Montag, 30. November 2009

Hören+Sehen



Depeche Mode, Messehalle Erfurt, 28. November 2009
Ein Nachklapp, sozusagen - nach dem Open Air im Sommer im Münchner Olympiastadion nun die Indoor-Variante ein paar Monate später. Wie erwartet war der Eindruck deutlich druckvoller, kompakter, unmittelbarer, auch wenn es der Multifunktionshalle ein wenig an ehrwürdigem Flair fehlte. Davon jedoch haben sich die Jungs auf der Bühne keineswegs abschrecken lassen - los wie die Feuerwehr, keine Atempause und auch, das sicher am erstaunlichsten, keinerlei sichtbare Verschleißerscheinungen nach endlosem Touren. Der Anfang wie auch im Sommer eher mutig und gewöhnungsbedürftig mit drei neuen Stücken, doch wie vorher auch nahmen sie schnell Fahrt auf und hielten die Stimmung bis auf wenige Ausnahmen (Hole To Feed, Miles Away) stets am oberen Limit. Die Änderungen der Setlist waren eigentlich das schmerzlichste an diesem Abend - kein "Master & Servant", kein "Fly On The Windscreen", kein "Waiting For The Night" und nicht mal das in München noch zensierte Video zu "Strangelove" konnte ich mir im demokratischen Osten gönnen - auch weg. Der Verlust von "Peace" und vor allem "Come Back" ließ sich leicht verschmerzen und auf der Haben-Seite gab es wenigstens eine angenehm fette und beschleunigte Version von "Behind The Wheel" und mit "One Caress" und "Insight" zwei weitere Tearjerker von Martin Gore. Der Rest als Randnotiz: Von der Vorband wieder mal nix gesehen, ein Hoch auf die emsige Elektronikergilde, die die LCD-Leinwand leidlich hingepfriemelt bekam und natürlich auch ein Dank an Antenne Thüringen, die das Konzerterlebnis noch eine Weile - hier die Autofahrt zurück nach Jena - konservieren konnten. Schöner Abend, gute Freunde - mehr kann man nicht wollen ...

Montag, 23. November 2009

Gehört_79



Digital Leather „Warm Brother“ (Fat Possum)
Das nennt an dann wohl Duplizität der Ereignisse: Genau an dem Tag, an dem ich über die Platte von Digital Leather gestolpert bin, deliriert die BILD auf den Anschlägen ihrer Klaukästen in unvergleichlicher Poesie „Schwule Spione angeklagt: Kalter Krieg und warme Brüder“. Wo genau der Begriff „Warmer Bruder“ herkommt, weiß nicht mal Wikipedia so genau, angeblich wurde er Anfang des 19. Jahrhunderts für die zunehmend in das Licht der Öffentlichkeit tretende Homosexualität verwendet. An anderer Stelle wird behauptet, es handele sich um eine umgangssprachliche Bezeichnung aus den Kreisen der deutschen Waffen-SS aus dem zweiten Weltkrieg. Gut bekannt auch das Gekeife von Franz Josef Strauß in der ZEIT von 1971 „Ich will lieber ein kalter Krieger sein als ein warmer Bruder.“ Richtig weiter bringt einen das mit der Platte auch nicht, denn beim Betrachten des Covers ergibt sich schon das nächste Rätsel: Was um alles in der Welt macht gerade dort Werner Hackmann? Die Ähnlichkeit ist frappierend – wäre der Fall des vor einiger Zeit verstorbenen Liga-Funktionärs nicht so ernst, man könnte munter weiterraten. So aber bleibt die Musik – Digital Leather machen elektronisch verstärkten, angepunkten Indierock und klingen wie eine krude Mixtur aus Bloodhound Gang und Grandaddy. Im Song „Your Hand, My Glove“ kommt dann noch eine wavige Komponente hinzu, die man hierzulande gern mit Ideal verkoppeln kann. Der Reiz dieser Platte ist wohl auch dem seltsamen Proberaum-Charme der einzelnen Stücke geschuldet, vieles klingt irgendwie unfertig und noch recht grob gearbeitet, lässig dahin gespielte Demoversionen aus der Garage, die den Feinschliff noch vor sich haben. Schaden tut das alles aber nix, „Modern Castles“, „Homesick For Terror“ mit seinem Ian-Curtis-Gedächtnis-Outro, „Gold Hearts“ und überhaupt der ganze Rest bleiben kleine Perlen, die nur darauf warten entdeckt zu werden. Auch wenn der Name des Albums leicht bescheuert klingt …

Sonntag, 22. November 2009

2:3



Da kann man dann doch schon mal ins Grübeln kommen - das nächste Auswärtsspiel, die nächste Niederlage. Mit 2:3 mußten sich die Kiezkicker heute dem konsequenteren Team, dem FC Augsburg geschlagen geben und mit einer zwar unglücklichen, dennoch verdienten Niederlage wieder nach Hause fahren. Die Stationen: Kontrollierter Beginn, glückliche Führung durch Ebbers nach einer halben Stunde, Rote Karte für Lechner, Fehlpaßfestival auf beiden Seiten - Halbzeit, Ausgleichstreffer Thurk, Eigentor Morena, Ausgleich Ebbers, zwanzig Minute Zittern mit vorhersehbarem Schlußpunkt FCA - Tor Sinkala nach 93 Minuten, Ende. Ein spannendes, ein aufregendes Spiel und doch kein sehr befriedigendes Ende - es wird Zeit, dass ich die Jungens auch mal siegen sehe, auf Dauer ist das etwas frustrierend, immer nur zu Niederlagen zu wahlfahrten. Dank Franze Hanglberger gab's aber zumindest eine erstklassige Stadtführung und ja, eine wunderschöne Stadt, ein prächtiges Stadion, nur gerade heute hätte ihm etwas mehr Gastfreundschaft gut zu Gesicht gestanden.

Samstag, 21. November 2009

Gefunden_34


(Fast) ohne Kommentar: Immer auch das Kleingedruckte lesen - Supporters Rostock. Na ja, da reicht dann ein Blick auf die Tabelle: St. Pauli 3, Rostock 15 - und jetzt weiterärgern ...
(Gesehen in München, Tumblinger Straße)

Dienstag, 17. November 2009

Gefunden_33



Wo Blumfeld, da Tocotronic - zumindest ist der Sprung kein so weiter. Am 22. Januar nächsten Jahres kommt ihr neues Album "Schall & Wahn" und der Coverentwurf ist schon mal draußen. Ja - und man weiß nicht so recht, ob das nun ein Dummy, ein Witz oder doch große Kunst ist, in jedem Falle stellen sie die Geschmackssensoren auf eine harte Probe.

