt war‘s erst, als die Frisur einigermaßen ruiniert war. Ein kurzer Handgriff in die blondierte Mähne, fertig. Ellie Rowsell, Frontfrau von Wolf Alice und mithin nicht nur stimmlich, sondern auch optisch das Zentrum der Kapelle, muß ja seit Bestehen ihrer Band einen nicht eben kleinen Spagat wagen: Einerseits bedienen die Londoner auf ihren beiden famosen Alben das Segment des Dreampop, verhaltene Gitarren, geschmeidige Melodien, zarte Stimme, andererseits feiern sie zu gleichen Teilen das harte Rockbrett samt knackigen Riffs und wütendem Geschrei. Und das ist nicht nur für die Band, sondern auch die Zuhörer eine Herausforderung, ein Abend wie jener im ausverkauften Münchner Ampere wird demnach nicht kompromißlos durchgerockt, sondern immer wieder mit getragenen Nummern gebrochen, jeder Anlauf will neu genommen, jeder Zauber neu erzeugt werden. Nun, wer die Songs geschrieben hat, weiß um die Fallstricke und die Dynamik eines Live-Auftritts und Wolf Alice, allen voran natürlich Rowsell selbst, geben sich alle Mühe, den Faden ein jedes Mal wieder neu aufzunehmen. Und es gelingt. Wie zum Beweis setzen sie, wie auf der neuen Platte, nicht das furiose „Yuk Foo“, sondern eine vergleichsweise melodieverliebte Nummer wie „Heavenward“ an die Spitze des Sets, ähnliche Stimmungswechsel finden sich häufiger im Programm.
Hier die poppigen Hitsingles „Don’t Delete The Kisses“, „Lisbon“ oder „Sadboy“, dort die kantigen Gitarrenstücke „You’re A Germ“ und „Giant Peach“, der Funk von „Beautifully Unconventional“ und das Rockmonster „Visions Of A Life“ in Überlänge. Im Fokus, wie erwähnt, die Leadsängerin selbst, was sie macht, das geht, was sie nicht macht, geht unter oder schief. Ein Rätsel gab diesbezüglich Gitarrist Joff Oddie auf, der mit dem Umschaltspiel von laut zu leise offensichtlich so seine Probleme hatte. Seiner Poserei nach zu urteilen hätte er den Abend wohl lieber mit einigen wackeren Schwermetallern verbracht oder wenigstens öfter dem experimentellen Feedback gefröhnt – die hartnäckigen Bemühungen, seinem Instrument ein paar schicke Rückkopplungsgeräusche zu entlocken, wirkten ab und an etwas komisch und deplatziert. Geschenkt, der Saal feierte die Band trotzdem gebührend für die ansprechende Performance (die im Übrigen, soviel Zeit muß sein, auch der Berliner Support PABST trotz demoliertem Equipment ablieferte), selbst eine Moshpit war drin und irgendwann erfolgte ohnehin der besagte Griff ins Haupthaar und alle waren glücklich. Weil nämlich (Achtung: Lieblingsklischees) die Rockröhre und der zornige Vamp, wenn es um Erwartungen und also um kollektive Begeisterung geht, immer ein paar Punkte mehr auf den Zettel bekommen als verträumte Besinnlichkeit. Bei Wolf Alice haben sie, zum Glück, beide Platz.
Support: PABST
Ampere, München, 10. Januar 2018
So richtig perfekt war‘s erst, als die Frisur einigermaßen ruiniert war. Ein kurzer Handgriff in die blondierte Mähne, fertig. Ellie Rowsell, Frontfrau von Wolf Alice und mithin nicht nur stimmlich, sondern auch optisch das Zentrum der Kapelle, muß ja seit Bestehen ihrer Band einen nicht eben kleinen Spagat wagen: Einerseits bedienen die Londoner auf ihren beiden famosen Alben das Segment des Dreampop, verhaltene Gitarren, geschmeidige Melodien, zarte Stimme, andererseits feiern sie zu gleichen Teilen das harte Rockbrett samt knackigen Riffs und wütendem Geschrei. Und das ist nicht nur für die Band, sondern auch die Zuhörer eine Herausforderung, ein Abend wie jener im ausverkauften Münchner Ampere wird demnach nicht kompromißlos durchgerockt, sondern immer wieder mit getragenen Nummern gebrochen, jeder Anlauf will neu genommen, jeder Zauber neu erzeugt werden. Nun, wer die Songs geschrieben hat, weiß um die Fallstricke und die Dynamik eines Live-Auftritts und Wolf Alice, allen voran natürlich Rowsell selbst, geben sich alle Mühe, den Faden ein jedes Mal wieder neu aufzunehmen. Und es gelingt. Wie zum Beweis setzen sie, wie auf der neuen Platte, nicht das furiose „Yuk Foo“, sondern eine vergleichsweise melodieverliebte Nummer wie „Heavenward“ an die Spitze des Sets, ähnliche Stimmungswechsel finden sich häufiger im Programm.
Hier die poppigen Hitsingles „Don’t Delete The Kisses“, „Lisbon“ oder „Sadboy“, dort die kantigen Gitarrenstücke „You’re A Germ“ und „Giant Peach“, der Funk von „Beautifully Unconventional“ und das Rockmonster „Visions Of A Life“ in Überlänge. Im Fokus, wie erwähnt, die Leadsängerin selbst, was sie macht, das geht, was sie nicht macht, geht unter oder schief. Ein Rätsel gab diesbezüglich Gitarrist Joff Oddie auf, der mit dem Umschaltspiel von laut zu leise offensichtlich so seine Probleme hatte. Seiner Poserei nach zu urteilen hätte er den Abend wohl lieber mit einigen wackeren Schwermetallern verbracht oder wenigstens öfter dem experimentellen Feedback gefröhnt – die hartnäckigen Bemühungen, seinem Instrument ein paar schicke Rückkopplungsgeräusche zu entlocken, wirkten ab und an etwas komisch und deplatziert. Geschenkt, der Saal feierte die Band trotzdem gebührend für die ansprechende Performance (die im Übrigen, soviel Zeit muß sein, auch der Berliner Support PABST trotz demoliertem Equipment ablieferte), selbst eine Moshpit war drin und irgendwann erfolgte ohnehin der besagte Griff ins Haupthaar und alle waren glücklich. Weil nämlich (Achtung: Lieblingsklischees) die Rockröhre und der zornige Vamp, wenn es um Erwartungen und also um kollektive Begeisterung geht, immer ein paar Punkte mehr auf den Zettel bekommen als verträumte Besinnlichkeit. Bei Wolf Alice haben sie, zum Glück, beide Platz.
Nation Of Language: Ein weiterer Grund
Über die neue Platte "Beautiful People Will Ruin Your Life" der australischen Band The Wombats und die dazugehörigen Tourpläne hatten wir hier ja schon berichtet, nun stellt sich heraus, dass es einen zusätzlichen Grund gibt, die Jungs unterwegs zu besuchen (Support vorerst in den USA). Und der nennt sich: Nation Of Language. Gerade nämlich hat das umtriebige Fachportal Stereogum eine sehr ausführliche Geschichte über das Trio aus Brooklyn verfasst, die erfreulicherweise auch reichlich Musikbeispiele enthält, so dass sich ermessen läßt, warum die drei auf der Liste Band To Watch gelandet sind. Der frische und ebenso melancholische Synthpop klingt schon mächtig verführerisch, es fällt schwer, die Lieder (wenn man es denn überhaupt will) wieder aus dem Gedächtnis zu kriegen. Den neuesten Song von Ian Devaney, Aidan Noell, Michael Sui-Poi und Andrew Santora "On Division St." gibt es vorerst nur in besagtem Netz-Special, nachfolgend ältere Songs von den vier bislang via Bandcamp erschienenen 7" bzw. EP. Ob es von Nation Of Language in nächster Zeit ein Album gibt, ist noch nicht klar, besser, man schaut etwas eher auf einem der Konzerte vorbei - es könnte sich lohnen.
Mittwoch, 10. Januar 2018
Loma: Auf ein Neues [Update]
Ganz so überraschend kam das dann wohl doch nicht: Die texanische Band Shearwater hatte auf einer ihrer Touren mit Cross Record einen Support eingeladen, der sich dieser Tage mit einem neuen und gemeinsamen Projekt wieder ins Gedächtnis bringt. Denn Emily Cross und Dan Duszynski haben sich nun unter dem Namen Loma mit Shearwater-Sänger Jonathan Meiburg zusammengetan, am 16. Februar steht bei Sub Pop das Debüt der drei ins Haus. Nachdem die erste Single "Back Willow" eine eher zarte und bedächtige war, kommt nun mit "Relay Runner" ein knisternder Krautrocker dazu.
Update: Das Video zur neuen Single wurde von Allison Beondé und Emily Cross im Monahans Sandhills State Park nahe der mexikanischen Grenze gedreht.
Update: Das Video zur neuen Single wurde von Allison Beondé und Emily Cross im Monahans Sandhills State Park nahe der mexikanischen Grenze gedreht.
Zugezogen Maskulin: Keine Gnade [Update]
Zugezogen Maskulin
„Alle gegen alle“
(Four Music)
Wundern wir uns eigentlich noch? Oder haben wir uns abgefunden mit dem, was um uns herum passiert? Mit der Arroganz der Macht in Politik und Wirtschaft? Mit dem Haß, der Gleichgültigkeit, dem Verschwinden des „wir“ und der unbedingten Diktatur des „ich“? Fühlen wir uns noch wohl oder geben wir besser klein bei und richten uns blickdicht ein? Bei Zugezogen Maskulin hat schon vor zwei Jahren alles gebrannt, tanzten die abgewrackten Kids als Klebstoffjunkies im grauen Abseits der Plattenbauten, war ohnehin schon alles zu spät. Kein Wunder in Sicht, deshalb hat sich daran auch bei der neuen, dritten Platte von Grim104 und Testo nichts geändert. Der Sound ist einmal mehr ein wütendes Anschreien gegen die Zustände drinnen und draußen, gegen die Hohlheit, die Verspießerung und die Abschottung, gegen das Blingbling des Hipstertums und nicht zuletzt die Entfremdung, mit der wir uns alle auseinandersetzen müssen, denn das kalte Gift der Egozentriker sickert unaufhaltsam durch alle Schichten und läßt keine aus.
„Uwe und Heiko“ sind die stellvertretenden Namen zum Thema, man trifft sie – früher unbeschwerte Freunde, heute entwurzelte, unkenntliche Gestalten – in einigen der neuen Songs des Berliner Duos und das Wiedersehen ist ein schmerzhaftes, weil mancher sich selbst in diesen Biographien wiedererkennen kann. Es ist auf schmerzhafte Weise verblüffend, wie treffsicher und brutal Zugezogen Maskulin uns den Spiegel vorzuhalten vermögen, es reichen drei Minuten zwanzig, um die Jetztzeit als bestenfalls tristes, immer öfter aber apokalyptisches Unsittengemälde im Stile eines Hieronymus Bosch mit hämmernden Raps zu illustrieren („Was für eine Zeit“). Der gnadenlose Kampf um’s eigene Recht, die Vormachtstellung, die Profilierungssucht – dem „Alle gegen alle“ schon in die Falle gegangen, mittendrin im Schlagabtausch und wenn der am Gartenzaun passiert, dann braucht man zumindest den Mut zur Konfrontation, verstecken wir uns doch gleich besser in der Anonymität der asozialen Netzwerke.
