Man kann ja dem deutschen Rolling Stone einige fragwürdige Komplimente machen, ein großväterliches Layout zum Beispiel oder eine ebenso greisenhafte Auswahl an Themen und Coverstars - die seit dem Jahr 1995 beigelegten CDs NEW NOISES jedoch waren stets von hoher Güte und spiegelten wie nur wenige Compilationen die jeweiligen Strömungen und Randerscheinungen des Rock und Pop wider. Nicht ganz uneigennützig deshalb an dieser Stelle der Verweis auf eine Netzauktion, bei welcher man die komplette Sammlung ersteigern kann: 107 CDs mit mehr als 1.200 Songs - 1, 2, 3, ... hier.
Montag, 31. Oktober 2011
Freitag, 28. Oktober 2011
Selbstanzeige
"We don't care about staying relevant."
[Chris Martin, 22.09.2011, Rolling Stone]
'''Mylo Xyloto' is a concept album about love conquering all."
[Chris Martin, 14.10.2011, The Sun]
[Chris Martin, 22.09.2011, Rolling Stone]
'''Mylo Xyloto' is a concept album about love conquering all."
[Chris Martin, 14.10.2011, The Sun]
"This could be our last album."
[Chris Martin, 16.10.2011, Mail On Sunday]
[Chris Martin, 16.10.2011, Mail On Sunday]
"I know our lyrics are a bit shit, but I like them a lot."
[Chris Martin, 21.10.2011, NME]
[Chris Martin, 21.10.2011, NME]
“The days of selling tens of millions of copies has gone, so there's no point using that yardstick anymore."
[Chris Martin, 24.10.2011, Digital Spy]
"Take That made me think I was gay."
[Chris Martin, 24.10.2011, The Sun]
'''Mylo Xyloto' is a shizophrenic album."
[Chris Martin, 25.10.2011, MTV News]
"Releasing 'Mylo Xyloto' made me feel suicidal."
[Chris Martin, 26.10.2011, Daily Star]
Donnerstag, 27. Oktober 2011
Verkopfter Gutbürger
Peter Licht „Das Ende der Beschwerde“ (Motor Music)
Ob man nun soweit gehen muß, Peter Lichts aktuelle Platte gleich neben die quietschbunte neue Coldplay zu rücken, wie es die Schreiber von SPON taten, sei dahin gestellt. Der Mann, der ebenso wie Schmökerliterat Walter Moers dem Blitzlicht seit Jahren sein Gesicht verweigert, der Mann, der einst auf dem Sonnendeck die gelbe Sau verfluchte und später damit drohte, als letzter von der Auslaufrille der Scheibenwelt zu springen, dieser Mann macht nun mehr denn je in: Pop.
Nun ja, nicht gleich – zunächst kommt mit „Sag mir wo ich beginnen soll“ ein recht ruppiges, hektisches und verqueres Stück, bei dem es sehr schwer fällt, nicht an die Meister der Metapher, die frühen Blumfeld, zu denken. Danach jedoch: Harmonie! Melodie! Kein zuckriges Pathos, das nicht, dazu ist Peter Licht dankenswerterweise verkopft genug und hat viel zuviel Spaß an irritierenden und gebrochenen Sinnbildern. Aber musikalisch lehnt er sich eng an das an, was man so schon von Klee oder Jens Friebe kennt, um die sympathischsten Vertreter zu nennen: ein paar glitzernde Hooks, die nach New Order schmecken, watteweiche Synthetikklänge, fein gestrickte Indieware. Das ist so neu nicht, das hat er früher auch schon hinbekommen, nur in dieser Massierung wird es mancher nicht erwartet haben.
„Wir sollten uns halten“ schwebt verträumt dahin, „Begrabt mein iPhone ...“ gleich hinterdrein („Ich wüßte niemanden, der sich selbst gehörte, hat noch niemand jemals von gehört“ – so süß, so wahr) – ach, wie sehr man sich wünscht, Facebook würde das zum neuen Werbejingle küren. Mit „Steigen/Fallen“ und „Das Ende der Beschwerde“ meint man ansatzweise zu verstehen, warum dieser Mann kein Wut-, sondern eher ein Gutbürger sein will und er lieber zur Entspannung als zur Empörung aufrufen würde. Sehnsuchtslieder, fliegende Adler („Meine alten Schuhe“), wenn schon handgreiflich werden, dann wenigstens mit einem selbstbewußten Lächeln im Gesicht („Schüttel den Barmann!“), hoffen auf den neuen Menschen – alles eine sanfte Resolution. Nach nochmaligem, blumfeldschen Gezeter („Fluchtstück“) ein melancholisches Ausfransen – schön bleibt es trotzdem.
http://peterlicht.de/
Ob man nun soweit gehen muß, Peter Lichts aktuelle Platte gleich neben die quietschbunte neue Coldplay zu rücken, wie es die Schreiber von SPON taten, sei dahin gestellt. Der Mann, der ebenso wie Schmökerliterat Walter Moers dem Blitzlicht seit Jahren sein Gesicht verweigert, der Mann, der einst auf dem Sonnendeck die gelbe Sau verfluchte und später damit drohte, als letzter von der Auslaufrille der Scheibenwelt zu springen, dieser Mann macht nun mehr denn je in: Pop.
Nun ja, nicht gleich – zunächst kommt mit „Sag mir wo ich beginnen soll“ ein recht ruppiges, hektisches und verqueres Stück, bei dem es sehr schwer fällt, nicht an die Meister der Metapher, die frühen Blumfeld, zu denken. Danach jedoch: Harmonie! Melodie! Kein zuckriges Pathos, das nicht, dazu ist Peter Licht dankenswerterweise verkopft genug und hat viel zuviel Spaß an irritierenden und gebrochenen Sinnbildern. Aber musikalisch lehnt er sich eng an das an, was man so schon von Klee oder Jens Friebe kennt, um die sympathischsten Vertreter zu nennen: ein paar glitzernde Hooks, die nach New Order schmecken, watteweiche Synthetikklänge, fein gestrickte Indieware. Das ist so neu nicht, das hat er früher auch schon hinbekommen, nur in dieser Massierung wird es mancher nicht erwartet haben.
„Wir sollten uns halten“ schwebt verträumt dahin, „Begrabt mein iPhone ...“ gleich hinterdrein („Ich wüßte niemanden, der sich selbst gehörte, hat noch niemand jemals von gehört“ – so süß, so wahr) – ach, wie sehr man sich wünscht, Facebook würde das zum neuen Werbejingle küren. Mit „Steigen/Fallen“ und „Das Ende der Beschwerde“ meint man ansatzweise zu verstehen, warum dieser Mann kein Wut-, sondern eher ein Gutbürger sein will und er lieber zur Entspannung als zur Empörung aufrufen würde. Sehnsuchtslieder, fliegende Adler („Meine alten Schuhe“), wenn schon handgreiflich werden, dann wenigstens mit einem selbstbewußten Lächeln im Gesicht („Schüttel den Barmann!“), hoffen auf den neuen Menschen – alles eine sanfte Resolution. Nach nochmaligem, blumfeldschen Gezeter („Fluchtstück“) ein melancholisches Ausfransen – schön bleibt es trotzdem.
http://peterlicht.de/
Seid umschlungen, Chromosomen!
