Mittwoch, 18. Juli 2012

Ansichtssache

Laetitia Sadier „Silencio“ (Drag City)

Ganz und gar fürchterliche Dinge waren im Vorfeld der Veröffentlichung von Laetitia Sadiers zweitem Soloalbum zu lesen, Dinge, die vermuten ließen, die Platte würde hierzulande nur auf illegalem Wege, unter der Hand also, zu bekommen sein. Von politischen Statements war die Rede, davon, dass Sadier, ehemals Frontfrau der fast kultisch verehrten Krautrockkombo Stereolab, nun ihre neue CD gleichsam als marxistisches Thesenpapier an die Türen und Tore der Bad Banks dieser Welt nageln werde. Nun, Aufstände und Umstürze sind wohl nicht zu erwarten. Es ist wohl nicht mehr passiert, als das sich eine Frau, die mancher gern auch weiter nur als bezaubernd trällernde Chansonnette wahrgenommen hätte, ihre Gedanken zu Globalisierung, Gesellschaftsentwicklung und Ökologie ihrer Profession gemäß etwas lauter formuliert hat als bisher.

Dabei ist „Silencio“ beileibe kein „Let England Shake“ und aus Laetitia Sadier deshalb noch keine zweite PJ Harvey geworden, deutlich allerdings wird sie schon, explizit in mindestens drei der zwölf Songs des Albums. Schon für „The Rule Of The Game“, dem ersten Stück, angeblich von Jean Renoirs Klassiker „La Regle Du Jeu“ (1939) inspiriert, proklamiert Sadier ungewohnt direkt: „The ruling class neglects again responsibility over-indulged children, drawn to cruel games, pointless pleasures, impulsive reflexes, a group of assassins." Unmißverständlicher dann in “Auscultation of the Nation“: „Rating agencies, financial markets and the G20s, but who are these people? And why on earth do we care about their opinion? What do we care about their self-proclaimed authorities? … In the name of what are we letting them govern our lives? They are politically illegitimate."

Das klingt alles andere als versöhnlich, hat aber mit Emanzipation sehr wenig, mit – branchenunüblichem – Mut allerdings sehr viel zu tun und natürlich auch mit der Hoffnung, dass solche Statements wenigstens ein klein wenig am scheinbar unkaputtbaren Selbstverständnis der Weltmarktökonomisten kratzen können; Gleiches versucht sie kurz darauf auch beim Song „
There Is A Price For Freedom (And It’s Not Security)“. Mit im Boot für „Silencio“ im Übrigen als Co-Autor auch Ex-Kollege Tim Gane, in Gastrollen jeweils Sam Prekop und James Elkington, mit ihnen zusammen variierte Sadier den Sound der Platte im Vergleich zum Vorgänger „The Trip“ nur unwesentlich – etwas Bossa Nova, Anklänge afrikanischer Rhythmen, elektronische Textur nur in seltenen Fällen und für einen einzigen Song – nämlich „Next Time You See Me“ – das hypnotische, treibende, wunderbare Stereolab-Ding.
Man muss fast ein bisschen schmunzeln, wenn man bei „Fragment Pour Le Future De L'Homme“ aus den Träumereien gerissen wird, ganz offenbar ist Sadier nicht bereit, sich festlegen zu lassen: nervöser, fiebriger Funk, den hatte man jetzt nicht erwartet. Auch für den Schluss geht sie eher unkonventionelle Wege – in einer französischen Kirche nahm sie für die letzten Atemzüge von „Invitation Au Silence“ das Grundrauschen unterm Kuppelgewölbe auf, nur um zu zeigen „how resonant with truth silence is”. Langweilig, soviel ist sicher, wird es (mit) dieser Frau wohl nicht werden. http://www.dragcity.com/artists/laetitia-sadier

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