Donnerstag, 25. Februar 2016

Santigold: Projektprinzessin

Santigold
„99¢”

(Warner)

Man kann sich das wahrscheinlich so vorstellen, dass da ein aufgedrehtes Mädchen in seinem bis unter die Decke gefüllten Zimmer wild juchzend von einem bunten Spielzeug zum nächsten rennt, hier drückt, dort draufhaut und seine Begeisterung kaum zurückzuhalten vermag. Nun ist Santi White alias Santigold mit knapp vierzig Jahren dem sorglosen Kindesalter zwar schon längere Zeit entwachsen, die damit verbundene Ruhelosigkeit und Begeisterungsfreude hat sie sich allerdings bis ins Heute bewahrt – seit Beginn ihrer Musikerkarriere mit der Single “L.E.S. Artistes” (2008) braucht sie die Veränderung und Abwechslung wie die Luft zum Atmen, war die freie Entscheidung über Stil und Ausrichtung ihr wichtigstes Kriterium, ihr Markenzeichen. Es ist also keineswegs verwunderlich, dass an ihrem neuen, dritten Album eine Vielzahl unterschiedlichster Produzenten und Kollaborateure beteiligt waren, neben Rostam Batmanglij von Vampire Weekend finden sich noch Namen wie Dave Sitek (TV on the Radio), Zeds Dead, Patrik Berger und Justin Raisen auf der Paylist. In dieser illustren Runde entstand eine teils gefällige, teils wunderbare Mixtur, so bunt wie das Albumcover des japanischen Fotokünstlers Hal (für welches Santigold, keine kleine Leistung, mal ganze zehn Sekunden die Luft anhalten musste). Dubstep, Afropop, TripHop, Elektropunk, ihr Projekt, wie sie es nennt, kennt kein Limit und über weite Strecken gelingt es ihr auch, die Zuhörer in ihren Bann zu ziehen.

In “Rendezvous Girl” klingt sie wie die jüngere Schwester von Kim Wilde, ein paar Takte später empfiehlt sie sich für die Begleitung synthetisch-vertrackter Schwergewichte von Massive Attack (“Before The Fire”/”Outside The War”), das selbstverliebte Duett mit iLoveMakonnen ist ebenso herrlich wie die böllernden Bässe bei “Big Boss Big Time Business”. Nach Themen musste Santigold nicht lange suchen – wer nicht allzu verschlafen durch’s Leben geht, dem sollte nicht entgangen sein, dass sich in den letzten Jahren vieles verändert hat, Medienkonsum, Beziehungsverhalten, Selbstverwirklichung, Frauenbild und Armutsschere, all das verpackt sie (nicht eben tiefgreifend, aber für ihre Zwecke recht wirkungsvoll) unter der dekorativen Blisterhülle. Und nicht von ungefähr zählt Claire Boucher aka. Grimes zu den wichtigsten Vorbildern, der amerikanischen Vogue diktierte sie kürzlich folgendes Statement: “In pop music there should be so much more variety in the female artists that we see on that level. Something is very imbalanced. You should know that you have other things to offer as a woman than just your body. I don’t think the message is clear at all. I think female talent is not highlighted very much. I’d like to see that change.” Ein Wunsch, dem sie mit diesem Album garantiert ein Stück näher kommt. http://tumblr.santigold.com/

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