Natürlich ist das alles bewußt überzeichnet, Jerichofanfaren zum Einstieg, der Mensch zurückgeworfen auf „Adams Zeiten“, getrieben von Geilheit und Kriegslust, nur scheinbar zivilisiert, bleibt er am Ende doch ein Primat, der Computer programmiert. Aber wer Wirkung erzielen will, muß Schmerzpunkte setzen, Schlachten gewinnt man schließlich nicht mit Katzenvideos, sondern mit Mut und Rückgrat: „Das hier ist kein das Dada, das hier ist kein Spaß, Zugezogen Maskulin, die Wolken bleiben schwarz!“ Es hat, auch das verwundert nicht, auch viele wehmütige Momente auf dem Album, die bittere Erinnerung an die Jugend („Teenage Werwolf“), das Bild vom Tod als Meister aus Deutschland, der auf einen letzten Drink an der Bar versackt und selbst für’s eigene Handwerk zu müde ist. Und vor allem die traurige Rückschau über Generationen aus der Sicht des Diktaturenkindes in „Steine und Draht“, weit entfernt von Heimatliebe und Sonnenuntergang mit röhrendem Hirsch (aber wenigstens gibt’s eine Knopfler-Gitarre dazu). Mehr Punch als die beiden hat zur Zeit niemand hier, Gnade war ohnehin nicht zu erwarten.
Update: Der Meister aus Deutschland im Kurzfilm - "Der müde Tod" neu in der Videothek.
Tourdaten auf http://www.zugezogenmaskulin.de/
„Alle gegen alle“
(Four Music)
Wundern wir uns eigentlich noch? Oder haben wir uns abgefunden mit dem, was um uns herum passiert? Mit der Arroganz der Macht in Politik und Wirtschaft? Mit dem Haß, der Gleichgültigkeit, dem Verschwinden des „wir“ und der unbedingten Diktatur des „ich“? Fühlen wir uns noch wohl oder geben wir besser klein bei und richten uns blickdicht ein? Bei Zugezogen Maskulin hat schon vor zwei Jahren alles gebrannt, tanzten die abgewrackten Kids als Klebstoffjunkies im grauen Abseits der Plattenbauten, war ohnehin schon alles zu spät. Kein Wunder in Sicht, deshalb hat sich daran auch bei der neuen, dritten Platte von Grim104 und Testo nichts geändert. Der Sound ist einmal mehr ein wütendes Anschreien gegen die Zustände drinnen und draußen, gegen die Hohlheit, die Verspießerung und die Abschottung, gegen das Blingbling des Hipstertums und nicht zuletzt die Entfremdung, mit der wir uns alle auseinandersetzen müssen, denn das kalte Gift der Egozentriker sickert unaufhaltsam durch alle Schichten und läßt keine aus.
„Uwe und Heiko“ sind die stellvertretenden Namen zum Thema, man trifft sie – früher unbeschwerte Freunde, heute entwurzelte, unkenntliche Gestalten – in einigen der neuen Songs des Berliner Duos und das Wiedersehen ist ein schmerzhaftes, weil mancher sich selbst in diesen Biographien wiedererkennen kann. Es ist auf schmerzhafte Weise verblüffend, wie treffsicher und brutal Zugezogen Maskulin uns den Spiegel vorzuhalten vermögen, es reichen drei Minuten zwanzig, um die Jetztzeit als bestenfalls tristes, immer öfter aber apokalyptisches Unsittengemälde im Stile eines Hieronymus Bosch mit hämmernden Raps zu illustrieren („Was für eine Zeit“). Der gnadenlose Kampf um’s eigene Recht, die Vormachtstellung, die Profilierungssucht – dem „Alle gegen alle“ schon in die Falle gegangen, mittendrin im Schlagabtausch und wenn der am Gartenzaun passiert, dann braucht man zumindest den Mut zur Konfrontation, verstecken wir uns doch gleich besser in der Anonymität der asozialen Netzwerke.
Natürlich ist das alles bewußt überzeichnet, Jerichofanfaren zum Einstieg, der Mensch zurückgeworfen auf „Adams Zeiten“, getrieben von Geilheit und Kriegslust, nur scheinbar zivilisiert, bleibt er am Ende doch ein Primat, der Computer programmiert. Aber wer Wirkung erzielen will, muß Schmerzpunkte setzen, Schlachten gewinnt man schließlich nicht mit Katzenvideos, sondern mit Mut und Rückgrat: „Das hier ist kein das Dada, das hier ist kein Spaß, Zugezogen Maskulin, die Wolken bleiben schwarz!“ Es hat, auch das verwundert nicht, auch viele wehmütige Momente auf dem Album, die bittere Erinnerung an die Jugend („Teenage Werwolf“), das Bild vom Tod als Meister aus Deutschland, der auf einen letzten Drink an der Bar versackt und selbst für’s eigene Handwerk zu müde ist. Und vor allem die traurige Rückschau über Generationen aus der Sicht des Diktaturenkindes in „Steine und Draht“, weit entfernt von Heimatliebe und Sonnenuntergang mit röhrendem Hirsch (aber wenigstens gibt’s eine Knopfler-Gitarre dazu). Mehr Punch als die beiden hat zur Zeit niemand hier, Gnade war ohnehin nicht zu erwarten.
Update: Der Meister aus Deutschland im Kurzfilm - "Der müde Tod" neu in der Videothek.
Tourdaten auf http://www.zugezogenmaskulin.de/
Dienstag, 9. Januar 2018
BELGRAD: Wirklich frei
Fast, ja fast wäre das Album der so großartigen wie ungewöhnlichen Band BELGRAD im vergangenen Jahr unerwähnt geblieben. Großartig, weil von einer unbedingten Ernsthaftigkeit getrieben, klanglich beeindruckend vielschichtig und wohlüberlegt. Ungewöhnlich, weil sich mit diesem Quartett Städte, Generationen, Lebensläufe, Ideen auf eine Art treffen und mischen, die so wohl einmalig in Deutschland ist. Also haben wir das gleichnamige Debüt mit schlechtem Gewissen und völlig verdient in die Inventurliste 2017 geholt und versucht, einen der Musiker an die Strippe zu bekommen. Schwierig genug in der Zeit zwischen den Feiertagen, daß es Leo Leopoldowitsch, vor einiger Zeit aus Dresden nach Königs Wusterhausen in den Dunstkreis Berlins gezogen, dann – den holprigen Brandenburger Mobilfunknetzen zum Trotz – so viel Spaß gemacht hat, war nicht zu unbedingt zu erwarten. Um so erfreulicher: Es entspann sich ein Gespräch, das schnell in die Tiefe ging, Grundsätzliches nicht scheute und vielleicht auch deshalb so gut funktionierte, weil man ein paar Erfahrungen vor und nach dem Mauerfall teilte. In der kommenden Woche starten BELGRAD ihre Tour, wer die Band noch nicht kennengelernt hat, sollte hier und natürlich live vor Ort schleunigst damit anfangen.
