Donnerstag, 12. Mai 2016

Radiohead: Das große Ganze

Radiohead
„A Moon Shaped Pool“

(XL Recordings)

Erst kürzlich durften wir wieder lernen, dass Radiohead auch (oder gerade) unter Musikern eine große Anzahl von Verehrern haben, ein Stück von Radiohead aber für alle Zeiten nur dann eines bleibt, wenn es auch von der Band selbst gespielt, in jedem Falle aber von Thom Yorke gesungen wird. Für sein Coveralbum „Songs From The Bottom Vol.1“ nämlich hatte der nicht minder begabte Jochen Distelmeyer extra den tiefschwarzen „Pyramid Song“ vom Album „Amnesiac“ ausgewählt und ihn, man hatte es fast vermutet, mehr oder weniger verhauen. Wer immer also versucht, das Abgründige und Abgrundtiefe, das Enigmatische, Sirenenhafte dieser wahrscheinlich großartigsten Band der letzten dreißig Jahre nachzustellen, wird unweigerlich scheitern, einfach weil hier die Kopie an ihre Grenzen stößt und eine Neuinterpretation schlichtweg unnötig ist.

Dafür, dass es bei dieser Regel bleibt, haben Radiohead auch mit dem Nachfolger von „The King Of Limbs“ einiges getan. Marketingtechnisch den Kollegen ohnehin immer mindestens einen Schritt voraus, bleiben die Engländer auch stilistisch der sprichwörtliche Pudding, den an die Wand zu nageln keinem so recht gelingen will. Die elf Stücke weisen erneut eine beachtliche Bandbreite aus – von elektronisch verziertem Krautrock („Ful Stop“), jazzigem Downtempo-Funk („The Numbers“), Latino-Shuffle ("Present Tense") und sparsam instrumentiertem Indierock („Burn The Witch“/“Indentikit“) reicht der Bogen bis hin zum Drama fast schon cineastischen Ausmaßes („Daydreaming“). Wenn man sich einer Sache sicher sein darf, dann, dass sie jede noch so einfache Melodie zu einem Sog, zu einer komplexen Gesamtheit verdichten, die einen Mal um Mal verblüfft staunen läßt.



Die großen Single-Hits wie „Creep“, „High And Dry“ oder „Karma Police“ erwartet man mehr als dreißig Jahre nach Gründung von den fünfen nicht mehr, über das Stadium sind sie (ohne jede Arroganz) wohl längst hinaus. Vielmehr perfektionieren sie die Kunst, abgrundtiefe Traurigkeit mit zarten Kompositionen abzubilden und so überhaupt erst erträglich zu machen, ein jeder, der sich auf die Songs einläßt, verfängt sich unweigerlich in dem fein verwobenen Spinnennetz nahezu vollendeter Klanggebilde. Man erinnert sich wie bei den Alben zuvor letztendlich weniger an die Einzelteile, sondern an das Gesamtwerk, was eine ungleich größere und sehr seltene Leistung darstellt.

Thematisch befassen sich die Stücke auf „A Moon Shaped Pool“ wieder mit den großen Verlustängsten unserer Tage, die der Lebensgrundlage im Hinblick auf die klimatischen Verwerfungen („The Numbers“) oder die seelische Vereinsamung, Enttäuschung, Verlassenheit eines jeden Menschen selbst („Daydreaming“). In diesem Zusammenhang soll unbedingt auf „True Love Waits“ verwiesen werden, eine akkustische Gitarrenballade ganz am Ende der Platte. Auskenner werden lange wissen, dass dieser Song schon zwanzig Jahre auf dem Buckel hat und somit endlich, wie ein Netzportal schrieb, ein würdiges Zuhause gefunden hat. Es ist zwar eher ungewöhnlich, Lieder nach so langer Zeit noch auf den Schild zu heben, andererseits weist es Radiohead und ihr Werk als das aus, was es schon lange ist: zeitlos schön. http://www.radiohead.com/deadairspace/

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Aaah... danke für diesen hymnischen Post, du bringst es auf den Punkt. A.