Sonntag, 30. September 2018

John Paul: Klare Worte

John Paul
„No Filter“
(Harbinger Sound)

Klar kann das nur als Witz gemeint sein, wenn Steve Underwood, Manager des Labels Harbinger Sound, zum besseren Verständnis auf seiner Seite vermerkt „no relation to the former Pope“. Denn die Verwechslungsgefahr zwischen dem Musiker aus Nottingham und einem der Päpste, ob nun I, II oder XXIII, ist denkbar gering – obschon man den alten Kirchenmännern manchmal eine ähnlich klare und aufrüttelnde Sprache gewünscht hätte. Dieser Johannes jedenfalls ist weniger Schlichter und Seelsorger, er befasst sich eher mit dem Benennen von Missständen, dem Anprangern des erbarmungswürdigen Zustandes der britischen Gesellschaft und der Sozialsysteme nach acht Jahren Tory-Regentschaft, den Folgen des verdammten Brexits. Natürlich kommt man nicht umhin, hier auf die Sleaford Mods zu verweisen, die Paul sowohl in thematischer als auch musikalischer Hinsicht sehr nahe stehen und deren Frontmann Jason Williamson des Lobes dieser Platte nicht müde wird. Besagtem Steve Underwood gebührt das Verdienst, sie auch im Studio zusammengebracht zu haben, 2015 erschien die gemeinsame Single „I’m Shit At It“.



Der Unterschied heute? Nun, wo die Mods meistenteils auf repetitive LoFi-Beats und düstere Basslines setzen, arbeitet Paul gern im erweitertem Spektrum – Dubsound, Trip-Hop, Techno und Breakbeats sind ebenso erlaubt wie Bläsersätze (gleich ein paar bedrohliche Jericho-Fanfaren zu Beginn) und vorsichtige Andeutungen beschwingter Dance-Rhythmen. Textlich allerdings sind sich beide Parteien sehr ähnlich. „Another day, another disease“, Paul schimpft kräftig über die Versäumnisse und falschen Versprechungen der politisch Verantwortlichen und in „This Is England“ gibt er auch dem englischen Nationalstolz (unterstrichen von den schnell geschnittenen Videosequenzen der Regisseurin Katy Bauer) kräftig eine mit. Dem bildhaften Motto des Albumcovers – nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – setzt er seine giftigen Brandreden entgegen, einer mehr, der den Mund aufmacht, einer mehr, der nicht schweigen will, wenn andere sich ducken. Wie wichtig diese Platte gerade jetzt in Europa, in England ist, kann man täglich in den Nachrichten sehen.

At Pavillion: Der nächste Schritt

Eine Notiz, die wir in den letzten Wochen unbedingt bringen wollten, ist leider etwas in Vergessenheit geraten - wir holen sie jetzt gern und pflichtschuldig nach: Die Wiener Kapelle At Pavillion wird einigen Besuchern des Hamburger Reeperbahn-Festivals wohl noch in guter Erinnerung sein, dort nämlich sind sie gerade erstmals aufgetreten und wir verraten kein Geheimnis - sie waren sehr aufgeregt. Kunststück, so viele Songs gibt es offiziell noch nicht zu hören von dem Quartett. Dabei sind Mwita Mataro, Bernhard Melchart, Paul Majdzadeh und Tobia Kobl mit ihrem soulig-funkigen Indierock in ihrer Heimat schon zu einiger Bekanntheit gelangt, der Sprung nach Deutschland und in die Schweiz ist aber schon noch mal eine andere Nummer. Bange muß ihnen davor allerdings nicht sein, nimmt man die aktuellen drei Stücke "All Eyes On", "Stop This War" und "Lions", dann ist der Erfolg des Albums "Believe Us" (bald via Las Vegas Records) ein Selbstläufer.





Samstag, 29. September 2018

Estrons: Wichtiger denn je

Estrons
„You Say I’m To Much, I Say You’re Not Enough“
(Gofod Records)

Tali Källström ist eine dieser zornigen jungen Frauen, die man jetzt immer häufiger hört und sollte jetzt jemand auf die Idee kommen, so langsam reiche es aber mal mit diesem ganzen Feminismus- und #MeToo-Kram, dann möchte man ihm gleich noch mal „Make A Man“ und „Body“ vorspielen. Zwei der mutmaßlich besten Songs also vom neuen Album der walisischen Estrons, die sich genau an solche Leute richten, die meinen, die Diskussionen um Gleichberechtigung, Geschlechterrollen und sexuelle Freiheit seien viel zu überzogen und würden dem doch schon recht aufgeklärten und toleranten Zustand unserer westeuropäischen Gesellschaft überhaupt nicht gerecht. Bullshit! Sagt sinngemäß auch Källström, oder besser schreit es in den zehn Stücken einem jeden, der es besser wissen will, regelrecht ins Gesicht. Schroffe Gitarren und hohes Tempo als Begleitung gleich vom Start weg – hier hat jemand keine Zeit zu verschenken, Dringlichkeit ist angesagt und durchaus hörbar.



„Lilac“ und „Killing Your Love“ kommen mit der vollen Breitseite Alternativrock daher, danach besagte Adresse an die Männerwelt, aus der klar hervorgeht, dass Källström nicht im Entferntesten gewillt ist, sich mit dem zufrieden zu geben, was sie kriegt. Sondern lieber selbst die Ansagen macht, wie sie sich den Gegenüber vorstellt, wie sie ihn zu dem Mann macht, den sie braucht. Die Musik von Estron ist körperlich, hart, kompromißlos wie die Sängerin selbst, gerade „Body“ mit dem dazugehöringen Video unterstreicht das: „Das Video für Body zu drehen war eine der erschreckendsten und befreiendsten Erfahrungen meines bisherigen Lebens. Seit Jahrtausenden wird Kunst verwendet, um ein Paradigma dafür zu schaffen, wie unser Körper aussehen sollte. Es unterdrückt uns, es schafft das Unerreichbare, das die Menschheit an den Punkt der Verurteilung, der Selbstverleugnung und der Depression führt. In diesem Video geht es darum, das Reale zu studieren. Feier dich selbst. Sexualisiere dich selbst und sieh statt der Fehler viel mehr den, der du wirklich bist." Soll noch einer kommen und behaupten, das sei nicht von Bedeutung. https://www.estrons.com/

Freitag, 28. September 2018

Christine And The Queens: Ihr Weg

Christine And The Queens
„CHRIS“
(Because Music/Universal)

Schon klar, am Ende muß jeder selbst entscheiden, ob und wie sehr er sich darauf einlässt. Aber was kann es denn in Zeiten, wo man das Gefühl hat, von lauter Schrumpfhirnen umgeben zu sein, die nichts mehr und höher schätzen als das ewig gleiche „Weiter so!“, schöneres geben, als auf diese Art irritiert, verunsichert, vielleicht provoziert zu werden? Schon als die ersten Bilder der „neuen“ Héloïse Letissier im Netz auftauchten, fragte man sich gespannt, wie weit sie damit gehen, wie konsequent Christine (der neue Name Chris so kurz wie ihre Haare) dieses Spiel wohl treiben würde. Oder ist es am Ende gar kein Spiel? Ist diese Transformation ihr Ernst und nicht nur professionelles Medienspektakel? Nun, die Konsequenz jedenfalls manifestiert sich in der Weigerung zur endgültigen Entscheidung – keine Festlegung von ihr zu haben, wer und wie sie ist, zu wem sie sich hingezogen fühlt, wen sie liebt. Keine Qual der Wahl, sondern absolute Freiheit einzufordern und auch zu bekommen. Und mit der öffentlichen Wahrnehmung zu leben – im Spiegel war sie vor Jahren noch “Der Popstar aus der Transenbar”, die ZEIT ruft sie nun zur gegenwärtigsten aller Popkünstlerinnen auf. The times they are a changin…



Lustigerweise ist die konservativste Seite der Musikerin Letissier ihre Musik selbst. Stilistisch führt sie der Weg weit zurück in die verspielten, künstlich-kühlen Synthpop-Welten der 90er. Und es bliebe frostig, würde sie nicht wieder all ihre Leidenschaft, ihre Stimme, ihren Körper, den Gestus, den Tanz hinzufügen. Kaum jemand gibt sich, und da ist man tatsächlich schnell bei der vielzitierten Nähe zu Madonna, so mehrdimensional, vielschichtig, niemandem sonst gelingt es derzeit, die Reichhaltigkeit der eingesetzten Elemente in solch perfektes Zusammenspiel zu inszenieren wie Christine And The Queens. Die Bewegungen, ob trotzig, lässig, wild oder geschmeidig fließend, bringt sie stets in Einklang mit dem Sound, wahlweise zackig und funky, schwelgerisch chansonhaft oder auch mal von reduzierter Zartheit. Und eben auch schonungslos ehrlich, wenn es um Äußerlichkeiten geht. All die Rollenspiele in ihrem Videoclips sprechen die gleiche Sprache von der Sehnsucht nach Vielfalt und Imperfektion, nichts zu sehen von der weichgezeichneten Welt der Hochglanzprofile, keine Angst vorm Scheitern, Letissier trägt die Narben, Flecke, Schrammen und Unebenheiten ihrer Haut wie Auszeichnungen.



Es gibt von diesem Album wie auch beim vielbejubelten Debüt „Chaleur humaine” eine französische und eine englische Version – nun gut, letztere hilft vielleicht zum besseren Verständnis der Texte und ist im Sinne des Dienstleistungsgedankens sicher zu begrüßen. Wirklich getragen werden die Stücke aber nur von der Muttersprache. Das herzzerreißende „La Marcheuse“ (mit dem traurigen Blick auf den Stier), ein nicht minder berührendes „5 Dols“, „L’Etranger“ zuckt und flimmert in abgebremstem Midtempo, der Höhepunkt zuvor mit „Machin-chose“, dieser wunderbar traurigen Vergegenwärtigung von Vergänglichkeit und dem unabänderlichen Lauf der Dinge. Es sind wohl eher die langsamen Songs, die von „CHRIS“ in Erinnerungen bleiben (auch wenn „Damn, Dis-Moi“ und „Doesn’t Matter“ wirklich beeindruckende Tänze hinlegen können), wohl weil Letissier ihnen ein Maximum an Gefühl, an Intensität mitgeben kann. Ihre Entschlossenheit, ihre Verletzlichkeit und Hingabe sind Ausweise einer bemerkenswerten Entwicklung, die von jeder Menge Mut zeugen. Für den sie allen Respekt verdient, denn ein besseres Beispiel für jugendliche Selbstbestimmtheit wird sich nicht so schnell finden lassen. http://www.christineandthequeens.com/

15.10.  Berlin, Columbiahalle

Donnerstag, 27. September 2018

LCD Soundsystem: No Future [Update]

LCD Soundsystem
„American Dream“

(DFA)

Hatte wirklich jemand angenommen, dieser Mann würde die Sache mit der Rückkehr ohne die nötige Ernsthaftigkeit, also mit einem irgendwie halbherzig zurechtgeschusterten Album angehen? Nun, James Murphy läßt sich vielleicht gern mit weit aufgerissenem Mund beim Gähnen ablichten und die Eingangssequenz seiner herrlichen Konzertdoku „Shut Up And Play The Hits!“ zeigt ihn ja auch, wie er sich mit Mühe aus dem Bett seines Appartements wälzt. Aber der Kreativkopf der New Yorker Elektropunk-Kolchose LCD Soundsystem, da sollte man sich nicht täuschen lassen, ist ansonsten ein überaus ausgeschlafenes Kerlchen, der genau weiß, welches Risiko er mit diesem Vorhaben eingegangen ist und daß dieser Schritt in der Branche eigentlich als unverzeihlicher Kardinalfehler gilt und jedem anderen als Geltungssucht, Verbohrtheit, Altersstarrsinn, Geldgier (oder im schlimmsten Falle gleich alles zusammen) ausgelegt worden wäre. Er hat schließlich seiner Zeit nicht nur ein seitenlanges Erklärungsschreiben zur anstehenden Reunion seiner Band verfasst (bevor Medien erst sozial, später asozial wurden, nannte man so etwas einen „Offenen Brief“), sondern mit „Change Yr Mind“, ebenso ungewöhnlich, seine Gedankenwelt dazu auch noch in einen seiner neuen Songs verpackt.

Natürlich ist es eine ganz und gar vorzügliche Platte geworden. Und auch wenn mancher Track auf dem monumentalen Doppeldings vielleicht eine Spur zu lang geraten ist (was im Übrigen auch auf den vorangegangenen Werken der Band üblich und sogar gewünscht war), entspricht das ja eher dem ureigenen Stil des Kollektivs, welches seit jeher funkige und punkige Loops zum Zwecke der Masseneuphorisierung endlos aneinander koppelte – get to trance, Baby! Und damit nicht genug: Denn wir reden hier vom wahrscheinlich besten David-Bowie-Album nach dem viel zu frühen Ableben des Meisters selbst. Nicht erst jetzt, aber besonders nach dem Tod des dünnen weißen Magiers zeigt sich gerade im aktuellen Geschäftsjahr, von welche essentieller Bedeutung Leben und Werk des musikalischen Chamäleons für viele Künstler war, James Murphy ist da nicht allein. Er hat schon früher oft und gern mit Bowie kollaboriert und zeigt auch jetzt auf „American Dream“, wie nahe er ihm in vielerlei Hinsicht steht. Viele der Stücke, stellvertretend könnte man vielleicht „I Used To“ nennen, erweisen sich als ähnlich wandelbar, vielgestaltig und stilübergreifend und machen so den schmerzlichen Verlust vielleicht ein wenig erträglicher.



Wie tief dieser bei Murphy selbst noch sitzt, davon singt er in epischer Breite bei „Black Screen“, dem letzten Song des Albums – ganz der „Space Oditty“ verpflichtet, spürt er seinem Idol sowohl im weiten Raum des Hier und Jetzt als auch im Kosmos überhaupt nach, zwölf Minuten traurige Besinnlichkeit zum Fade Out. Generell aber, zumindest musikalisch, ein unendlicher Spaß: stampfende, schnalzende, pochende Beats überall, die Drums mal blechern, mal synthetisch maximal gepitcht, jeder Track ein signature move für dankbare Fans und auch die Reminiszenzen an die eigentlichen Gründerväter, also Joy Division und New Order, werden keinesfalls vergessen („Call The Police“/„Emotional Haircut“). Zu guter Letzt, das läßt sich nicht verkennen, steckt dem Longplayer natürlich auch der Trump mächtig in den Knochen: Politische Bewußtseinsbildung, also Enttäuschung, Wut, Unsicherheit im Großen wie im Privaten spiegeln sich hier wider, die Umarmung der grauen, gestrigen, aber eben auch vertrauten Zeiten („Call The Police“) kommt auf’s Tablett sowie der Unbill zunehmenden Alterns („American Dream“) oder der Verlust enger Freunde („How Do You Sleep“). Der Punk in Murphy sagt „No Future“, wird melancholisch und bereitet doch sehr viel Freude. Gut gemacht! https://lcdsoundsystem.com/

Update: Der aktuelle Clip zu "oh baby" wurde von keinem Geringeren als Rian Johnson (Regie zu "Star Wars - Der letzte Jedi") gedreht, in den Hauptrollen des beeindruckenden Kurzdramas Sissi Spacek und David Strathaim.

J Mascis: Gute Nachricht, billiger Witz [Update]

Und da ist sie wieder - diese Gitarre! Der Mann dahinter heißt natürlich J Mascis und auch wenn diese Nachricht nicht mehr ganz taufrisch ist, gehört sie doch aufgeschrieben und auch mit dem hintersten Winkel geteilt: Der graue Star (ganz schlimmer Witz, schon klar) wird am 9. November nach "Several Shades Of Why" und "Tied To A Star" sein nächstes Soloalbum namens "Elastic Days" (sehr feiner Titel wiederum) via Sub Pop veröffentlichen, mit "See You At The Movies" gibt es auch schon einen ersten Song davon zu hören, elf weitere werden folgen.

Update: Mit "Everything She Said" gibt es hier auch schon Song Nummer zwei vom neuen Album zu hören.



Spiritual Cramp: Into the groove

Was sonst, wenn nicht mal wieder Post-Punk? Dieser hier stammt von der sechsköpfigen Formation Spiritual Cramp aus San Francisco - ihre Stärke ist nicht die Düsternis, sondern eher Härte gepaart mit funkigem Groove. Zumindest, was die neue Single "The Erasure" angeht, die sich etwas vom Sound der ersten beiden EP "Police State" und "Mass Hysteria" unterscheidet. Frontmann Michael Binghams Stimme eiert schön und der Bass treibt die Szenerie ordentlich an. Infektiös, das. Der Track ist einer von vier neuen und gehört auf die 12" "Television", die im nächsten Monat bei Deranged erscheint.