Gehört_78



Wenn sich alle Welt wie wild gebärdet, darf man gern auch mal ein wenig auf die Bremse treten und die Gedanken ordnen, in der Hoffnung, noch einen halbwegs ungebrauchten Satz zum erneuten Comback von Robbie Williams zu finden. Auffallend viele haben sich ja hierzulande um dieses angebliche Phänomen gekümmert, ganz vorn natürlich die Freunde des investigativen Journalismus – kurz: Klatschpresse, gefolgt von den einschlägigen Musikjournalen – der SPEX war der Coverboy sogar eine ganze Menge Ärger im eigenen Forum wert, Popdiskurs rules. Interviews wohin man schaut, viel Erhellendes haben auch die nicht zu Tage gefördert, was vielleicht daran liegen könnte, dass der Junge möglicherweise gar nicht so interessant ist wie mancher denkt, sondern nur ein cleverer und überdurchschnittlich begabter Musiker und Entertainer mit einer mäßig spannenden Weltsicht, der zwei, drei sehr gute und mindestens die gleiche Menge an recht mittelmäßigen Alben veröffentlicht hat. Wenn man sich nun bei der Betrachtung auf seine, Robbie Williams’ Kernkompetenz, das Musikbusiness beschränkt, fällt auf, dass der Junge aus Stoke-On-Trent auf seine Art auch ein Verweigerer ist. Denn während es in seinen Kreisen wie die Botox-Flatrate zum guten Ton gehört, sich die neue Scheibe wahlweise von Timbaland, Pharrell Williams, Diplo oder Stuart Price abmischen zu lassen, nimmt er – tja: Trevor Horn. Gut, wer einiges an Jahren auf dem Buckel hat, der kann sich an Frankie Goes To Hollywood, Grace Jones oder The Art Of Noise noch bestens erinnern, der Rest allerdings wird sich Augen und Ohren reiben. Doch während sich nun die Alben der oben genannten Studiokoryphäen ausnahmslos perfekt, spiegelglatt und leider auch ziemlich identisch anhören, klingt das neue von Robbie Williams trotz oder wegen Mr. Horn eigentlich nur nach Robbie Williams. Und das muß nach den beiden letzten, leidlich mißratenen Versuchen nicht das schlechteste Rezept sein. „Reality Killed The Video Star“ hat wieder mehr als genug von dem, was topschicke und quietschvergnügte Moderatorinnen bei ProSieben gern „waschechte Schmusehits“ nennen (Morning Sun, Blasphemy, Deceptacon, Superblind), größtenteils üppig orchestriert und fast schon wie gemalt für die drohende Take-That-Reunion. Die breitbeinigen Rocknummern (Do You Mind, Won’t Do That) finden sich in dankenswert klarer Minderheit – Robbie scheint begriffen zu haben, dass er John Bonjovi hier nicht das Wasser reichen kann und erst recht nicht muß. Angenehm überraschend dann die neue Ausrichtung hin zu Disko und Dance - mit „Starstruck“, „Difficult For Weirdos“ und erst recht mit dem prickelnd unterkühlten „Last Days Of Disco“ bringt er gleich eine ganze Ladung Clubfutter, zusammen mit dem Zwitter „Bodies“ ist das deutlich mehr an Hörbarem als auf „Intensive Care“ und „Rudebox“. Insofern hat er mit seiner neuen Platte eines der wichtigsten Survivalgesetze beachtet: Bei Gefahr – hier drohendes Karriereende – stehen bleiben, umdrehen, Blickkontakt halten und langsam rückwärts gehen. Wollen wir ihm wünschen, dass das die Rettung war, verdient hätte er’s …

Montag, 16. November 2009

Hören+Sehen



Jochen Distelmeyer, Ampere, München 15. November 2009
Es ist ja eigentlich egal, ob man sich nun noch zur Ü40- oder doch schon zur U50-Fraktion zählt – die Zahlen allein sehen schon einigermaßen erschreckend aus – Fakt ist, dass man sich nur noch selten ins feindliche Draußen zu einem Konzert wagt. Um so wichtiger ist es natürlich, dass gerade dieses Konzert dann auch ein gutes wird, denn alles andere wäre traurige Zeitverschwendung. Und dann steht man im proppevollen Ampere, Sonntag Abend und der Tatort ist futsch, man schaut in die Runde und weiß plötzlich, dass das ein schöner Abend werden kann: Alles Leute um einen herum, denen der Collnessfaktor dankbar egal zu sein scheint, die also nicht viel mehr als gute Unterhaltung haben wollen. Hinzu kommt, dass das leidige Deppenrisiko bei solchen Konzerten gen Null geht, keine Endlosquatscher, keine penetranten Raucher oder Rumhüpfer und nur vereinzelte Mobilfotografen – erwartungsfreudige Gesichter überall. Persönlich freut man sich ja schon, dass es für einen selbst Jochen Distelmeyer geworden ist, nicht BAP, nicht Roger Cicero und erst recht nicht Westernhagen. Blumfeld sind seit Jahren trotz oder wegen ihrer Konsensverweigerung mehr als okay und als Distelmeyer mit seiner neuen Band verbraucherfreundlich pünktlich kurz nach neun die Bühne betritt und die ersten Akkorde geschlagen werden, weiß man auch, dass das für einen selbst immer so bleiben wird. Gleich zu Beginn drei Energieschübe zum Warmwerden vom aktuellen Album – „Wohin mit dem Hass?“, „Einfach so“ und „Er“ – die Jungs brettern los und der Herr Distelmeyer, man mag es kaum glauben, gibt die coole Rampensau. Danach der erste Ausflug ins Blumfeld-Repertoire – „Ich, wie es wirklich war“ von „L’Etat et moi“, die Menge – einige dann doch im passenden Nostalgieshirt – freuts und alle haben Spaß. Beim Beobachten des gedrängten Bühnentreibens fällt auf, dass Distelmeyer eigentlich dann am entspanntesten ist, wenn er sein Arbeitsgerät um den Hals hängen hat – dummerweise wechselt er dieses nach jedem Song und so wird es dazwischen immer ganz kurz ganz hektisch: Lied vorbei, ausstöpseln, abgeben, hernehmen, umhängen, einstöpseln, auf den Boden spucken (Distelmeyer, jawohl) – „Vielen Dank!“ – weiter geht’s. Alles was folgt – die reine Spielfreude: „Eintragung ins Nichts“ mit einem netten Gruß an unseren neuen BAM Guido W., zwischen „Schmetterlings Gang“ und „Laß es Liebe sein“ eine mehr als augenzwinkernde Widmung für Mediendarling Megan Fox, eine fette Beatversion von „Hiob“ und ein berauschender Wechselgesang mit allen Verehrern bei „Status Quo Vadis“ – was Distelmeyer anpackt, gelingt und es macht allen Beteiligten unten und oben sichtlich Spaß. „Woansinn!“ sagt der lustige Jochen phonetisch inkorrekt, und: „Minga“. Aber hallo! Es folgen noch „Liebeslieder“ aus der grauen Vorzeit um 1992, ein fast schon troubadouriges „Wir sind frei“ und gegen Ende auch noch das schaurige Rezitativ „Pro Familia“, fast schon Klassiker, alles Kanon, leidenschaftlich mitgesungen in der allseits zufriedenen Runde. Als kurzes Kleinod noch die instrumentierte Version vom aktuellen „Regen“ – dann raus in die milde Nacht. „Ein schöner Abend, das meine ich so!“ von oben - danke, ganz meinserseits …

Freitag, 13. November 2009

Gefunden_32



// Achtung: Sollte es für meinen Blog Leser unter 25 Jahren geben, dann werden die nächsten Zeilen einigermaßen schwer verständlich sein, es kommen darin Worte vor (Platte, Vinyl, B-Seite, etc.), die im U25-Sprachgebrauch wahrscheinlich schon nicht mehr existieren.//

Da hat aber mal jemand an die Hörer gedacht: Die Ärzte, bekannt als die beste Band der Welt, sind mit dieser Nachricht unbestritten auch die einfallsreichste – sie veröffentlichen nämlich ihre nächste Single in einer – Achtung! – Dreifachhelixvinylversion. Das heißt, jeder der drei ausgewählten Songs „Perfekt“, „Breit“ und „Himmelblau“ wird in einer separaten Tonspur parallel zu den anderen auf die eine Seite der Platte gepresst, je nachdem, wo man die Nadel des Plattenspielers ansetzt, wird dann der eine oder andere Song zu hören sein. Auf der B-Seite gibt’s dann eine Standbildversion als Video, auch lustig. Zu sehen und zu bestellen bei: http://www.bademeister.com/

Mittwoch, 11. November 2009

Gehört_77



Them Crooked Vultures “Them Crooked Vultures” (RCA/Sony)
Selbst wenn man noch keine fünfzig ist, hat man heute als halbwegs wacher Musikrezepient schon viele sogenannte Supergroups diverser Spielarten kommen (und zuweilen auch schnell verschwinden) sehen. Und egal ob sie nun Audioslave, The Good, The Bad & The Queen, Velvet Revolver oder The Raconteurs heißen – immer versammelt sich illustres und zumeist sehr talentiertes Personal um eine herausragende Persönlichkeit, die dieser Zweckgemeinschaft als Klammer dient und die Prägung vorgibt. Ob nun Tom Morello, Damon Albarn, Slash oder Jack White, ein jeder drückt seinem Projekt den Stempel der Dominanz auf – follow the leader. Auf den ersten Blick gilt dies auch für Them Crooked Vultures, den wohl heißesten Hype des ausgehenden Jahres, denn es sind zunächst die Queens Of The Stone Age von Frontmann Josh Homme, die sich hier zunächst in den Vordergrund schieben. Doch recht schnell merkt man beim Anhören dieses heftigen und kantigen Brockens, dass sehr wohl auch die beiden anderen Mitglieder dieser Kollaboration ihre deutliche Handschrift beigetragen haben. Vor allem der raue Bluesrock von Led Zeppelin-Bassist John Paul Jones gibt dem Großteil der Songs eine angenehm erdige Note – „No One Loves Me ...“ oder das schwergängige „Elephants“ gewinnen so deutlich an Charme. Bei „Scumbag Blues“, einem richtigen Rockfetzen, ist die Spielfreude der drei schier mit Händen zu greifen, Gitarrensoli galore und ab dafür. Andere Stücke wiederum sind eher beatgetriebene Stoner-Nummern – „Mind Eraser“ mit seinem lustigen Horn-Outro, die erste Single „New Fang“ oder auch die deutlich beschleunigten „Dead End Friends“ und „Gunman“. Alles gebrochen, nichts geglättet – mit „Warzaw...“ gibt’s gegen Ende sogar noch einen satten, fast neunminütigen Nachschlag lupenreinen psychedelischen Progressive-Metal – können sie also auch. Kurz, diese Mischung macht deutlich mehr Spaß als manches spätere QOTSA-Album, auch wenn einem nach einer Stunde der Schädel mächtig dröhnt. Aber das wiederum sollte ja bei dieser Art von Supergroup als Arbeitsnachweis mindestens zu erwarten sein ...

Gehört_76



Bad Lieutenant „Never Cry Another Tear“ (Universal)
Zum Thema “Rockmusik und alte Männer“ fallen einem auf Anhieb eine ganze Menge garstige Vergleiche und Metaphern ein, wobei „zahnlos“ an erster Stelle stehen dürfte, dicht gefolgt von „inkontinent“ – Sinnbild für den unaufhörlichen Drang nach Veröffentlichung jedweden Materials unabhängig von dessen Qualität und Relevanz. Das trifft natürlich nicht zu 100 Prozent auf die neue Band von Bernard Sumner zu, aber ganz so abwegig kann der Vorwurf auch nicht sein. Zähne zeigen war Sumners Sache wahrscheinlich eh’ noch nie – nach dem Ende von Joy Division steuerten New Order nach und nach vom Postpunk über Wave zum gitarrenumspülten Dancepop und schon diesen Weg mochte der eine oder andere Fan der ersten Stunde nur schwerlich mitgehen. Doch spätestens mit seinem Nebenprojekt Electronic, gegründet mit Gitarrenguru Johnny Marr, hatte die Musik jene Unverwechselbarkeit verloren, war weder stilprägend noch maßgeblich und doch nicht schlecht. Und Bad Lieutenant machen da ansatzlos weiter: routiniert gespielte Tanznummern, belanglos aber schön. Nach dem Einstieg mit „Sink Or Swim“ und „Twist Of Fate“, die beide noch am ehesten an New Order und deren perfekten, schimmernden Sound erinnern, kommt eine ganze, große Menge an recht durchschnittlichem Popmaterial, was sich ganz gut nebenbei hören läßt – zum pophistorischen Diskurs allerdings taugt es nicht. „Dynamo“ versucht zur Mitte hin, ein wenig aus diesem gefälligen Schema auszubrechen, möchte böse und laut klingen – aber hey, das haben Midnight Oil vor Jahren doch schon eine Spur bissiger hinbekommen. „These Changes“ mit Jake Evans am Mikro wiederum ist eher Grunge als Pop, was die Sache aber auch nicht unbedingt besser macht. Richtig sauer kann den dreien trotzdem niemand sein, es klingt nichts falsch, drängt sich aber auch beileibe kein Stück in Vordergrund. Was man den Jungs allerdings sehr wohl vorwerfen muß ist der eklatante Fehlgriff bei der Wahl des Bandnamens, denn „Bad Lieutenant“ ist ein so abgründiger, verstörend düsterer Film, der einen mit einer gehörigen Portion Unwohlsein zurückläßt – nichts davon hat diese Musik. Hier wäre „Das große Krabbeln“ sicher die bessere und treffendere Alternative gewesen.

