Trettmann
Support: Joey Bargeld
Tonhalle, München, 10. Dezember 2019
Natürlich war das zunächst einmal ein erstklassiger Auftritt. Und ein dringend notwendiger sowieso. Die Jahre davor stand Trettmann ja im Ampere und im Crux auf der Bühne – Tickets kaum ranzukommen, Preise horrend, wer drin war King, draußen viel zu viele. Und auch diesmal, in der ungleich größeren Tonhalle, wären, mit Blick auf die einschlägigen Portale, gern noch mehr dabei gewesen. Ausverkauft. Was aber die Konzerte von dem Mann, den seine maximal begeisterungsfähige Crowd liebevoll Tretti ruft, eben auch immer zeigen: Spannende Widersprüche. Denn wann hat man schon mal so viele auf einen Schlag beeinander? In Sachen Stardom eher ein Spätstarter, seit dem Debüt „DIY“ aber der Meister aller Klassen – und zwar aus Karl-Marx-Stadt aka. Chemnitz. Weiter: Oben Ü40, unten U20. Heißt: Wo bitteschön bejubeln bereitwillig tausende junge Fans (Legende: Splash! 2019) einen Musiker, der unter anderen Umständen schon zur Kategorie „alter weißer Mann“ zählen dürfte? Noch dazu einen, der zwar die härtesten Typen zu seinen best Buddies zählt, selbst aber lieber soft und melancholisch textet.
Trettmann ist ein Phänomen, seine Alben einschließlich des aktuellen treffen auf so wunderbare wie geheimnisvolle Weise einen Nerv, nehmen Herzen im Sturm und schon länger das vorweg, was Felix Kummer auf seinem Solo gerade erst proklamierte: „Ich mach den Rap wieder weich, ich mach den Rap wieder traurig“ – da war also einer schon deutlich früher dran. Die grobkörnige, grelle Schwarz-Weiß-Ästhetik der Lightshow harmoniert da natürlich prächtig mit dem puristischen one-man-one-mic. Und auch hier versteckt sich wieder so ein kleiner Haken: Man kann wohl davon ausgehen, dass nur wenige im Publikum in der Münchner Platte Hasenbergl oder Neuperlach großgeworden sind, vom fernen Osten und Lichtenhagen, Marzahn oder Fritz Heckert ganz zu schweigen. Und doch werden die kunstvoll aufbereiteten Film- und Fotosequenzen so euphorisch bejubelt, singt die Halle vom grauen Beton und rauhem Jargon, als steckte dahinter nicht die triste, stumpfe Erfahrung beengter Kinder- und Jugendjahre.
Getanzte Widersprüche also überall: Trostlosigkeit vs. Ausbruch, Angst vs. Hoffnung, hier die Liebe, dort die Enttäuschung, zu zweit, allein, Trettmann bringt all das scheinbar mühelos zusammen und in Bewegung. Und ist dabei authentisch, reflektierend und durchaus politisch. Dass er für einen seiner stärksten Songs dieses Jahres, „Stolpersteine“ in Erinnerung an die Aktion von Gunter Demnig, auf jegliche optische Aufwertung verzichtet, macht den noch eindrücklicher, für einen kurzen Moment schleicht sich sogar ein gewisses Unbehagen in den Abend. Ganz kurz nur, denn dann wird wieder gemosht und gefeiert: „Standard“ na klar, „Du weisst“, „5 Minuten“, allesamt mit Videoeinspielern und Gäste-Features, das fabelhafte „Delicious“ und von der alten Scheibe „Knöcheltief“, „Billie Holiday“, „New York“ und mehr. Nicht alles eignet sich gleich gut zum Mitgrölen, manche Passage verliert wegen des lauten Geschreis etwas von ihrer Intensität. Zum Abschluß dann Trettmanns Königsdisziplin, der Rave als Kür – mit „Zeit steht“ und Alli Neumann auf der Leinwand wippt die Menge in die kühle Nacht hinaus, ausgepowert, aber glücklich.
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