Im Gegensatz zu jüngeren Bands habt Ihr, überspitzt formuliert, richtige Biografien vorzuweisen. Ist das für ein Projekt wie das Eure eher von Vorteil oder kann sich das auch als schwierig erweisen?
Im Grunde ist es beides, es kommt aber immer darauf an, was man will. Wenn man zum Beispiel wie ich ein nicht ganz so guter Musiker ist, aber viele Ideen hat, müsste man allein sehr viel mehr Kraft aufwenden, um das alles umzusetzen. Wenn du dann aber jemanden triffst, der fast doppelt so alt ist wie du und der schüttelt das einfach so aus dem Ärmel, ist das schon eine tolle Sache. Und das meint nicht nur musikalische, sondern durchaus auch organisatorische Dinge. Da ist es sehr hilfreich, wenn du hörst, dass bestimmte Dinge vor zwanzig Jahren schon keine so gute Idee waren und man den Fehler deshalb nicht zum zweiten Mal machen muss.
Trotzdem ist man mit der Bezeichnung Supergroup heute schnell in der entsprechenden Schublade verschwunden …
Stimmt. Wir wollten uns aber ganz grundsätzlich nicht darauf reduzieren lassen, in welchen Bands und Projekten wir vorher unterwegs waren – Stephan [Mahler, zuvor Drummer bei Slime] gibt aus diesem Grund konsequenterweise überhaupt keine Interviews mehr – weil es sich viele Leute doch sehr einfach machen mit Kategorien und Begriffen. Tatsächlich gibt es ja nicht so viele Bands, wo so unterschiedliche Generationen aufeinandertreffen, für unseren Teil würde ich aber mal behaupten, ist das eine gute Sache.
Jetzt habt Ihr nicht nur altersmäßig unterschiedliche Erfahrungen, sondern kennt qua Lebenslauf auch verschiedene Systeme, den Osten und den Westen vor und nach der Wende also. Auch da die Frage, ob sich die Jüngeren nicht einfacher tun, so ganz ohne Vorbehalte und passende Schablonen?
Gute Frage. Denn komischerweise behalten die Leute mit den Schablonen häufiger Recht (lacht) - zumindest ist das meine Erfahrung. Also hinderlich ist es auf keinen Fall, mehr zu wissen und zu kennen. Wenn jeweils jeder bereit ist, etwas anderes zuzulassen, man nicht stur auf dem eigenen Standpunkt beharrt und auch willens ist, Fehler zu erkennen und zuzugeben, dann kann eigentlich kein großer Schaden entstehen, dann ist das nur eine Bereicherung. Ronny [Ron Henseler] und Stephan haben sicherlich eine Menge mehr und anderes erlebt, nehmen das aber nie als absolutes Maß, sondern lassen sich gern auch vom Gegenteil überzeugen. Und genauso geht es uns Jüngeren in der Band, wir sagen ja auch nicht „Lass die Alten mal labern!“, sondern sind ihrer Sichtweise gegenüber aufgeschlossen, das ist eigentlich die beste Sache, die dir passieren kann.
Aus den unterschiedlichen Orten wie Hamburg, Berlin, Dresden und Zeiten kommen ja wegen der verschiedenen Erfahrungen sicher auch verschiedene Meinungen – ist der gemeinsame Nenner hier das wichtigste oder ist der Dissens auch förderlich?
Also der gemeinsame Nenner ist natürlich schon sehr wichtig, den muss man sich aber nicht ständig ins Gedächtnis rufen, der kommt von ganz allein. Wir sind ja von beiden Seiten durch Züge linker Politik geprägt. Und wenn wir dann doch über verschiedene Erlebnisse und auch Standpunkte sprechen, dann behauptet keiner von uns, das oder der eigene wäre das einzig Richtige – wie das ja leider oft in den Ost/West-Diskussionen vorkommt.
Zum Album und seinen Songs, Texten: Man liest von Euch, dass Ihr Erklärungen, Deutungen Eurer Arbeit eigentlich nicht so mögt?
Das ist so nicht ganz richtig. In der Zeit, in der ich Musik mache, habe ich gemerkt, dass man es nur auf zweierlei Weise machen kann – entweder man befasst sich sehr ausführlich damit oder man lässt es ganz bleiben. Auf der Bühne in dreißig Sekunden den Inhalt eines Songs zu thematisieren, kann nicht funktionieren, da hält man besser die Klappe. Anders ist es, wenn man wie hier die Zeit dazu hat, da macht es durchaus Sinn. Ich könnte locker zu jedem Stück der Platte zwanzig Minuten und mehr erzählen, aber der Rahmen muss halt passen, sonst wird man dem Ganzen nicht gerecht.
Täuscht der Eindruck, oder wollt Ihr mit dem Bandnamen und den einzelnen Titeln den Begriff „Osten“ bewusst weiter als bis zur deutschen Grenze fassen?
Unbedingt. Es ist ja bekannt, dass Hendrik [Rosenkranz] und ich uns im Rahmen der Osteuropa-Tour meiner anderen Band Dikloud getroffen haben, wir waren auch zuvor oft im Osten unterwegs, in der Ukraine, in Russland, Ungarn, Rumänien, und die Eindrücke dort spiegeln sich schon in meiner und jetzt auch unserer Musik wieder. Das ist jetzt zwar kein übergreifendes Konzept für unsere Band, da kann sich auch schnell etwas Anderes, Neues ergeben, aber es ist schon etwas, was uns umtreibt.
Eure Platte kommt allgemein sehr düster daher und spiegelt sehr offenkundig die Situation hier im Land und über die Grenzen hinaus. Mit fast dreißig Jahren im Rückspiegel – ist denn die deutsche Einheit tatsächlich schiefgelaufen?
Wenn man es als Ausgang im Kampf der Systeme betrachtet, ist das schon eine sehr interessante Sache, die mich sehr beschäftigt und auf die ich deshalb auch sehr gern antworte. Historisch gesehen ist die in Russland und anderen osteuropäischen Ländern entwickelte Idee von einem anderen Gesellschaftskonzept und die darauffolgende Umsetzung mehr als an die Wand gefahren. Wobei für mich nach wie vor die Idee selbst keine schlechte, sondern eine höchst demokratische war und ist. Das ändert nichts daran, dass das Prinzip der Mehrheitsentscheidung grundsätzlich das richtige ist, um Fehlentwicklungen in einer Gesellschaft frühzeitig zu korrigieren. Schwierig wird es immer dann, wenn die Mehrheit von einer Minderheit ausgeschlossen wird – ein Problem, das mir im real existierenden Sozialismus damaliger Prägung genauso begegnet ist wie im kapitalistischen Pendant. Und die Tragik bestand und besteht eigentlich darin, dass sich beide Systeme eigentlich ziemlich ähnlich waren und sind. Und deshalb die Enttäuschung nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems um so größer war, als man gemerkt hat, die Unterschiede sind gar nicht so groß wie gedacht.
Das ist doch genau der Punkt, wo Euer Song „Westen“ ansetzt?
Ja. Eigentümlicherweise haben viele in dieses Stück die Flüchtlingsthematik hineininterpretiert. Aber es geht hier vielmehr um unmittelbare, durchaus auch materielle Dinge, um das diffuse, sehnsüchtige Gefühl, nach dem Umbruch zu etwas Neuem zu gelangen und dann festzustellen, dass es dieses Neue gar nicht gibt, das also das Neue wieder fast das Alte ist. Diese Enttäuschung spiegelt der Song.
Ein anderes Stück – „Eisengesicht“ – beschreibt den verhärteten, fast schon entmenschlichten Blick eines frustrierten Losers, vielleicht auch Schlägers. Dennoch klingt im Text auch Mitleid, Mitgefühl an. Geht Euch das zu weit oder gibt es solche Momente?
Der Gedanke ist natürlich nachvollziehbar und richtig. Denn kein Mitleid mit diesen Menschen zu haben, das geht eigentlich nur aus dem Trotz der Vorstellung heraus, wie Menschen zu sein haben. Doch jeder Mensch ist eben genau so wie er ist. Ich habe früher zu meinen Punk-Zeiten weitaus wütendere Songs geschrieben, bin da aber heute viel zurückhaltender, weil es mir mittlerweile zu einfach scheint, sich schnell zum Richter aufzuschwingen. Ich fühle mich damit auch nicht mehr so gut. Diese Menschen, die ich da versuche zu umschreiben, sind ja häufig von Angst, Unsicherheit und Selbstzweifeln getrieben und das sollte man nie vergessen. Diese Leute funktionieren immer auf verschiedenen Ebenen und selbst wenn sie gewalttätig werden, dann ist das zwar nichts, was man einfach so hinnehmen sollte, aber man darf auch nicht aus dem Blick verlieren, wo sie herkommen, was sie in ihrem Leben erfahren haben. Man kann sich, auch wenn man eine Sache ablehnt, immer um Verständnis bemühen.
Auch in „Niemand“, einem weiteren Song der Platte, geht es um Ausgrenzung, Missverständnis, um die eigene Biografie, die plötzlich nichts mehr wert sein soll. Gibt es persönliche Erfahrungen, die da hineinspielen?
Da gibt es eine kleine Geschichte zu. Ich komme ja ursprünglich aus Weißwasser und mit dieser Stadt verbinden mich viele gute und schlechte, in jedem Falle aber sehr prägende Erinnerungen, sie hat mich, auch wenn ich später dort war, nie wirklich losgelassen. Vor ein paar Jahren war ich wieder dort, weil ich für ein Fotoprojekt Jugendliche fotografieren und interviewen wollte, was dann in eine Ausstellung münden sollte. Das ist dann leider nichts geworden, weil die Ausbeute zu gering war – viele der Arbeiten sind aber ins Booklet der Vinyl-Version des letzten Dikloud-Albums eingeflossen. Als ich aber damals durch die Stadt gegangen bin, habe ich einen Typen kennengelernt, der meinen verstorbenen Vater persönlich gekannt hat und ich bin dann tatsächlich lange mit ihm dagesessen, habe Wein aus dem Tetrapack getrunken und einfach nur zugehört. Würde man es böse meinen, dann waren das einfach nur ein paar Minuten mit einem traurigen Alkoholiker. Aber diese Begegnung, so zufällig sie war, hat mich sehr zu Nachdenken angeregt und berührt. Und daraus ist dann der Text zum Song entstanden.
Das Video dazu, mit all seinen zusammengeschnittenen Paradeszenen aus dem ostdeutschen Alltag, kann natürlich auch schnell missverstanden werden. Wie schwierig ist es dann, nicht die Ostalgiewelle zu reiten, eben nicht zu verklären, sondern bei der Wahrheit zu bleiben?
Die Gefahr sehe ich genauso. Aber zu diesem Thema fällt mir ein Zitat des Physikers Heinz von Foerster ein: „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners.“ Das Video hat ein Freund von uns [Felix Schmid] geschnitten, der über die Hintergründe des Songs, so wie ich sie jetzt erzählt habe, nichts wusste. Vielleicht hat er ganz andere Dinge empfunden beim Anhören als wir. Aber trotz des Risikos – und nichts liegt mir ferner, als die Vergangenheit zu glorifizieren – haben wir es dann so gelassen, weil wir die Bilder einfach passend fanden …
… wenn man dem Text zuhört, ist ein Missverständnis ohnehin schwer möglich, weil die Worte ja die Bilder brechen …
Absolut. Und das ist ja auch das Schöne, wenn aus dieser Mischung von Worten und Bildern, die auf den ersten Blick nicht zueinander passen wollen, neue Gedanken, Anregungen entstehen – das ist immer eine Bereicherung.
