Sleaford Mods
“Live At SO36”/„TCR“
(Harbinger Sound)
Schlechte Laune ist, die entsprechende Einstellung zum Lauf der Welt vorausgesetzt, in diesen Tagen leicht zu haben – ein schwerreicher, sexistischer Populist schickt sich an, samt seiner ebenso verrufenen Entourage die Macht im Weißen Haus zu übernehmen, Europa knarzt und knirscht an allen Ecken, der Clash Of Cultures ist dank fehlgeleiteter Fanatiker auf beiden Seiten in vollem Gange und die ewig Benachteiligten dieses wüsten Planeten haben plötzlich keine Lust mehr, daheim einfach darauf zu warten, bis alles über ihnen zusammenbricht, sondern machen sich lieber auf den Weg. Das alles läßt sich in hübsch pointierte Worte fassen – wirklich witzig ist es nicht. Und weil das so ist, gibt es die Sleaford Mods. Zum Glück, möchte man sagen, denn daß sich zwei Musiker mit überaus vernünftigen Ansichten wie Jason Williamson und Andrew Fearn darum kümmern, den Zurückgelassenen und Abgehängten, den Losern und Unverstandenen eine Stimme zu geben, läßt einem zumindest ein wenig Hoffnung. Hoffnung darauf, daß nicht jeder gleich an nationalistische Rattenfänger verloren ist, der auf Hilfe der Gesellschaft nicht mehgr vertraut. Die Sleaford Mods sind, man kann dies im wunderbaren Film “Invisible Britain” von Nathan Hannawin und Paul Sng erfahren, eben nicht nur und ausschließlich Punk, sondern auf ihre Art auch Sozialarbeiter und Kümmerer.
Und sie haben dafür einige Zeit üben können. Schon lange bevor Kate Tempest ihr „Europe Is Lost“ angestimmt hat und sich das Land entschieden hat, einigen Dummköpfen in den Brexit zu folgen, prangerten Williamson und Fearn die wachsenden Verwerfungen im gar nicht mehr so coolen Königreich an, alle ihre Alben befassen sich in aller Deutlichkeit mit denen, die sich im Stich gelassen fühlen, die hintenüber fallen im Zuge von Globalisierung, Gentrifizierung, Technokratie und allzu gieriger Fortschrittsgläubigkeit. Ihr Stil ist dabei so rough und rude wie nötig, insofern ist das vorliegende Livealbum aus dem Berliner SO36 ein fabelhaft grobkörniges, übersteuertes Zeitdokument, das den Besuch vor Ort zwar kaum zu ersetzen vermag, aber einen Eindruck davon vermittelt, wie diese Band mit einfachsten Mitteln eine unglaubliche Intensität und auch Wut auf die Bretter bringt. Wer die Mods schon einmal face to face gesehen hat, vor dessen innerem Auge stolziert ein wild dreinblickender Williamson, einem gerupften, aber stolzen Hahn gleich, über die Bühne, zuckt der stoische Tastenmann Fearn, die Bierflasche in der Hand, mit verschmitztem Grinsen die Schultern zum Beat aus der Steckdose.
Und auch die neue EP „TCR“ hat trotz aller Kürze Erfreuliches zu bieten. So simpel wie böse das Titelstück – Williamson gibt den gelangweilten und zugleich entnervten Mittvierziger, von einer immerwährenden Rastlosigkeit in die Nacht getrieben, von der es heißt, daß sie angeblich nur noch den Jüngeren gehören soll. Auch das schroffe „I Can Tell“ ist eine Abrechnung mit dem Alter und mit der Heimatstadt, die nicht gerade gnädig zu ihm ist: „Noddy's streets ain't the same when you get older, no nutrition and the bold are figments eaten by the cold …“ Hier die punktgenauen, harten Drums, gleich darauf bei „Britain Thirst“ ungewohnt funkige Töne, in „Dad’s Corner“ wiederum scheint die Stimme aus einer rumpelnden Stahltonne zu kommen. Das abschließende „You’re A Nottshead“ flirrt und flackert zu fiebriger Synthetik und Hochgeschindigkeits-Rhymes. Auf engstem Raum das ganze Programm, hier die kleine Bühne und der große Zorn, dort in nur fünf Stücken die Werkschau als Schnelldurchlauf. 2017, so hört man, soll es dann endlich die neue Platte geben. Dass sich die Zeiten bis dahin nachhaltig zum Besseren wenden, damit ist bei allem Optimismus nicht zu rechnen. Bleibt nur, inständig darauf zu hoffe, daß die Mods sich ihr gesundes Mißtrauen und ihre Glaubwürdigkeit bewahren können – auch wir hier können sie noch gut brauchen.
24.11. Berlin, Huxley’s Neue Welt
25.11. Hamburg, Fabrik
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