Sollte es einen Blödsinn geben, auf den bisher noch niemand gekommen ist oder, wenn doch, an den sich bisher noch niemand herangetraut hat - bitteschön, für solche Fälle sind die hierzulande stets Die Ärzte (meint: Band) zuständig. Denen ist es seit jeher ein Anliegen, den tieferen Sinn hintenanzustellen und Sachen zu probieren, einfach deshalb, weils vorher noch niemand gemacht hat. Und genau darum gibt es Ende dieses Jahres unter dem Motto "Das Ende ist noch nicht vorbei" ein zweitägiges Konzert in Dortmund, auf der das Fanvolk streng nach Geschlechtern sortiert werden soll, an einem Tag also die Weibchen (19. Dezember, höflicher Vortritt), am anderen die Männchen (20. Dezember). Das Ganze nennt sich "XY/XX"-Konzert und wird, das kann man jetzt schon unken, für jede Menge gute Laune sorgen. Fragen dazu? Bitteschön.
Mittwoch, 26. Oktober 2011
Don't mention the charts!
Mit den deutschen Charts mag man sich normalerweise nicht beschäftigen, selten verirrt sich Lohnendes unter die ersten zehn Plätze und der Rest ist in der Regel auch ziemlich unerquicklich. Wenn sich allerdings der britische Guardian in seinem Blog unter dem Topic "Pop Musik: The sound of the charts around the world" gleich in der ersten Folge mit Deutschland beschäftigt, dann hat das sehr wohl einen gewissen Reiz. Man liest da Sätze wie "... a vision of the country that couldn't be further removed from British tabloid cliches" und "... the stark paranoia of Angela Merkel's warning of a "failed" multicultural society also seems a world away", und manch andere treffende Spitze, lesenwert natürlich vor allem die zahlreichen Kommentare ("Rrrrammstein!", "No David Hasslehoff (?) there?" etc.)
Dienstag, 25. Oktober 2011
Fast komplett
Jetzt also nach Jack White, Garbage und Damien Rice noch drei Schwergewichte vom gehypten U2-Coveralbum "AHK-toong BAY-bi", nämlich Depeche Modes "So Cruel", The Killers mit "Ultraviolet (Light My Way)" und, dann doch als einzig wirkliche Überraschung, Nine Inch Nails' Bearbeitung von "Zoo Station" - alles hier.
Kraftfutter, schwer verdaulich
Lou Reed & Metallica „Lulu“ (Mercury)
Im Großen und Ganzen gibt es neben der gänzlich unvoreingenommenen Sicht zwei Wege, sich diesem gewaltigen Brocken von einem Album zu nähern. Vermutlich wird das Interesse der hartgesottenen Metal-Fraktion an der Kollaboration recht schnell dahin sein – ein Blick in einschlägige Foren genügt um zu wissen, dass die Toleranzschwelle, was solche ungewöhnlichen Projekte angeht, recht niedrig ist, „Kunstkacke“ ist danach noch eine eher freundliche Umschreibung. Metallica genießen ja in Schwermetallerkreisen schon lange nicht mehr den unbegrenzten Kredit ihrer Anfangstage, seit dem in aller Welt gefeierten schwarzen Album und dem Einzug des Balladesken ins Spätwerk der Amerikaner wandten sich mehr und mehr Anhänger von ihren Lieblingen ab und kompromissloseren Spielarten des Genres wie Drone-, Doom- oder Blackmetal zu. Was ihnen auf „Lulu“ geboten wird, wird bis auf Ausreißer wie das Gebolze von „Pumping Blood“ oder das Sperrfeuer in „Misstress Dread“ auf Befremden und wenig Gegenliebe stoßen. Soweit der eine Teil.
Was die Fans von Lou Reed angeht, so wird sie dieses Unternehmen nicht ganz so unvorbereitet treffen. Der knapp 70jährige Grantler ist ja bekannt für seine eigenwillige Experimentierlust, seine Spleenigkeit ist legendär und über die Dauer seines Schaffens kann man durchaus ein Faible für Eisenhaltiges erkennen. Angefangen mit dem sagenhaften Fall des Metalltablettstapels für die Aufnahme zu „European Son“ seiner Band Velvet Underground im Jahr 1967 über das schier ungenießbare Epos „Metal Machine Music“ von 1975 – die Partnerschaft mit Metallica erscheint fast zwangsläufig und will auch sonst gut zu einem Mann passen, der nichts mehr liebt als die Irritation und Konformität scheut wie der Teufel das Weihwasser.
Was aber soll man machen, wenn der Urheber eines so umfang- wie abwechslungsreichen Oevres dieses selbst mit den Worten diskreditiert, er habe in seinem langen Musikerleben nie etwas Besseres geschaffen als die vorliegende Wedekind-Adaption? „Berlin“, „Coney Island Baby“, „Legendary Hearts“, das sagenhafte Live-Album „Take No Prisoners“, selbst das spätreife „New York“ – alles das nichts gegen neunzig Minuten schwülstiger, körpersaftgetränkter Nahkampf? Schwer vorstellbar. Und auch egal. Denn Reeds Lust am Small Talk auf Presseterminen steht bekanntlich in umgekehrtem Verhältnis zur Größe seines Egos und warum ihm ein nervender Schreiberling dieses erstaunliche Bekenntnis abringen konnte ist deshalb eher zweitrangig.
„Lulu“ bleibt trotzdem ein sehr zwiespältiges Erlebnis. Schon die erste Auskopplung – das grummelnde „The View“ – ließ solches ahnen, auch der Rest der instrumentierten Monologe ist schwer verdauliches Kraftfutter. Hätte Reed die Arbeitsteilung von vornherein strikter geregelt – „Ich schreibe und singe, ihr spielt.“ – das Album wäre ein besseres geworden. So jedoch geht einem James Hetfields breitbeinige Begleitung in jedem zweiten Chorus bald mächtig auf den Zeiger, ohnehin fragt man sich, wozu es der Metaller bedurfte, wenn Reed die besten Stücke, wie das knorrige „Iced Honey“ oder auch die reduzierten Töne von „Little Dog“ und „Junior Dad“ problemlos hätte mit seiner Hauskombo bewerkstelligen können. So jedenfalls ist man schon nach einem Durchlauf taub in der Birne und bleibt etwas ratlos zurück. Kein großer Wurf, die Kulturrevolution auch nicht – ein interessanter Ansatz vielleicht, mehr nicht.
http://www.loureedmetallica.com/
Im Großen und Ganzen gibt es neben der gänzlich unvoreingenommenen Sicht zwei Wege, sich diesem gewaltigen Brocken von einem Album zu nähern. Vermutlich wird das Interesse der hartgesottenen Metal-Fraktion an der Kollaboration recht schnell dahin sein – ein Blick in einschlägige Foren genügt um zu wissen, dass die Toleranzschwelle, was solche ungewöhnlichen Projekte angeht, recht niedrig ist, „Kunstkacke“ ist danach noch eine eher freundliche Umschreibung. Metallica genießen ja in Schwermetallerkreisen schon lange nicht mehr den unbegrenzten Kredit ihrer Anfangstage, seit dem in aller Welt gefeierten schwarzen Album und dem Einzug des Balladesken ins Spätwerk der Amerikaner wandten sich mehr und mehr Anhänger von ihren Lieblingen ab und kompromissloseren Spielarten des Genres wie Drone-, Doom- oder Blackmetal zu. Was ihnen auf „Lulu“ geboten wird, wird bis auf Ausreißer wie das Gebolze von „Pumping Blood“ oder das Sperrfeuer in „Misstress Dread“ auf Befremden und wenig Gegenliebe stoßen. Soweit der eine Teil.
Was die Fans von Lou Reed angeht, so wird sie dieses Unternehmen nicht ganz so unvorbereitet treffen. Der knapp 70jährige Grantler ist ja bekannt für seine eigenwillige Experimentierlust, seine Spleenigkeit ist legendär und über die Dauer seines Schaffens kann man durchaus ein Faible für Eisenhaltiges erkennen. Angefangen mit dem sagenhaften Fall des Metalltablettstapels für die Aufnahme zu „European Son“ seiner Band Velvet Underground im Jahr 1967 über das schier ungenießbare Epos „Metal Machine Music“ von 1975 – die Partnerschaft mit Metallica erscheint fast zwangsläufig und will auch sonst gut zu einem Mann passen, der nichts mehr liebt als die Irritation und Konformität scheut wie der Teufel das Weihwasser.
Was aber soll man machen, wenn der Urheber eines so umfang- wie abwechslungsreichen Oevres dieses selbst mit den Worten diskreditiert, er habe in seinem langen Musikerleben nie etwas Besseres geschaffen als die vorliegende Wedekind-Adaption? „Berlin“, „Coney Island Baby“, „Legendary Hearts“, das sagenhafte Live-Album „Take No Prisoners“, selbst das spätreife „New York“ – alles das nichts gegen neunzig Minuten schwülstiger, körpersaftgetränkter Nahkampf? Schwer vorstellbar. Und auch egal. Denn Reeds Lust am Small Talk auf Presseterminen steht bekanntlich in umgekehrtem Verhältnis zur Größe seines Egos und warum ihm ein nervender Schreiberling dieses erstaunliche Bekenntnis abringen konnte ist deshalb eher zweitrangig.
„Lulu“ bleibt trotzdem ein sehr zwiespältiges Erlebnis. Schon die erste Auskopplung – das grummelnde „The View“ – ließ solches ahnen, auch der Rest der instrumentierten Monologe ist schwer verdauliches Kraftfutter. Hätte Reed die Arbeitsteilung von vornherein strikter geregelt – „Ich schreibe und singe, ihr spielt.“ – das Album wäre ein besseres geworden. So jedoch geht einem James Hetfields breitbeinige Begleitung in jedem zweiten Chorus bald mächtig auf den Zeiger, ohnehin fragt man sich, wozu es der Metaller bedurfte, wenn Reed die besten Stücke, wie das knorrige „Iced Honey“ oder auch die reduzierten Töne von „Little Dog“ und „Junior Dad“ problemlos hätte mit seiner Hauskombo bewerkstelligen können. So jedenfalls ist man schon nach einem Durchlauf taub in der Birne und bleibt etwas ratlos zurück. Kein großer Wurf, die Kulturrevolution auch nicht – ein interessanter Ansatz vielleicht, mehr nicht.
http://www.loureedmetallica.com/
Freitag, 21. Oktober 2011
Dreisatz
Gerade erst die längst überfällige Debatte über die mangelhafte Qualität der öffentlich rechtlichen Grundversorgung befeuert, da muss SZ-Autor Alexander Gorkow schon wieder gegen den Trend arbeiten. In seiner gottgleich verehrten, samstäglichen Tatort-Kolumne, die allein schon Grund genug für den Kauf der Wochenendausgabe ist, verliert Gorkow neben allerlei Zutreffendem zu den Kommissaren Dominik Raacke und Boris Alijonvic („mit Melancholie zugemauerte Komiker im Stile von Simon & Garfunkel“) und freimütigem Lob zur aktuellen Produktion des SFB ein paar Worte über die beiden originären Kultschuppen der 80er, den Ratinger Hof (Düsseldorf) und den Dschungel (Berlin), Worte die so wunderschön sind, dass man sie gern wieder und wieder liest: „In beiden Läden dämmerte man in schwarzer Lederjacke und am Tropf der jeweils örtlichen Brauerei mit größter Würde dem Weltuntergang entgegen, wenn man nicht gerade was auf die Schnauze bekam. Beide Einrichtungen zerfielen exakt Ende der 80er zu Schutt und Asche. Damit erlosch eine schöne, deutsche, triadische Kulturform: die des Trinkens, Schweigens und Angepisstseins bei sehr, sehr lauter Musik.“ Lieber hochgeschätzter Holger Gertz, der Sie diese Kolumne ja bald übernehmen werden: Machen Sie bloß keinen Fehler!
Fragen Sie Dr. Äpp
Anorak und Hochkultur
Veronica Falls „Veronica Falls“ (Bella Union)
Hatte ich mich eigentlich hier schon über die Vorzüge der urbritischen Schrammelband Wedding Present ausgelassen? Ausgiebig? Viel zu oft? Kann gar nicht sein. Denn zum einen sind die Jungs um David Gedge auf rätselhafte Weise chronisch unterschätzt, zum anderen würde mir das den Einstieg vermasseln. Stellt man sich nämlich den Sound der Londoner Newcomer Veronica Falls wie eines dieser, vor allem bei Kindern sehr beliebten, Kaleidoskope vor und schaut hindurch, so entdeckt man ein so vielfältiges Spektrum an Vorbildern und Bezugsgrößen, dass der Platz für eine lückenlose Aufzählung hier knapp werden würde.
