Sonntag, 31. Oktober 2010

Gehört_204



Christiane Rösinger „Songs Of L. And Hate“ (Staatsakt)
Sieht fast so aus, als würden zwei der anregendsten Platten deutscher Sprache in diesem Jahr aus der Hauptstadt kommen – und damit sind ganz sicher nicht die Helden gemeint, deren neuestes Werk sich eher zwischen „naja“ und „passt schon“ niederließ. Gerade erst das aktuelle Album von Mutter gelobt, da kommt auch Christiane Rösinger, früher hauptamtlich bei den Lassie Singers, heute bei Britta am Mikrofon, mit einer Soloplatte daher, die einen staunen und innehalten läßt.

Irgendwie müssen die Gemeinsamkeiten bei Geburt und Herkunft der beiden Wahlberliner – sowohl Max Müller als auch Christiane Rösinger sind Anfang der sechziger Jahre in der deutschen Provinz aufgewachsen, Müller im niedersächsischen Wolfsburg, Rösinger im schwäbischen Rastatt – irgendwie müssen diese Verbindungen zu einer Art seelischem Gleichklang geführt haben. So jedenfalls ließe sich erklären, dass sowohl „Trinken Singen Schiessen“ von Müllers Mutter als auch „Songs Of L. And Hate“ von Rösinger auf eine frappierend ähnliche Weise ein stetes Unwohlsein, einen greifbaren Unfrieden und eine fast schon deprimierende Sicht der Dinge in ihren Liedern illustrieren, dass es beide zudem bewußt vermeiden, dem Hörer Trost schenken zu wollen und falsche Hoffnungen zu wecken.

Wo Mutter dies mit roher, dunkler Wucht gelingt, beschränkt sich Christiane Rösinger auf eine kammermusikalische Variante, stellt neben ihre größtenteils freudlosen und überaus gescheiten Worte wenig mehr als ein schlichtes Piano, eine akkustische Gitarre und ein zurückhaltendes Schlagwerk auf die spärlich beleuchtete Bühne – ganz die klassische, selbstbewußte Liedermacherin, ganz ohne jeden überflüssigen Tand.

Wenn das erste Lied „Ich muß immer an dich denken“ mit seiner schrulligen, unentschiedenen Sehnsucht noch vergleichweise versöhnlichen Charakter trägt, sind die Nachfolger „Es geht sich nicht aus“ und „Desillusion“ schon von deutlich pessimistischerer Grundstimmung – „Du hast dir deinen Reim und dein Bild gemacht, dann kommt die Wirklichkeit und sagt: Falsch gedacht!“ – da schwingt schon ein gehöriges Stück Altersweisheit und Ernüchterung mit. Das fabelhafte „Berlin“ gibt den grantigeren Nachfolger zum „Hamburg“-Lied der Lassie Singers, war ersteres noch eine betont liebevolle, so ist letzteres eher eine recht zweifelhafte Liebeserklärung. „Wenn die Ökoeltern sich zum Brunchen treffen, und die Arschlochkinder durch die Cafés kläffen, wenn der Service hinkt und’s nach Babykotze stinkt, ja dann sind wir wieder in Berlin“ – das hätte Judith Holofernes, die hochgejazzte Königin der hauptstädtischen Alternativbiotope, sicher etwas anders zu Papier gebracht – grandios!

„Verloren“ wiederum gibt ein erschreckend vollständiges Nachschlagewerk für all jene, die schon mal versucht haben, positive, verheißungsvolle Worte mit den Vorsilben „ver“ oder auch „un“ zu finden, auch „Sinnlos“ macht seinem Titel alle Ehre – „Es ist ja alles so sinnlos, das hält ja gar kein Mensch mehr aus, da muß man sich doch einfach hinlegen, oder man steht erst gar nicht auf.“ Kämen danach nicht mit „Hauptsache raus!“ und dem berückenden Jackson-Brown-Cover „These Days“ zwei melancholische und vergleichsweise fröhliche Stücke, man hätte fast einen Notruf setzen wollen. So verklingt diese wundervolle Platte mit einer Mischung aus buchstäblicher Enttäuschung und störrisch beharrlichem Selbstbehauptungswillen und der anrührende Heine-Spruch aus dem Booklet läßt einen versonnen nicken: „Als ich euch meine Schmerzen geklagt, da habt ihr gegähnt und nichts gesagt, doch als ich sie zierlich in Verse gebracht, da habt ihr mir große Elogen gemacht.“ Haben wir, keine Frage.
http://www.christiane-roesinger.de/

Dienstag, 26. Oktober 2010

Gehört_203



Small Black “New Chain” (Jagjaguwar)
Gern möchte man wissen, nach welchem System die eifrigen A&R-Berater jungen aufstrebenden Indiehoffnungen Maßgebliches wie Bandnamen und Covergestaltung zum Debüt antragen, um den Neulingen die besten Käuferschichten zu sichern. Ein “Black” im Namen sollte in diesen Überlegungen schon mal als gesetzt gelten, das kann nie schaden und gilt bei einschlägig sozialisierten Zielgruppen schon mal gern als erster Widerhaken. Wenn man, wie die neueste Entdeckung aus Brooklyn, dazu noch hauptsächlich auf Elektronik setzt, kann ein behutsamer Hinweis auf die Altväter der Szene so falsch nicht sein –manches Kind der 80er wird beim Blick auf die Plattenhülle natürlich sofort an Depeche Mode’s Klassiker “Master And Servant” denken müssen, auch da zierten mächtige, stilisierte Kettenglieder die Verpackung.

Sei’s drum, die vier Jungens aus New York haben mit dem eher schwerblütigen und monochromen Synthiepop aus dem England vor der Jahrtausendwende sonst recht wenig am Hut. Und wenn schon eine Referenz, dann vielleicht New Order zu Zeiten ihres sträflich unterschätzten “Low-Life”-Albums aus dem Jahre 1985. Small Black klingen experimenteller und verspielter als viele der ihnen angedichteten Vorbilder, Synthieflächen mäandern wie beim symptomatischen Opener “Camouflage” als Hintergrund zu leicht vernebelter, hallender Stimme durchs Bild. Aus dem Hause Jagjaguwar ist man mit Black Mountain und den Pink Mountaintops harte Psychedelia durchaus gewohnt, Small Black ergänzen das Labelprofil nun noch um eine Art von schwelgerischem LoFi-Sound. Stücke wie das überdreht pulsierende “Photojournalist” oder das dunkel schimmernde “Light Curse” taumeln leicht angetrunken durchs Licht der guten alten Lavelampe, ohne auf skelettierende Drumparts zu verzichten. Ein richtiges Singleformat sucht man auf “New Chain” allerdings vergebens, einzig “Crisp 100s” wirkt etwas straighter und kantenärmer, eingängiger.

Kein Vergleich also mit dem kalkulierten Epigonentum der Starschnittboys von Hurts, auch die sympatischeren The Drums tanzen mit ihrem juwenil perlenden Dancepop auf einer anderen Hochzeit – Small Black kommen, um im Bilde zu bleiben, höchstens später zum Fest und nehmen sich den Teil der Nacht, der seit jeher der interessantere ist, vor dem all die Kleiderständer und Suppenkasper schon immer kapituliert haben.
http://www.myspace.com/smallblacksounds

Montag, 25. Oktober 2010

Gehört_202



Mutter „Trinken Singen Schiessen“ (Die eigene Gesellschaft)
[Sie machen es einem nicht einfach. Für jemanden, der es gewohnt ist, komplette Alben in nullkommanix aus dem Netz zu laden, der zumindest annimmt, dass der digital nicht verfügbare Tonträger wenigstens bequem aus dem Sortiment der großen Onlinehändler zu beziehen ist, ist das schon eine Umstellung. Um das aktuelle Album der Berliner Band Mutter, dessen Manufaktur unter anderem über eine Art persönlicher Schuldverschreibung finanziert wurde, schließlich in Händen halten zu können, muß man schon den klassischen Mailorderweg gehen: Katalog anschauen, auswählen, überweisen, Postweg – warten. Für den eingefleischten Fan sicher keine große Sache, für den verwöhnten Quereinsteiger gewöhnungsbedürftig. Nebensache.]

Sie machen es einem nicht einfach. Für jemanden, der sich das Falsche und Verfahrene unserer Gesellschaft in den letzten Jahren von Tocotronic, Blumfeld, Element Of Crime, Knyphausen oder van Dannen ausleuchten ließ, sind die Songs von Mutter entschieden schwerer zu verdauen. Natürlich gab es früher die Fehlfarben, gab es Ton Steine Scherben, aber das war früher – andere Zeiten, lange her. Aber nach ein paar Takten „Trinken Singen Schiessen“ wird einem gewärtig, dass die Zeiten doch eigentlich nicht wirklich besser geworden sind, dass es noch und immer wieder eine Menge Dinge zu benennen gilt, die mehr als übel laufen und dass man nur ab und an vergißt, einen längeren Gedanken daran zu verschwenden.

Mutter tun das. Und sie singen davon und es klingt, trotz der bleischweren Akkorde und der pechschwarzen Verse wirklich gut. Es klingt richtig, nicht abgeschmackt, es tut zuweilen weh (und soll es wohl auch), es will keine falsche Hoffnung wecken, den Schmerz nicht lindern und ist doch eben deshalb klar und wahrhaftig. Hier wird nicht ständig die Metapher bemüht, wenn Unangenehmes droht, lieber eine Gerade vor den Kopf oder tief in die Magengrube, lieber ausgekotzt als Falsches hinuntergeschluckt. „Leben heißt das Loch das mich als Durchfall hat“, es gab weiß Gott schon herzlichere Begrüßungen – nicht so bei Mutter. Die Liebe in „Eins“ ist ein Schreien, ein Explodieren und hat so gar nichts romantisches, wärmendes mehr. „Die Alten hassen die Jungen“ muß nicht viel erklären, der Lauf der Zeit als kompromissloses Gegeneinander „… bis die Jungen die Alten sind.“

Jeder Song hat solche kleinen bösen Sätze parat: „Bin ich der Einzige, der so denkt wie ich?“ (Wohlstandspsychatrie), „völlige Talentfreiheit verstärkt den Ehrgeiz, die Energie mitzuhalten, present zu sein …“ (Mach doch einfach), „Das Geschrei nach der absoluten Sicherheit, dem ganz privaten Schutz, ist es das, was wir für Freiheit halten?“ – man hat den Eindruck, hier wird noch gekämpft und gerungen, mit sich, mit dem und denen da draußen, jedes Mal auf’s Neue. Keine Illusionen, Geschenke werden nicht erwartet, Mitleid ist das Äußerste: „Denn diese Welt ist nicht gerecht zu dir und sie sagt nicht dankeschön, denn diese Welt ist nicht gerecht zu dir und sie nimmt dich nicht in ihren Arm“ (Diese Welt). Eine gewisse Genugtuung wenigstens zum Schluß, Bestätigung und Mut für den Kleinkrieg, den unabänderlichen, den alltäglichen: „Und selbst ist man der Idiot, der das ewig lang erträgt, Idioten zu erklären, dass sie welche sind, kann man nicht und tut es doch – weil sie welche sind (Tag der Idioten). So gibt’s auch für das Unabänderliche einen Trost, irgendwie …
http://www.myspace.com/muttermusik

Mach's gut ...



Es liest sich wie ein Nachruf - deshalb auch an dieser Stelle nur aufrichtige Anteilnahme: Wie erst jetzt bekannt wurde, stellte SONY schon im Frühjahr diesen Jahres die Produktion des letzten Walkman in Japan ein. Warum diese Heimlichtuerei - immerhin wurden vom heiß geliebten Magnetbandkassettenabspielgerät schlappe 200 Millionen Stück verkauft? Wie viele davon allerdings mit verätzten Batteriefächern und unentwirrbarem Bandsalat kurz nach dem Kauf wutentbrannt in die Ecke gepfeffert worden sind, weiß keiner so genau. Ohne genauere Recherche ebenso unbekannt die Zahl, wieviele iPods Herr Jobs im neunten Jahr seit dessen Erfindung in Summe an seine Jünger/Innen losschlagen konnte. Man kann aber davon ausgehen, dass Jobs der Beerdigung des Walkmans eine ähnlich hohe Bedeutung beimisst wie dem Verschwinden des Waschmittels ATA aus den Supermarktregalen der vereinigten Republik.
http://de.wikipedia.org/wiki/Walkman

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Gehört_201



Bryan Ferry “Olympia” (Virgin)
Über die wahren Gründe für diese eigentümliche Anhäufung kann natürlich nur spekuliert werden. Weniger gottesfürchtige Zeitgenossen mögen sich vorstellen, dass der große alte Mann im Jenseits diversen großen alten Männern im Diesseits eine Art Rundmail inklusive drohender Einberufung geschickt haben mag, versehen mit der unmissverständlichen Mahnung, dass nur eine nach göttlichem Ermessen hochwertiges, künstlerisch anspruchsvolles Alterswerk das Datum des Stellungsbefehls um ein weniges nach hinten zu schieben vermag. Und so warfen denn auch alle diese betagten Männer hektisch ihre Kreativmotoren an und versuchten sich um den Aufschub verdient zu machen – Neil Young, Phil Collins, Joe Cocker, Elton John, Eric Clapton, Elvis Costello, Carlos Santana, Prince und nun auch Bryan Ferry.

Wie denn nun das Urteil von droben ausgefallen ist, weiß noch keiner so genau, Prince hatte sich wahrscheinlich in Kenntnis seiner verrufenen und unzweideutigen Prosa keine großen Chancen ausgerechnet, Phil Collins und Santana sollen dem Vernehmen nach schon die letzten Dinge regeln und Joe Cocker hat wie jedes Jahr seine Fristverlängerung problemlos erhalten, da auch das Gehör des Schöpfers und die Nerven seiner Mitarbeiter ihre Grenzen kennen.

Um Bryan Ferrys Chancen sollte es nach der „Einsendung“ von „Olympia“ nicht so schlecht bestellt sein. Schon bei der Auswahl des Covermotivs hat der alterslose Dandy durchaus Geschmack bewiesen, denn wie seine Musik weist auch Modelikone Kate Moss einiges an Brüchen und Zwischentönen in ihrer Vita auf und kann doch mit unbestrittener Anmut überzeugen. Den Anfang macht ein alter Bekannter – „You Can Dance“ war ja schon auf DJ Hells letztem Opus als technoid flirrender Monstertrack vertreten, jetzt mit gezogenem Stecker plus Unterstützung durch Gitarrenquäler Flea ein gelungenes, wenn auch eher untypisches Stück. Den Wiedererkennungspart erledigt dann das smarte „Alphaville“, das ähnlich wie die später folgenden „No Face, No Name, ...“ und „Reason Or Rhyme“ exemplarisch für die unverwechselbar distinguierte, unterkühlte Note Ferrys steht.

Dabei steht bei diesem Album eher Ferry Wandlungsfähigkeit im Vordergrund – mit einer beachtlichen Gästeliste gestartet, springt der makellos Gestylte gekonnt zwischen den Stilen resp. Stühlen einher und kann in vielerlei Spielarten überzeugen: ob soulig getragenes „Me Oh My“ mit Brian Enos und David Gilmours Veredelungskünsten oder satter Dance im ebenfalls schon vorveröffentlichten „Shameless“ zusammen mit der Groove Armada, es mag ihm nichts misslingen. Allein der als Höhepunkt gepriesene „Song To The Siren“ von Tim Buckley lässt trotz reichlicher Starbesetzung durch die leicht aufpolierte Oberfläche etwas an Herzblut und Tragik vermissen, aber selbst das kann man Ferry nicht wirklich zum Vorwurf machen. Dagegen war er immer ein Mann des Grooves und den bekommt er – siehe „BF Bass“ – noch immer problemlos auf die Bretter gezwungen. Zum Schluss mit „Tender Is The Night“ noch eine gefühlvolle Pianoballade für’s Poesiealbum, für Ferry ein scheinbar müheloses Kunststück.

Textlich bleibt er der sinnliche, melancholischer Charmeur, ein liebevoller Schwerenöter, ein Frauenversteher, einer, den lyrisches Schwelgen nicht alt aussehen lässt. Ob das Album nun ein großer, ein gewichtiger Wurf geworden ist, wird wohl wieder nur der alte Mann mit dem langen Bart beantworten können. Ferry selbst hat zum Thema „Perfektion“ ohnehin eine klare Meinung: „Das Wort gefällt mir nicht. Perfektion ist nicht zu haben.“ Recht hat er.
http://www.bryanferry.com/

Gefunden_80



Die Tea-Party-Bewegung in Amerika ist momentan nicht zu Unrecht in aller Munde, da irritiert es natürlich nicht wenige, letztens Maureen "Moe" Tucker, legendäre Schlagzeugerin der ebenso legendären Velvet Underground in diesem Zusammenhang über den Bildschirm flimmern zu sehen, versehen mit der Unterschrift "Tea Party Supporter". Dass die Frau sich bei genauerem Hinhören sehr wohl (und wie erwartet) ihre höchst eigenen Gedanken macht, läßt sich anhand ihrer Wortmeldungen bestens dokumentieren.

"My family was damn poor when I was growing up on Long Island. There were no food stamps, no Medicaid, no welfare. If you were poor, you were poor. You didn't have a TV, you didn't have five pairs of shoes, you didn't have Levis, you didn't have a phone; you ate Spam, hot dogs, and spaghetti. We all survived! I am not against food stamps, welfare or Medicaid, if only they would oversee these programs properly!"
...
"It drives me nuts to see that X millions are being allocated to build a turtle tunnel, a donkey museum, a salamander crossing, etc, etc, etc."
...
"Anyone who knows me knows that I'm not a fool, a racist, a Nazi. Anyone who knows me knows I'm afraid of flying, afraid of bugs, but not afraid to say what I think."

Kein Grund also für künstliche Aufgeregtheiten ...

Mittwoch, 20. Oktober 2010

Heirat in Braun/Weiß?



Etwas wirklich Witziges will mir zu dieser Meldung einfach nicht einfallen - vielleicht schon der gefürchtete Writers Block? Kann aber auch daran liegen, dass der Herzensverein zuweilen Dinge tut, die schon bei denen, die länger als "established" gelten, mehr als schal wirkten. Da nützen dann auch die hippe Agentur und die musikalische Untermalung nix mehr.

Dienstag, 19. Oktober 2010

DFW_US: 208 f.



Videotelefonie: "Bei den guten alten traditionellen Telefongesprächen konnte man sich der Illusion hingeben, der Gesprächspartner schenke einem seine ungeteilte Aufmerksamkeit, während man selbst ihm nicht im entferntesten so aufmerksam zuhören mußte. ... Aber - und das war im Rückblick der eigentlich großartige Teil - auch wenn man seine Aufmerksamkeit zwischen dem Telefongespräch und allen möglichen anderen fugueähnlichen Tätigkeiten aufteilte, beschlich einen irgendwie trotzdem nie der Argwohn, die Aufmerksamkeit des Menschen am anderen Ende der Leitung könnte ähnlich geteilt sein. ... Das Videotelefonieren ließ diese Fantasie kollabieren."

Montag, 18. Oktober 2010

Gehört_200



Styrofoam „Disco Synthesizers & Daily Tranquilizers" (Excelsior)
Gut, wie ein Platte mit erlesener alternativer Tanzmusik sieht die neue Styrofoam nicht gerade aus, das Cover erinnert eher an Hornbachs neuesten Handwerkssampler oder maximal an eine Remix-Edition der aktuellen Eels-CD. Aber wenn man sieht, welch illustre Schar an Namen selbst Wikipedia unter der etwas fragwürdigen Subsumierung ‚Indietronics’ versammelt, dann wird klar, dass man nicht der einzige ist, der hier gewisse Zuordnungsschwierigkeiten hat.

In den Topf, in welchem der belgische Remixer Arne van Petegem aka. Styrofoam köchelt, sollen nämlich auch noch The Notwist, The Postal Service, Hot Chip, The Knife, Lali Puna und Stereolab passen, um nur die bekanntesten zu nennen. Alles ehrenwerte Adressen, fraglich nur, wie sie miteinander zu verschrauben sind. Was ist ‚indie’, wie ‚tronic’ muss man sein, um dazuzugehören – eine müßige Diskussion.

Besser man nähert sich „Disco Synthesizers …“ über die Labels, die sich um elektronisch verstärkte Tanzmusik in den letzten Jahren verdient gemacht haben, also Warp, Mute, Morr Music oder auch Ladomat2000 und Too Pure. All jene also, die im Portfolio eine erkleckliche Schar an ähnlichen ambitionierten Talenten und Rohdiamanten führen und keine Mühen scheuen, diese auch Jahr um Jahr über die Bühnen und Festivals dieser Welt zu scheuchen. Wobei Styrofoam fast schon ein alter Hase unter einer Menge Grünohren ist.

Seine aktuelle Platte ist grundsolider und sehr eingängiger Dancefloor, ergänzt um mal butterweiche, mal aufgeraute Gitarrenparts, größtenteils downtempo und größtenteils sehr gelungen. Das satte „Get Smarter“ marschiert ordentlich drauflos und hat noch dazu einen recht niedlichen Kinderchor im Gepäck, zusammen mit dem ebenfalls starken „Extra Carefull“ würde es wohl auch auf einer aktuellen New Order seinen Platz finden. „Kids Of Acid“ erinnert dann an einen weiteren Vertreter aus dem Indietronic-Regal, die leider etwas verblassten She Wants Revenge von Teilzeit-DJ Justin Warfield.

Richtig hart oder unangenehm wird van Petegem trotz der vorsichtigen Nähe zur ehemals hoch gehandelten Electronic Body Music der 80er nicht, einzelne Stücke wie zum Beispiel „Mile After Mile“ starten zwar mit harschen Tönen, entpuppen sich aber später als recht gemäßigte Nummern, das entschleunigte „Am I The Ghost“ wiederum hätte eine bessere B-Seite für Depeche Mode hergegeben – auch nicht die schlechteste Referenz. Am Ende übertreibt es der Meister ein wenig, „Believe Everything“ fällt leider etwas ins verschmust Mobyeske. Was aber nicht weiter ins Gewicht fällt, der Gesamteindruck bleibt ein durchweg positiver.
http://www.myspace.com/styrofoam

Gefunden_79



Natürlich wird mancher fragen: Warum gerade dieses Video? Nun, zum einen ist der Song "New Orleans" der weiter unten gepriesenen Former Ghosts ein wirklich wunderbares Stück PostWave, zum anderen gefällt die ostentativ dargestellte Bedeutungslosigkeit der Handlung, die bewußt keine große Kunst sein will und es möglicherweise dadurch gerade wird - vielleicht ist es aber auch einfach nur schön anzuschauen ...

Sonntag, 17. Oktober 2010

Gefunden_78



Hach, da wird einem das Herz ganz warm bei dieser Nachricht: Zusammen mit Interpol sind kürzlich die Pixies aus Anlaß der geglückten Rettung der 33 verschütteten chilenischen Bergarbeiter im Autodromo Hermanos Rodriquez/Mexiko City auf die Bühne gegangen und haben - klar, 33 Songs gespielt. Fünf davon gibt es nun gratis als Live-Download zu haben, dazu noch ein Video und es wird wieder einmal klar, warum eine Hallentour in Europa dringlicher denn je ist.

Hola From Mexico City/Foro Sol/Autodromo Hermanos Rodriquez
Dancing The Manta Ray
Monkey Gone To Heaven
Crackity Jones
Gouge Away
La La Love You (+ Video)

Zu finden unter: http://pixiesmusic.com/interpol.html

Donnerstag, 14. Oktober 2010

Gehört_199



Belle And Sebastian “Write About Love” (Rough Trade)
Auch wenn mancher Fan das vehement bestreiten wird – man kann wahrlich nicht behaupten, dass sich die Briten von Belle And Sebastian in den fast fünfzehn Jahren ihres Bestehens wesentlich verändert hätten. Gut, der Fortgang von Isobell Campbell war ein herber Verlust und die zaghafte Hinwendung der Band zum Artrock der 70er hat auch nicht jedermann mit Beifall bedacht. Im Grunde jedoch ist das Kollektiv um Mastermind Stuart Murdoch sich und seinem Sound immer treu geblieben, noch immer buchstabiert man Indiepop wie ein französisches Kinderbuch, noch immer machen sie Musik für Kassettenmädchen mit stetem Hang zum Überzucker – die Töne weich, die Stimmen sanft, die Cover in warmer Duplex-Optik: Bei Belle And Sebastian weiß man, worauf man sich einlässt und man bekommt es auch mit dem aktuellen Album fast auf den Punkt serviert.

Elf neue Songs, bei denen man fast immer das Gefühl hat, man kenne sie schon ewig und sie wären einem nur kurzzeitig abhanden gekommen – schon der erste „I Didn’t See It Coming“ ist wie Nachhausekommen: „Make me dance, I want to surrender, your familiar arms I remember … but we don’t have the money, money makes the wheels and the world go round, forget about it, honey.” Es ist diese selbstvergessene Unbekümmertheit, die einen sofort einfängt und für den Rest der Platte nicht mehr loslassen will. Nicht beim poppigen „Come On Sister“ und auch nicht beim urbritisch bitterbösen „Calculating Bimbo“, das daherkommt wie ein Wolf im Schafspelz, spitze Nadeln verpackt in watteweiche und träge Töne.

Aus dem Muster fallen einzig das etwas überflüssige Duett mit Norah Jones – sie will mit ihrem vergleichsweise harten Timbre so gar nicht ins Gesamtbild passen, der soulige Sound klingt zudem fast gewöhnlich balladesk, auch das verspielte, aufgekratzte „I’m Not Living In The Real World“ wirkt etwas deplatziert. Geschenkt – der mehrheitliche Rest entschädigt bestens.

Das wunderbare „I Want The World To Stop“ gehört schon jetzt zum offiziellen Bandkanon, der Titelsong ist eine satte Sixtees-Nummer, das blumig lyrische Traumlied „Ghost Of Rockschool“ wandert nahe an der Grenze zum Kitsch, ohne sie jedoch zu übertreten. Beim fast mittelalterlich anmutenden „Read The Blessed Pages“ darf man raten, wessen Abschied Murdoch da betrauert – auch ohne Auflösung bleibt es ein stilles Vergnügen. Das zauberhaft träumerische „I Can See Your Future“ macht den Abschied von Campbell dann mehr als erträglich, Sarah Martin trällert munter in Begleitung majestätischer Hörner, auch dieses Lied schon jetzt ein Klassiker.

Ein Hoch auf die Verlässlichkeit also, Belle And Sebastian schaffen das Erwartete, ohne langweilig zu sein und manchmal bringen sie noch immer das Herz zum überfließen. Das mag fürchterlich dick aufgetragen klingen, jedoch: Wer’s selbst erlebt hat, wird’s aushalten.
http://www.belleandsebastian.com/

Mittwoch, 13. Oktober 2010

Gehört_198



Antony & The Johnsons „Swanlights“ (Rough Trade)
Die Frage nach dem passenden Format stellt sich ja heutzutage leider nur noch allzu selten, oft ist der – hoffentlich legale – Download der schnellste und bequemste Weg, keine langen Wege, alles gleich zur Hand und das Dank technischen Fortschritts mittlerweile auch in vergleichsweise ansprechender Qualität. Wer sich aber für den Kauf des aktuellen Albums von Antony Hegarty entschieden hat, sollte kurz einen Gedanken daran verschweden, vielleicht doch zur CD oder besser noch zum altehrwürdigen Vinyl zu greifen. Und das nicht nur wegen des kunstvollen Klappcovers oder der angenehm schweren 180g-Pressung.

Wer Antony & The Johnsons hört, dem unterstellt man, dass er sich Zeit und Muße nehmen will für diese hauchzarte, entrückte Kammermusik – und selbige/r vermag vielleicht auch der scheinbaren Mühe des aus dem Gebrauch gekommenen Plattenhörens noch ein Vergnügen besonderer Art abzugewinnen. Abgesehen von der unschlagbaren Soundqualität könnte man mit dem feierlichen Prozedere dem Künstler ein Stück weit die verdiente Ehre und Dank erweisen, was mit dem flüchtigen Datenstream weitaus schlechter zu bewerkstelligen ist.

„Swanlights“ also – ähnlich groß und doch zerbrechlich wie der Vorgänger „The Crying Light“, trotz der teilweise orchestralen Begleitung (Ghost/Salt Silver Oxygen) vielleicht noch ein Stück reduzierter, puristischer. Die Lieder erneut mehr Stücke im althergebrachten, kompositorischen Sinne denn Songs, manche fragmentarisch anmutend wie das abrupt endende „Ghost“, vieles angelegt als scheinbar transparente, zellfaserfeine Meditationen. Wenn beim scatartigen „I’m In Love“ im Hintergrund ein zaghaftes Pluckern einsetzt, so ist das schon fast übertriebene Spielerei – Hegartys Vortrag lebt wie immer von seinem falsettartigen Gesang und musikalisch eher vom Weglassen als vom Draufsetzen.

Der Titelsong „Swanlights“ betört mit jenseitigen Mysterien und vibrierendem, zuweilen orientalisch anmutendem Tongeflecht, das rästelhafte, fragende „The Spirit Was Gone“ gleicht einer spirituellen Totenwäsche – verstörend. Dagegen wirkt die Single „Thank You For Your Love“ geradezu frohgemut und gegen Ende regelrecht ausgelassen. Und auch die fast zwangsläufig entstandene stimmliche Paarung zweier auf ähnliche Weise versponnener Seelen wie Hegarty und Björk bei „Fletta“ ist nur teilweise zurückhaltend, der Refrain, falls man ihn so nennen will, gerät kraftvoller und beschwingter als man es anfangs vermutet.