Freitag, 6. November 2009

Gefunden_31



„Ein Einwohner aus Stockholm fährt zur Entenjagd aufs Land. Als er eine Ente sieht, zielt er und schießt. Doch der Vogel fällt auf den Hof eines Bauern, und der rückt die Beute nicht heraus. „Das ist mein Vogel“, besteht der Städter auf seinem Recht. Der Bauer schlägt vor, den Streit, wie auf dem Land üblich, mit einem Tritt in den Unterleib beizulegen. „Wer weniger schreit, kriegt den Vogel.“ Der Städter ist einverstanden. Der Bauer holt aus und landet einen gewaltigen Tritt in den Weichteilen des Mannes. Der bricht zusammen und bleibt zwanzig Minuten am Boden liegen. Als er wieder aufstehen kann, keucht er: „Okay, jetzt bin ich dran.“ „Nee“, sagt der Bauer im Weggehen, „hier, nehmen Sie die Ente.“
(Laut „Reader’s Digest“ wählten 16.000 Menschen aus 30 Ländern dies zum besten Witz der Welt, DWK 6. November 2009)

Donnerstag, 5. November 2009

Gehört_75



A Place To Bury Strangers „Exploding Head“ (Mute)
Der Gedanke, die Qualität einer Band ließe sich hauptsächlich über den Grad ihrer Unhörbarkeit bestimmen, ist sicherlich außerhalb der Death- und Doom-Metal-Szene sehr schwer zu vermitteln und greift im Falle der New Yorker Band A Place To Bury Strangers auch deutlich zu kurz. Zwar erzählen die drei Kravallmacher aus Brooklyn stolz einem jedem, der es hören will (und noch kann), dass sie die lauteste Noiseband des jungen Jahrtausends seien – und wer sie jemals live gesehen hat, wird das sicher nicht in Abrede stellen. Hinzu kommt, dass es kaum eine Band gibt, die in Sound und Attitüde einen so eindeutigen Bezug auf ihre Vorbilder nimmt – die Wahlverwandschaft mit den Gebrüdern Jim und William Reid und deren grandioser Feedbackcombo The Jesus And Mary Chain wird einem mit jedem einzelnen Takt förmlich in den Schädel gehämmert. Doch wo diese dem Hörer zuweilen noch sanft verzerrte Entspannung boten, wird bei A Place To Bury Strangers das Inferno zum Diktat erhoben – Atempausen Fehlanzeige. Dass pure Lautstärke aber durchaus auch Poesie sein kann, haben sie schon mit ihrem selbstbetitelten Debüt 2007 unter Beweis gestellt, und auch auf dem neuen Album gibt es zum Krach immer auch die zauberhafte Melodie, den tonnenschwer rollenden Bass und den hallenden Offgesang. Manches kommt sogar mit leicht gebremstem Beat aus, „Keep Slipping Away“ zum Beispiel ist deutlich zurückgenommen – und wird natürlich gleich im Anschluß von „Ego Death“ ohne jede Rücksicht „brutalstmöglich“ (Roland K.) niedergemäht. Aus der Reihe fällt auch „Smile When You Smile“, das bei aller Härte Shoegazing und Gothic zusammenzwingt und dabei fast beschwingt wirkt. Vorher und nachher wunderbare Rückkopplungsorgien, immer am Limit, mal besser („In Your Heart“ und „Dead Beat“), mal nicht ganz so gelungen („Everything Always Goes Wrong“) und dann klingen sie, man möchte es nicht glauben, fast wie eine überzüchtete Variante von The Cure („Exploding Head“). Und mit dem fulminanten Abschlußsong liefern sie schon mal einen möglichen Bandnamen für kommende Nacheiferer „I Lived My Life To Stand In The Shadow Of Your Heart“. Klar ist jedenfalls: Wer diese Platte leise anhört, der hat sie nicht verstanden. Zaghafte Gemüter sollten sich deshalb schon vor dem Druck auf die „Play“-Taste bei Wikipedia unter dem Stichwort „tinnitus aurium“ informieren, denn das dort so schön umschriebene „Klingeln in den Ohren“ werden sie nach Ende der gut vierzig Minuten noch näher kennenlernen dürfen.

Mittwoch, 4. November 2009

Gehört_74



Cold Cave „Love Comes Close“ (Matador)
Mit der Personalie Wesley Eisold können bestimmt nur die spezialisiertesten Spezialisten dieses Planeten auf Anhieb etwas anfangen und es muß sich sicher keiner schämen, wenn ihm zu den Bands American Nightmare, Give Up The Ghost oder XO Skeletons nichts Nenneswertes einfällt. Das sollte sich allerdings bei seinem neuesten Projekt mit dem wahrhaft freudesprühenden Namen Cold Cave schnell ändern, denn deren Debüt „Love Comes Close“ hat durchaus das Potential zum Jahresendgeheimtip. Für Unentschlossene hier kurz die Koordinaten, zwischen denen sich die Musik des Quartetts aus Philadelphia verorten läßt: New Order in ihren düsteren Anfangstagen (Titeltrack „Love Comes Close“ und „Youth And Lust“), eher die verkabelten als die angepunkten Wire („The Trees Grew Emotions And Died“), in jedem Falle auch Fad Gadget („The Laurels Of Erotomania“ und „I.C.D.K.“) und die Berliner Malaria, die einem ebenfalls bei mehreren Songs in den Sinn kommen. Die Liste mag ein jeder für sich komplettieren, fest steht, dass Cold Cave mit dieser zweifellos sehr dunklen Mischung aus Wave, Electro und Punk so dermaßen angenehm aus der Zeit fallen, dass es eine wahre Freude ist. Frühere Sachen von diversen EPs klangen zwar deutlich biestiger, doch trotz aller Glättungen ergibt man sich bereitwillig dem Kopfkino, für das Eisold hier die Kulissen schiebt. Klasse Platte, nichts auszusetzen, außer dass jetzt vielleicht mancher seine mühsam erarbeiteten Listen für den Jahrespoll noch einmal überdenken muß – für das kalte Grab sollte doch noch ein Plätzchen frei sein.

Dienstag, 3. November 2009

Gefunden_30



Das kleine Werk ist gerade raus, das große wirft bereits seine Schatten - Anfang Februar kommenden Jahres erscheint das neue Album "Weather Underground" von Massive Attack. Daraus gibt es jetzt mit dem Video zu "United Snakes" einen ersten äußerst sehenswerten Vorgeschmack. Aber Achtung - zu solcherlei visuellen Darstellungen wird immer gern darauf hingewiesen, dass verschiedentlich schon Personen nach dem Anschauen wegen epileptischen Anfällen und Herzrhythmusproblemen behandelt werden mußten. Obacht also:

Völlig irre!