Neben der schon erwähnten Formation aus Leeds, denen man ohne weiteres die ersten drei Stücke und obendrein „The Box“ widmen könnte, zählen dazu in jedem Falle auch die Pixies – die Anleihen für „Stephen“ sind so frappierend, dass man sich fragt, ob da wohl Tantiemen geflossen sind. Desweiteren natürlich fraglos die fabelhaften Go-Betweens, The Mamas & Papas, die Vivian- und die Dum Dum Girls, Breeders, Figurines, Pains At Beeing Pure At Heart und wie sie alle heißen. Dass das vorliegende Debüt trotz aller offensichtlichen Parallelen und zwingenden Vergleiche trotzdem Spaß macht, liegt wohl an der Leichtigkeit, mit der den vieren ihre Arbeit von den Händen geht. Traumhafte Melodien, die einschmeichelnde Stimme von Roxanne Clifford, behutsame Variationen, die es dem Hörer nicht allzu schwer machen, die Musik schnell in’s Herz zu schließen. Außer den besonders verführerischen „Found Love In A Graveyard“, „Right Side Of My Brain“ und „The Fountain“, die sozusagen als „flotter Dreier“ die Essenz der Band darstellen, muss vor allem auf das angenehm schroffe „Beachy Head“ hingewiesen werden, das so schön scheppert wie nichts auf dieser Platte.
Im Guardian konnte man kürzlich lesen, dass Veronica Falls nicht nur eine weitere Twee-Band (von „twee: süß“) seien, sondern auch in der ehrwürdigen Tradition der sogenannten „Anorak“-Bands stehen sollen. Das hat, so die Autoren, weniger mit der frostigen Jahreszeit als vielmehr mit dem einfachen, unspektakulären und zweckmäßigen Charakter des Kleidungsstücks zu tun – wer also in einer solchen Gruppe spielt, muß nicht zwingend die Hochkultur im Sinn und ein Musikstudium in der Tasche haben. Diese Herangehensweise soll, so hört man, auf alle vier Musiker hier zutreffen. Dass man es dem Album trotzdem nicht anhört, kann vielleicht als größtes Kompliment unter vielen anderen gelten.
http://veronicafalls.comHatte ich mich eigentlich hier schon über die Vorzüge der urbritischen Schrammelband Wedding Present ausgelassen? Ausgiebig? Viel zu oft? Kann gar nicht sein. Denn zum einen sind die Jungs um David Gedge auf rätselhafte Weise chronisch unterschätzt, zum anderen würde mir das den Einstieg vermasseln. Stellt man sich nämlich den Sound der Londoner Newcomer Veronica Falls wie eines dieser, vor allem bei Kindern sehr beliebten, Kaleidoskope vor und schaut hindurch, so entdeckt man ein so vielfältiges Spektrum an Vorbildern und Bezugsgrößen, dass der Platz für eine lückenlose Aufzählung hier knapp werden würde.
Neben der schon erwähnten Formation aus Leeds, denen man ohne weiteres die ersten drei Stücke und obendrein „The Box“ widmen könnte, zählen dazu in jedem Falle auch die Pixies – die Anleihen für „Stephen“ sind so frappierend, dass man sich fragt, ob da wohl Tantiemen geflossen sind. Desweiteren natürlich fraglos die fabelhaften Go-Betweens, The Mamas & Papas, die Vivian- und die Dum Dum Girls, Breeders, Figurines, Pains At Beeing Pure At Heart und wie sie alle heißen. Dass das vorliegende Debüt trotz aller offensichtlichen Parallelen und zwingenden Vergleiche trotzdem Spaß macht, liegt wohl an der Leichtigkeit, mit der den vieren ihre Arbeit von den Händen geht. Traumhafte Melodien, die einschmeichelnde Stimme von Roxanne Clifford, behutsame Variationen, die es dem Hörer nicht allzu schwer machen, die Musik schnell in’s Herz zu schließen. Außer den besonders verführerischen „Found Love In A Graveyard“, „Right Side Of My Brain“ und „The Fountain“, die sozusagen als „flotter Dreier“ die Essenz der Band darstellen, muss vor allem auf das angenehm schroffe „Beachy Head“ hingewiesen werden, das so schön scheppert wie nichts auf dieser Platte.
Im Guardian konnte man kürzlich lesen, dass Veronica Falls nicht nur eine weitere Twee-Band (von „twee: süß“) seien, sondern auch in der ehrwürdigen Tradition der sogenannten „Anorak“-Bands stehen sollen. Das hat, so die Autoren, weniger mit der frostigen Jahreszeit als vielmehr mit dem einfachen, unspektakulären und zweckmäßigen Charakter des Kleidungsstücks zu tun – wer also in einer solchen Gruppe spielt, muß nicht zwingend die Hochkultur im Sinn und ein Musikstudium in der Tasche haben. Diese Herangehensweise soll, so hört man, auf alle vier Musiker hier zutreffen. Dass man es dem Album trotzdem nicht anhört, kann vielleicht als größtes Kompliment unter vielen anderen gelten.
Mittwoch, 19. Oktober 2011
Offener Vollzug
Mutter, Ampere München, 18. Oktober 2011
Man kann es wirklich keinem übelnehmen, wenn er oder sie sich am vermutlich letzten lauen Herbstabend dieses Jahres nicht lieber auf ein spätes Helles vor die Gastwirtschaft setzt (oder sich mit neapolitanischen Fussballträumereien wenigstens innerlich wärmt). Knapp hundert Unerschrockene haben den Weg zu Mutter ins Ampere dann doch gefunden – mäßige Füllung für eine der besten deutschen Bands der letzten Jahrzehnte, ja mei. Natürlich muß gerechterweise erwähnt werden, dass Konzerte von Mutter nicht dazu taugen, den Abend geruhsam wippend ausklingen zu lassen, ein unterhaltsamer Plausch zum Pils, so lala – Fehlanzeige.
Mutter aus Berlin fordern den Zuhörer mit ganzer Kraft. Fast symbolisch: Schlagmann Koerner von Gustorf braucht gerade mal ein Lied, um zwecks erreichter Betriebstemperatur seinen – das zum Trost – auch nicht mehr ganz taufirschen Oberkörper freizulegen, Coltellos stoisches Gitarrenintro („Stimmen“) eröffnet einen zähen Reigen, randvoll mit dunkel dräuender, tonnenschwerer Leidenslyrik. Zu brachialen Akkorden windet und krümmt sich Thomas „Max“ Müller auf und gelegentlich auch vor der Bühne, wimmert selbstvergessen vor seiner am Boden aufgefächerten Manuskriptsammlung und schreit seinen Daseinsschmerz dem verdutzten Publikum mitten ins Gesicht. Der Duktus erinnert einen immer ein bisschen an geistesverwandte Herren wie Rio Reiser zu Scherben-Zeiten („Warum geht es mir so dreckig“) oder Peter Hein („Paul ist tot“), zusammen mit den wilden Zuckungen seines spindeldürren Körpers und dem mähnenverhangenen, luziden Blick ist Müller nicht weit weg vom Bühnenspektakel eines Jim Morrison. Der Raum – die Vorhölle, die Zuschauer mittendrin, kein Ausweg.