„Christina’s Farm“ am Ende ein bildgewaltiger Tagtraum, ein fast achtminütiger Minnegesang, der den Text des ersten Stückes „Everything Is New“ wieder aufnimmt und sich zu einem wunderbaren Crescendo emporschwingt, um dann im Nichts zu verhallen. Antony Hegarty erweist sich mit „Swanlights“ einmal mehr als bezaubernder Grenzgänger zwischen U und E, auch mit diesem neuen Album gelingt ihm wieder ein anrührendes Meisterwerk.
http://www.antonyandthejohnsons.com/

Dienstag, 12. Oktober 2010

Hören+Sehen



Grinderman, Muffathalle München, 10. Oktober 2010
So sieht er aus - Dein Albtraum: Du bist eine angehende Edelfeder auf dem Weg nach ganz oben, doch noch ist dieser Weg steinig und mühsam und will durch täglichen Kampf bewältigt werden. Mit Deinem Ressortleiter, dem Du letzte Woche sogar die Hand schütteln durftest, kommst Du zwar nicht so ganz klar, doch als es am Morgen in der Konferenz ans Aufgabenverteilen geht, eröffnet er Dir, dass am Abend der Hauptgewinn auf Dich wartet: Rocklegende, alter Haudegen, Besessener, samt legendärer Band, schon öfter totgesagt und trotzdem unkaputtbar, gilt als schwierig, aber auf der Bühne als genial, kommt mit neuer Platte - ja, Du kennst die Tourkalender auswendig, bist auf dem Laufenden, bestens informiert. Und als Du dann freudestrahlend Deine Pressefreikarte in Empfang nehmen darfst und einen verlegenen Dank verschluckst, weil das eher peinlich ist für einen zukünftigen Star am Journalistenhimmel, setzt mit dem Blick auf das Ticket eine Art entsetzte Schockstarre ein. Denn da steht nicht "Grinderman/Muffatwerk", sondern "Westernhagen/Olympiahalle". Und als ob das nicht genug wäre, fügt der Chef lakonisch hinzu: "Den Cave macht der Praktikant."

Was Du also nicht mitbekommst: Vollbesetzte Halle, angenehm rauchfrei, und eine Band, die loslegt wie der Teufel. Was insofern witzig ist, als dass alle vier ausschauen, als seien sie geradewegs von den Passionsspielen in Oberammergau in die Großstadt gekommen, Hair-Bluesrock sozusagen. Nächster Eindruck: Laut. Und zwar richtig. Die Grinderman lassen keinen Stein auf dem anderen, ungestüm wie Berserker wuchten sie einen Song nach dem anderen aus dem neuen Album - an gleicher Stelle schon ausreichend gewürdigt - auf die feuerroten oder gleißend hellen Bretter. Cave schreit, barmt, schimpft und jault sich wie erwartet die Seele aus dem Leib, Warren Ellis gibt das wahnsinnige Rumpelstilzchen, den Schachtelteufel, bewaffnet mit Rassel, kratziger Violine und einer Vielzahl an kreischenden Gitarren. Keiner schont sich, es wird geschwitzt und auch mal in die Ecke gespuckt - der Job ist hart und sie machen ihn gut.

Großartige Variationen sind nicht zu erwarten, die neuen wie auch die alten Stücke sind gewaltig und ohrenbetäubend genug, Atempausen werden kaum gewährt. Egal ob "Heathen Child", "Worm Tamer", "Palaces Of Montezuma" oder "Evil" - alles packt zu, wird zerlegt und rauft sich wieder zusammen, eine Tour de Force ohne jede Gnade. Der schonungslose "No Pussy Blues" darf ebensowenig fehlen wie das anfeuernde "Get It On" - gebremster einzig "What I Know" und das etwas ältere "Man In The Moon". Am Ende dann als Dreingabe noch der rüttelnde, kraftstrotzende und blutrote "Grinderman"-Song, mehr wäre kräftemäßig wohl auch nicht dringewesen. Überzeugt, überwältigt und wirkt wie eine gehörige Tracht Prügel, für die man auch noch freiwillig Geld auf den Tresen gelegt hat. Und Westernhagen? War auch da ...

Montag, 11. Oktober 2010

Gehört_197



Kings Of Leon „Come Around Sundown“ (RCA)
Die Kings Of Leon haben in den Jahren seit der Gründung ihres schmissigen Familienunternehmens eine sagenhafte Performance aufs Parkett gelegt und man könnte sie, würden sie als Aktie gehandelt werden, zweifellos als grundsoliden Anlagetipp empfehlen. Die Chartplatzierungen ihrer bisherigen vier Alben kletterten, so sie nicht gleich, wie bei den stets etwas gescheiteren Briten, die Spitze markierten, in den USA und Resteuropa kontinuierlich nach oben, die gebuchten Hallen wurden größer und die Touren länger. Man sollte meinen, Vater Followill könnte als ehrenwerter und ehrgeiziger Wanderprediger stolz sein auf seine Jungs.

Doch wie üblich hat der Erfolg auch immer einen Pferdefuß unter der Soutane, und der heißt bei den Kings schlicht: Gefälligkeit. Manch einer, der neben der Musik auch gern das Gras wachsen hört, hatte die Entwicklung schon mit dem letzten Album „Only By The Night“ geahnt, aber erst „Come Around Sundown“ wird die gewachsene Anhängerschar vor die Wahl zwischen Abkehr oder erneutem Treueschwur stellen: Keine der vorangegangenen Platten war so konsequent auf Breite, auf Masse und auf Konsens gebügelt wie die aktuelle, keine war so geschlossen und dicht produziert und keine war streckenweise so – ja, langweilig.

Nach dem schönen Eingangsgag, einen schwermütigen Song mit Namen „The End“ an den Anfang eines Albums zu stellen, hält leider schnell der stadiontaugliche Durchschnitt Einzug – die vollgepackte Single „Radioactive“, das schluchzende „Pyro“, das schunkelnde „Mary“, alles recht mediokrer Südstaatenrock ohne viel Esprit. Vorbei die Zeiten, in denen Caleb Followill sich für den Hörer noch die Stimmbänder wund bellte, vorbei die Zeiten von gehetzten Glanzstücken wie „Pistol Of Fire“ oder „Crawl“, von solch unschlagbar dreckigen Gassenhauern wie „Molly’s Chambers“ und „Holy Roller Novocaine“. Auf „Come Around Sundown“ muß alles rund und gewichtig klingen, golden und honigsüß wie bei „Back Down South“ oder getragen und verhangen wie „The Immortals“ – das Spontane, das Wilde, der Tritt in den Hintern bleibt aus.

Dass die Kings durchaus noch gute Songs schreiben können steht außer Frage, „The Face“ ist mit reduziertem Instrumentarium ein feiner Ausreißer aus der Arenafalle, auch „No Money“ klingt zwingend und geradeheraus, zusammen mit den ansatzweise gelungenen „Pony Up“ und „Mi Amigo“ gibt die Platte also auch Erfreuliches her, auch wenn dessen Anteil am Gesamtwerk etwas ärmlich wirkt.

Vielleicht muß man mit der Großfamilie auch nicht allzu hart ins Gericht gehen, wenn man zum Kreis derer gehört, denen Fortentwicklung um ihrer selbst willen schon als Qualitätsmerkmal erscheint. Schlägt man sich wie ich aber ausnahmsweise mal auf die Seite der Bewahrer, dann ist das Album eher eine Enttäuschung. Ob darauf eine Rückbesinnung folgt wird stark davon abhängen, wie die Kings Of Leon mit dem Lob und dem Ruhm umzugehen bereit sind, ob sie beides also als Anerkennung oder doch eher als Abschreckung empfinden.
http://www.kingsofleon.com/

Freitag, 8. Oktober 2010

Eine mehr.



Eine gute Nachricht in ganz eigener Sache - seit dem 6. Okober ist Frida (dicke) da und weiß schon mit ihren Körpermaßen gehörig zu beeindrucken: 36/56/4.270 - Kopf/Länge/Gewicht. Respekt. Mehr davon bald wie gewohnt rechts ...

Dienstag, 5. Oktober 2010

Gehört_196



Former Ghosts „New Love“ (Konkurrent)
Sollte mal irgendwer eine Einheit erfinden, mit der man die gefühlte Temperatur eines Raumes bei musikalischer Beschallung bemessen wollte, wäre Jamie Stewart als Namensgeber denkbar gut geeignet. Jamie Stewart – ja, das ist der, der seelenruhig und schokoladekauend das Mantra „Dear God I Hate Myself“ daherquengelt, während sich sein aktueller Sidekick bei Xiu Xiu, Angela Seo, neben ihm liegend den spärlichen Inhalt aus dem Leib würgt – kein Video für Menschen mit nervösem Magen. Stewart jedenfalls vermag eine wohltemperierte Umgebung binnen einer CD-Länge gleichsam schockzufrosten, so dass man sich nach ein paar Minuten über Raureif und kondensierten Atem gar nicht mehr wundern muß. Jüngstes Beispiel für dieses Phänomen ist die Zusammenarbeit mit seinem Kumpel Freddie Ruppert und Nika Roza Danilova, die als Zola Jesus mit ihrer aktuellen Platte „Stridulum II“ der Nullgradmarke in diesem Jahr schon bedenklich nahe gekommen ist.

Stewart dreht den Regler im Kühlraum gleich noch ein paar Stufen runter, schon der erste Track kommt als gehexelte Synthethiktapete daher, Stimme mit viel Hall, Töne extraschräg, es geht nach unten. Spätestens bei todtraurigen „New Orleans“ hat man dann jede Hoffnung fahren lassen, beim kaltklaren „Until You Are Alone Again“ wird es zappenduster und es ist gerade mal das erste Drittel geschafft. Dass die Platte trotzdem nicht in einer freudlos morbiden Ödnis endet liegt zum großen Teil daran, dass die Former Ghosts neben all den düsteren Predigten das Tanzen nicht vergessen haben und jede Menge feiner Beats in ihre Songs hineinbasteln. Schon „Winter’s Year“ und „New Orleans“ pochen und klacken untergründig und behutsam, spätestens wenn dann „And When You Kiss Me“ schief und schnell durch die Gegend hüpft, ist die Erinnerung an Ian Curtis, Joy Division und deren Nachfolger New Order nicht mehr wegzuwischen. Auch das fünfeinhalbminütige „Taurean Nature“ pluckert dumpf und birgt einige hübsche Verziehrungen, wenn sie auch mit sehr kalter Nadel gestrickt sind.

Die Vocals von Tearists Yasmine Kittles bei „I’m Not What You Want“ wirken im Zusammenspiel mit den klaren Drumparts angenehm verhalten, der Nachfolger „Only In Time“ wird dann wieder von Danilovas markigem Timbre allein beherrscht. Stewart irritiert noch einmal in „Bare Bones“ mit einer Stimme zwischen verdrücktem Gelächter und belegtem Schluchzen, mit „New Love“ fällt zu spärlichen Pianotakten der Vorhang. Wer’s winterlich mag, ist hier bestimmt nicht falsch, alle anderen sollten sich schleunigst ein paar wärmende Gedanken machen.
http://formerghosts.com/

Montag, 4. Oktober 2010

Gehört_195



Ben Folds & Nick Hornby „Lonely Avenue“ (Warner)
Man wird jetzt oft Sachen lesen wie „Lieblingsmusiker meets Lieblingsautor“ und viele werden fragen, warum die beiden Protagonisten, die für diese Platte verantwortlich zeichnen, sich erst jetzt zu einer Zusammenarbeit entschlossen, die wie gemacht ist für Überschriften wie „If Books could sing …“ und ähnliche Schmeicheleien. Und natürlich ist es schön, wenn Sympathieträger Nummer 1, der
versponnene, quicklebendige Pianoentertainer, seit fünfzehn Jahren aufopferungsvoll tätig im Dienste des herzerwärmenden Popsongs, Sympathieträger Nummer 2 trifft, der sich als Popliterat mit einem Plus an Jahren auch schon ein Plus an Leibesfülle erarbeiten konnte und mit seinen zauberhaften Romanen seit jeher existentielle Richtlinien für’s leidige Singleleben zu vermitteln weiß – wie zum Beispiel die Empfehlung, bei einem ersten Date zunächst die Plattensammlung der Angebeteten unter die Lupe zu nehmen. Sollte sich darin nämlich Vinyl und oder Plastik von Tina Turner oder Phil Collins befinden, sei von einer Fortsetzung des Paarungsversuchs dringend abzuraten – eine nahezu zeitlos gültige Regel.

