Pet Shop Boys
„Electric“
(X2 Recordings Ltd)
Irgendwie hatte man sich schon damit abgefunden, die nächsten Alben der Pet Shop Boys unkommentiert auf’s Altenteil durchzuwinken – seit sie vor einem Jahr im ‘Elysium’ platznahmen, war mit Abwechslung kaum mehr zu rechnen. Aber: Hat sich was mit Seniorenportionen und schläfriger Kurkapelle, Tennant und Lowe liefern mit “Electric” eine tatsächlich elektrisierende Tanzplatte ab, auf welcher sich House und Techno wieder erstaunlich heimisch fühlen dürfen. Der Sprung von Katalognummer 11 zu 12 ist also beachtlich und sicher in erster Linie dem Produzenten Stuart Price zu verdanken, dem Mann, der auch schon Kylie und Madonna Beine machte und den sich die beiden nun für neun Stücke an die Regler holten, die aus der Vorjahressession übriggeblieben waren.
Und so kommt es, dass eine Band, von der man glaubte, es sei schon alles über sie gesagt, ein weiteres, wenn auch kein neues Kapitel ihrer gut dreißigjährigen Geschichte aufschlägt und gleichzeitig das musikalische Frischluftgebläse einschaltet. Es wummert, pumpt und pulsiert so frisch geradeaus, als wäre der Maschinenbeat gerade erst erfunden worden. “Axis” sucht samt verfremdeter Stimmen die Nähe zu Kraftwerk, “Fluorescent” klingt wie eine übergedreht getaktete Beatmungsmaschine und “Shouting In The Evening” spotzt zu fettem Gehämmer und verzerrten Loops. Und: Ja, es sind immer noch die Pet Shop Boys, zwei Herren nahe an der 60, die hier unter die Glitzerkugel laden, die unangefochtenen Könige der Selbstreferenz und des charmanten, britischen Humors.
Denn wen auch immer der toughe Clubsound befremdet, für reichlich Wiedererkennungseffekte wird trotzdem gesorgt: Bei “Bolshy” verknüpfen sie das proletarische Rebellentum der Vorstädte mit ihrer Leidenschaft für die russische Seele, gleich darauf zitieren sie mit “Love Is A Bourgeois Construct” nicht nur sich selbst (“Go West”), sondern auch einen ironischen Schmöker aus der Hochzeit des Thatcherismus. Irritation ist noch immer ihre Sache, kürzlich schafften sie es sogar, einem Reporter der eher biederen WELT die Vorzüge Marx’scher Gesellschaftsliteratur, also Manifest und Kapital, näherzubringen – natürlich nicht ohne darauf hinzuweisen, dass es in der heutigen Popmusik kaum etwas Uninteressanteres gibt als eine öffentlich geäußerte Meinung: “Niemanden interessiert, was ein Künstler eigentlich sagen will“, so Tennant, „Mich auch nicht.“
„The Last To Die“ haben sie sich trotzdem mal vorgenommen – im Original ein reichlich pathetischer Rockfetzen von Bruce Springsteen, der hier mit butterweichen, synthetischen Melodieschleifen vom heiligen Ernst befreit wird getreu dem Motto: „Unsere politische Haltung ist, wenn überhaupt, nur in gesungenem Understatement zu haben“ (WELT). Dass am Ende zur großen 80er-Sause sogar noch ein veritabler Rap Verwendung findet (Example für „Thursday“), beweist einmal mehr, dass den Pet Shop Boys die große Gabe des britischen Entertainments (vergleiche hier: Michael Caine, Stephen Fry, Ben Kingsley oder John Cleese) eigen ist: Sie werden im Alter eigentlich immer besser und nichts liegt ihnen ferner, als das Feld ohne Not der Jugend zu überlassen. Gut so. http://www.petshopboys.co.uk/
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen