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Mitte Mai kommt die neue Fehlfarben "Album Xenophonie" - schon jetzt ist Sänger Peter Hein unterwegs als lebende Litfasssäule, um die erste Single "Platz da" zu promoten - bald auch in Deiner Stadt: hier.
Xiu Xiu, Kranhalle, München, 10. April 2012 (Support: AU)
Konzerte von Xiu Xiu sind so etwas wie Leiden im halböffentlichen Raum, der Besucher zahlt also einen kleinen Beitrag, um einen bestmöglichen Ausblick auf die Selbstgeißelung von Jamie Stewart, vorgetragen mit seiner derzeit dreiköpfigen Begleitband, zu erhaschen. So auch am gestern in der mäßig gefüllten Kranhalle des Münchner Feierwerks. Fairerweise sollte man keinem Menschen vorwerfen, sich an diesem Abend für eine andere Form der Unterhaltung entschieden zu haben – die Auftritte der Amerikaner gelten als nicht sonderlich einfach rezipierbar, angefangen bei der quasi nicht vorhandenen Interaktion mit dem Publikum, verbreiten die vier auf und vor der Bühne ein körperlich spürbares Unwohlsein, eine unangenehme Schnittmenge aus schroffer, abweisender Gestik und gehetzter Unruhe. Am deutlichsten fokussiert sich das natürlich in der Person Jamie Stewarts selbst – ein Getriebener, der sich mit entrücktem Blick über seiner Gitarre krümmt, seine (selbstbezeugt) kranke Gefühlswelt den neugierigen Blicken da unten zum Fraß vorwirft und dabei augenscheinlich derart unter Druck steht, dass man meint, er werde den Abend nicht heil zu Ende bringen können.
Tut er natürlich doch – bei allem Befremden muss man ihm und seiner Band zugute halten, dass die Musik, die diese zur Schau gestellte Qual untermalt und transformiert, wunderbarer, feinster Indie- und Postrock ist – kalt, natürlich, aber eben auch faszinierend. Das gilt für die Stücke seines fabelhaften neuen Albums „Always“, hier vor allem die Single „Hi“, „Joey’s Song“ und „Beauty Towne“, genauso wie für ältere Songs, mit „Fabulous Muscles“, „The Fox And The Rabbit“, „I Love The Valley, OH!“ mischt er sein Set ausgewogen zwischen früher und heute. Zwischendurch immer wieder die fast zwanghafte Mundspülung mittels zweier verschiedener Flüssigkeiten, das eigenhändige Wechseln einer Gitarrensaite (anderswo vom emsigen Roadie mittels Zweitinstrument schnell überbrückt) gerät bei Stewart – keiner im Publikum wagt auch nur einen Laut von sich zu geben – zur spannungsgeladenen, sprichwörtlichen Zerreißprobe. Um so lauter dann der Jubel für zwei gelungene Coverversionen: Schon „Ceremony“ aus dem Spätwerk von Joy Division scheint wie für diese Band und diesen Abend gemacht, bei der furiosen Zugabe „Frankie Teardrop“ von Suicide taumelt und springt Stewart, vom eigenen Mikrofonkabel gewürgt, mit luzidem Grinsen über die Bühne – die ganz große Show. Und mit Sicherheit das Ende eines eigenwilligen, aber gelungenen Abends. Xiu Xiu "Gray Death", Bowery Ballroom, 2010
The Wedding Present „Valentina“ (Scopitones)
Diese neue Platte ist eine eigenartige geworden – keine schlechte, gewiß nicht, aber etwas seltsam schon. Seit 1985 kämpfen Wedding Present, wenn man das so sagen darf, an vorderster Schrammelfront, „Valentina“ ist ihre achte Platte. In der Zeit zwischen den Jahrtausenden, immerhin acht Jahre, schien es, als ob sich Bandgründer, Ideengeber und Sänger David Gedge mit dem Ende der Band abgefunden hätte – und doch gab es mit „Take Fountain“ 2005 eine überraschende Rückkehr. Heute weiß man, dass das Quartett aus Leeds seine besten Zeiten, trotz der Wiederauferstehung, da schon gesehen hatte – „George Best“, „Bizarro“ und „Seamonsters“ erscheinen mit jedem neuen Album ein Stück größer und es ist sicher kein Zufall, dass Wedding Present seit dem vergangenen Jahr nicht mit den neuen Songs, sondern – der derzeitigen Mode folgend – mit einer Komplettaufführung ihres 91’er Albums „Seamonsters“ touren. Neues für die Couch, altes für die Clubs? Ganz so schlimm ist es nun doch nicht geworden, auch wenn es den letzten Platten, „Valentina“ eingeschlossen, an dem Furor und der unvergleichlichen Energie der Frühwerke fehlt, für den Tanztee kommen sie gottlob noch zu krachert daher.
Über die Themenauswahl muß sich bei Wedding Present niemand beschweren – Gedge war und ist seit jeher ein Mann, der seinen Beziehungswirrwar mit Vorliebe in die eigenen Lieder packt – so handelt auch der Großteil der zehn Stücke des vorliegenden Albums vom Lieben und Scheitern, vom Wollen und Müssen und Lassen. Der Start gerät als Mischung aus Carl Barats Dirty Pretty Things und Nancy Sinatra – beide haben sich am großen Bang! schon abgearbeitet, Gedge tut nun seinen Teil dazu, und gibt am Ende doch den Kleinlauten („Okay, call me“). „You Jane“ erinnert am ehesten an zurückliegende, wildere Glanzzeiten – das ist schnell, das tut gut. In der Folge wird das Zwischenmenschliche in allen Erscheinungsformen bespiegelt und variiert, selbst vor astronomischen Bezügen schreckt Gedge nicht zurück („524 Fidelio“). Textlich wirkt das manches Mal ein wenig platt wie bei „Deer Caught In The Headlights“, wenn er räsoniert: „If I were a painter, I just paint portraits of you, you’ld been everything I do”, auch “End Credits” kann mit solchen Weisheiten aufwarten: “… the closer I get to you, the further I get away from me…”.
Der interessanteste Ausflug gelingt ihm allerdings mit der späten Beichte “The Girl From The DDR“ – und das meint nicht die eingehauchte Triviallyrik wie „Ich warte auf Dich!“ und „Ruf mich an!“ – das Lied führt einem schmerzhaft den Sommer 1988 in Erinnerung, da man als Heranwachsender, dem die nötige Stromlinienförmigkeit nicht anerzogen war, die schmerzvolle Erfahrung der Entbehrung machen musste: Zum Geburtstag der FDJ waren damals nicht nur The Wedding Present, sondern auch Depeche Mode in die Berliner Seelenbinder-Halle geladen – drinnen die Funktionäre, draußen die Fans, ein Jammer. Vorbei. Was Wedding Present auf „Valentina“ musikalisch bieten, bleibt unentschieden, zu oft zurückhaltend, so als trauten sie sich das laute Getöse ihrer alten Songs „Brassneck“, „Suck“ oder „Getting Nowhere Fast“ nicht mehr zu. Das ist schade, im Lichte der Altersmilde betrachtet, der man selbst ja auch verpflichtet fühlt, lässt sich trotzdem damit leben. Man wird halt bis zum Herbst durchhalten müssen und dann kontrollieren, ob ihnen die Monster noch aus der Hand fressen. Und für die kleineren Beziehungsstürme zwischendurch taugt „Valentina“ ja allemal … The Wedding Present bei www.scopitones.co.uk