Freitag, 1. Dezember 2017

Charlotte Gainsbourg: Frau im Spiegel [Update]

Charlotte Gainsbourg
„Rest“
(Because)

Anlass hätte es sicher schon früher gegeben, vielleicht ist aber gerade jetzt und mit diesem Album der richtige Zeitpunkt für das folgende, wenig überraschende Resümee: Der Pop und der Rock (meint hier: der interessante, spannende, risikofreudige, provokante, you name it) ist noch ein Stück weiblicher geworden im Jahr 2017. Um diese Zeit kann man ja erfahrungsgemäß auf die laufende Saison den Deckel draufmachen, die Schwergewichte sind in der Regel durch, es folgen noch die Weihnachtsjingles und der Best-Of-Wahnsinn, dann ist Ruhe. Schön deshalb, das Ganze mit zwei auf sehr verschiedene Weise überaus gelungenen Werken abzuschließen. Zu Björk an anderer Stelle, Charlotte Gainsbourg jedenfalls hat mit dem Nachfolger zum 2009er „IRM“ noch einmal einen weiteren, großen Schritt nach vorn gemacht. Die Frau, die in ihrem Brotberuf, der Schauspielerei, regelmäßig an ihre Grenzen und (wie bei Lars von Triers Dreigespann "Antichrist", "Melancholia" und "Nymphomaniac") darüber hinaus geht, hatte sich für dieses Album entschlossen, die Songs höchstselbst zu schreiben, folglich ist die Platte wohl ihre persönlichste und in Anbetracht der zu bewältigenden Themen auch die intensivste geworden.



Natürlich muss sie sich, ob gewollt oder nicht, noch immer von der grenzenlos geliebten und verehrten Vaterfigur emanzipieren, hinzu kam der Tod der Schwester Kate Berry im Jahr 2013. Diesem Verlust folgte das Trauma, die Abnabelung zugunsten ihrer eigenen kleinen Familie und der Umzug aus der Heimatstadt Paris nach New York. Ein kompletter Neuanfang also, dem man auf „Rest“ in jedem der teils in französisch, teils in englisch gesungenen Stücke nachspüren kann. Schon der Titel gibt ja in seiner Doppeldeutigkeit reichlich Assoziationsanreiz, kann man ihn doch sowohl mit „Rest in Peace“ als auch dem Wunsch nach dem Bleiben und Verweilen interpretieren. Was bei „Lying With You“ noch sehr verhalten und zärtlich klingt, bekommt mit zunehmender Spieldauer eine immer drängendere Komponente, die sich in dem wunderbarn Neo-Disco-Sound manifestiert, den sie ja schon vor Jahren mit Unterstützung Becks angedeutet hatte. Jetzt pumpt und funkt und wippt es herrlich ungezügelt dahin, schon „Deadly Valentine“ (das Video als hübsches Sinnbild auf den Lauf des Lebens, gemeinsam gedreht mit Devonte Hynes aka. Blood Orange) ist nicht weniger als ein veritabler Pophit.



Die Zusammenarbeit für den Titelsong mit Daft-Punk-Hälfte Guy-Manuel de Homem-Christo macht sich ebenfalls bezahlt, hier wie an vielen anderen Stellen gelingt Gainsbourg Leichtigkeit, wo Schwergewichtiges besungen wird. Lässig spotzende Synthesizer zu federnden Beats, Streicher- und Pianoakkorde an ausgewählten Stellen und überall ihre markante Stimme, mal nur als sanftes Wispern, dann wieder geschmeidiger, warmer und volltönender Gesang. Der Spagat zwischen luftigem Stil und melancholischem Textwerk gelingt ihr bravourös, einen Song wie „Dans Vos Airs“ wird man – nicht nur in diesem Jahr – in nur wenigen Werken finden, auch das eher zackige „Songbird In A Cage“ entwickelt mit der Zeit eine ganz eigene Dynamik, die man so nur selten zu hören bekommt. Der Quelle ihrer Inspiration etwas näher kommt man vielleicht bei der Lektüre eines Interviews in der FAZ, dort steht die so simple wie lebenskluge Feststellung zur Partnerschaft: „Das Leben ist nicht einfach, beständig, ruhig. Deshalb fühlen wir uns auch so lebendig miteinander. Wir hatten viele Leben, viele verschiedene Leben: Wir sind unterschiedlich, und wir sind zusammen gewachsen.“ Ein schöneres Spiegelbild davon kann man wohl nicht bekommen.

Update: Das dritte Video im Bunde, hier eine Regiearbeit der Künstlerin selbst zur Hommage an den Vater Serge Gainsbourg - "Lying With You".

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