Sonntag, 22. April 2012

Ein Rätsel auf sechs Beinen


Die Ärzte „Auch“
(Hot Action Records)

Eigentlich muß man die Überschrift um mindestens einen Pferdefuß ergänzen, denn auch nach dreißig Jahren konnte dieser Band noch keiner das diabolische Grinsen aus dem Gesicht wischen – dreißig Jahre mit der immergleichen Mischung aus allerfeinstem, pubertärem Humor weit unterhalb der politisch korrekten Gürtellinie, mit „Hau drauf!“-Mucke und sauber gefeilter „Leck mich!“-Attitüde, die meisten machen noch immer mit und wenige wissen wieso. Die drei Berliner belassen es selbst bei eher spaßig-platten Deutungsversuchen („TCR“), warum auch etwas kompliziert erklären, wenn es doch so einfach funktioniert.

Wenn die Süddeutsche schreibt, man könne froh sein, dass sich die Band noch nicht auf‘s Altenteil zurückgezogen habe, so ist das natürlich nur die halbe Wahrheit, denn einige Songs auf „Auch“ klingen schon verdammt nach Zurücklehnen und „Wird-schon-irgendwie-klappen“ – einer erfolgsverwöhnten Fußballmannschaft würde man in so einem Falle wohl fehlenden Erfolgshunger attestieren. Ob „Bettmagnet“, „Sohn der Leere“, das alberne „Tamagochi“, „Angekumpelt“ oder „Die Hard“ – mittelmäßige Mitgrölnummern, aus einem lustigen Spruch versucht, einen kompletten Song zu zimmern, auch musikalisch eher dünn.

Aber Farin Urlaub, Rod González und Bela B. hätten nicht diesen Erfolg, wären nicht diese allerbeste Band, wenn sie zum Durchschnittlichen nicht immer ein paar einzigartige Juwelen stellen würden, Lieder also, die nur sie auf dieser Welt so hinbekommen, dass man fast in (naja, heiterer) Andacht erstarren möchte. Nur sie beginnen ihr zwölftes Album mit der ketzerischen Frage an ihre Anhängerschaft „Ist das noch Punkrock?“, wohl wissend, dass diese wie ihre Idole selbst mittlerweile im ehemals verteufelten Spießeridyll namens „Familie“ angekommen ist. Solange man sich nicht selbst belügt, darf und muss man also auch herzlich über sich selbst lachen können.

Als Update zur Peinlichkeit heterosexuellen Paarungsverhaltens ist „M&F“ ein wahres Schmuckstück, selten gelang ein simples „Ist doch egal“ treffender als hier: „Manche Männer lieben Männer, manche Fraun lieben Fraun, da gibt’s nichts zu bedauern und nichts zu staun, das ist genauso normal wie Kaugummikaun, doch die meisten werden sich das niemals traun“ – schönster 70er Diskoschwof drunter gemischt, fertig ist die Wunderkiste. Nicht weniger gut gelungen der Kastratentwang in „Waldspaziergang mit Folgen“, witziger kann eine Meditation über religiösen Kokolores kaum sein. Nahe dran und deshalb auf der Habenseite: „Freundschaft ist Kunst“ als amüsante Persiflage auf überkommenen Kulturlagerkoller und das breitbeinige, fast barocke Riffgegniedel des „Cpt. Metal“ als Brückenkopf gegen grassierende Formatradio-Diarrhö. „Fiasko“ resp. „Miststück“ beweisen: Die Ärzte schreiben mit knapp 50 noch immer die Tagebuchsprüche für adoleszente Rumdruckser oder mittelalte Beziehungsopfer und wirken dabei noch erstaunlich glaubhaft.

Sie wird also, meistenteils zu Recht, gefeiert werden, diese neue Platte, auch wenn es nicht ihre beste ist. Doch gilt der Beifall hier weniger der innovativen Überraschung als vielmehr dem demonstrativen Behauptungswillen, auch weiter drei große, sympathische Jungs mit viel Unsinn im Kopf und rechtschaffener Wut im Bauch bleiben zu wollen. Solange sie das schaffen, sind ihnen die Herzen ihrer Anhänger sicher, und solange darf das Rätsel ihres Erfolges weiterhin gern ein ungelöstes bleiben. www.bademeister.com

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