Dienstag, 14. Oktober 2014

Marianne Faithfull: Liebesentzug

Marianne Faithfull
„Give My Love To London“

(Naive)

Da behaupte einer, Zahlen wären Schall und Rauch: Marianne Faithfull wird im nächsten Jahr ihr fünfzigjähriges (50!) Bühnenjubiläum feiern, so alt nämlich ist ihr erstes Album „Come My May“. Kurz darauf datiert auch ihr Leinwanddebüt und bis heute ist dieses Leben zwischen Musik und Film – Stichworte: Mick Jagger, Jim Morrison, Hamlet, Irina Palm – so interessant wie einzigartig. Noch dazu hat sie das geschafft, was nur wenigen geglückt ist, dass sie für ihre frühen Stücke ähnlich große Anerkennung erfahren hat wie für ihr Spätwerk. Nun also die zwiespältige Liebeserklärung an die Stadt, in der sie geboren und aufgewachsen ist, die sie zu Ruhm und an die Nadel gebracht hat, Swinging London, British Invasion, die Stadt auch, der sie seit geraumer Zeit den Rücken gekehrt hat und die sie jetzt, von Paris und Irland aus, in der Rückschau mit widersprüchlichen Bildern erinnert: „I’ll visit all the places I used to know so well, from Maida Vale to Chelsea – Paradise to Hell“, später dann im gleichen Titel: „And if I was to die then I wouldn’t really care, cause I’d wake up in the morning and I wasn’t really there…“, man hat schon liebevollere Grüße gehört.

Die Mannschaft, mit der Marianne Faithfull dem verrufenen Sehnsuchtsort London ihr grimmiges Ständchen singt, ist im Übrigen eine höchst ehrenwerte, neben Adrian Utley (Portishead), Ed Harcourt, Ben Cristophers, Mick Jones und Steve Earle finden sich auch Tom McRae, Anna Calvi, Brian Eno und mit Warren Ellis und Jim Sclavunos gleich noch Hälfte der Bad Seeds im Impressum – größer kann man ein ‚Who is who‘ nicht buchstabieren. Entsprechend vielgestaltig der Sound des Albums, zarte und bedächtige Töne („Love More Or Less“) wechseln mit dunkel schepperndem 60s-Beat („Sparrow Will Sing“), bei „The Price Of Love“ klappert und swingt der uralte Blues, beim traurig-schönen „True Lies“ wiederum bemalt ein String Quartett den Hintergrund. Wen Marianne Faithfull mit der Wolfsmutter meint darf man wohl raten – am Ende sind die bitterbösen Worte deutlich genug, um universell zu gelten: „I will not listen to you treat your dogs better than you treat each other, the words that come out of your mouth disgust me, the thoughts in your heart sicken me. … You murder each other for enjoyment only, and with absurd, abstract excuses – my God, how you disgust me!“

Es gibt so wunderbare und berührende Stücke wie jenes aus der Feder von Nick Cave – „Late Victorian Holocaust“ mag man schon nach dem zweiten Chorus mitsummen: „We were star-babies as the day begun, up the stairs and at a run, then sleeping in each others arms, happy we were and beyond harm. Sweet little sleep, my dreams are yours to keep.“ Ebenso der Schlussakkord „I Get Along With You Very Well“, ein Stück von Hoagy Carmichael, zuvor schon von Jane Russell, Billie Holiday oder Carly Simon interpretiert – nun also die Faithfull beim Versuch, den Kopf oben und den Rücken gerade zu halten, auch wenn einen Enttäuschung und Verlust bitter ankommen und man sich das Lächeln mühsam auf’s Gesicht zwingen muss. Nicht weniger gelungen das Cover eines späten Cohen-Songs, der schon fast wie ein Klassiker anmutet – „Going Home“ klingt hier genau so brillant, als wenn ihn der „lazy bastard“ selbst sänge. Wo genau sie sich nun heimisch fühlt bleibt vage, aber bei sich selbst ist Marianne Faithfull mit diesem Album einmal mehr…

17.10.  Leipzig, Haus Auensee
18.10.  Hannover, Theater am Aegi
20.10.  Düsseldorf, Mitsubishi Electric Hall
15.11.  München, Circus Krone
16.11.  Wien, Konzerthaus
25.11.  Berlin, Tempodrom
26.11.  Hamburg, Kampnagel

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