Zugezogen Maskulin
Support: BLOND
Strom, München, 17. Januar 2018
Da hat sich doch einiges geändert. Noch vor zwei Jahren spielten die Grime-Rapper von Zugezogen Maskulin – gerade war ihr furioses Debüt „Alles brennt“ erschienen – im Münchner Feierwerk, das Publikum war überschaubar, eher reserviert und von Textsicherheit noch nicht viel zu hören. Und heute? Der Club größer, alle Plätze bis auf den letzten Quadratzentimeter gefüllt und die Stimmung angespannt bis euphorisiert. Was ist passiert? Nun, das, was wir Zivilgesellschaft nennen, bröckelt in der Mitte wie am Rand, das Gift aus Misstrauen, diffuser Angst und gegenseitiger Entfremdung durchdringt das Öffentliche wie auch das Private, es kämpfen nicht mehr nur links gegen rechts und oben gegen unten, sondern "Alle gegen alle" – und ZM liefern den krassen Soundtrack zum täglichen Gefecht. Wie nur wenige andere Bands haben Testo und Grim104 die Binse verinnerlicht (der Plastikgeld-Jingle läßt grüßen), nach der Freiheit nicht einfach nur da ist – man muß sie sich auch nehmen.
Und sie nehmen reichlich. Zu derben Reimen mischen sie vorzugsweise Brachialbeats mit geschmeidigen Popmelodien, eigentlich ein No-Go im brettharten Business. Ein weiteres Gegensatzpaar liefern sie in Sachen Optik – obschon sich ZM eigentlich als unpolitisch begreifen, hauen sie der Crowd unablässig Statements und Parolen um die Ohren, die verspießerten Alt- und Neunationalen kräftig Bauchschmerzen bereiten dürften – das Ganze aber gern mit Frakturschrift und in der obligatorischen Fred-Perry-Uniform. Irritation und Provokation als Einstellungsfrage haben die beiden also perfekt verinnerlicht: Die Alten sollen sich gefälligst wegmachen, für die Gestrandeten ist zwar genug da, kriegen tun sie trotzdem nix, ein Jahresgehalt für ein Paar Halbgottsneaker, ein Hoch auf den Fettranzen, Tod dem Hipster und dem Blumenkind, steiler geht es tatsächlich kaum. Zynismus als Kalkül, Widerspruch erwünscht.
Dass man unter schwarzen Wolken aber trotzdem ganz gut abfeiern kann, beweist der Abend. Anders als noch bei letzten Besuch brauchen ZM keine Minute, um die Menge zum moshen zu bringen. Es ist dies nicht die Zeit für neunmalkluge Textanalysen, ein unablässigen Hin- und Her aus verschwitzten Körpern, garniert mit Konfettikanone und fliegenden Bierbechern, Satzfetzen skandierend, außer Rand und Band. Groteske Szenen gibt es da: Während unten der Mob tobt, spielt oben im Nebel eine einsame Geige, die Masse grölt dem Gevatter Tod eine Ballade, später bricht der Sound unvermittelt ab, Fortsetzung erfolgt mittels flacher Hand auf nackten Bauch – Deichkind hätten es nicht besser hinbekommen. Die Provinzheinies, die gern mit der Plattenbautristesse kokettieren (oder war es umgedreht?) machen das richtig gut. Die Lage ist ernst, vielleicht sogar hoffnungslos, aber für den Moment scheint selbst das egal. Solange der Beat stimmt.
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