Mittwoch, 26. September 2018

Dilly Dally: Urgewaltig

Dilly Dally
„Heaven“
(Partisan Records)

Ganz klar, mit einem Begriff wie USP muß man Katie Monks nun nicht kommen. Die Sängerin hat mit marktwirtschaftlichem Kauderwelsch vermutlich weniger als nichts am Hut. Und doch brauchen wir für die neue, zweite Platte ihrer Band Dilly Dally aus dem kanadischen Toronto eine solche Beschreibung, wenn wir begründen wollen, warum gerade diese Formation so erfolgreich ist. Nutzen wir der Verständlichkeit halber also besser das Wort „Erkennungsmerkmal“ – und meinen damit natürlich nichts anderes als Monks markante Stimme. Schon auf „Sore“, dem Debüt der vier, mit dem sie vor drei Jahren erste Erfolge feierten, war diese beeindruckend, unvergesslich. Und ist es noch immer. Wie eine offene Wunde klingt dieser Gesang zumeist. Eröffnet weich, zart verführerisch und wird dann zu einem Schreien und Krächzen, das man so eher dem Metal zuordnet als dem Grungepop. Zusammen mit Gitarristin Liz Ball, Bassist Jimmy Tony und Benjamin Reinhartz an den Drums spielen Dilly Dally noch immer einen herrlich rohen und dennoch hochmelodischen Sound, mehrheitlich schwer und ausufernd. Unter den neun aktuellen Songs sind so wunderbare wie „Doom“, „Pretty Cold“, „Marijuana“ oder auch „Bad Biology“, es geht wild und ungezügelt zur Sache und kracht gar mächtig im Gebälk. Die Themen sind vielleicht das konventionellste an der Platte – sexuelle Orientierung, kaputte Beziehungen, Liebeswirren, Lebenslust. Höchst gelungen, viel mehr gibt’s nicht zu sagen – man muss „Heaven“ besser fühlen! http://www.dillydallyband.com/

03.10.  Berlin, Maze Club

The Prodigy: Freigedreht [Update]

Hui, das sind dann so die Momente, wo man in de Mitte treten und ausrufen will: Hey, Jungs, jetzt kommt mal wieder runter! Nicht? Nee, ist vielleicht besser so. The Prodigy haben gerade  für den 2. November ihr neues Album "No Tourists" angekündigt, es ist das siebte nach "The Day Is My Enemy", bei dem ja unter anderem auch die Sleaford Mods zu Gast waren. Die erste Single zur Platte "Need Some1" haben sie gemeinsam mit Regisseur Paco Raterta in Manila aufgenommen, wo die Dichte an durchgeknallten Typen überdurchschnittlich groß ist, das also mithin genau der richtige Ort ist für Liam Howlett und Kollegen.

Update: Neuer Song und ein paar mehr Termine - mit "Light Up The Sky" bringen The Prodigy wieder etwas Wumms! in den tristen Herbst.

11.08.  Hildesheim, Mera Luna Festival
27.11.  Berlin, Max-Schmeling-Halle
28.11.  München, Zenith
04.12.  Frankfurt, Festhalle
05.12.  Düsseldorf, Mitsubishi Electric Hall



Spirit Award: Oberste Wahrheit [Update]

Über nichts wird ja in letzter Zeit so leidenschaftlich gestritten wie über die Wahrheit und die Frage, wer denn nun die ultimative besitzt und was mit denen ist, die meinen, sie nach ihren Zwecken umbiegen zu können. Man muß deshalb nicht gleich mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Großmeister in Sachen Fake-News und alternative Fakten drüben in den USA deuten, schon in der nächsten Umgebung spielt sich oftmals ähnliches ab. Die dreiköpfige Psychpop-Band Spirit Award aus Seattle beschäftigt sich ebenfalls mit solchen Themen, gerade haben sie ihre neue Single "Supreme Truth" veröffentlicht - diese handelt von Shoko Asahara und seiner ziemlich üblen Bewegung “Aum Shinrikyo”, die 1995 den Sarin-Anschlag auf die U-Bahn von Tokio verübte und von der Frage, wie sich aufgeklärte Menschen von Religion und Todeskult faszinieren und verführen lassen. Das Stück folgt dem letztjährigen Debütalbum "Neverending" der Formation, bald soll mit "Muted Crowd" die nächste Platte folgen.

Update: Mit "Dark Night Of The Soul" begrüßen wir nun den zweiten Song vom neuen Album - auch das bestechender Psychedelic-Rock.

Dienstag, 25. September 2018

Jeff Tweedy: Mann mit Stil

Er ist keiner, der so schnell die Lust verliert: Von jemandem, der so viele Platten, Songs geschrieben und veröffentlicht hat wie Jeff Tweedy, möchte man annehmen, irgendwann kehre Ruhe ein, irgendwann würde auch er es langsamer angehen lassen. Das letzte Wilco-Album "Schmilco" stammt aus dem Jahr 2016, im vergangenen ist sein erstes Solowerk "Together At Last" erschienen. Zwischendrin musizierte der Tweedy noch mit seinem Sohn Spencer - a lot of work done also. Nun hat der Mann für den 30. November einen weiteren Alleingang angekündigt, "Warm", so der Titel, wird elf neue Stücke enthalten und mit "Some Birds" schickt er einen ersten Vorgeschmack samt Video ins Rennen. Der Clip stammt übrigens von Seth Henrikson, dieser schwärmte gerade von des Künstlers sensationellem Songwriting, wollte aber auch erwähnt wissen, dass der Clip ebenso Tweedys sicheres Gespür für stilvolle Herrenmode und schicke Frisuren honoriere. Und wo der Mann recht hat ...

Montag, 24. September 2018

Scarves: Am Ende des Tages [Update]

Dringend erwähnenswert scheint uns heute diese Band aus Seattle: Die Scarves haben sich vor einiger Zeit dem Label Good Eye Records angeschlossen, dort werden sie am 28. September ihr neues Album "Dinner Dates For The End Of Days" veröffentlichen. Das Trio besteht aus dem Bandgründer Niko Stathakopoulos, Drummer Coel Watts und Gitarrristin Nessa Grassing, dem Papier nach spielen sie "math-rock emo-punk". Die aktuelle Vorabsingle "Arrow" jedenfalls flirrt ziemlich hektisch, das gilt im Übrigen auch für die beiden zuvor erschienenen Stücke "Collapse" und "Crushed Ice". Alles schön schief hier, das sollte ein feines Album werden.

Update: Wenn's so gut ist, darf man auch mal so schnell nachlegen wie hier - Song Nummer vier vom künftigen Album, "Sweet Tooth".

Lazy Legs: Entschädigung

Von den Lazy Legs, einer Shoegaze-Formation aus Portland gibt es nicht wirklich viel vorteilhaftes Bildmaterial im Netz zu finden, man kann sich vorstellen, daß einen bei dem Bandnamen auch die spontane Suche via Google nicht viel weiter bringt. Macht aber nix, denn die Musik von Laura Wagner und Michael Tenzer entschädigt einen für die erfolglose Recherche. Im Frühjahr hatten wir an gleicher Stelle noch ihre EP "Tremors" vorgestellt, jetzt gibt es mit "Nosebleed" einen ersten Vorgeschmack auf das kommende Album namens "Moth Mother" zu hören. Und wenn dann mal keine Fotos zur Hand sind, kann man sich immer noch die feinen Illustrationen von Christian Russo anschauen.

Italia 90: Treuepunkte

Mit der Londoner Kapelle Italia 90 hat dieser Blog sich schon ein paar Treuepunkte verdient. Einerseits. Andererseits ist das auch keine große Kunst, denn die vier Kerle machen es einem auch wirklich ziemlich einfach, sie zu mögen. Anfang August haben wir hier ihre letzte Single "Tourist Estate" vorstellen dürfen, nun kommt mit "New Factory" die nächste hinterher und die ist ebenfalls von allererster Güte. Keine Frage also, wir bleiben dran - weil wir nicht anders können.

Mittwoch, 19. September 2018

Marianne Faithfull: Königlich

Platten mit dieser Kraft, auf diesem Niveau zu machen und das mit über siebzig Jahren, das ist nur wenigen vergönnt. Marianne Faithfull hat mit der Musik 1965 angefangen, da waren die meisten von uns noch nicht einmal angedacht. Zwanzig Alben sind es mit der Zeit geworden, vor vier Jahren erschien mit "Give My Love To London" das letzte, die halben Bad Seeds hatte sie sich dazu von Nick Cave ausgeborgt und auch Brian Eno, Adrian Utley, Ed Harcourt und Anna Calvi waren als Gäste geladen. Für den 2. November ist nun "Negative Capability" angekündigt und auch diesmal ist die Begleitung aller Ehren wert, Rob und Warren Ellis haben produziert, Cave ist diesmal gleich selbst erschienen, um gemeinsam mit der Grande Dame den Song "The Gypsy Faerie Queen" einzusingen.

Dead Can Dance: Wein und Wahnsinn [Update]

Im Sommer 2012 hatten wir hier von einer Wiedergeburt gesprochen - nach sechzehn Jahren Pause war damals mit "Anastasis" erstmals wieder ein gemeinsames Album von Brendan Perry und Lisa Gerrard als Dead Can Dance erschienen. Die damit verbundene Hoffnung, es werde mit dem Nachfolger dann nicht allzu lange dauern, erfüllte sich allerdings nicht. Gerade nun haben die beiden Künstler via 4AD doch noch die nächste Studioplatte angekündigt: "Dionysus" wird am 2. November veröffentlicht und erfreulicherweise kommt das Duo auch mit einer werkumspannenden Show auf ein paar Konzerttermine nach Deutschland (auch wenn wir auf diese noch etwas warten müssen). Erklärungen zur Wahl des Albumtitels und den einzelnen Acts gibt es hier, in Ermangelung erster neuer Klänge anbei noch einmal Material vom besagten Vorgänger.

Update: Mit "The Mountain" gibt es nun endlich einen ersten Eindruck vom neuen Album - und was soll man sagen: Angenehm bekannt, das alles.

16.05.  Berlin, Tempodrom
17.05.  Berlin, Tempodrom
16.06.  Frankfurt, Alte Oper
18.06.  Bochum, RuhrCongress
19.06.  Bochum, RuhrCongress



Henry Nowhere: Erste Schritte [Update]

Ein guter Name ist ein erster Anfang. Da schaut man gern mal etwas genauer hin, hört rein, nimmt sich etwas mehr Zeit. Henry Nowhere zum Beispiel passt in diesem Falle perfekt ins Bild. Junger Mann mit melancholischem Blick, wahlweise im letzten Rest der Abendsonne oder an zerklüfteter Steilküste: Henry Moser stammt aus Los Angeles, hat dort schon geraume Zeit mit der Band Day Wave gespielt und sich dann entschlossen, seinen fein versponnenen Lofi-Pop solistisch aufzuführen. Dieser Tage soll seine zweite EP "Not Going Back" erscheinen und nach der Vorabsingle "Problems Of The Heart" streamen wir heute den Titelsong.

Update: Und hier sind nun alle sechs Songs der EP, einer schöner als der andere. Reinhören!

Dienstag, 18. September 2018

Cat Power: Die höchste Ehre

Das höchste Kompliment, so Chan Marshall alias Cat Power, das man einem anderen Künstler machen kann, sei eine Coverversion. Sie hat in ihrer bisherigen Karriere schon viele Komplimente verteilt - im Jahr 2000 gab es unter dem Titel "The Covers Record" eine ganze Platte davon, mit dabei unter anderem The Velvet Underground, Bob Dylan, die Rolling Stones und Smog, später dann "Jukebox" mit Billie Holiday, Hank Williams und Joni Mitchell. Nur konsequent also, dass sie diesen Weg auch bei ihrem neuen Album "Wanderer" fortgeht, diesmal ist es überraschenderweise einmal Rihanna, der sie die Ehre erweist und deren Hit "Stay" neu interpretiert.

Montag, 17. September 2018

Isolation Berlin: Die neuen Leiden des jungen B. [Update]

Isolation Berlin
„Vergifte dich“
(Staatsakt)

Wirklich tröstlich ist das nicht: Vor ziemlich genau zwei Jahren, das Debütalbum von Tobias Bamborschke und Isolation Berlin war gerade erschienen, galt Flucht noch als Option. „Fahr weg“, hieß es da, „so weit weg wie es geht, wenn dich doch hier nur alles deprimiert…“ – aus dem Staub machen, entkommen. Ein Jahr darauf folgten fünfzig böse Verse (*), brach sich die Wut, die auf „Und aus den Wolken tropft die Zeit“ noch aus der Ferne ätzte, endgültig Bahn. Bamborschke platze buchstäblich der „Kotzkragen“, eines der Gedichte hieß „S-Bahn“ und kam mit acht Worten aus: „Leckt mich doch Alle, am Arsch! AM ARSCH!“ Dem war für den Moment nichts hinzuzufügen, jetzt erscheint das zweite Album und die Flucht ist vom Tisch. Die Botschaft: Wenn du nicht klar kommst mit den Gemeinheiten, dem Unrecht dieser Welt, bring dich einfach um. Obwohl – es muss ja nicht immer gleich die tödliche Dosis ein. Den althergebrachten Giftstoffen hat unsere moderne Gesellschaft ja ein paar perfide, nicht weniger gefährliche Mittelchen hinzugefügt, die eher auf langsames Zersetzen, auf Aushöhlen und Betäuben, Lähmen aus sind, sie flimmern über kleine Displays, tarnen sich als Avatare und falsche Freunde, bedienen den schnellen Hass und füllen die Leere mit nichtssagendem Getöse. Man stirbt ab. Langsam. Freiwillig.



Es gibt nicht viele helle Momente auf dieser neuen, zweiten Platte von Isolation Berlin, mehr noch als ihr unentschiedener Vorgänger ist „Vergifte dich“ angefüllt mit Abscheu, Selbstzweifel und dessen großem Bruder, dem Selbsthass. Der Rausch, der vergessen lässt, wird vom Gift zum Geschenk. Nichts kickt mehr, alles war schon da und geholfen hat es kaum, nicht gegen das schwarze Loch, das sich mehr und mehr ausbreitet im eigenen Schädel und das man nicht benennen kann, nicht für die Liebe, die doch nur Lust ist und Trieb. Die, die helfen könnten, die noch zu berühren vermögen und Reaktion zeigen, auch wenn es nur Tränen sind, die schickt man besser weg („Marie“), weil man sich seiner selbst nicht mehr sicher sein kann („Melchiors Traum“). Kein Ausweg, nirgendwo, nicht zu zwein, nicht allein, und auch die Träume haben keinen Trost parat, Gedanken kreisen wie kaltes, gefühlloses Gestein auf stummen Bahnen.



Der Grund, warum diese Lieder dennoch so gut und einzigartig sind, liegt in Bamborschkes Wahrhaftigkeit, die über die Schmerzgrenze hinausgeht und in ihrer Hilflosigkeit zu Herzen geht. Der Gossenjunge zur Leidensgestalt stilisiert, die am Pfandflaschenautomat auf Erlösung wartet, wohl wissend, dass auch dies eine Illusion ist. Die den Frust benennt, den wir alle kennen und der uns die tägliche, klägliche Hoffnungsration wegfrisst, weil sich die meisten doch in dieser Welt ohne Sinn und Verstand leidlich bequem eingerichtet haben. Weil Bamborschke singt, was wir spüren, aber nicht sagen, gehen einem die Stücke nahe, kommt man nicht aus, rücken sie auf die Pelle. Woran es fehlt, ist Ironie, das macht es manchmal schwer zu ertragen – und weil seinem großen Vorbild und lyrischen Ziehvater Sven Regener genau das gelingt, beginnt man auch dessen Leistung gleich noch ein bisschen mehr zu schätzen. Man hat das unbedingte, bedrückende Gefühl, dass Bamborschke ohne diese Songs, ohne diese Texte die Tristesse, die Traurigkeit nicht bewältigen könnte, dass sie allein ihm den nötigen Halt geben. Und vielleicht ist genau das die zwingende Voraussetzung, um wirklich Großes zu schaffen.

(*) Tobias Bamborschke "Mir platzt der Kotzkragen", Gedichte, Gedanken und Spelunken, Wohlrab Verlag, 2017

22.01.  Eggenfelden, Rossstall
23.01.   Dornbirn, Spielboden
24.01.   Graz, Orpheum
25.01.   Mödling, Red Box
26.01.   Linz, Kapu


Hero Fisher: Nächste Lieferung

Denkt man an nix, kommt da plötzlich dieser Song um die Ecke - dickes, elektrifiziertes Wummern, brüchige Stimme, nimmt einen sofort für sich ein, nimmt einen mit. Hero Fisher heißt die Dame, in England geboren, in Frankreich aufgewachsen, in London zu Hause. 2015 hat sie ihr erstes Album "Delivery" aufgenommen, die Vergleiche mit Patti Smith oder PJ Harvey ließen nicht lange auf sich warten. Es folgten eine Reihe überaus gelungener Singles, heute nun ihr neuestes Werk namens "If I Die And Nothing Happens". Kann mehr von kommen.