Das Visuelle spielt bei Euch ohnehin auch eine große Rolle. Vier Videos zu vier Songs, alle sehr verschieden und jedes einzelne für sich genommen spannend. Am beeindruckendsten vielleicht der Clip zu „Osten“, die Brandbilder, die man mit Kriegsbildern assoziiert, das tanzende Kind – wie seid Ihr auf die Idee gekommen?
Das war tatsächlich ein großer Waldbrand in den USA, vor zwei oder drei Jahren von einem Typen mit einer Dashcam aufgenommen bei dem Versuch mit seinem Pick-Up da rauszukommen. Als ich die Bilder gesehen habe, dachte ich mir: ‘Das ist die Hölle, wäre ich ein Christ, dann würde ich mir so die Hölle vorstellen!‘ …
… aber man kommt irgendwie sofort auf den falschen Dampfer, sieht Krisengebiete im früheren Jugoslawien …
Genau. Und da sind wir ja wieder bei „Niemand“. Denn oberflächlich betrachtet ist das natürlich Krieg, nur sieht man keine einzige Waffe, keine Kämpfer. Alles läuft im Kopf ab und braucht keine zusätzlichen Erläuterungen, keine Hinweise.
Das Album als Ganzes ist etwas unbedingt Ernstes geworden, keine Ironie nirgends, keine Metaebenen, in denen man sich verstecken könnte, sondern alles dunkel, aber sehr klar?
Nichts liegt uns ferner, als Easy-Listening zu produzieren, das hört man überall, im Radio, im Netz, das langweilt nicht nur, das nervt richtig. Und diese angebliche Unschärfe, die mancher mit unseren Songs verbindet, die ist eben nicht da. Man braucht wirklich nur einen ganz kurzen Moment der Ruhe, und dann erschließt sich wirklich alles. Das geht natürlich nur dann, wenn du nicht dem Zwang unterworfen bist, damit Geld verdienen zu müssen, wenn du nicht bei jeder Idee überlegen musst, wie die Leute wohl damit umgehen. Wenn dir aber die Kunst, die Emanzipation wichtiger ist, dann hast du ungeahnte Möglichkeiten, das auszuschöpfen, dann bist du frei.
BELGRAD sind: Ron Henseler und Stephan Mahler (beide Hamburg), Leo Leopoldowitsch und Hendrik Rosenkranz (Dresden/Berlin), das Debütalbum „BELGRAD“ ist im September 2017 beim Label Zeitstrafe erschienen.
17.01. Wiesbaden, Schlachthof
18.01. Hannover, Lux
19.01. Chemnitz, Atomino
20.01. Hamburg, Prinzenbar
21.01. Berlin, Berghain Kantine
23.01. Trier, Ex-Haus
24.01. Düsseldorf, Tube
25.01. Karlsruhe, Substagecafé
26.01. Köln, Stereo Wonderland
27.01. Münster, Gleis 22
29.01. München, Backstage
30.01. Zürich, Dynamo
31.01. Stuttgart, Juha West
01.02. Oberhausen, Druckluft
02.02. Leipzig, Neues Schauspiel
03.02. Dresden, Scheune
Im Gegensatz zu jüngeren Bands habt Ihr, überspitzt formuliert, richtige Biografien vorzuweisen. Ist das für ein Projekt wie das Eure eher von Vorteil oder kann sich das auch als schwierig erweisen?
Im Grunde ist es beides, es kommt aber immer darauf an, was man will. Wenn man zum Beispiel wie ich ein nicht ganz so guter Musiker ist, aber viele Ideen hat, müsste man allein sehr viel mehr Kraft aufwenden, um das alles umzusetzen. Wenn du dann aber jemanden triffst, der fast doppelt so alt ist wie du und der schüttelt das einfach so aus dem Ärmel, ist das schon eine tolle Sache. Und das meint nicht nur musikalische, sondern durchaus auch organisatorische Dinge. Da ist es sehr hilfreich, wenn du hörst, dass bestimmte Dinge vor zwanzig Jahren schon keine so gute Idee waren und man den Fehler deshalb nicht zum zweiten Mal machen muss.
Trotzdem ist man mit der Bezeichnung Supergroup heute schnell in der entsprechenden Schublade verschwunden …
Stimmt. Wir wollten uns aber ganz grundsätzlich nicht darauf reduzieren lassen, in welchen Bands und Projekten wir vorher unterwegs waren – Stephan [Mahler, zuvor Drummer bei Slime] gibt aus diesem Grund konsequenterweise überhaupt keine Interviews mehr – weil es sich viele Leute doch sehr einfach machen mit Kategorien und Begriffen. Tatsächlich gibt es ja nicht so viele Bands, wo so unterschiedliche Generationen aufeinandertreffen, für unseren Teil würde ich aber mal behaupten, ist das eine gute Sache.
Jetzt habt Ihr nicht nur altersmäßig unterschiedliche Erfahrungen, sondern kennt qua Lebenslauf auch verschiedene Systeme, den Osten und den Westen vor und nach der Wende also. Auch da die Frage, ob sich die Jüngeren nicht einfacher tun, so ganz ohne Vorbehalte und passende Schablonen?
Gute Frage. Denn komischerweise behalten die Leute mit den Schablonen häufiger Recht (lacht) - zumindest ist das meine Erfahrung. Also hinderlich ist es auf keinen Fall, mehr zu wissen und zu kennen. Wenn jeweils jeder bereit ist, etwas anderes zuzulassen, man nicht stur auf dem eigenen Standpunkt beharrt und auch willens ist, Fehler zu erkennen und zuzugeben, dann kann eigentlich kein großer Schaden entstehen, dann ist das nur eine Bereicherung. Ronny [Ron Henseler] und Stephan haben sicherlich eine Menge mehr und anderes erlebt, nehmen das aber nie als absolutes Maß, sondern lassen sich gern auch vom Gegenteil überzeugen. Und genauso geht es uns Jüngeren in der Band, wir sagen ja auch nicht „Lass die Alten mal labern!“, sondern sind ihrer Sichtweise gegenüber aufgeschlossen, das ist eigentlich die beste Sache, die dir passieren kann.
Aus den unterschiedlichen Orten wie Hamburg, Berlin, Dresden und Zeiten kommen ja wegen der verschiedenen Erfahrungen sicher auch verschiedene Meinungen – ist der gemeinsame Nenner hier das wichtigste oder ist der Dissens auch förderlich?
Also der gemeinsame Nenner ist natürlich schon sehr wichtig, den muss man sich aber nicht ständig ins Gedächtnis rufen, der kommt von ganz allein. Wir sind ja von beiden Seiten durch Züge linker Politik geprägt. Und wenn wir dann doch über verschiedene Erlebnisse und auch Standpunkte sprechen, dann behauptet keiner von uns, das oder der eigene wäre das einzig Richtige – wie das ja leider oft in den Ost/West-Diskussionen vorkommt.
Zum Album und seinen Songs, Texten: Man liest von Euch, dass Ihr Erklärungen, Deutungen Eurer Arbeit eigentlich nicht so mögt?
Das ist so nicht ganz richtig. In der Zeit, in der ich Musik mache, habe ich gemerkt, dass man es nur auf zweierlei Weise machen kann – entweder man befasst sich sehr ausführlich damit oder man lässt es ganz bleiben. Auf der Bühne in dreißig Sekunden den Inhalt eines Songs zu thematisieren, kann nicht funktionieren, da hält man besser die Klappe. Anders ist es, wenn man wie hier die Zeit dazu hat, da macht es durchaus Sinn. Ich könnte locker zu jedem Stück der Platte zwanzig Minuten und mehr erzählen, aber der Rahmen muss halt passen, sonst wird man dem Ganzen nicht gerecht.
Täuscht der Eindruck, oder wollt Ihr mit dem Bandnamen und den einzelnen Titeln den Begriff „Osten“ bewusst weiter als bis zur deutschen Grenze fassen?
Unbedingt. Es ist ja bekannt, dass Hendrik [Rosenkranz] und ich uns im Rahmen der Osteuropa-Tour meiner anderen Band Dikloud getroffen haben, wir waren auch zuvor oft im Osten unterwegs, in der Ukraine, in Russland, Ungarn, Rumänien, und die Eindrücke dort spiegeln sich schon in meiner und jetzt auch unserer Musik wieder. Das ist jetzt zwar kein übergreifendes Konzept für unsere Band, da kann sich auch schnell etwas Anderes, Neues ergeben, aber es ist schon etwas, was uns umtreibt.
Eure Platte kommt allgemein sehr düster daher und spiegelt sehr offenkundig die Situation hier im Land und über die Grenzen hinaus. Mit fast dreißig Jahren im Rückspiegel – ist denn die deutsche Einheit tatsächlich schiefgelaufen?
Wenn man es als Ausgang im Kampf der Systeme betrachtet, ist das schon eine sehr interessante Sache, die mich sehr beschäftigt und auf die ich deshalb auch sehr gern antworte. Historisch gesehen ist die in Russland und anderen osteuropäischen Ländern entwickelte Idee von einem anderen Gesellschaftskonzept und die darauffolgende Umsetzung mehr als an die Wand gefahren. Wobei für mich nach wie vor die Idee selbst keine schlechte, sondern eine höchst demokratische war und ist. Das ändert nichts daran, dass das Prinzip der Mehrheitsentscheidung grundsätzlich das richtige ist, um Fehlentwicklungen in einer Gesellschaft frühzeitig zu korrigieren. Schwierig wird es immer dann, wenn die Mehrheit von einer Minderheit ausgeschlossen wird – ein Problem, das mir im real existierenden Sozialismus damaliger Prägung genauso begegnet ist wie im kapitalistischen Pendant. Und die Tragik bestand und besteht eigentlich darin, dass sich beide Systeme eigentlich ziemlich ähnlich waren und sind. Und deshalb die Enttäuschung nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems um so größer war, als man gemerkt hat, die Unterschiede sind gar nicht so groß wie gedacht.
Das ist doch genau der Punkt, wo Euer Song „Westen“ ansetzt?
Ja. Eigentümlicherweise haben viele in dieses Stück die Flüchtlingsthematik hineininterpretiert. Aber es geht hier vielmehr um unmittelbare, durchaus auch materielle Dinge, um das diffuse, sehnsüchtige Gefühl, nach dem Umbruch zu etwas Neuem zu gelangen und dann festzustellen, dass es dieses Neue gar nicht gibt, das also das Neue wieder fast das Alte ist. Diese Enttäuschung spiegelt der Song.
Ein anderes Stück – „Eisengesicht“ – beschreibt den verhärteten, fast schon entmenschlichten Blick eines frustrierten Losers, vielleicht auch Schlägers. Dennoch klingt im Text auch Mitleid, Mitgefühl an. Geht Euch das zu weit oder gibt es solche Momente?
Der Gedanke ist natürlich nachvollziehbar und richtig. Denn kein Mitleid mit diesen Menschen zu haben, das geht eigentlich nur aus dem Trotz der Vorstellung heraus, wie Menschen zu sein haben. Doch jeder Mensch ist eben genau so wie er ist. Ich habe früher zu meinen Punk-Zeiten weitaus wütendere Songs geschrieben, bin da aber heute viel zurückhaltender, weil es mir mittlerweile zu einfach scheint, sich schnell zum Richter aufzuschwingen. Ich fühle mich damit auch nicht mehr so gut. Diese Menschen, die ich da versuche zu umschreiben, sind ja häufig von Angst, Unsicherheit und Selbstzweifeln getrieben und das sollte man nie vergessen. Diese Leute funktionieren immer auf verschiedenen Ebenen und selbst wenn sie gewalttätig werden, dann ist das zwar nichts, was man einfach so hinnehmen sollte, aber man darf auch nicht aus dem Blick verlieren, wo sie herkommen, was sie in ihrem Leben erfahren haben. Man kann sich, auch wenn man eine Sache ablehnt, immer um Verständnis bemühen.
Auch in „Niemand“, einem weiteren Song der Platte, geht es um Ausgrenzung, Missverständnis, um die eigene Biografie, die plötzlich nichts mehr wert sein soll. Gibt es persönliche Erfahrungen, die da hineinspielen?
Da gibt es eine kleine Geschichte zu. Ich komme ja ursprünglich aus Weißwasser und mit dieser Stadt verbinden mich viele gute und schlechte, in jedem Falle aber sehr prägende Erinnerungen, sie hat mich, auch wenn ich später dort war, nie wirklich losgelassen. Vor ein paar Jahren war ich wieder dort, weil ich für ein Fotoprojekt Jugendliche fotografieren und interviewen wollte, was dann in eine Ausstellung münden sollte. Das ist dann leider nichts geworden, weil die Ausbeute zu gering war – viele der Arbeiten sind aber ins Booklet der Vinyl-Version des letzten Dikloud-Albums eingeflossen. Als ich aber damals durch die Stadt gegangen bin, habe ich einen Typen kennengelernt, der meinen verstorbenen Vater persönlich gekannt hat und ich bin dann tatsächlich lange mit ihm dagesessen, habe Wein aus dem Tetrapack getrunken und einfach nur zugehört. Würde man es böse meinen, dann waren das einfach nur ein paar Minuten mit einem traurigen Alkoholiker. Aber diese Begegnung, so zufällig sie war, hat mich sehr zu Nachdenken angeregt und berührt. Und daraus ist dann der Text zum Song entstanden.
Das Video dazu, mit all seinen zusammengeschnittenen Paradeszenen aus dem ostdeutschen Alltag, kann natürlich auch schnell missverstanden werden. Wie schwierig ist es dann, nicht die Ostalgiewelle zu reiten, eben nicht zu verklären, sondern bei der Wahrheit zu bleiben?
Die Gefahr sehe ich genauso. Aber zu diesem Thema fällt mir ein Zitat des Physikers Heinz von Foerster ein: „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners.“ Das Video hat ein Freund von uns [Felix Schmid] geschnitten, der über die Hintergründe des Songs, so wie ich sie jetzt erzählt habe, nichts wusste. Vielleicht hat er ganz andere Dinge empfunden beim Anhören als wir. Aber trotz des Risikos – und nichts liegt mir ferner, als die Vergangenheit zu glorifizieren – haben wir es dann so gelassen, weil wir die Bilder einfach passend fanden …
… wenn man dem Text zuhört, ist ein Missverständnis ohnehin schwer möglich, weil die Worte ja die Bilder brechen …
Absolut. Und das ist ja auch das Schöne, wenn aus dieser Mischung von Worten und Bildern, die auf den ersten Blick nicht zueinander passen wollen, neue Gedanken, Anregungen entstehen – das ist immer eine Bereicherung.
Das Visuelle spielt bei Euch ohnehin auch eine große Rolle. Vier Videos zu vier Songs, alle sehr verschieden und jedes einzelne für sich genommen spannend. Am beeindruckendsten vielleicht der Clip zu „Osten“, die Brandbilder, die man mit Kriegsbildern assoziiert, das tanzende Kind – wie seid Ihr auf die Idee gekommen?
Das war tatsächlich ein großer Waldbrand in den USA, vor zwei oder drei Jahren von einem Typen mit einer Dashcam aufgenommen bei dem Versuch mit seinem Pick-Up da rauszukommen. Als ich die Bilder gesehen habe, dachte ich mir: ‘Das ist die Hölle, wäre ich ein Christ, dann würde ich mir so die Hölle vorstellen!‘ …
… aber man kommt irgendwie sofort auf den falschen Dampfer, sieht Krisengebiete im früheren Jugoslawien …
Genau. Und da sind wir ja wieder bei „Niemand“. Denn oberflächlich betrachtet ist das natürlich Krieg, nur sieht man keine einzige Waffe, keine Kämpfer. Alles läuft im Kopf ab und braucht keine zusätzlichen Erläuterungen, keine Hinweise.
Das Album als Ganzes ist etwas unbedingt Ernstes geworden, keine Ironie nirgends, keine Metaebenen, in denen man sich verstecken könnte, sondern alles dunkel, aber sehr klar?
Nichts liegt uns ferner, als Easy-Listening zu produzieren, das hört man überall, im Radio, im Netz, das langweilt nicht nur, das nervt richtig. Und diese angebliche Unschärfe, die mancher mit unseren Songs verbindet, die ist eben nicht da. Man braucht wirklich nur einen ganz kurzen Moment der Ruhe, und dann erschließt sich wirklich alles. Das geht natürlich nur dann, wenn du nicht dem Zwang unterworfen bist, damit Geld verdienen zu müssen, wenn du nicht bei jeder Idee überlegen musst, wie die Leute wohl damit umgehen. Wenn dir aber die Kunst, die Emanzipation wichtiger ist, dann hast du ungeahnte Möglichkeiten, das auszuschöpfen, dann bist du frei.
BELGRAD sind: Ron Henseler und Stephan Mahler (beide Hamburg), Leo Leopoldowitsch und Hendrik Rosenkranz (Dresden/Berlin), das Debütalbum „BELGRAD“ ist im September 2017 beim Label Zeitstrafe erschienen.
17.01. Wiesbaden, Schlachthof
18.01. Hannover, Lux
19.01. Chemnitz, Atomino
20.01. Hamburg, Prinzenbar
21.01. Berlin, Berghain Kantine
23.01. Trier, Ex-Haus
24.01. Düsseldorf, Tube
25.01. Karlsruhe, Substagecafé
26.01. Köln, Stereo Wonderland
27.01. Münster, Gleis 22
29.01. München, Backstage
30.01. Zürich, Dynamo
31.01. Stuttgart, Juha West
01.02. Oberhausen, Druckluft
02.02. Leipzig, Neues Schauspiel
03.02. Dresden, Scheune
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