Montag, 11. Dezember 2017

Björk: Näher als gedacht [Update]

Björk
„Utopia“
(Embassy Of Music)

Nein, beide Thesen sind nicht als verbrieftes Grundrecht zu haben. Weder ist festgelegt, daß eingängige, tanzbare Musik, die kein langes Überlegen und Abwägen braucht und sofort in Bauch und Beine geht, per se von minderem Wert ist – wohl wissend, daß gerade dem Leichten manchmal besonders harte Arbeit vorangeht. Ebensowenig steht nirgendwo geschrieben, daß Popmusik keine Arbeit machen darf, daß sie also ängstlich jeder Hirnzelle aus dem Weg gehen und möglichst wenig Widerstand bieten muß. Nein, Anspruch, Anregung, Reibungspunkte, Irritation, je selbst Provokation sind erlaubt, wenn nicht sogar gewünscht, denn wo blieben unsere trägen Geister, wenn sie sich keiner Herausforderung zu stellen hätten? Jetzt darf man darüber diskutieren – und damit je nach Sichtweise zum Objekt der Begierde oder des Verrisses – ob sich die Musik von Björk überhaupt noch in handelsüblichen Kategorien fassen läßt oder ob sie sich nicht vielmehr einen eigenen Kosmos, kunstvoll strukturiert und mit unzähligen Metaebenen versehen, erschaffen hat, der sich jeder herkömmlichen Bewertung entzieht.



Dafür spricht die Figur der Musikerin selbst, die sich mal um mal weiter vom profan Menschlichen zu entfernen scheint, dafür in schwebender Künstlichkeit auf den vorhandenen Kanälen nur noch sendet, um die Verbindung zu uns hier unten nicht gänzlich abreißen zu lassen. Dafür spricht natürlich auch die komplexe, kaum zu durchschauende Architektur ihrer neueren Werke, die sie zusammen mit auserwählten Klangzauberern erschafft, längst nicht mehr gemacht für die Tanzflächen, Auto- und Küchenradios dieser Welt, sondern nur in der Abgeschiedenheit hochgezüchteter HighEnd-Geräte und unter rauschfreien plus sündteuren Präzisionskopfhörern sinnvoll zu genießen (und jede/r muß selbst entscheiden, welche Wegstrecke er/sie bereit ist, dabei mitzugehen). Selbstverständlich kann wer will das Ganze schnell als hochgezüchtete, selbstreferenzielle Kopfgeburt einer durchgeknallten Schwanenprinzessin abtun (was ja oft und genüßlich genug geschieht), vergibt sich mit dieser Vereinfachung aber die Chance, Erstaunliches zu entdecken.



Denn auch wenn sich Björk sehr spezieller, manchmal vielleicht gewöhnungsbedürftiger Mittel bedient, nähert sie sich doch auch und gerade in ihren aktuellen Songs sehr weltlichen Dingen: Schöpfungsbewahrung (so called Umweltschutz), Liebesbedürfnis, Verlustängste, Generations-, ja sogar Trennungsprobleme kommen mehr oder weniger verschlüsselt zur Sprache und es ist tatsächlich eine zwar zuweilen mühevolle, aber durchaus gewinnbringende Erfahrung, ihr dabei zuzuhören. Beispiel „Sue Me“: Eine derart konfrontative, direkte Abrechnung mit Matthew Barney, dem Ex-Mann und Vater ihres zweiten Kindes, ließ sich selbst auf dem Scheidungsalbum „Vulnicura“ nicht finden, die Art und Weise, wie sie sein Verhalten in die genetische Kausalkette männlicher Verfehlungen stellt, zeugt von viel Sorge, Schmerz und nachhaltiger Trauer. Weiter – „Tabula Rasa“: Fast eine flehentliche Bitte an nachfolgende Generationen, nicht die Fehler der Alten zu wiederholen, sondern Neues zu wagen, mögliches Scheitern und Wiederaufstehen inbegriffen.

Noch krasser das fast zehnminütige „Body Memory“. Unterteilt in mehrere Kapitel, lädt die Künstlerin zum Kurzfilm für’s Kopfkino, führt durch persönliche Kämpfe, Gefühlswirren, gute wie ungute Erfahrungen – in dem Maß, wie Körper und Geist hinzulernen, bekommt auch der Sound einen weniger angespannten, mit vorsichtigen Beats unterlegten Flow. Überhaupt: Das Klanguniversum, das Björk entwirft, ist wieder von überwältigender Vielfalt, dystopisch anmutender, droniger Maschinenlärm („Losss“) wechselt mit urzeitlichen Dschungelfantasien, Flöten en masse, Harfen sowieso. Kein Wunder, daß die Isländerin, wie sie in „Blissing Me“ singt, in Arca die perfekte Ergänzung für ihre Berufung weiß („two music nerds obsessing“) und an anderer Stelle die heilende Kraft der Musik beschwört („Saint“). Man sollte es sich mit dieser Frau, so fremd und absonderlich sie uns auch manchmal scheinen mag, nicht gar zu einfach machen, seit Jahren arbeitet sie an einem Gesamtwerk von beispielloser Inspiration und Komplexität. Sie hat sich unsere Mühe wahrlich verdient. Der Lohn dafür ist kein geringer. https://bjork.com/

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