Montag, 10. Juli 2017

Christine Franz: Bunch Of Kunst - Eine wahre Geschichte

Es sprudelt nur so aus ihr heraus, immer noch. Christine Franz ist seit Monaten unterwegs, hetzt von einem Screening Date zum nächsten, Interviews, Pressetermine, all das, um ihren ersten abendfüllenden Film "Bunch Of Kunst", eine Dokumentation über die britische Band Sleaford Mods, zu promoten. Ein Film, dessen Eingangstake auf den Tag genau vor drei Jahren in Nottingham, der Heimatstadt von Sänger und Texter Jason Williamson und Soundbastler Andrew Fearn, gedreht wurde und der bis heute nahezu ihre komplette Freizeit und einen nicht unerheblichen Teil ihres privaten Vermögens verschlungen hat. Und den sie dennoch keine Minute bereut hat – im Gegenteil. Noch immer ist sie euphorisiert von den Begegnungen, Erfahrungen, Freundschaften, noch immer sprechen aus ihr Produzentin, Regisseurin, Musikredakteurin und Fangirl zugleich, denn man kann, das wird schnell klar, eine solche Mammutaufgabe ohne diese grenzenlose Begeisterung kaum bewältigen. Und nicht ohne das anhaltende Erstaunen, dass eine solche Story im lückenlos durchgetakteten und eigentlich nur glamourösen, aber selten wahrhaftigen Musikbusiness dieser Tage noch möglich ist. Oder, wie es der langjährige Manager der zwei, Steve Underwood, ausdrückte: „It’s a band, that shouldn‘t work on paper. But it does.“ 

Jeder hat ja, wenn es hochkommt, zwei bis drei Bands, die ihn in dem Moment, wenn er sie das erste Mal hört, kicken – wie war das bei Dir? Wann, wie und wo haben Dich die Sleaford Mods erwischt?
Eigentlich lief das ganz klassisch – ein Freund in Berlin kam vor drei Jahren mit einer Platte der beiden um die Ecke, es war die „Austerity Dogs“, und meinte, das wäre sicher meine neue Lieblingsband. Und mir ging es da wie vielen anderen auch, ich habe mich nach den ersten Tönen irgendwie wieder wie vierzehn gefühlt, das klang so vollkommen abgedreht und anders, wie ich es schon lange nicht mehr mit Musik erlebt hatte. Andererseits kam es einem anfangs immer auch so vor, als wäre das Ganze ein Hoax, den sich irgendwelche Musikjournalisten ausgedacht hatten – so ein Sound aus der tiefsten englischen Provinz, das konnte ja gar nicht wahr sein.

Bunch Of Kunst, Magnetfilm GmbH, 102 Minuten

Wie lief das erste Aufeinandertreffen?
Das erste Interview – damals noch für einen Beitrag für ARTE TRACKS – fand nach einem Konzert in Berlin Neukölln statt. Weil das Konzert so unfassbar abging, sind wir dann ein paar Wochen später noch mal nach Nottingham geflogen, wo die Sleaford Mods uns ihre Stadt gezeigt haben und wir danach ziemlich böse versackt sind – und am nächsten Tag war klar, dass wir mehr daraus machen wollten.. Ich war damals ziemlich nervös, was mir nach mehr als zehn Jahren im Job auch nicht mehr so oft passiert, und hatte auch nicht die leiseste Ahnung, was das jetzt für Typen sind – und dann waren die zwei, so krass sie äußerlich auch wirken mögen, wirklich super nett und umgänglich.

Und der erste Eindruck von ihrem Umfeld?
Man hatte es ja gar nicht glauben wollen, dass die Jungs tatsächlich so drauf sind, wie sie sich in ihren Songs geben, aber es stimmte alles komplett: Jason hatte gerade seinen Job in der Tiefkühlhühnerfabrik hinter sich und arbeitete gerade für die Sozialhilfestelle der Stadtverwaltung, Andrew schraubte tatsächlich mit viel Hingabe an seinen Beats herum und Steve [Underwood] war zu der Zeit wirklich noch Busfahrer und fuhr auch den Bus für das Video von "Tied Up In Nottz". Das war also kein Marketing-Fake, das spielte sich wirklich so ab und ist auch der Grund, weshalb ja nicht nur wir als Hörer so erstaunt waren, dass es so etwas heute noch gibt – nein, auch die beiden hat das Echo und das große Interesse an ihrer Arbeit so ziemlich umgehauen. Die konnten sich nicht vorstellen, dass jemand außerhalb Nottinghams davon überhaupt Notiz nimmt, geschweige denn extra aus Deutschland für ein Interview anreist.