Fufanu: Dialogbereitschaft

Man hatte sich ja schon gefragt, wo das alles enden sollte - darüber herrscht nun zumindest Klarheit: Vor einiger Zeit haben die isländischen Post-Punks von Fufanu, im Frühjahr letzten Jahres noch mit ihrem famosen Album "Sports" eine der Überraschungen der Saison, mit eine Reihe von Songs unter der Klammer Dialogue verblüfft - alle sehr elektronisch, sehr LoFi. Nun ist klar, dass wir zu am 19. Oktober die Sammlung aller Tracks, die erschienen und noch  in Planung sind, als neues Album unter dem Titel "The Dialogue Series" bei One Little Indian erwarten dürfen. Zu den insgesamt zehn Stücken wird es jeweils auch einen Videoclip geben, die bislang bekannten kann man sich auf der Website der Band anschauen, den neuesten zu "One Too Many" gibt es der Einfachheit halber gleich hier.



Sonntag, 16. September 2018

Steiner und Madlaina: Anlaß genug

Grundsätzlich ist es ja mal so, dass das Leben eigentlich gar kein so schlechtes ist. Meistens jedenfalls. Nur irgendwie möchte man davon nicht reden, geschweige denn singen, aus lauter Angst, es könnte gleich wieder vorbei sein mit dem Wohlgefühl. Und auch wenn Nora Steiner und Madlaina Pollina alias Steiner und Madlaina das in ihrem aktuellen Song etwas ironischer und hintersinniger gemeint haben - ein Anlass zum Innehalten und Nachdenken, vielleicht auch Wertschätzen ist das Lied allemal. Und wenn dann am 19. Oktober ihr Debütalbum "Cheers" auf dem Plattenteller dreht, ist das sicher noch ein weiterer Grund, den Moment zu feiern.

Samstag, 15. September 2018

Our Girl: Wechselspiel

Our Girl
„Stranger Today“
(Cannibal Hymns)

An das Erbe von Nirvana traut sich ja immer noch keiner so recht ran. Was zum einen daran liegen könnte, dass es bekanntlich kein so gutes Ende nahm mit der Band. Wahrscheinlich liegt es aber eher am übergroßen Schatten des Oevres, das zwar klein, aber mit mächtiger Sprengkraft ausgestattet ist und bei nachfolgenden Generationen somit vielleicht für wackelige Knie und Versagensängste sorgt. Dabei wären die Zeiten günstig. Grunge ist seit längerem wieder en vogue, Anwärter auf die Nachfolge gab und gibt es viele und sind zudem die schlechtesten nicht: Bully, Kagoule, Slothrust, Speedy Ortiz, Yuck, Milk Teeth. Und eben auch Our Girl. Was nicht ohne Komik ist, denn die drei kommen aus dem britischen Brighton und klingen trotzdem so, als seien sie in den Suburbs von Seattle aufgewachsen. Dennoch sind auch Soph Nathan, Josh Tyler und Lauren Wilson vorsichtig mit allzu eindeutigen Querverweisen, lieber betonen sie die vielfältigen Einflüsse der einheimischen Community, die ja in den letzten Jahren viel Zuwachs bekommen hat. Das Debütalbum jedenfalls versammelt den Output der letzten drei Jahre, begonnen mit „Level“, der ältesten Veröffentlichung aus dem Gründungsjahr 2015.



Schon da ist klar erkennbar, wohin die Reise gehen soll – knirschende Gitarren, der Wechsel von ungezügeltem Lärm und einschmeichelnden Melodien, Akustik vs. Stromgitarre, zarte Besinnlichkeit trifft maximale Spannung. Nach diesem Prinzip funktionieren auch die restliche zehn Stücke der Platte, es scheppert und kracht gewaltig vor und nach den selbstverordneten Atempausen, einzig „Heat“ bleibt bei seiner zärtlichen und intimen Reduziertheit. Besonders schön gelungen ist der Wechsel von leise auf laut und zurück beim Titelstück und dem darauf folgenden Frühwerk „Beeing Around“, wo den J-Mascis-Gedächtnis-Riffs noch ein paar feine Shoegazing-Effekte hinzufügt werden. Co-produziert hat „Stranger Today“ im Übrigen Bill Ryder-Jones, Gründungsmitglied der Indierocker The Coral – nach seinen Arbeiten mit The Wytches, dem Hooton Tennis Club und By The Sea ist ihm mit Our Girl tatsächlich ein kleines Meisterwerk gelungen. So gut ist es geworden, dass letztendlich vollkommen egal ist, an wen es einen denn nun erinnert. https://weareourgirl.bandcamp.com/



Freitag, 14. September 2018

Breichiau Hir: Ein seltsamer Mann

Über die walisische Punk-Kapelle Breichiau Hir und ihre eigenständige Art der Musik haben wir hier schon berichtet, zwei ihrer Singles vorgestellt. Nun gibt es einen neuen Song der sechs zu hören - und zu sehen. Zur aktuellen Single "Portread O Ddyn Yn Bwyta Ei Hun" (Porträt eines Mannes, der sich selbst isst - oder so ähnlich) gibt es auch ein Video von Nico Dafydd, ab dem 12. Oktober wird sie käuflich zu erwerben sein. Der Song ist Auftakt zu einer Serie von Veröffentlichungen, die 2019 in einem Album des Labels Libertino Recordings gipfeln soll.

Sleaford Mods: This note's for you

Sleaford Mods
"Sleaford Mods"

(Rough Trade)

Nein, es ist nicht vorbei. Es ist auch nicht besser geworden. Es interessiert nur niemanden mehr so recht. Über zwei Jahre ist es her, da sich die Mehrheit der Briten in einem Referendum für den Austritt aus der EU entschieden hat und seitdem geht es mit dem einst so stolzen Königreich im Eiltempo den Bach runter. Obwohl noch nicht mal beschlossen ist, wie hart denn nun der Brexit wirklich wird und wann genau mit der Loslösung Großbritanniens von Europa wirklich begonnen werden soll, sind die Folgen für das ohnehin schon gebeutelte Land, vor allem für die Armen und Ärmsten bereits deutlich zu spüren. Dass dies kaum noch eine Nachricht wert ist, liegt wohl auch daran, dass wir Informationen im Schnelldurchlauf konsumieren, kaum die Zeit zur wirklichen Auseinandersetzung haben (und uns selbige auch nicht nehmen) - zudem dominieren immer die sensationellsten, die lautesten, die krassesten News die Kanäle, von stetigem Niedergang, der schleichenden Aushöhlung der Sozialsysteme, all den kleinen und alltäglichen Niederlagen will niemand wirklich etwas wissen.



Nicht so bei Jason Williamson. Der Sänger und Texter der Sleaford Mods wird nicht müde, die Missstände in seiner Heimat zu benennen. Und auch wenn es aktuell nur zu fünf Songs gereicht hat, sind diese deshalb nicht weniger deutlich, nicht weniger zornig und anklagend als auf den famosen Alben zuvor. Williamson und Andrew Fearn haben sich ja für den Tag der Veröffentlichung der neuesten EP einen kleinen Marketing-Gag überlegt und überreichen diese gerade den Bestellern persönlich vor Ort an der Haustür, was eindeutig der angenehmere Besuch ist als der, von dem der erste Song "Stick In A Five And Go" erzählt. Ein frustrierter Zeitgenosse, der auf den sozialen Kanälen wütet und hernach seinen Brass gegen unbekannt abreagiert - der Troll als Blindgänger, der rot sieht und Amok läuft. Die gleiche Story übrigens, die auch der Film "Us And Them" von Joe Martin (mit Tim Roth's Sohn Jack) thematisiert und auf dessen Soundtrack passenderweise auch die Sleaford Mods zu hören sind.

