Montag, 25. Oktober 2010

Gehört_202



Mutter „Trinken Singen Schiessen“ (Die eigene Gesellschaft)
[Sie machen es einem nicht einfach. Für jemanden, der es gewohnt ist, komplette Alben in nullkommanix aus dem Netz zu laden, der zumindest annimmt, dass der digital nicht verfügbare Tonträger wenigstens bequem aus dem Sortiment der großen Onlinehändler zu beziehen ist, ist das schon eine Umstellung. Um das aktuelle Album der Berliner Band Mutter, dessen Manufaktur unter anderem über eine Art persönlicher Schuldverschreibung finanziert wurde, schließlich in Händen halten zu können, muß man schon den klassischen Mailorderweg gehen: Katalog anschauen, auswählen, überweisen, Postweg – warten. Für den eingefleischten Fan sicher keine große Sache, für den verwöhnten Quereinsteiger gewöhnungsbedürftig. Nebensache.]

Sie machen es einem nicht einfach. Für jemanden, der sich das Falsche und Verfahrene unserer Gesellschaft in den letzten Jahren von Tocotronic, Blumfeld, Element Of Crime, Knyphausen oder van Dannen ausleuchten ließ, sind die Songs von Mutter entschieden schwerer zu verdauen. Natürlich gab es früher die Fehlfarben, gab es Ton Steine Scherben, aber das war früher – andere Zeiten, lange her. Aber nach ein paar Takten „Trinken Singen Schiessen“ wird einem gewärtig, dass die Zeiten doch eigentlich nicht wirklich besser geworden sind, dass es noch und immer wieder eine Menge Dinge zu benennen gilt, die mehr als übel laufen und dass man nur ab und an vergißt, einen längeren Gedanken daran zu verschwenden.

Mutter tun das. Und sie singen davon und es klingt, trotz der bleischweren Akkorde und der pechschwarzen Verse wirklich gut. Es klingt richtig, nicht abgeschmackt, es tut zuweilen weh (und soll es wohl auch), es will keine falsche Hoffnung wecken, den Schmerz nicht lindern und ist doch eben deshalb klar und wahrhaftig. Hier wird nicht ständig die Metapher bemüht, wenn Unangenehmes droht, lieber eine Gerade vor den Kopf oder tief in die Magengrube, lieber ausgekotzt als Falsches hinuntergeschluckt. „Leben heißt das Loch das mich als Durchfall hat“, es gab weiß Gott schon herzlichere Begrüßungen – nicht so bei Mutter. Die Liebe in „Eins“ ist ein Schreien, ein Explodieren und hat so gar nichts romantisches, wärmendes mehr. „Die Alten hassen die Jungen“ muß nicht viel erklären, der Lauf der Zeit als kompromissloses Gegeneinander „… bis die Jungen die Alten sind.“

Jeder Song hat solche kleinen bösen Sätze parat: „Bin ich der Einzige, der so denkt wie ich?“ (Wohlstandspsychatrie), „völlige Talentfreiheit verstärkt den Ehrgeiz, die Energie mitzuhalten, present zu sein …“ (Mach doch einfach), „Das Geschrei nach der absoluten Sicherheit, dem ganz privaten Schutz, ist es das, was wir für Freiheit halten?“ – man hat den Eindruck, hier wird noch gekämpft und gerungen, mit sich, mit dem und denen da draußen, jedes Mal auf’s Neue. Keine Illusionen, Geschenke werden nicht erwartet, Mitleid ist das Äußerste: „Denn diese Welt ist nicht gerecht zu dir und sie sagt nicht dankeschön, denn diese Welt ist nicht gerecht zu dir und sie nimmt dich nicht in ihren Arm“ (Diese Welt). Eine gewisse Genugtuung wenigstens zum Schluß, Bestätigung und Mut für den Kleinkrieg, den unabänderlichen, den alltäglichen: „Und selbst ist man der Idiot, der das ewig lang erträgt, Idioten zu erklären, dass sie welche sind, kann man nicht und tut es doch – weil sie welche sind (Tag der Idioten). So gibt’s auch für das Unabänderliche einen Trost, irgendwie …
http://www.myspace.com/muttermusik

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