Überrascht vom eigenen Erfolg also?
Unbedingt. Es war ja auch so, dass Steve Underwood, der durch sein eigenes DIY-Label Harbinger Sound bestens vernetzt war, ziemlich früh für die Clubszene in Europa buchte und so kam es, dass sie teilweise dort schon bekannt waren, als sie beispielsweise der NME in London noch gar nicht auf dem Schirm hatte. Das war im Übrigen auch ein großer Vorteil für den Film, dass wir die Band ziemlich früh getroffen haben, als sie noch lange nicht so populär waren wie jetzt.



War denn von Anfang an klar, dass da eine solche Dokumentation draus entstehen soll?
Nee, überhaupt nicht. Wir hatten schon Lust, gerade nach dem Konzert in Nottingham, was Längeres zu machen, aber keiner von uns hatte die Erfahrung, solche langen Sachen zu drehen – wir haben bei ARTE TRACKS ja sonst eher Kurzfilme produziert. Ich glaube aber, dass das sogar ein Vorteil war, weil wir einfach drauflosgearbeitet haben und letztendlich sind wir beim Filmen dann auch ein Stückchen mitgewachsen. Entwickelt hat sich das auch, weil immer mehr Dinge dazukamen: Die Smalltown-Tour durch die englische Provinz, die Arbeiten an ihrem Folgealbum „Key Markets“, die wir begleiten durften. Ja, und irgendwann gab es dann die Nachricht von der Buchung fürs Glastonbury Festival und dann haben wir gedacht: ‚Wow, jetzt geht das total durch die Decke, jetzt machen wir da was Richtiges daraus!‘

Vor zwei Jahren ist ja auch der Streifen „Invisible Britain“ von Paul Sng erschienen. Vergleicht man beide Filme, haben sie recht verschiedene Ansätze, nähern sich auch den Protagonisten auf sehr eigene Weise. Was macht aus Deiner Sicht den Unterschied aus, was war Dein besonderer Antrieb?
Also bei „Invisible Britain“, für den ja nach uns mit dem Dreh begonnen wurde, war relativ schnell klar, dass sie eher so eine Art Manifest machen, also sehr auf die politische Schiene wollten und das war nie unser Ansatz. Wir wollten eher die drei Typen, die ganz und gar unterschiedlichen Charaktere zeigen, wie sie ihr eigenes Ding machen und damit nach und nach Erfolg haben. Das sollte also weniger plakativ, sondern subtiler funktionieren. Ich war von Anfang an der Meinung, dass die Lyrics von Jason schon politisch genug sind und im Film ja schon für sich selbst sprechen, da hätten wir nicht noch was obendrauf setzen müssen. Wir haben uns auch deutlich mehr Zeit gelassen mit der Fertigstellung.

Wo und wie hast Du denn gemerkt, dass der Film jetzt rund ist und zu Ende geht?
Viele von meinen Freunden haben ja schon gemeint, „Bunch Of Kunst“ wäre mein ganz persönliches „Chinese Democracy“ [Lacht.] Aber auch mit dem Schluss hat sich das ganz simpel ergeben. Steve hat immer zu mir gesagt: „Du weißt, wann Deine Geschichte zu Ende erzählt ist und so lange drehst Du“ – und im Januar 2016 kam dann eines Abends ein Anruf von ihm, er habe sich gerade mit Geoff Travis [Gründer/Manager Rough Trade] getroffen und der hätte ihn gefragt, ob die Sleaford Mods nicht zu ihm kommen wollten. Und da war mir auf einmal klar, dass genau hier unsere Geschichte abgeschlossen ist.



Der Eindruck täuscht doch nicht, dass mit diesem Deal ja auch für ihn, den Vater des Erfolges, den umtriebigen Freund und rührigen Kümmerer, diese Geschichte ein Stück weit zu Ende geht? Wenn man ihn im Film so sitzen sieht, inmitten seiner Plattenstapel oder später während des Empfangs bei Rough Trade, da schwingt doch auch viel Wehmut und Melancholie mit, seine Jungs jetzt ein Stück weit loslassen zu müssen …?
In jedem Fall. Auf der einen Seite führte da ja kein Weg dran vorbei, für Jason hatte sich, das wusste man, mit dem Deal so eine Art Jugendtraum erfüllt und Rough Trade sind ja auch das einzige Label, wo das überhaupt gegangen wäre. Aber Steve hatte da natürlich schon mit zu kämpfen, schließlich musste er in diesem Moment die Arbeit von Jahren loslassen und das war für ihn schon ganz schön hart.

„Bunch Of Kunst“ wirkt durch seine vielen unkommentierten und ungekürzten Einstellungen angenehm authentisch, trotzdem hast Du eine gewisse Ästhetik, und sei es auch nur dieses ‚The-crapper-the better‘-Ding, nicht vermeiden können oder wollen – wie bist Du damit umgegangen?
Also das war natürlich eine sehr bewusste Entscheidung, den Film so zu lassen, wie die Band ja eigentlich auch funktioniert, also alle Nebengeräusche, Unschärfen, selbst die Rülpser drin zu behalten, denn wie komisch wäre das, wenn man über die Sleaford Mods einen glattgebügelten Streifen mit lauter Celebrity-Interviews macht. Klar haben wir am Anfang einiges davon drin, um die Zuschauer ein wenig auf die falsche Fährte zu locken, und auf Iggy Pop, der sie ja als einer der ersten im Radio promotet hat, wollten wir natürlich auch nicht verzichten. Alles andere hätte aber von der Geschichte der drei viel zu sehr abgelenkt.

„Working class“, ein gern benutztes Etikett für die Sleaford Mods, kann ja bisweilen auch schon mal ziemlich krass, hart sein – gab es denn während dem Dreh, bei Konzerten auch mal Momente, wo es Dir mulmig wurde?
Nein gar nicht, im Gegenteil. Die Auftritte dort in England gehören zu den besten, die ich bislang erlebt habe und natürlich sind die Leute dort ziemlich abgegangen – aber es gab wirklich nie eine aggressive Stimmung. Das hatte sogar eher diese „Einer für alle, alle für einen“-Atmosphäre, wie ich das noch selten auf Liveshows erlebt habe. Da gab es eher die gestandenen Arbeiter, die schon seit Jahren auf keinem Konzert mehr waren und nun in Tränen aufgelöst mit all ihrer Bewunderung vor dir standen – das war schon ziemlich bewegend.



Hast Du da Unterschiede zwischen England und beispielsweise Deutschland ausgemacht?
Ja, das lag vielleicht auch daran, dass zu der Zeit in England schon viele Punks und Skins gekommen sind, wo hier noch die Pop-Abchecker unterwegs waren, das ergibt dann natürlich auch eine andere Qualität. Mittlerweile hat sich das aber schon sehr angeglichen. Aber auch in England waren, gerade auf der Smalltown-Tour, nicht unbedingt die Leute dabei, die normalerweise zu solchen Gigs gehen, da gab es schon auch viele, die sich plötzlich von den Mods so sehr angesprochen gefühlt haben, dass sie sich nach langer Zeit wieder einen Plattenspieler zugelegt und dann eben auch Tickets gekauft haben.

Was war denn für die Band die größere Herausforderung, ein Auftritt von der Größe auf dem Glastonbury Festival oder doch so ein Heim-Gig in Nottingham?
Definitiv Nottingham. Da kommt auch das Pathos her, das man bei Jason im Film sieht und das man vielleicht bei ihm so gar nicht vermutet hätte. Jason hat ja, das muss man wirklich anerkennen, ein unglaubliches Gespür für Menschen und Situationen und kann mit all dem sehr gut umgehen. Aber wenn man sich vorstellt, dass die beiden ja auch in ihrer Heimatstadt selbst immer eher belächelt und kaum ernst genommen wurden, dann sind das einfach so unglaublich emotionale Momente. Dort aufzutreten, wo sie selbst ja früher vor der Bühne standen, das war für sie schon ziemlich absurd und hat sie wirklich berührt.

Und Glastonbury?
Ich glaube, das haben die beiden gar nicht so mitbekommen, das war einfach so groß, dass es sich für beide wie ein einziger Rausch anfühlte. Deswegen als Sinnbild im Film auch die Schwarzblende zu Konzertbeginn und deshalb auch keine Szenen vom Auftritt selbst, weil es zum einen so unwirklich war und zum anderen im Netz genügend Filme davon zu haben sind – wir wollten uns da eher auf ganze Drumherum konzentrieren. Ganz davon abgesehen, dass es nicht ihr bestes Konzert war – da hatte Nottingham schon eine ganz andere Bedeutung und Tiefe.



Der Brexit hat ja, so hast Du mal gesagt, während des Filmens – zumindest in seiner Endgültigkeit – noch keine Rolle gespielt. Hat sich denn im Laufe des Drehens etwas geändert, habt Ihr eine wachsende Anspannung und Zuspitzung gespürt?
Also im Film tatsächlich kaum, generell glaube ich, dass mit dem Ausgang so wirklich überhaupt keiner gerechnet hatte, jeder dachte ‚Okay, das wird knapp, aber klappt schon‘ und dann waren alle ziemlich schockiert, als es zu der Entscheidung kam. Auch aus rein praktischer Sicht war das für die drei eine ziemlich harte Sache, weil sie ja als Band ständig unterwegs sind in Europa, grenzenlos touren können und sich das nun plötzlich zu ändern drohte. Es war also eher so ein grundsätzliches Gefühl der Schockstarre, die sich auf dieses Land gelegt hat – in den letzten Wochen nach der Wahl und dem Erfolg von Corbyn löst sich das vielleicht gerade wieder etwas und viele merken, dass man auch politisch etwas ändern kann und muss. An der Frustration hat sich aber nichts geändert, nur die Schlüsse, die daraus gezogen werden, sind jetzt vielleicht andere.

Die Sleaford Mods sind ja eine politische, ja sozialpolitische Band und selbst in England ein ziemliches Phänomen. In Deutschland ist so etwas ohne Schubladen, vielleicht sogar ohne eine gewisse Peinlichkeit, nur schwer denkbar – woran meinst Du, liegt das?
Ich glaube, dass es da in England in dieser Hinsicht eine andere Tradition und Selbstverständlichkeit gibt, die so in Deutschland in dem Maße nicht vorhanden ist, die Mentalität ist halt eine andere. Es hat ja dort eine ganze Reihe von berühmten Vorbildern, auf die man sich berufen kann, nicht von ungefähr haben die Sleaford Mods ja auch schon im Vorprogramm von The Specials gespielt.

Ganz so unumstritten scheint aber dieses politische Label bei Andrew und Jason auch nicht mehr zu sein?
Das stimmt. Man hört ja im Film öfters, dass sie mit diesem „Voice-of-the-working-class“-Ding so ihre Probleme haben. Selbst haben sie das von sich ja nie behauptet und sie reflektieren auch sehr genau die Frage, was denn Arbeiterklasse eigentlich so meint und ob sie überhaupt noch dazu gehören nach den Jahren des Erfolgs. Vor den Karren jedenfalls wollen sie sich nicht spannen lassen und sie wissen natürlich auch nur zu gut, dass dieser Stempel, ist der Hype erst mal vorbei, auch ganz schnell gegen sie verwendet werden könnte. Insofern ist es eher verständlich, dass die zwei solche Klassifizierungen eher vermeiden und unbedingt nicht wie ein Dogma vor sich hertragen wollen.



Beide haben ja so ihre zweifelnden Momente im Film, beide denken offen über den Irrsinn der Entwicklung nach und darüber, was sie bereit sind, dieser Entwicklung zu opfern. Meinst Du, sie haben für sich selbst Grenzen definiert, die sie nicht zu überschreiten bereit sind? Oder, anders gefragt, wo siehst Du selbst die Sleaford Mods in zwei, drei Jahren?
Ja, das denke ich schon, dass sie sich solche Gedanken machen. Es ist ja immer die Frage, wie sehr du dich in diesem Rahmen künstlerisch weiterentwickeln kannst, wie sehr die Leute hier auch Veränderungen auch zulassen. Jason kommt ja, wenn man sich die frühen Sachen vor den Sleaford Mods anhört, aus einer ganz anderen Ecke und hat da ja schon eine ziemliche Entwicklung hinter sich – ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht und bin selbst sehr gespannt, was in den nächsten Jahren passiert. Größer kann es ja fast gar nicht werden.

Die Band ist das eine, was aber kommt für Christine Franz als nächstes?
Das ist eine gute Frage, die ich mir selbst fünfmal am Tag stelle. [Lacht.] Die Arbeit am Film in den letzten Jahren hat bei aller Anstrengung wahnsinnig viel Spaß gemacht, also schaue ich mich natürlich schon um, ob wieder etwas um die Ecke kommt, das mich ähnlich reizt. Meine Eltern halten mich zwar für komplett verrückt – wo andere sich ein Auto oder eine Eigentumswohnung kaufen, habe ich ja mein komplettes Geld und Herzblut in diesen Film gesteckt. Das geht aber auch nur bei Sachen, von denen man so sehr überzeugt ist wie diese. Also warte ich einfach mal ab.

Screeningdates in Deutschland
12.07.  Frankfurt, Mal seh'n
15.07.  Esslingen, Kommunales Kino
19.07.  Freiburg, Kommunales Kino
20.07.  Hamburg, Abaton
27.07.  München, Werkstattkino
23.09.  Hannover, Kino im Sprengel

Bunch Of Kunst wird am 28. Juli um 22:45 Uhr im Rahmen einer Themennacht bei ARTE gesendet

Christine Franz, geboren 1978 im niedersächsischen Hameln, lebt und arbeitet in Berlin. Sie ist seit mehr als zehn Jahren Musikredakteurin und Autorin des Magazins TRACKS auf ARTE, hat in Hildesheim und Birmingham studiert. Für ihre popmusikalische Sozialisation sorgten der britische Radiosender BFBS (British Forces Broadcasting Services) und der Job als Bierverkäuferin aus dem berühmten Glastonbury Festival.

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