Julian Casablancas And The Voidz
„Tyranny“
(Cult Records)
Immer dann, wenn Rezensenten nicht wissen, wie sie das Gehörte einordnen oder beschreiben sollen, immer dann kann man (auch hier) Worte lesen wie „Monster“, „Ungeheuer“ oder „Bastard“. Vokabeln, die in den kommenden Tagen auch in Gebrauchsanleitungen zum neuen Album von Julian Casablancas Verwendung finden werden, dem Mann also, der um die Jahrtausendwende als bislang erfolgreichste Kreuzung aus Collegeboy, Rich Kid und Slacker bekannt geworden und dessen Name seitdem untrennbar mit der bekanntesten aller neuzeitlichen „The“-Bands, den Strokes, verwoben ist. Und gerade das könnte sich bald ändern. Denn schon seine erste Soloplatte „Phrazes For The Young“ klang, obschon kein Meisterwerk, inspirierter als viele der letzten Arbeitsproben mit der alten Clique – Spielwitz, Risiko, hier wollte einer ausprobieren, was er im Brotjob nicht durfte.
Und auch die neue Platte klingt, zurück auf Anfang, furios, unausgegoren und stellenweise chaotisch, Casablancas hat sich für seinen zweiten „Alleingang“ eine langhaarige Krawallkombo zusammengestellt, die offenkundig mächtig Lust hatte, Dampf unterm Kessel zu machen. In selbigem kocht auf großer Flamme ein unhandlicher Stilmix aus Art-, Prog-, Punk- und Hardrock, angereichert mit bratzigen Synthesizern und allerlei lautem Gewummer, ganz so, wie man es in Teilen noch von den britischen Kasabian kennt. Den Einstieg „Take Me In Your Army“ könnte man dabei eher als bewusste Irreführung verstehen, solcherlei düster wavige Midtempoklänge lassen sich in der Folge eher selten hören, danach zählt nur noch das schiefe, das lärmende Geschwurbel. Wenn Kele Okereke gerade für seine zweite Soloscheibe die Maxime „No Guitars!“ ausgeben hat, dann verfährt Casablancas nach dem genauen Gegenteil – er kann gar nicht genug davon geschreddert bekommen.
Jeder der aufgeführten Titel brodelt und zischt und scheppert, aus Spielwitz ist jetzt Spielwut geworden und auch Casablancas darf seine Gesangsspur nach Herzenlust füllen, ob nun mit dem obligatorischen, leicht angenervten Genöle, entfesseltem Geschrei oder übersteuerter Kopfstimme – alles geht, wenn es wild ist! Das gibt dann elf Minuten Achterbahnfahrt bei „Human Sadness“, den Noiserockfetzen „Where No Eagles Fly“ oder den Punch der Maschinenbeats von „Father Electricity“ und „Nintendo Blood“, letzteres ein schweißtreibender Track auf dem besten Wege zur guten, alten EBM. Man hat tatsächlich den Eindruck, dass der Junge, wenn er denn nicht an die Erblast seiner Erfolgsband gebunden ist, um einiges gelöster auftritt, auch wenn er – das bleibt nicht aus bei so viel ungebremster Energie – manchmal über das Ziel hinausschießt.
So verrückt der Sound des Albums ist, so interessant ist auch Casablancas Umgang mit den Lyrics. Kürzlich hat er in einem Interview behauptet, er habe sich die ersten sieben, acht Jahre seiner Karriere mit Texten, Inhalten kaum beschäftigt, es sei ihm nur um Musik gegangen. Erst in letzter Zeit sei das in den Vordergrund gerückt, „Tyranny“ ist deshalb beileibe kein politisches, vielleicht aber ein moralisches Album geworden. Eines also, das seine Generation daran erinnern soll, wie bequem viele von und in einer Demokratie leben, wie fragil dieses Gebilde sein kann und warum Wachsamkeit auch für einen privilegierten Künstler wie ihn erste Pflicht ist. Dumm ist er also keinesfalls, nachsichtig allerdings schon: „… it definitely doesn’t have to be political if you want to just enjoy the music.” Gut zu wissen. http://juliancasablancas.com/
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen