Swans
„To Be Kind“
(Mute Records)
Wieder so ein Ungetüm also, wieder ein Zweistundenepos, das für den Hörer einer physischen Herausforderung gleichkommt, das an den Nerven zerrt und unbedingte Hingabe einfordert. Nun ist Michael Gira, sechzigjähriger Charismatiker und auf ewig Kopf und Stimme der Indiekapelle Swans, beileibe kein Gigantomane, was ihn antreibt, ist nicht das schnöde „höher-schneller-weiter“, sondern eine fast schon manische Suche nach der körperlichen Erfahrbarkeit von Musik. Nicht umsonst betont er desöfteren, dass er die Wurzeln der Swans nicht bei den üblichen Punk- und NoWave-Epigonen sieht , sondern beispielsweise im Teufelsblues eines Howlin‘ Wolf. Was dieser mit Mundharmonika und Akustikgitarre zu veranstalten wusste, ist für Gira ultimative Essenz und Ziel zugleich. Schon bei Interviews zur letzten Platte „The Seer“ meinte er vorausschauend: „I picture the next album being more about the kind of long sonic passages than about songs per se“ (Network Awesome) – er hat sein Versprechen gehalten.
Denn wenn man einen Unterschied zum Vorgänger festmachen will, dann den Umstand, dass sich Gira mit seinen Mitmusikern weiter als bisher vom Liedhaften, Strukturellen entfernt hat und somit auch ein Stück weit von dem, was die Swans der früheren Jahre ausgezeichnet hat. „To Be Kind“ ist noch ursprünglicher, organischer, auch wilder geworden, der stete Wechsel zwischen hypnotischer Beschwörung und wütendem, irrlichternden Chaos, mithin Giras Lieblingsthema, wird hier auf die Spitze getrieben. Order und Disorder in ständiger Abfolge, hat man sich mal mit einem Rhythmus angefreundet, kann man sicher sein, dass dieser im nächsten Moment gebrochen wird, regiert ein atonales Durcheinander, schält Gira daraus Minuten später eine verteufelt eingängige Melodie, auf die sich einzulassen auch keinen großen Sinn ergibt, weil … eben – exemplarisch vorgeführt im knapp fünfunddreißigminütigen „Bring the Sun/Toussaint L'Ouverture“.
Auch der Text rückt immer mehr an die Stelle eines Instruments, archaische Mantras einer auf ihre Ursprünglichkeit zurückgeworfenen menschlichen Existenz, ausgespuckt, herausgeschrien, gewispert und hervorgequetscht. Das kindlich trotzige Ich, das zum Gitarrenexzess quengelt – „I’m just a little boy – I need love“, im Hintergrund schallendes Spottgelächter, später eine Aneinanderreihung bestürzender Begrenztheit in „Some Things We Do“, „we love, we lie, we crawl, we fail, we waste, we fuck…“, mehr bleibt wohl nicht. Zwei starke Stücke gleich hintereinander – „Kirsten Supine“ mit den deutlichsten Erinnerungen an die ersten Stücke der Band samt Giras Grabesgesang, danach das garstig knatternde „Oxygen“, ein atemloses Bellen, das im Inferno endet.
Orientalische Flötentöne, Zitter gar, ein paar Pferde und dazu noch alles, was ein Hobbykeller so hergibt – das Gestrüpp aus Geräuschen, Tönen und Stimmen, durch das man sich hindurchzukämpfen hat, ist dicht und dornenbewährt, reichlich Gastmusiker sollen zur reformierten Stammformation gestoßen sein und ganze vier Stücke schmücken sich mit Gastvocals von St. Vincent (welche, vermag man wohl nur mit Booklet herauszufinden). Über und in allem trohnt Gira im Stile eines Predigers, der nichts mehr muss und alles darf, durchaus zufrieden: „And now that I’m in the midst of this whole... like swirling maelstrom of sound again. It’s really what I feel I was meant to do” (Network Awesome). Wo das alles hinführt, wo es ein Ende findet, weiß wohl auch er nicht zu sagen, dafür liebt er die Unmittelbarkeit, die Wucht des Augenblicks viel zu sehr. http://swans.pair.com/
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