Xiu Xiu „Always“ (Bella Union)
Man kann einem Außenstehenden, wenn er nicht gerade als Exorzist oder Psychoanalytiker unterwegs ist, schwer vermitteln, warum gerade die Wiederkehr von Jamie Stewarts weinerlichem Gewimmer verschämte Glücksgefühle auszulösen vermag, warum einen gerade dieser synthetisch generierte, also vollkommen künstliche Sound innerlich erwärmt. Und höchstwahrscheinlich haben all jene, welche einem dringend zum Einchecken in einer vermauerten, stacheldrahtumzäunten Heilanstalt raten, so unrecht nicht – das Faszinosum Xiu Xiu läßt sich schwer in Worte fassen, erklären noch viel weniger.
Seit nunmehr knapp zehn Jahren widmet sich besagter Jamie Stewart in wechselnder Begleitung Platte um Platte – acht sind es mittlerweile – der Tortur, dem Selbsthass, der Perversion, aber auch der verzehrenden Liebe und der totalen Vereinsamung, kurz: Kein menschlicher Abgrund, der ihm zu fremd ist, um ihn nicht in Musik und Worte fassen zu können. Songs wie „Dear God, I Hate Myself“, „You Are Pregnant, You Are Dead“ oder „Ian Curtis Wishlist“ sind vielleicht nicht die bekanntesten, wohl aber deutlichsten aus dem Kanon des Schreckens – keine Überraschung also, dass auch auf dem neuen Album mit „I Luv Abortion“ oder „Born To Suffer“ markig getitelt wird. Woher also diese Anziehungskraft?
Vielleicht liegt es am Kontrast zwischen den messerscharf geschliffenen Technobeats, dem bohrenden, nervenzerrenden Sound und der klagenden, hilflosen Verletzlichkeit von Stewarts Stimme, vielleicht am Nebeneinander von schroffem Gewummer und zarten Tönen, vielleicht daran, dass dieser Mann expressiv sein Leiden ausstellt und den Hörer an jedem noch so fremdartigen Gedanken teilhaben lässt, Jahrmarktspektakel, Horrorshow, whatever. Die Single „Hi“ zu Beginn kommt, wie auch später “Honey Suckle”, recht harmlos, fast konventionell daher („If there’s a hole in your head, say ‚Hi‘, if you don’t know what to say, say ‚Hi‘, if your bed is a living hell, say ‚Hi‘“) – Synthiepop. “Joey’s Song”, bleischwerer Klagegesang, läßt einen an Nick Cave denken und „Beauty Towne“ pumpt gewaltig aus der Schwärze. Dann schon besagtes „I Luv Abortion“ („I luv abortion, you too good for this world, let all you have lived be as if a dream!”), klirrendes, zerhacktes Getöse, „The Oldness“ als trügerische Pianoballade, bevor erneutes Gemetzel ("Gul Mudin") anhebt – diesmal als Kriegsparabel aus Afghanistan – schön ist das nicht, krank aber eher das Erzählte als der Erzähler selbst.
Stewart fühlt sich offenbar berufen, von Dingen zu singen, die nur wenige hören wollen und die er selbst kaum erträgt („born to suffer“), auch das grauenerregende Schlußstück „Black Drum Machine“ macht mit seinen Vergewaltigungsfantasien keine Ausnahme. Und hätte er sich nicht den Sinn für die schönen Melodien bewahrt – wahrscheinlich wäre Stuart schon vor die Hunde gegangen. So bleibt wieder eine Platte, die gegensätzlicher nicht sein könnte und ein Mann, der den leichten, den gefälligen Weg nach wie vor tief verabscheut. Nur wenige tun das mit dieser Konsequenz. http://xiuxiu.org/