Bis gestern Mittag las sich das noch so: „Völlig irre! Margot Honecker feiert 60sten Geburtstag der DDR!“ und „Völlig irre! Andre Agassi spielte jahrelang mit Vokuhila-Toupet!“ und natürlich „Völlig irre! Löwen bezahlen bei Uli ihr Essen nicht!“. Da konnte eigentlich nichts mehr kommen – dachte man. Aber falsch gedacht, seit gestern Abend lautet die Headline: „Völlig irre! St. Pauli siegt 2:0 in Rostock!“ Und das, obwohl es 75 grauenhaft schlechte Minuten so überhaupt nicht nach einem Sieg für den Kiez aussah. Stümperhaftes, enervierendes Ballgeschiebe, nur eine Großchance zu Beginn von Carsten Rothenbach. Auch Rostock spielte überaus limitiert oder, wohlwollend formuliert, respektvoll vorsichtig und man wußte wieder, dass komplette neunzig Minuten Zweitligakick vor dem Fernseher phasenweise an masochistische Selbstverleugnung grenzen können. Doch wie formulierte Insiderin Antje F. aus HH so schön „Ich kann’s nicht fassen ... 75 Minuten Scheiße und dann das!“ Und „das“ war ein traumhaft getretener Freistoß von Matze Lehmann in Minute 77. Danach das fast schon obligatorische Idiotengeböller zwischen den Fanblöcken und um 21:55 Uhr machte Deniz Naki mit einem schönen Kontertor den Sack zu. Über dessen Jubel läßt sich trefflich streiten, über die selten dumme Nachmoderation von Edeltalent Thomas Helmer allerdings ebenfalls. Denn natürlich kann ich durch andauernde Wiederholung ansich wenig bedeutender Szenen aus 35 verschiedenen Kameraperspektiven aus einer Mücke einen Elefantenschiß machen, zu dem man dann beide Trainer noch kräftig investigativ nerven muß. Was aber im Kontext des ganzen Abends irgendwie auch wieder in Ordnung geht – alles: Völlig irre!

Montag, 2. November 2009

Gehört_73



Echo And The Bunnymen “The Fountain” (Warner)
Man möchte ja nichts böses über Echo And The Bunnymen sagen, zählten sie doch schließlich zum elitären Kreis der Posterhelden von Wave und Postpunk, wegweisend für ein Jahrzehnt und maßgeblich an der eigenen Geschmacksbildung beteiligt. Und doch fragt man sich, was eine Band, die seinerzeit umjubelte Meilensteine veröffentlicht hat – ich selbst fasse mein Vinyl von „Ocean Rain“ noch heute nur mit Glacéhandschuhen an – was sie antreibt, warum sie auch heute noch meint einen Markt beackern zu müssen, der entweder so gar nicht mehr existiert oder von einer Szene bearbeitet wird, die das eindeutig bessere Werkzeug dazu besitzt. Ohne Frage steckt auch in den aktuellen Platten von Bauhaus, Gary Numan und eben auch den Echos eine ganze Menge Arbeit und zuweilen auch manch goldener, genialer Moment, aber es bleibt eben auch eine Idee von gestern, die unentwegt zu Markte und damit zu Grabe getragen wird und das macht es für den Fan nicht eben einfacher. Der Start gelingt Ian McCulloch und Band noch ganz gut, „Think I Need It Too“ und auch „Forgotten Fields“ sind ordentliches Handwerk, „Do You Know Who I Am“ hat sogar einiges Hitpotential. Aber dann: „Shroud Of Turin“. Ach Gottchen! Musikalisch recht bieder, textlich kaum zu ertragen. Nach eigener Aussage möchte McCulloch hier sein Verhältnis zu Jesus Christus thematisieren, wie erwartet stürzt er aber auf diesem ohnehin sehr schmalen Grat ins bodenlos Kitschige, „He cried and I cried, we both died, laughing him and me ...“, selbst auf einem Kirchentag hätte er damit mittlerweile ein gehöriges Glaubwürdigkeitsproblem. Und auch was danach folgt ist nur ein sehr matter Abglanz alter Zeiten, vorbei die große Geste, stattdessen viel „Halleluhjah!“ (The Fountain) und kaum bleibendes. Nicht „Everlasting Neverendless“, nicht „Proxy“, auch „Drivetime“ fidelt so dahin ohne haften zu bleiben, meilenweit entfernt von der klaustrophobischen Glorie früherer Werke. Mit „The Idolness Of Gods“ verabschieden sich Echo And The Bunnymen endgültig in die Bedeutungslosigkeit, bitter das sagen zu müssen, aber die alten Poster gehören jetzt schleunigst runter – Tapetenwechsel!