Kendrick Lamar
„To Pimp A Butterfly“
(Top Dawg/Interscope)
Das wäre doch tatsächlich eine gelungene Pointe. Wenn denn der vor einigen Jahren noch arg ins Hintertreffen geratene HipHop gerade jetzt und gerade so wieder aus dem Tief herausfände. Wenn also alle drei Strömungen, wie wir sie zur Zeit beobachten können, dafür sorgen würden, dass der bräsige und arrivierte Muscle-Bling-Bling-Gangsta-Unfug endgültig einen Tritt in den Arsch bekäme und endlich abdankte. Da haben sich also, während die Musikkonzerne noch über einen einheitlichen, weltweiten Veröffentlichungstermin für Alben streiten, eine Reihe von alternativen Verkaufsstrategien entwickelt, die eine Loslösung von den gängigen Marktmechanismen propagieren und praktizieren. Zeitgleich verschwimmen die genrespezifischen Grenzen, halten Soul, R’n’B und vor allem der Jazz Einzug ins einst so brettharte und testosteronverseuchte Business. Und sorgen unglückliche Begleitumstände wie die Rassenübergriffe in Ferguson dafür, dass HipHop plötzlich und endlich wieder das ist, wofür er ganz zu Beginn stand: Politisch.
Kendrick Lamar gehört neben Drake, Chance The Rapper, Tyler The Creator und Earl Sweatshirt zum überaus hoffnungsvollen Nachwuchs und seine bislang dritte Platte nimmt in allen drei angeführten Umsturzkategorien einen Spitzenplatz ein. Im Netz war sie schon Tage vor dem offiziellen Releasetermin zu haben, ein Umstand, der sich mittlerweile zu einer Art sportlichem Wettstreit entwickelt zu haben scheint und dem der aktuelle Albumtitel “If You’re Reading This It’s too Late” von Drake das passende Motto liefert. Musikalisch ist “To Pimp A Butterfly” ein schier überbordender Geniestreich, ein Gesamtkunstwerk aus stilistischer Vielfalt, mutiger Experimentierfreude und traditionellem Punch – wobei der Punch dem Jazz hier eindeutig den Vortritt läßt. Ganze zwei Stücke von sechszehn funktionieren nach herkömmlichem Muster (und zwar wiederum erstklassig) – nur “King Kunta” und “The Blacker The Berry” kommen demnach als satt pumpende Tunes daher.
Den nicht minder interessanten Rest teilen sich Dronesynths, Jazzarrangements, klassischer Blaxploitation-Soul, Oldschool-Scratches und funkige Gitarrenriffs. Was Lamar da ohne jeden Durchhänger in achtzig Minuten packt, ist schon außergewöhnlich – zusammen mit George Clinton, Flying Lotus und Snoop Dog wird hier kunstvolle Schichtarbeit bis zur Perfektion betrieben. Die Tracks sind unglaublich dicht, der Song im Song im Song ist zum bewährten Mittel geworden, der Break im Stück fast schon ein Muss und selbst die Interludes funktionieren schon als vollwertige Titel. Zu Lamars markant hellen und rauchigen Rhymes mischen sich Latinoraps (“U”), zackige Outkast-Funkadelics (“Momma”) und immer wieder Einschübe des beliebtesten Allzeitwiedergängers Saxophon.
Mehr als alles andere ist dieses Album aber ein politisch aufgeladenes. Schon die Collage des französischen Fotografen Denis Rouvre darf als deutliches Statement gelten und erinnert noch dazu an das Cover des kürzlich erschienenen Comebacks „Black Messiah“ von D’Angelo. Lamars Lyrics setzen dann die dazugehörigen Spannungspunkte: Ob mit dem klaren Bezug auf die Geschichte der amerikanischen Sklaverei und deren Symbolfigur Kunta Kinte („King Kunta“), den harten Ansagen bei „Institutionalized“ („Shit don't change a day, get up and wash you’re ass, nigga!“) oder dem so zweideutigen wie unmissverständlichen Chorus “the blacker the berry, the sweater the juice”, wo noch dazu vom “Stolz des Affen” die Rede ist – alles redet hier der Wut, der Enttäuschung und dem Kampf um Gleichstellung der schwarzen Bevölkerung das Wort. Ganz zum Schluß noch die zwölfminütige Parabel von Raupe und Schmetterling (“Mortal Man”) – ein Album mithin, das so viele Klangfacetten und Denkansätze bereithält, wie es nur ein Meisterwerk kann. http://www.kendricklamar.com/
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