Es bleibt auch bei den restlichen Stücken düster - "Gallows Hill" handelt von einer zweifelhaften Sehenswürdigkeit in Nottingham, einem alten Friedhof, der laut Williamson zum Treffpunkt der Ausgestoßenen und Randständigen geworden ist und der es, weil die Stadt selbst die Beleuchtung entfernt hat, zum trostlosen und deprimierenden Wahrzeichen seiner Stadt geschafft hat. Weiter erinnert sich Williamson mit Bitterkeit an die armseligen Zeiten seiner Jugend als Gläsersammler in einem Pub ("Dregs"), sinniert über verlorene Seelen, die man dennoch nicht abschreiben sollte ("Joke Shop"). Der Sound der 12" ist dabei überraschend locker und manchmal geradezu verspielt, Fearn baut in seine LoFi-Tracks hübsche Melodien und Casiotone-Tunes ein, "Bang Someone Out" hat regelrecht Swing und Williamson überrascht ein weiteres Mal mit - ja, nennen wir es ruhig: Gesang. Vielleicht klingt die EP deshalb nicht ganz so zwingend und rough wie die vorangegangenen Longplayer, als Statement ist sie so wichtig wie gelungen. This note's for you, sozusagen. https://sleaford-mods.myshopify.com/

HEALTH vs. Soccer Mommy: Strange Combination

Okay, in der Reihe "Strange Combinations" ist das mit Sicherheit einer der vordersten Plätze: HEALTH aus Los Angeles sind eher für gnadenlose Synthbeats bekannt und haben sich zuletzt 2015 mit dem Album "Death Magic" in unsere Herzen geprügelt. Sophie Allison aka. Soccer Mommy ist gleiches mit ihrer aktuellen Platte "Clean" und deutlich leiseren Tönen gelungen. Dass beide nun gemeinsame Sache machen, ist deshalb nicht unbedingt naheliegend, das Ergebnis in Form des Songs "Mass Grave" kann sich aber hören lassen. Was aus dieser Kollaboration noch so erwächst ist derzeit leider noch unbekannt.

Donnerstag, 13. September 2018

Bambara: Fieberhaft

Über eine sehr interessante Band stolpert, wer gerade die Idles aus Bristol verfolgt (und das ist gewiß kein Fehler, denkt man an ihr gerade veröffentlichtes Album "Joy As An Act Of Resistance"): Denn auf deren US-Tour gehörten auch Bambara zum Support, eine Kapelle aus Brooklyn, New York. Diese haben ihrerseits im April diesen Jahres ihre aktuelle Platte "Shadow On Everything" herausgebracht und die ist für Fans der Cave'schen Bad Seeds ein Fest. Düster krachende Todestänze, heiß, hitzig, ja fiebrig. Das Video zur Single "Monument", ein monochromatischer Live-Mitschnitt, gefilmt von Tim Ciavara, ist gerade geteilt worden, den Rest gibt es via Wharf Cat Records.



Forest Swords: Im Sog

Dass die Reihe DJ-Kicks seit jeher von ausgesucht guter Qualität ist, die durchaus auch die Zeit überdauert, weiß man. Wer's nicht ganz glauben möchte, darf gern mal die alten Sachen der Stereo MC's, Rockers Hi-Fi oder die fast schon legendäre Mixtur von Kruder und Dorfmeister einlegen - sie kicken noch immer. Gerade erst hat die über zwanzig Jahre alte Reihe mit Matthew Barnes aka. Forest Swords aufgemacht und auch diese Platte ist ein Killer. Aus dem feinen Set sticht besonders der Track "Crow" hervor, eine Eigenkomposition, für die es auch einen so einfachen wie genialen Clip gibt ("Tomorrow's Storeys" von Liam Young) - Häuserschluchten ziehen den Blick des Betrachters unnachgiebig zu sich heran, ein Stück Blade Runner aus der Jetztzeit. Meisterhaft.

Estrons: Namensgebung [Update]

Von der walisischen Band Estrons durften wir vor kurzem mit der Single "Lilac" schon einen ersten Ausblick auf ein eventuell folgendes Albumdebüt hören, nun machen Tali Källstörm und Kollegen Nägel mit Köpfen: Für den 5. Oktober kündigt das Trio heute also den Erstling an, "You Say I'm Too Much, I Say You're Not Enough" wird er heißen und bei The Orchard/Gofod Records erscheinen. Und mit "Cameras" haben die drei auch gleich noch einen weiteren potentiellen Hit dabei.

Update: Und hier mit "Body" Vorabtrack Nummer drei vom neuen Album.



Mittwoch, 12. September 2018

Margot: Mitgehört [Update]

Wir haben ihre beiden ersten Singles gefeiert, warum sollten wir es mit der dritten nicht tun? Margot aus London sind uns, das geben wir gern zu, mit ihren Songs "Desensitised" und "Twenty Six", vielleicht weil sie die Sehnsucht nach einer Band wie The Smiths stillen, die es so leider heute nicht mehr gibt. Vielleicht aber auch nur, weil sie eine Unbekümmertheit an den Tag legen, die einfach sympathisch ist. Und das gilt natürlich auch für das neue Stück "Tired", zu dessen Entstehung Sänger Alex Hannaway folgendes sagt: "Tired came from a late-night journey on the tube. I was being nosy, prying on a conversation between two men. One was expressing how difficult it was becoming with his teenage daughter, how hard it was to get any kind of conversation, how they used to be so close. He was struggling to come to terms with change." Würden wir's nicht lesen - wir hätten genau das vermutet...

Update: Männer die über ihr Verhältnis zum eigenen Geschlecht reden, gibt es momentan nicht gerade wenige, einige singen auch davon. Margot haben gerade ihre vierte Single veröffentlicht, "Imagined Man" ist ein wunderbares Popstück und so ganz und gar nicht männlich (im überkommenen Sinne zumindest).

Adrianne Lenker: Verfeinert [Update]

Foto: Sasha Arutyunova
Den ganz fleißigen Lesern (User klingt jetzt etwas arg technokratisch) wird nicht entgangen sein, dass die New Yorker Kapelle Big Thief im letzten Jahr hier großes Lob bekommen hat, Grund dafür war das so vielschichtige wie zart verwebte Album "Capacity", das wiederum seine Faszination hauptsächlich aus Stimme und Präsenz von Sängerin und Songschreiberin Adrianne Lenker bezog. Da trifft es sich gut, wenn Lenker nun die Veröffentlichung eines Soloalbums mit dem Titel "abyss kiss" verkündet, die Platte soll am 5. Oktober bei Saddle Creek erscheinen. Es ist allerdings, wie man vermuten möchte, ihr Debüt, denn schon 2014 wagte sie, gerade 21 und neu in New York angekommen, den Alleingang mit "Hours Were The Birds", das man sich bei Bandcamp anhören kann. Nun also der Nachfolger, den sie gemeinsam mit Luke Temple von Here We Go Magic aufgenommen hat, die erste Single "cradle" kommt mit zerbrechlichen Folkklängen.

Update: Bezaubernder geht es fast nicht - ob solistisch oder mit The Big Thief, Adrianne Lenker geht unter die Haut, auch mit ihrer zweiten Single "Symbol".

23.01.  Berlin, Baumhausbar

Bauhaus: Untot

Alle, die mit Retrokram so ihre Probleme haben, müssen jetzt mal kurz weghören: Denn die britischen Gothrock-Legenden Bauhaus planen anlässlich des 40-jährigen Bandjubiläums u.a. die Veröffentlichung einer Remaster-EP mit dem Titel "The Bela Session", mithin also eine Aufbereitung ihres wohl bekanntesten Songs "Bela Lugosi's Dead". Das 1979 entstandene Stück teilt sich auf der für den 23. November terminierten Edition den Platz mit vier weiteren Stücken, von den zwei bislang noch nicht erschienen sind. Und weil das alles noch nicht sensationell genug ist, stehen laut Consequence Of Sound auch besondere Vinyleditionen ihrer sämtlichen Alben und eine gemeinsame Tour von Sänger und Bandleader Peter Murphy und Bassist David J auf der Agenda.

10.11.  Frankfurt, Das Bett
12.11.  Zürich, Mascotte
23.11.  München, Ampere
24.11.  Bochum, Christuskirche
27.11.  Berlin, Columbia Theater
28.11.  Hamburg Knust

Beach House: In tiefer Verehrung

Beach House
„7“

(Sub Pop/Bella Union)

Manch eine/r meint ja, Platten aus den Genres Dreampop und Shoegazing würden sich jedweder Bewertung entziehen, da sie ohnehin alle gleich klingen würden, ja besser noch, diesen Gleichklang zum Prinzip erhoben hätten. Natürlich ist da ein Körnchen Wahrheit dran, allerdings müsste man so wohl auch den Anhängern des Black Metal gegenüber argumentieren, denn auch dort gehört Abwechslung nicht gerade zu den Alleinstellungsmerkmalen. Und einfach macht es sich, wer so urteilt, ohnehin, denn man kann sehr wohl Unterschiede, eigenständige Charakteristika finden, man sollte halt nur etwas genauer hinhören. Beispiel Beach House: Was Victoria Legrand und Alex Scally auf ihren bislang sechs Alben präsentierten, zählt zur Hochkultur der Pedalkünstler, sie haben aber in den letzten Jahren ein paar stilistische Neuerungen vorgenommen, die zumindest in der ersten Hälfte des neuen Albums besonders auffällig sind – mehr Syntheszier, mehr Beats, mehr Dance, etwas roughere Gitarren.



Verantwortlich dafür zweifellos die Zusammenarbeit mit einem neuen Produzenten. Nachdem bei den letzten Arbeiten Chris Coady die Finalisierung übernommen hatte, saß hier Peter Kember aka. Sonic Boom an den Reglern – der Mann spielte immerhin schon mit Spacemen 3, Yo La Tengo, Stereolab und mischte Platten von MGMT und Panda Bear ab. Ein neuer Ansatz, ein weiterer Horizont, so klingen auch die ersten Tracks auf „7“. „Dark Spring“ eröffnet mit crispy Gitarrenhooks, bei „Pay No Mind“ grundiert ein ziemlich dicker Basslauf den Song und „Lemon Glow“, die erste Vorauskopplung, loopt und poppt ganz wunderbar und durchaus überraschend. Den Höhepunkt erreicht die Band mit dem famosen, zweisprachigen „L’Inconnue“, zunächst mit ein paar billig anmutenden Casiotones gestartet, steigert sich das Stück zu einem recht dramatischen, ja hymnischen Finale samt choraler Begleitung.



Man sollte sich allerdings von manch luftiger Nummer nicht täuschen lassen, hier schwingt auch manche dunkler Ton mit. In „Drunk In L.A.“ beispielsweise erzählt ein in die Jahre gekommenes Starlet die traurige Geschichte von schwindendem Ruhm und Einsamkeit, auch „Black Car“ wirkt sehr melancholisch. Wenn Kember, Legrand, Scally und Livedrummer James Barone auch die Spannung nicht ganz bis zum Ende halten können – kurz vor Schluß bekommt man noch einen Hinweis auf das Covermotiv und eine der Hauptmotivation hinter dem Album. „Girl Of The Year“ nämlich nimmt Bezug auf die Warhol-Muse Edie Sedgwick, Legrand betrachtet sie mit Ehrfurcht und Bewunderung: „She was a beautiful, yet deeply troubled girl and at the same time, she was a shining star. I work very visually so I was very enamored with eyelashes and the use of the eyeliner and the smoke and the eyes. Nico, also. It’s almost Grecian but there’s something tragic about them all. They’re these icons and I don’t know why, but humans need icons. … I would have pop art in general, which a lot of the album’s artwork references (Pitchfork).“ So oder so, wir verehren ebenfalls weiter. http://www.beachhousebaltimore.com/

01.10.  Köln, Gloria
02.10.  Berlin, Huxleys
11.10.  Hamburg, Kampnagel

Montag, 10. September 2018

Lala Lala: Harter Stoff [Update]

Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass die besten Songs immer von denen kommen, die die größten Probleme zu bewältigen haben, dann hätten wir hier einen. Lillie West aka. Lala Lala stammt ursprünglich aus London, lebt aber schon geraume Zeit in den USA, erst Los Angeles, jetzt Chicago. 2016 hat sie ihr Debütalbum "Sleepyhead" veröffentlicht, nun ist für den 18. September der Nachfolger "The Lamb" via Hardly Art angekündigt. Und zu diesem sagt sie: "The Lamb was written during a time of intense paranoia after a home invasion, deaths of loved ones and general violence around me and my friends" - puh, harter Stoff. Schon die erste Single "Destroyer" handelt von Selbstzerstörung und der Erkenntnis früherer Verletzungen, wie auch immer die Sache ausgeht, wir wünschen ihr das Beste. Denn ihre Musik ist durchaus vielversprechend.

Update: Auch die neue Single "Dove" klingt wie eine Mischung aus King Krule, Cat Power und The XX - also äußert reizvoll.



Sonntag, 9. September 2018

Dilly Dally: Verdammt himmlisch [Update]

Ein schöner, blauer Himmel erleuchtet seit kurzem ihre Facebook-Seite: Nicht ohne Grund, denn das kommende Album von Dilly Dally, kanadisches Krachquartett aus Toronto, heißt schlicht "Heaven" und soll am 14. September bei Partisan Records erscheinen. Den Nachfolger des Debüts "Sore", seit 2015 im Regal, schmückt zudem ein neues Logo, geblieben ist der kratzige Sound, mit dem Katie Monks (Gesang und Gitarre), Liz Ball (Gitarre), Jimmy Tony (Bass) und Benjamin Reinhartz (Drums) schon damals ihre Songs einspielten. Die Lead-Single "I Feel Free" kommt mit einem Video von Adam Seward, für den Herbst folgt dann ein erster Livetermin.

03.10.  Berlin, Maze Club

Update: Die zweite Single nennt sich "Sober Motel", die dritte "Doom" - beide kommen hier im Stream.





Die Ärzte: Vorsicht Wildwechsel

Um dusselige Namen waren diese Herren ja nie verlegen, glücklicherweise verbergen sich dahinter stets wunderbare Musikalien höchsten Anspruchs: Die Ärzte haben gerade einen weiteren Schritt hinein in die öffentliche Wahrnehmung gemacht und ein karriereumspannendes Boxset mit dem Namen "Seitenhirsch" angekündigt. Der schwarze Ziegel wird am 16. November bei And More Bears erscheinen und nach glaubhaften Angaben des Bademeister-Newsletters ganze 33 CDs in 11 sogenannten Mediabooks mit hübschen Coverentwürfen enthalten. In den satten 5 kg Gesamtmasse verstecken sich alle bislang erschienenen Alben, Outtakes, B-Seiten und sonstiger Krimskrams, das Sondermaterial wird es zudem als gesonderte 3CD/4LP-Edition mit dem Titel "They've Given Me Schrott - Die Outtakes" geben. Ach so - bestellen kann man das mutmaßlich größte Großwerk u.a. bei Grand Hotel Van Cleef für schlappe 333 Euro. Und Konzerte soll es auch bald wieder geben, für etwas weniger Kohle (höchstwahrscheinlich) ...



Samstag, 8. September 2018

Idles: Mit Wut und Liebe

Idles
„Joy As An Act Of Resistance“
(Partisan Records)

Es ist nicht ganz so einfach zu sagen, was die Idles besser machen als andere. Wütende Bands gibt es hier und heute viele, die Zeiten, ob im Provinzkaff nebenan, weit drüben in Amerika oder im einst so stolzen Königreich, sie sind danach. Aber Wut braucht nicht nur Lautstärke. Sie braucht auch Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit, Auswege, sonst bleibt sie blind und zerstörerisch, sonst nutzt sie niemandem. Joe Talbot, Sänger des Quintetts aus Bristol, hat aus seinem gerechten Zorn nie ein Hehl gemacht. Schon auf dem fulminanten Debüt „Brutalism“ hat er gegen verstockte Traditionen, Denkmuster und Vorurteile angebrüllt, hat Porzellan zerschlagen. Und tut es wieder, so roh, pur und ungekünstelt, dass man ihn dafür lieben muss. Selbst für seinen Hass: „You will never forgiven for what you’ve done. Seriously. I fucking I hate you. Tabloid cancer fuckpigs“, etwa heißt es in den Linernotes des Schlußstücks „Rottweiler“, keine Kompromisse, nicht zu bändigen, Talbot teilt aus, wie er früher eingesteckt hat.

Denn das zweite Album hat wie auch der Vorgänger eine sehr starke autobiographische Komponente. Das Verständnis von Männlichkeit, mit dem unsere Gesellschaft jungen Burschen den Weg vorgibt und das oft so verlogen und falsch ist, daß es Talbot den Schaum vor den Mund treibt. Schon bei „Colossus“ erscheint ihm der Schatten des geliebten Vaters so tonnenschwer, wie der Song sich im ersten Teil dem Hörer nähert. „Samaritans“ bleibt beim Thema, ironischer jetzt, etwas weniger böse, aber immer klar: „The mask of maskunality is a mask that’s wearing me“, und danach mit einem Gruß an Kate Perry in der Pop-Blase „I kissed a boy and I liked it“. Stück um Stück kämpft sich Talbot durch Kindheit und Jugend, gemobbt, beiseite geschoben, Dreck der Straße. Der Schmerz, der ihn noch heute zornig werden läßt, hat sich eingebrannt, macht ihn empfindsam als Vater, der er jetzt ist. Mit all der Verantwortung und auch der Ohnmacht, einfache Botschaften deshalb wie in „Television“: Love yourself, liebe dich selbst, weil es sonst keiner tut, und vor allem: Liebe dich so, wie du bist.



Auch die großen politischen Themen bleiben natürlich nicht außen vor. Talbot ist ein Krieger, der Brexit trifft in ihm einen erbitterten Widersacher. Kleingeist und Engstirnigkeit sind ihm fremd, auch dazu eine Notiz: "I am a human first and a briton last. Long live the open minded.“ Dem sozial gebeutelten, vom Mitmenschen entfremdeten Heimatland gibt er mal um mal kräftig eine mit. In „Danny Nedelko“, wo er dem in der Ukraine geborenen Freund und Sänger der Kapelle Heavy Lungs ein kleines Denkmal setzt: „My blood brother is an immigrant, a beautiful immigrant, my blood brother's Freddie Mercury, a Nigerian mother of three“. In „Great“ wiederum liest er dem Neid, der Selbstsucht und dem überzogenen Misstrauen seiner Landleute mit scharfer Zunge die Leviten: „Islam didn’t eat your hamster, change isn’t a crime, so won't you take my hand sir and sing with me in time“. In einer Zeile – der Spiegel vorm Gesicht, die Liebe als Ausweg.



Alles Punk: Talbots Tiraden, mit ungebremster Härte bis zum letzten Akkord, Devonshires ultrafetter Powerbass, Bowens verteufeltes Gitarrengefetze, Mitgrölhymnen galore, herrlich! Und dann noch, als wäre es nicht schon genug des Besten, zwei Songs mit besonderer Strahlkraft: In „June“ singt Talbot über sein Kind, das tot zur Welt gekommen ist – so bitter und traurig, daß man ihm glaubt, wenn er sagt, er könne das wohl auf einer Bühne kaum schaffen: „A stillborn is still born, I am a father … babyshoes for sale, never worn.“ Und später dann die ungewöhnliche, doch sehr gelungene Coverversion des Solomon-Burke-Klassikers „Cry To Me“. Der Song habe ihn verdammt berührt, sagte Talbot dem Netzportal NPR, wer wie er ab und an Grinderman höre und „Dirty Dancing“ liebe, werde das verstehen. Das perfekte Album übrigens packt einen im Moment genauso wie zehn, zwanzig Jahre später – letzteres können wir jetzt nicht nachprüfen, für den Moment aber ist „Joy As An Act Of Resistance“ zweifellos das Ding der Stunde. https://www.idlesband.com/

Freitag, 7. September 2018

Big Bliss: Dauerthema

Wo wir gerade wieder mal beim Post-Punk sind: Augen und Ohren auf für Brooklyn, denn von dort kommen Big Bliss. Das Trio hat 2016 mit der Arbeit begonnen, aus dieser Zeit stammt die erste EP "Keep Near". Es folgten die Stücke "Fortune" und "Contact", für den Oktober nun haben die Brüder Cory (Drums) und Tim Race (Gesang, Gitarre) zusammen mit Wallace May am Bass ihr neues Album "At Middle Distance" via Exit Stencil Recordings angekündigt, die Single "Surface" gibt es jetzt schon zum Vorhören.



Interpol: Gegensatz als Triebfeder

Interpol
„Marauder“
(Matador)

Die Geschichte von Interpol war immer auch eine der Rechtfertigungen, Missverständnisse, Gegensätze. Denn wenn der dunkel schimmernde, basslastige Waverock der New Yorker schnell den Bogen zu den einschlägigen Vorbildern der 80er spannte, so wollten doch Sänger Paul Banks, Gitarrist Daniel Kessler und Drummer Sam Fogarino von solchen Referenzen nichts hören – fielen in einem Interview Namen wie Joy Division, The Chameleons oder Television, konnte die Unterhaltung schnell frostig und ungemütlich werden. Einzig Ex-Bassist Carlos Dengler schien, schon rein optisch, den offensichtlichen Bezug zu leben, fast folgerichtig verließ er 2010 die Band. Etwaige Hoffnungen auf seine Rückkehr anlässlich der Jubiläumstour zum Debütalbum „Turn On The Bright Lights“ wurden mit vehementen Statements zurückgewiesen. Was Wunder also, dass in einer Aufzählung der Songs, die Banks zum Musikmachen inspirierten, Post-Punk nicht einmal ansatzweise zur Sprache kam, wohl aber Michael Jackson, Pink Floyd, Golden Earing, N.W.A. und Aerosmith. Interpol hatten und haben zu der Ecke, in die sie sich von Fans und Kritikern gedrängt sehen, kein sonderlich entspanntes Verhältnis.

Um so erstaunlicher ist es, daß die Band auch bei ihrem mittlerweile sechsten Studioalbum auf dem für sie so typischen Sound beharrt: Banks‘ sehnsuchtsvoll schmachtender Gesang, Kesslers jubilierende, melancholische Hooks und Fogarinos treibendes Schlagwerk, alles klingt vertraut, Ausreißer, Brüche sind kaum zu hören. Man könnte fast meinen, die Tour mit dem Erstling im vergangenen Jahr habe diese Platte sogar noch ein Stück näher zu den Anfangstagen gerückt – eine These, die im Interview schnell verneint wird, denn zum Zeitpunkt der Feierlichkeiten seien schon gut achtzig Prozent der neuen Stücke fertig gewesen. Sei’s drum. Auch wenn die Düsternis des Beginners genauso wenig erreicht wird wie der Druck von „Antics“ und Glanz und Majestät von „Our Love To Admire“ – die vorliegenden Stücke sind allemal gelungene Fortschreibungen altbekannter Klasse, und das auf höherem Niveau als noch beim etwas zerfaserten Vorgänger „El Pintor“.



Die Harmonien sitzen, die Riffs passen und packen zumeist, besonders gut beim Einstieg „If You Really Love Nothing“, wenn Banks die Beliebigkeit und Lieblosigkeit, den schönen Schein ohne Tiefe besingt und die Gitarren dazu trocken schnarren (das Stück, welches die wunderbare Kristen Stewart im Video von Hala Matar perfekt in Szene setzt, gibt übrigens laut Banks die aktuelle Parallele zu „Stella Was A Diver And She Is Always Down“ aus der Zeit der Jahrtausendwende). Ebenso gelungen die bitter-süßen Mollmelodien bei „Flight Of Fancy“ und „NYSMAW“, die rauen, pulsierenden Akkorde von „Stay In Touch“ und Banks brüchige Aufgewühltheit am Schluß („It Probably Matters“). „Everytime you'd walk away I'd bring it outside, cause I didn’t have the grace or the brains“ verzweifelt er da, die Befürchtungen eines Kleinlauten im Moment der Besinnung. „Marauder“, so hat er gesagt, stehe für das Schlechte in uns allen, das beim einen mehr, beim anderen weniger zu Tage tritt, aber doch immer ein Teil von uns ist.

Die Neugier und die Lust sind es, die eine Band lebendig halten – so lange beide in ausreichendem Maße vorhanden seien, müsse man sich auch nicht für jedes Album neu erfinden, die Glaubwürdigkeit erziele man, so Banks, aus der Energie, die man in seine Arbeit stecke. Man möchte noch die Gegensätzlichkeit hinzufügen. Denn gerade weil Interpol versuchen, so vieles gleichzeitig zu sein – arty, rockig, rude, zärtlich, soulful, rough, geheimnisvoll uvm. – gerade deshalb gelingen ihnen noch immer berührende Songs, die im Gedächtnis haften bleiben. Dass dies nicht bei jedem Versuch klappen kann, ist verständlich („Number 10“ zum Beispiel fällt nach traumhaften Intro rätselhafterweise komplett auseinander), die Anzahl der achtbaren Stücke überwiegt noch immer die der weniger spannenden, sie haben damit deutlich mehr Ausdauer und Beständigkeit bewiesen als manche andere Kapelle ihrer „Alterklasse“. Und sie scheinen damit noch längst nicht fertig zu sein. Gut zu hören. http://www.interpolnyc.com/

23.11.  Hamburg, Theater am Großmarkt
25.11.  Berlin, Tempodrom