Montag, 9. Juli 2012

Überdruckventil

Dirty Projectors
„Swing Lo Magellan“ (Domino)

Auch oder gerade für jemanden, der oft, viel und gern über Musik palawert, ist es nicht angenehm, sich als Ersthörer zu outen, noch dazu bei einer Formation, deren Mitglieder schon seit Beschäftigungsbeginn mit dem Etikett „Kritikerlieblinge“ hausieren gehen dürfen und als solche eine erkleckliche Anzahl hochbelobigter Alben unters Volk gebracht haben. Und auch man wenn den „Ersthörer“ korrekterweise auf einen „Erstdurchhörer“ herunterrelativiert, weil man zuvor nach zwei bis drei Songs ein jedes Mal entnervt die Segel gestrichen hatte – man bleibt doch: Zuspätkommer.

Sei’s drum, als solcher muß man wenigstens nicht mit zusammengeklaubtem Wissen glänzen, sondern spickt vor Arbeitsbeginn bei besagten Minnesängern – die SPEX hält das vorliegende Album für „exzentrische weiße Popsongs ohne Angst vor Hooklines“, der geschätzte Herr Bruckmaier urteilt in seiner Telegrammkritik gewohnt prägnant („Songs für Außerirdische oder Psychopaten“), in der Langversion erklärt er den Zugang zum Werk des Bandgründers Dave Longstreth mit den Worten „Um ihn zu mögen, muß man ihn schon lieben.“ Nun gut, es klingt jedenfalls nach Arbeit, und zu wissen, dass die fünf den Titel ihres aktuellen Albums mit dem derb ungestylten Cover zu gleichen Teilen dem portugiesischen Weltumsegler Magellan und dem afroamerikanischen Spiritual „Swing Low, Sweet Chariot“ gewidmet haben – tja, das hilft auch nicht weiter.

Klar ist von Beginn an, dass hier keine Gefälligkeiten zu erwarten sind, es hat fast den Anschein, das Kollektiv aus Brooklyn musiziere so, als wäre es ihnen egal, ob gerade irgendwer zuhört. Das ist natürlich Humbug, denn ihr einziger Makel – wenn man es denn so nennen will – ist, dass sie diese Unmenge an Klein- bis Kleinstideen, an stilistischen Probierhäppchen in jeden der zwölf Songs des Albums zu packen bereit sind, jedes Stück also wirkt, als wolle es zu gleicher Zeit in alle Himmelrichtungen davonpreschen und gerät deshalb wieder und wieder komplett außer Atem. Was, wie der erste Song „Offspring Are Blank“, mit zärtlichem Gesumm beginnt, haut dem verdatterten Hörer gleich darauf ein böses Psychrock-Riff über den Schädel; erst wird mit niedlichen Handclaps gelockt, bevor die verträumten Sixties-Harmonien umgehend durch verqirltes Choralgestolper und mannigfaltige Klangexperimente zerpflückt werden.

Das ist Country (aber doch eher die Carter Family auf Speed), das ist Blues („Maybe That Was It“), das ist beatlesk („Impregnable Question“), das pluckert, wie im Titelsong, verzupft dahin. Mal mögen sie es schummrig wie beim Schlußstück „Irresponsible Tune“, dann wieder verrückt mit Orchester und Gitarre („Dance For You“) – konstant sind die Dirty Projectors nur in ihrer Ruhelosigkeit, die Musik als permanentes Überdruckventil. Selten einmal, dass sie einer Idee mehr Raum zu geben bereit sind, clevererweise haben sie für die Single „Gun Has No Trigger“ diese eine Ausnahme gemacht, ein so wundervoller Heuler und führt trotzdem in die Irre. Die Platte läßt einen nervös zurück, man ringt selber nach dem Atem, den schon Longstreth nicht hatte und weiß doch, dass hier gewohnte Maßstäbe nicht gelten können. Und wenn’s für die bedingungslose Liebe auch noch nicht reichen mag, verbleibt der „Erstdurchhörer“ am Ende doch zufrieden, geschafft und mit freundlicher Hochachtung. http://dirtyprojectors.net/

Komplettstream "Swing Lo Magellan" bei SPEX.

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