Belle And Sebastian
„Girls In Peacetime Want to Dance“
(Matador)
Er hat doch wohl nicht … ?! Doch, hat er. Stuart Murdoch, charismatischer Kopf der Glasgower Indiepop-Formation Belle And Sebastian, hat (s)ein politisches Album veröffentlicht. Nun machen zwei, drei Textzeilen und eine Knarre auf dem Cover aus den sympathischen Leisetretern zwar noch lange keine Kampfgruppe, aber für seine Verhältnisse hat sich Murdoch in den letzten Wochen doch ungewöhnlich deutlich zu Wort gemeldet. Da sah er sich zunächst genötigt, seinem Heimatland im The Scotsman den Gesinnungsumschwung in Sachen Unabhängigkeits-Referendum zu erklären („England seems to be a little bit lost - obsessed with immigration, obsessed with anti-European sentiment, all these negative things. Maybe it’s just time to cast off and do our own thing.”) und nun präsentiert er auf dem bislang neunten Studioalbum “Girls In Peacetime…” ein paar Lyrics, die man so von der Band noch nicht gehört hat und die vermuten lassen, dass Murdoch mit zunehmendem Alter etwas ins Grübeln geraten ist.
Die Platte beginnt eigentlich mit einer ganz und gar typischen ‘Belle-And-Sebastian-Situation’: „Lying on my bed I was reading french, with the light too bright for my senses” schmeichelt Murdoch soweit, so besinnlich, wenig später allerdings rätselt er: “If we live by books and we live by hope, does that make us targets for gunfire?” – hoppla! Gleich darauf fallen “bombs in the Middle-East” und Allie “wants to hurt yourself” – hört sich ganz danach an, als ob im sonst so beschaulichen Kosmos der weltgewandten Bohéme gehörig etwas im Argen liegt. Auch die zart verträumte Single “The Cat With The Cream” überrascht mit aktuellem Zeitbezug: “Down amongst the old city chambers, men in frocks debate all the policy changes, everybody bet on the boom and got busted, everybody bet and in the government trusted …” Bankenschimpfe, Konsumkritik, seid Ihr’s, Belles?
Das wirklich Erstaunliche an dieser inhaltlichen Umwendung ist allerdings, dass sie nicht die einzige ist – auch musikalisch schlagen die sieben gänzlich neue Wege ein. War der Vorgänger “Write About Love” noch traditionell bis unter die Hutkrempe, geht’s nun einen riesigen Ausfallschritt in Richtung Dance und Disco. Gleich mehrere Stücke wippen ungewohnt zu satten Beats und funkigen Rhythmusgitarren – “The Party Line”, “Play For Today”, “The Book Of You”, allesamt an der Schnittstelle zwischen den 70ern und 80ern verortet und durch die Bank sehr, sehr geschmeidig und (Zitat Austin Powers) ‘groovy’. Das Glanzstück unter den Tanznummern ist zweifellos “Enter Sylvia Plath” – eine wirklich verrückte Kreuzung aus Pet Shop Boys, Visage und wer weiß was noch allem und nebenbei von bemerkenswerter Perfektion und Stilsicherheit.
Dass sich Stuart Murdoch, Sarah Martin und Kollegen bei aller Umstürzlerei noch ein paar Takte alter Schule aufgehoben haben, macht die Platte um so besser. Ein Song wie das samtweiche “Ever Had A Little Faith?” gibt sich gar nicht erst die Mühe, seine Verwandtschaft zu den dunkel verhangenen Downtempo-Nummern von Velvet Underground zu verbergen, es sind genau diese Stücke, für welche Belle And Sebastian auf ewig geliebt werden. Und dass dabei Politik auch weiterhin keine so entscheidende Rolle spielen wird, machte Murdoch gegenüber The Quietus klar: “Somebody trying to make a political record is somebody making a boring record. It's what people do when they've given up on life and romance.” Oder anderherum, um es mit den Worten der Muse in “The Everlasting Muse” zu sagen: “Be popular – play pop, and you will win my love.“ http://www.belleandsebastian.com/
Der Komplettstream des Albums steht zur Zeit bei NPR.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen