Sheer Mag
„Need To Feel Your Love“
(Wilsuns Records)
Normalerweise ist ein genervtes Augenrollen das Mindeste, was man sich für den Satz „Früher war alles viel besser“ verdient, denn üblicherweise kommt er von Menschen, die mehr auf ein irgendwie geartetes Bauchgefühl setzen denn auf nachprüfbare Fakten und selten etwas dazu tun, um den bejammerten Zustand zu ändern. In den USA sieht das momentan ein wenig anders aus, denn dort reicht „früher“ keine sieben Monate zurück und meint die Zeit vor dem Regierungsantritt des allgemeingefährlichen Toupetträgers – und auch der Änderungswille an der verfahrenen Situation ist allgegenwärtig, wenngleich erschreckend aussichtslos. Früher, so hat man manchmal den Eindruck, war auch in der Musik einiges einfacher – Bass, Gitarre, Drums, Gesang, ein Riff reichte, einen Song zu dominieren und zum Killer zu machen, künstlerische Ausschmückungen waren selten bis unnötig.
Zu den allseits verehrten Vertretern dieser Phase der 70er zählten auch irischen Thin Lizzy und es kommt wohl nicht von ungefähr, daß Tina Halladay und ihre Kapelle schon beim Bandlogo erstaunlich nah beieinander sind. Die Hauptbezüge finden sich aber im musikalischen Bereich, denn Sheer Mag aus Philadelphia lassen sich beim Thema Hardrock nicht lumpen – schon die wunderbare „Compilation“ ihrer drei ersten EP konnte mit reichlich Power und besagten Querverweisen punkten, ähnlich, ja besser noch funktioniert das auf „Need To Feel Your Love“. Auch wenn die Punk-Attitüde mit hineinspielt, sind die Wurzeln des Sounds der fünf eindeutig ein paar Jahre früher zu verorten, gern auch bei der lederbewährten und heute leider etwas in Vergessenheit geratenen Suzie Quatro. Die aktuellen Stücke sind pure, ausgelassene Energie, manchmal (wie beim Titelsong oder später „Pure Desire“) leicht ins Funkige schwappend oder mit „Suffer Me“ am Countryswing gekratzt, aber immer mit durchgedrücktem Gaspedal und vollem Einsatz.
Wie Beth Ditto zu seligen Gossip-Zeiten schont auch Halladay nichts und niemanden und am wenigsten ihre Stimmbänder, Kyle Seelys Riffs drücken die Stücke zusätzlich nach vorn – „Can’t Play It Cool“, was für die Liebe gilt, trifft auch auf den Sound zu. Natürlich schreit hier auch die Wut, mehrheitlich über verfahrene Beziehungskisten, gern aber auch mal (s.o.) gegen Polizeiwillkür („Need To Feel…“) und wegen der ziemlich unbefriedigenden, politischen Gemengelage im Allgemeinen: “And I been reading the news and you’ll surely regret, if you don’t give us the ballot, expect the bayonet.” Ganz am Ende gelingt der Band noch eine kleine Überraschung: Eine Hommage an die mit nur zweiundzwanzig Jahren von den Nazis hingerichtete Studentin Sophie Scholl hätten hier und so wohl wenige erwartet, um so beeindruckender Halladays Statement zu Widerstand und Unrecht gestern und heute („What does it mean, another head for the guillotine…“) – eine tolle Platte von einer tollen Band, fürwahr. http://www.sheer-mag.com/
01.08. München, Kafe Kult
06.08. Berlin, SO36
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