Was man allerdings bei all der wohlwollenden Reminiszenz vergisst, ist dass Ben Folds auch vor dieser umjubelten Kollaboration schon sehr feinzüngige, bissige und schwarzhumorige Lieder zum Besten gegeben hat, allein „The Unauthorized Biography Of Reinhold Messner“ wäre Fundgrube genug, anrührender wiederum als bei „The Luckiest“ oder „Fired“ vom Album „Rockin’ The Suburbs“ war er selten.

Aber wenn man sich vom Gedankenspiel löst, wer hier wohl wen eher gebraucht habe, und wenn man nach den ersten Durchläufen vergisst sich zu fragen, wer einem denn jetzt wohl diese aberwitzigen Geschichten erzählen will, der singende Ben oder doch der schreibende Nick, dann wird natürlich auch aus „Lonely Avenue“ eine sehr unterhaltsame Angelegenheit: Hier trifft Großes Kleines, alltägliche Spiegelungen kreuzen weltumspannende Schlagzeilen – alles in Schwung gehalten von Folds unvergleichlich fantasievoller und feinfühliger Begabung, die Töne wie die Bälle des Jongleurs in launigem Schwung zu halten.

Wie Hornby im ersten Song „A Working Day“ seine Selbstwahrnehmung gegen die der Öffentlichkeit stellt („ I’m a looser I’m a poser, everthing I write is shit“) ist ebenso komisch wie die traurigen Bekenntnisse von Bristol Palins Ex in „Levi Johnston’s Blues“. Trauriges („Hope is a bastard, hope is a liar“/Picture Window), Träumerisches (“I’ve got no time for detail plans ‘cause I’m too busy dreaming”/Practical Amanda) und jede Menge gedankengesäumte Liebeslieder (Claire’s Ninth, Password) – Hornby und Folds vertonen die komplette Beziehungskiste und wagen mit dem herrlichen „From Above“ sogar eine Art gemeinsames Manifest: „Maybe thats how books get written, maybe thats why songs get sung, maybe we are the unlucky ones …“ Und wenn Folds dann bei „Your Dogs“ erst den Joe Strummer gibt und später zum abgedrehten Chorus lädt, wenn er „seiner“ Liebe Saskia Hamilton, einer Poetikprofessorin, seine Verehrung und Begeisterung entgegenbellt, dann sind die anfänglichen Zweifel bald verschwunden und beide, der Autor wie der Musiker, dürfen auch weiterhin mit wohlwollender Aufmerksamkeit rechnen.
http://benfolds.com/

Freitag, 1. Oktober 2010

Gehört_194



Neil Young „Le Noise“ (Warner)
Es ist dies das Privileg ehrwürdiger Rocklegenden, auch liebevoll alte Säcke genannt, im höheren Alter Alben zu veröffentlichen, die sich wenig scheren um Marktanalysen und Hörgewohnheiten von Käuferschichten und Zielgruppen. Neil Young hat, so knapp vor der offiziellen Pensionärsgrenze, reichlich an Vita und Glaubwürdigkeit vorzuweisen, sein Backkatalog ist ähnlich umfangreich und vielfältig wie die Archive des Vatikan – der Mann darf also. Und trotzdem befällt so manchen eingeschworenen Fan ein mächtiges Zittern – was, wenn der Meister endgültig jedweder Erwartungshaltung abgeschworen hat und zukünftig nur noch solch kantige Brocken in die Runde wirft? Was, wenn sich auf komenden Alben demnächst statt der ohnehin mageren acht Titel nur noch zwei mit geschätzt jeweils zwanzig Minuten Spielzeit befänden? Endzeitstimmung?

Dafür besteht nun wirklich keinerlei Anlaß, denn wie auch das vordergründig monochrom düstere Cover vom neuen „Le Noise“ bei genauem Hinsehen viel Licht und Helligkeit offenbart, so besitzt auch die neue Platte des knurrigen Kanadiers viel Weiches, Versöhnliches und eine große Portion Melancholie. Natürlich hat jeder seine ganz eigenen Assoziationen zu diesen vierzig Minuten elektrisch verstärkter Meditation beizusteuern, nicht wenigen kommen die sagenhaften und gewaltigen Bilder von Jarmuschs „Dead Man“ in den Sinn – Birkenwälder, schwarzweiß, endlos, leinwandfüllend und allein getragen von einem unglaublichen Feedbackgetöse, welches in den besten Momenten wirkt wie ein akustischer Aderlaß, wenn es Welle um Welle vorandrängt und hinwegfegt. Man muß das mögen, klar, denn auch auf „Le Noise“ läßt Young das Gitarrenmonster heulen, gibt ihm die Sporen und jagt es ohne Gnade über seine Spielwiese aus grob geschlagenen Riffs, Rückkopplungen und experimenteller Vielspurigkeit. Und auf den ersten Blick scheinen die rauen Texturen auch das Bild dieses Albums zu bestimmen, das bittersüße „Walk With Me“ ebenso wie das sogar stimmlich verzerrte „Sign Of Love“, selbst der schwelgerische Trostgesang „Someone’s Gonna Rescue You“ ist beinharter Bluesrock.

Doch es gibt eben auch solche anrührenden Tearjerker wie das unverfremdete „Love And War“, Herzstück und Politikum der Platte, das jedem anderen als Young wahrscheinlich gnadenlos misslungen wäre, ihm aber, so einfach die proklamierten Sätze auch scheinen, auf unvergleichliche und wahrhaftige Art gelingt. Ähnlich berückend der behutsame Gesang bei „Peaceful Valley Boulevard“, trauriges Gesternlied – ihm zu lauschen ist wie alte Fotos anschauen, nur eben lauter – ein unverhohlener, beißender Klagegesang für die Ureinwohner Amerikas und das Weltenschicksal ganz allgemein: „At first they came for gold and then for oil, fortunes were made and lost in lifetimes, mother earth took poison in her soil ... A child was born and wondered why.“ Bleischwere Worte, tröstlich nur die Begleitung.

Auch wortwörtlich also ein Album, das erst einmal verdaut werden will. Die Chance jedenfalls, dass „Le Noise“ bald im jamba-Sparabo zu haben sein wird oder die Spitze der Downloadcharts erklimmt, geht streng gegen null – nicht die schlechteste Voraussetzung, den Mythos zu wahren. http://www.neilyoung.com/