Viele der aufgeführten Songs stammen vom neuen Album „Mein kleiner Krieg“, welches im Übrigen die ohnehin schon hohe Klasse des Vorgängers „Trinken Singen Schiessen“ noch einmal toppen kann. „Regenwurm“, „Kanndies“ und das bittere „Wo die Sonne nicht scheint“ lassen nicht das leiseste Fünkchen Frohsinn aufkommen, auch wenn Müller dazwischen scherzhaft meint, nun käme mal „etwas Lockeres“. Der Mann hat zweifellos einen etwas seltsamen Humor. Spätestens beim dröhnenden „Die Alten hassen die Jungen“ hat man unweigerlich das Gefühl, einer öffentlichen Supervision zum Thema „Depression als Gruppenerfahrung“ beizuwohnen – Mutter schenken einem nichts. Derart verprügelt schwankt man an die frische Luft, gönnt sich noch einen fönigen Atemzug und hofft inständig, dass die Welt nicht schon heute Nacht in die Binsen geht.
Man kann es wirklich keinem übelnehmen, wenn er oder sie sich am vermutlich letzten lauen Herbstabend dieses Jahres nicht lieber auf ein spätes Helles vor die Gastwirtschaft setzt (oder sich mit neapolitanischen Fussballträumereien wenigstens innerlich wärmt). Knapp hundert Unerschrockene haben den Weg zu Mutter ins Ampere dann doch gefunden – mäßige Füllung für eine der besten deutschen Bands der letzten Jahrzehnte, ja mei. Natürlich muß gerechterweise erwähnt werden, dass Konzerte von Mutter nicht dazu taugen, den Abend geruhsam wippend ausklingen zu lassen, ein unterhaltsamer Plausch zum Pils, so lala – Fehlanzeige.
Mutter aus Berlin fordern den Zuhörer mit ganzer Kraft. Fast symbolisch: Schlagmann Koerner von Gustorf braucht gerade mal ein Lied, um zwecks erreichter Betriebstemperatur seinen – das zum Trost – auch nicht mehr ganz taufirschen Oberkörper freizulegen, Coltellos stoisches Gitarrenintro („Stimmen“) eröffnet einen zähen Reigen, randvoll mit dunkel dräuender, tonnenschwerer Leidenslyrik. Zu brachialen Akkorden windet und krümmt sich Thomas „Max“ Müller auf und gelegentlich auch vor der Bühne, wimmert selbstvergessen vor seiner am Boden aufgefächerten Manuskriptsammlung und schreit seinen Daseinsschmerz dem verdutzten Publikum mitten ins Gesicht. Der Duktus erinnert einen immer ein bisschen an geistesverwandte Herren wie Rio Reiser zu Scherben-Zeiten („Warum geht es mir so dreckig“) oder Peter Hein („Paul ist tot“), zusammen mit den wilden Zuckungen seines spindeldürren Körpers und dem mähnenverhangenen, luziden Blick ist Müller nicht weit weg vom Bühnenspektakel eines Jim Morrison. Der Raum – die Vorhölle, die Zuschauer mittendrin, kein Ausweg.
Viele der aufgeführten Songs stammen vom neuen Album „Mein kleiner Krieg“, welches im Übrigen die ohnehin schon hohe Klasse des Vorgängers „Trinken Singen Schiessen“ noch einmal toppen kann. „Regenwurm“, „Kanndies“ und das bittere „Wo die Sonne nicht scheint“ lassen nicht das leiseste Fünkchen Frohsinn aufkommen, auch wenn Müller dazwischen scherzhaft meint, nun käme mal „etwas Lockeres“. Der Mann hat zweifellos einen etwas seltsamen Humor. Spätestens beim dröhnenden „Die Alten hassen die Jungen“ hat man unweigerlich das Gefühl, einer öffentlichen Supervision zum Thema „Depression als Gruppenerfahrung“ beizuwohnen – Mutter schenken einem nichts. Derart verprügelt schwankt man an die frische Luft, gönnt sich noch einen fönigen Atemzug und hofft inständig, dass die Welt nicht schon heute Nacht in die Binsen geht.
Leises Servus
Es ist ja nicht so, dass sie einfach verschwinden würden - natürlich gibt es von R.E.M. noch eine letzte Lokalrunde in Form der Best-Of-Compilation "Part Lies, Part Heart, Part Truth, Part Garbage, 1982-2011". Darauf werden drei letzte, neue Songs zu finden sein, neben "A Month Of Saturdays" und "Hallelujah" auch der luftige Abschiedsgruß "We All Go Back To Where We Belong" - der Rolling Stone hat den Stream dazu.
Nah dran
Die Band, die wahrscheinlich den größten Einfluß auf The XX und ihr wundervolles, gleichnamiges Meisterwerk aus dem Jahr 2009 hatte - Everything But The Girl - hat sich auf Bitten der Londoner an einen der Tracks des Albums gemacht. Tracey Thorn und Ben Watt coverten "Night Time" ursprünglich für ein geplantes Tribut-Projekt, das so nicht zustande kam - jetzt findet sich das Stück auf einer eigenen EP, gut so.
Dienstag, 18. Oktober 2011
OMG: THEY! ARE!! BACK!!!
Keine Frage - die Mannen um Ian Brown haben zu aktiven Zeiten der Stone Roses zwei grandiose Platten und jede Menge noch grandiosere Singles veröffentlicht - was allerdings um ihre seit Tagen angekündigte Reunion für ein Bohai veranstaltet wird, funktioniert so wahrscheinlich nur in good old England, präziser in Manchester. Keiner weiß so genau, ob die Jungs noch das Zeug zu anständiger Livemucke haben, geschweigedenn ob sie noch einmal Material von der Güte wie "So Young", "Made Of Stone" oder "She Bangs The Drums" zusammenbekommen - egal: Hype galore! und Hysteria rules!, nur wer am lautesten schreit, geht einem auch gehörig auf die Nerven. Das ist dann standesgemäß der NME, da gab's eine alberne Pressekonferenz zum Anschauen, einen Liveblog zum irgendwiedabeisein und jede Menge staatstragenden Schnickschnack. Die handelsübliche Tasse Tee scheint also auch nicht mehr zu helfen - die drängendste Frage lautet nun: Wie reagiert Shaun Ryder?
What the senator wants ...
Allemal eine gelungene Liaison: Jack Black spielt im neuen Video zu Stephen Malkmus' Song "Senator" den, ja - eben: Senator. Und dass da kein Auge trocken bleibt, ist bei der Besetzung fast selbstverständlich - hier.
Samstag, 15. Oktober 2011
Nicht mehr.
"Musicians Kim Gordon and Thurston Moore, married in 1984, are announcing that they have separated. Sonic Youth, with both Kim and Thurston involved, will proceed with its South American tour dates in November. Plans beyond that tour are uncertain. The couple has requested respect for their personal privacy and does not wish to issue further comment." (Matador Records)
Freitag, 14. Oktober 2011
Wer hat's erfunden?
Auch wenn das Anliegen ein ernstzunehmendes und unbedingt zustimmungspflichtiges ist, muss man doch an dieser Stelle mal die Erstvertretungsansprüche klären: "Ich will nicht nach Berlin" vom Chemnitzer Kraftklub ist vielleicht ein nettes Stück Anti, die Dos Hermanos aus München waren auf ihrem feinen Album "Ich auch" (2007) aber mit "Berlin" schon ein bisschen früher dran, machen nur weniger Worte drum (leider nur geschnipselt). Na egal, sind wir jedenfalls schon vier ...
Retrofit statt Retro Chic
Kraftwerk 3D, Alte Kongresshalle München, 13.10.2011
Unter Maschinenherstellern und deren Kunden gilt das sogenannte Retrofit in Zeiten klammer Budgets als probates Mittel, ältere Anlagen mittels einer inwendigen Frischzellenkur auf einen zeitgemäßen Stand zu bringen, ohne gleich das schwere Eisen auszutauschen zu müssen – Platinen wechseln, Software aktualisieren, die eine oder andere neue Schnittstelle dazu – schon können auch Aggregate älterer Bauart problemlos ein paar Jahre in der Produktion gehalten werden. Kaum ein anderer Begriff scheint besser auf die Band Kraftwerk im Hier und Jetzt und ihre Konzerte in München zu passen als dieser.
Wären Kraftwerk wirklich retro in des Wortes missbilligender Bedeutung, die zwei Stunden in der ausverkauften Kongresshalle hätten einen schalen Nachgeschmack hinterlassen, Stichworte: Kassenfüllerei, Zeitgeist, Trendhopping. So jedoch war nach nur wenigen Takten klar, dass hier mitnichten versucht wird, die artifizielle Maschinenmusik der Düsseldorfer Elektropioniere in die Neuzeit zu übersetzen, um eventuell neue Publikumsschichten zu erschließen oder gar auf einer Welle mitzureiten. Nein – die ergrauten Jünger kamen und blieben, weil ihre Propheten ihnen eine bis auf wenige Details unveränderte Performance anboten, die man so auch vor dreißig Jahren hätte erleben können. Den bekannten Songs im Kraftwerk-Kanon wurde nichts wesentlich Neues hinzugefügt, der Sound war nach heutigen Standards präzise, sauber und in seiner Wucht körperlich fast schon an der Schmerzgrenze verortet.
Dass die Stücke nichts an Aktualität eingebüßt haben, liegt wohl zum einen am universellen Charakter des Computerklangs, der mit seiner scheinbaren Schlichtheit und den zupackenden Rhythmus- und Melodiestrukturen die Sehnsucht nach Klarheit und direkter Ansprache ohne weiteres auch heute noch erfüllen kann. Was vor der Bühne wie ein handelsübliches Rockkonzert funktioniert – das Einklatschen, die Begeisterungsstürme für erkannte Intros – wird auf der Bühne durch die demonstrative Teilnahmslosigkeit der vier bewusst gebrochen (einzig Ralf Hütter leistete sich den einen oder anderen verschämten Schulterblick), und auch das wird natürlich erwartet. „Computerwelt“, „Die Roboter“, „Neonlicht“, „Schaufensterpuppen“ und „Heimcomputer“ – alles funktioniert wie vor Zeiten.
Dass das Publikum so euphorisch reagiert, liegt eben daran, dass es für sein Geld das unverfälschte Original bekommt. Hier stehen keine Grünschnäbel im Lichtkegel, die versuchen eine alte Soße als neues Geschmackserlebnis zu verkaufen, auch keine alten Säcke, die ihre schimmlige Ware mit billigem Tant ausstopfen in der Hoffnung, es würde ihnen schon keiner übelnehmen. Bei Kraftwerk ist der Computer noch Zuse und nicht Jobs, die Tour de France kein himmelschreiendes Dopingspektakel, sondern betont naive Verehrung für Motorik und Körperkraft. Der Klangteppich für die „Autobahn“ wird mit holpriger Grafik illustriert, die noch die Technikgläubigkeit früher Jahrzehnte feiert und eher an einen autofreien Sonntag als die Abbildung heutiger Fahrwege erinnert.
Auch die urgrüne Idee der Fortschrittsverweigerung von „Radioactivity“ kann nur so beklemmend wirken, weil hier bewußt Sellafield und Hiroshima, und eben nicht Fukushima als Bezugspunkte gesetzt werden. Nebenbei ist man auch ganz froh, dass nach dem wohl populärsten Stück der Band „Das Model“ nicht Hubert Kah und Nena zur flotten 80er-Sause aus der Kulisse hüpfen – es bleibt also ein guter Abend. Wie nötig es war, diesen mit einer 3D-Brille auf der Nase zu genießen, muß jeder selbst entscheiden, als Textur zum Kling-Klang sind das sicher hübsche Bilder, wirklich gefehlt hätte diese dritte Dimension am Ende aber kaum.
Unter Maschinenherstellern und deren Kunden gilt das sogenannte Retrofit in Zeiten klammer Budgets als probates Mittel, ältere Anlagen mittels einer inwendigen Frischzellenkur auf einen zeitgemäßen Stand zu bringen, ohne gleich das schwere Eisen auszutauschen zu müssen – Platinen wechseln, Software aktualisieren, die eine oder andere neue Schnittstelle dazu – schon können auch Aggregate älterer Bauart problemlos ein paar Jahre in der Produktion gehalten werden. Kaum ein anderer Begriff scheint besser auf die Band Kraftwerk im Hier und Jetzt und ihre Konzerte in München zu passen als dieser.
Wären Kraftwerk wirklich retro in des Wortes missbilligender Bedeutung, die zwei Stunden in der ausverkauften Kongresshalle hätten einen schalen Nachgeschmack hinterlassen, Stichworte: Kassenfüllerei, Zeitgeist, Trendhopping. So jedoch war nach nur wenigen Takten klar, dass hier mitnichten versucht wird, die artifizielle Maschinenmusik der Düsseldorfer Elektropioniere in die Neuzeit zu übersetzen, um eventuell neue Publikumsschichten zu erschließen oder gar auf einer Welle mitzureiten. Nein – die ergrauten Jünger kamen und blieben, weil ihre Propheten ihnen eine bis auf wenige Details unveränderte Performance anboten, die man so auch vor dreißig Jahren hätte erleben können. Den bekannten Songs im Kraftwerk-Kanon wurde nichts wesentlich Neues hinzugefügt, der Sound war nach heutigen Standards präzise, sauber und in seiner Wucht körperlich fast schon an der Schmerzgrenze verortet.
Dass die Stücke nichts an Aktualität eingebüßt haben, liegt wohl zum einen am universellen Charakter des Computerklangs, der mit seiner scheinbaren Schlichtheit und den zupackenden Rhythmus- und Melodiestrukturen die Sehnsucht nach Klarheit und direkter Ansprache ohne weiteres auch heute noch erfüllen kann. Was vor der Bühne wie ein handelsübliches Rockkonzert funktioniert – das Einklatschen, die Begeisterungsstürme für erkannte Intros – wird auf der Bühne durch die demonstrative Teilnahmslosigkeit der vier bewusst gebrochen (einzig Ralf Hütter leistete sich den einen oder anderen verschämten Schulterblick), und auch das wird natürlich erwartet. „Computerwelt“, „Die Roboter“, „Neonlicht“, „Schaufensterpuppen“ und „Heimcomputer“ – alles funktioniert wie vor Zeiten.
Dass das Publikum so euphorisch reagiert, liegt eben daran, dass es für sein Geld das unverfälschte Original bekommt. Hier stehen keine Grünschnäbel im Lichtkegel, die versuchen eine alte Soße als neues Geschmackserlebnis zu verkaufen, auch keine alten Säcke, die ihre schimmlige Ware mit billigem Tant ausstopfen in der Hoffnung, es würde ihnen schon keiner übelnehmen. Bei Kraftwerk ist der Computer noch Zuse und nicht Jobs, die Tour de France kein himmelschreiendes Dopingspektakel, sondern betont naive Verehrung für Motorik und Körperkraft. Der Klangteppich für die „Autobahn“ wird mit holpriger Grafik illustriert, die noch die Technikgläubigkeit früher Jahrzehnte feiert und eher an einen autofreien Sonntag als die Abbildung heutiger Fahrwege erinnert.
Auch die urgrüne Idee der Fortschrittsverweigerung von „Radioactivity“ kann nur so beklemmend wirken, weil hier bewußt Sellafield und Hiroshima, und eben nicht Fukushima als Bezugspunkte gesetzt werden. Nebenbei ist man auch ganz froh, dass nach dem wohl populärsten Stück der Band „Das Model“ nicht Hubert Kah und Nena zur flotten 80er-Sause aus der Kulisse hüpfen – es bleibt also ein guter Abend. Wie nötig es war, diesen mit einer 3D-Brille auf der Nase zu genießen, muß jeder selbst entscheiden, als Textur zum Kling-Klang sind das sicher hübsche Bilder, wirklich gefehlt hätte diese dritte Dimension am Ende aber kaum.
Kraftwerk im Münchner Lenbachhaus, 15. Oktober bis 13. November 2011
Dienstag, 11. Oktober 2011
Zuviel gewollt - ein Albtraum in zwei Teilen
M83 „Hurry Up, We’re Dreaming“ (M83 Recording Inc.)
Der erste, der mir beim Hören dieses Albums in den Sinn kam, war Maximilian Schell. Zu Zeiten, als Latenight in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckte und Thomas Gottschalk sich an einer täglichen Show versuchte, räumte der eingeladene Schell – für einen Gast recht ungewöhnlich – einmal dem ratlosen Talkmaster auf rabiate Weise den Schreibtisch ab, Handkante, viel Schwung, runter mit dem Zeug. Sollte heißen: Weg mit allem unnötigen Firlefanz und störenden Ballast, das Wesentliche sollte fortan das sein, was zählt. Wo also ist Maximilian Schell, wenn man ihn dringend braucht?
Würde er mit gleicher Geste durch das auf Doppelformat aufgeblasene „Hurry Up, We’re Dreaming“ fahren – was bliebe wohl noch übrig? Nicht viel, möchte man vermuten. Denn diese Platte ist so vergestopft mit bombastischen Klanggebirgen, endlos wabernden Synthieteppichen und allerlei Spielerei, dass hier nichts mehr zum Atmen kommt – jede Pore ist zu. Was Anthony Gonzalez dazu getrieben hat, den luftigen Elektropop seiner früheren Alben zu verlassen und stattdessen diese wuchtige, klebrige Masse Track auf Track zu stapeln, weiß der Laie nicht. Mit Wehmut erinnert man sich an Stücke wie „Graveyard Girl“ und „We Own The Sky“ vom Vorgänger „Saturdays = Youth“ oder besser noch des genialen „Unrecorded“ aus dem Jahr 2003. Das Equipment unterschied sich zum hiesigen kaum, nur litten diese Stücke nicht an Reizüberflutung und standen mit Leichtigkeit über dem was damals Durchschnitt war.
Das grollende, laute „Intro“ mit Zola Jesus hätte schon Warnung genug sein müssen, auf ihrem eigenen Opus „Conatus“ hätte der Song in der Form wohl keinen Platz gefunden. Die Single „Midnight City“ lädt noch einmal zum Summer of Sax, doch spätestens bei „Reunion“ klopfen Deep Forest und andere Ungeister an die Tür und werden den Raum für die restlichen paarundzwanzig Stücke nicht mehr freigeben. Da hilft kein niedliches Kinderstimmchen („Raconte-Moi Un Histoire“), kein Rockriff („Year One, One Ufo“) und keine Wall Of Sound Marke Pink Floyd („Echoes Of Mine“), das wirkt alles nur uninspiriert und allzu schlicht. Keine Ahnung, welchen Kindertraum Gonzalez hier illustrieren wollte – es muß ein Albtraum gewesen sein. Sinnbild genug das Coverbild: Zwei lustlose Kinder vorm IKEA-Regal, die, obschon noch kostümiert, nicht den Eindruck machen, als würden sie jemals wieder in diesem Traum mitspielen wollen.
http://ilovem83.com/
Der erste, der mir beim Hören dieses Albums in den Sinn kam, war Maximilian Schell. Zu Zeiten, als Latenight in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckte und Thomas Gottschalk sich an einer täglichen Show versuchte, räumte der eingeladene Schell – für einen Gast recht ungewöhnlich – einmal dem ratlosen Talkmaster auf rabiate Weise den Schreibtisch ab, Handkante, viel Schwung, runter mit dem Zeug. Sollte heißen: Weg mit allem unnötigen Firlefanz und störenden Ballast, das Wesentliche sollte fortan das sein, was zählt. Wo also ist Maximilian Schell, wenn man ihn dringend braucht?
Würde er mit gleicher Geste durch das auf Doppelformat aufgeblasene „Hurry Up, We’re Dreaming“ fahren – was bliebe wohl noch übrig? Nicht viel, möchte man vermuten. Denn diese Platte ist so vergestopft mit bombastischen Klanggebirgen, endlos wabernden Synthieteppichen und allerlei Spielerei, dass hier nichts mehr zum Atmen kommt – jede Pore ist zu. Was Anthony Gonzalez dazu getrieben hat, den luftigen Elektropop seiner früheren Alben zu verlassen und stattdessen diese wuchtige, klebrige Masse Track auf Track zu stapeln, weiß der Laie nicht. Mit Wehmut erinnert man sich an Stücke wie „Graveyard Girl“ und „We Own The Sky“ vom Vorgänger „Saturdays = Youth“ oder besser noch des genialen „Unrecorded“ aus dem Jahr 2003. Das Equipment unterschied sich zum hiesigen kaum, nur litten diese Stücke nicht an Reizüberflutung und standen mit Leichtigkeit über dem was damals Durchschnitt war.
Das grollende, laute „Intro“ mit Zola Jesus hätte schon Warnung genug sein müssen, auf ihrem eigenen Opus „Conatus“ hätte der Song in der Form wohl keinen Platz gefunden. Die Single „Midnight City“ lädt noch einmal zum Summer of Sax, doch spätestens bei „Reunion“ klopfen Deep Forest und andere Ungeister an die Tür und werden den Raum für die restlichen paarundzwanzig Stücke nicht mehr freigeben. Da hilft kein niedliches Kinderstimmchen („Raconte-Moi Un Histoire“), kein Rockriff („Year One, One Ufo“) und keine Wall Of Sound Marke Pink Floyd („Echoes Of Mine“), das wirkt alles nur uninspiriert und allzu schlicht. Keine Ahnung, welchen Kindertraum Gonzalez hier illustrieren wollte – es muß ein Albtraum gewesen sein. Sinnbild genug das Coverbild: Zwei lustlose Kinder vorm IKEA-Regal, die, obschon noch kostümiert, nicht den Eindruck machen, als würden sie jemals wieder in diesem Traum mitspielen wollen.
http://ilovem83.com/
LAH-ve is BLEInd-ness
Über das angekündigte Coveralbum von U2 mit dem gewöhnungs-bedürftigen Titel AHK-toong BAY-bi Covered ist hier schon ergiebig berichtet worden. Jetzt also endlich mal Butter bei die Fische und eine Kostprobe her. Depeche Mode war leider noch nicht zu bekommen, dafür hat stereogum ein Radio Rip der nicht minder reizvollen Version von "Love Is Blindness", eingesungen von Jack White - hier.
Montag, 10. Oktober 2011
Vom Poser zum Teamplayer
Noel Gallagher’s High Flying Birds
„Noel Gallagher’s High Flying Birds“ (Sour Mash)
Natürlich muss, wer Liam sagt, auch Noel sagen. Und wenn Beady Eye Monate zuvor an dieser Stelle so gut weggekommen sind, dann lag das bei näherer Betrachtung schlichtweg daran, dass die High Flying Birds einfach noch nicht in der Luft waren. Diese vorbehaltlos freundliche Eröffnung wird jetzt manchen, der hier öfter vorbeischaut vielleicht etwas irritieren – keine Bange, mir geht das selbst nicht anders. Doch auch wenn man das brüderliche Abwatschen in der Tabloid Hell der letzten Wochen zum Erbrechen über hatte, muß man doch zugeben: Als Ergebnis kann man mit des einen, besonders aber mit des anderen Bruders Platte mehr als zufrieden sein.
Warum nur, diese Frage gleich zu Beginn, dieses unscharfe und verschwommene Tankstellen-Cover, auch bei weiteren Abbildungen gibt sich der Mann, den man über mangelndes Selbstbewußtsein noch nie klagen hörte, so ungewohnt zurückhaltend, nie en face, immer abgewandt, fast als hätte er Schiss, man könnte erkennen, wer für die Songs verantwortlich zeichnet. Dabei gibt es für übertriebene Bescheidenheit gar keinen Grund. Denn wie erwartet schreibt der Teil, der schon für einen Großteil der Perlen von Oasis zuständig war, im Vergleich zum Kraftmeier Liam auch die besseren Songs.
Und er tut das mit einer Verve, die einen wirklich staunen läßt: Orchesterklänge, Chorbegleitung, hymnischer Bombast, schwelgerische Melodien – da ist wenig vom rotzigen Lad als vielmehr Durchdachtes vom bestens aufgelegten „Liedermacher“ zu hören. „Everybody’s On The Run“ – herrlich und die ganz dicke Sahne, „Dream On“ nicht minder kalorienhaltig und bei „If I Had A Gun“ will der gute Junge die Knarre auch nur haben, um seiner Angebeteten ein Loch in die Sonne zu schießen – hier wird er regelrecht zum Träumer: „'Scuse me if I spoke too soon, my eyes have always followed you around the room. 'Cus you're the only God that I will ever need, I'm holding on and waiting for the moment to find me.“ Wow, Noel, bist Du’s?
”The Death Of You And Me” glänzt gar mit feinen Bläsersätzen und manch netter Augenzwinkerei (“the bottom of a bottle is every man's apostle ... I'm watching my tv, or is it watching me?”), für “AKA What A Live!” darf’s sogar ein bisschen Acid sein, erinnert ein wenig an die bessern Stücke von Deacon Blue (“Only Tender Love”) und Noel läßt den Tiger raus (“I'm gonna take that tiger outside for a ride”). Und schlechter wird das nicht – offensichtlich ist der Knabe so verdammt aufgeräumt, dass er auch den Rest noch gut über die Bühne bekommt. Das bissige „Soldier Boys And Jesus Freaks“ luftig bespielt, ein wenig Travis für „AKA Broken Arrow“ und ein verteufelt guter Drive bei „(Stranded On) The Wrong Beach“ – selbst das infernalische Getöse am Schluß geht in Ordnung.
Auf einem der angesprochenen Promobildchen sieht man Noel im Übrigen an einem dieser altehrwürdigen Theaterpaläste stehen – über ihm in großen Lettern der Schriftzug „It’s never too late to be what you might have been“. Zufall, Understatement, Lebensentwurf oder simply Bullshit – nach und mit diesem Album darf man ruhig die Frage stellen, warum in aller Welt der Junge sein Talent über die letzten dürren Jahre bei Oasis so verschwendet hat. Denn er mag vielleicht noch immer ein arroganter Kerl sein, mit dieser Platte ist er auf dem Weg zum gereiften Teamplayer.
http://www.noelgallagher.com/
Natürlich muss, wer Liam sagt, auch Noel sagen. Und wenn Beady Eye Monate zuvor an dieser Stelle so gut weggekommen sind, dann lag das bei näherer Betrachtung schlichtweg daran, dass die High Flying Birds einfach noch nicht in der Luft waren. Diese vorbehaltlos freundliche Eröffnung wird jetzt manchen, der hier öfter vorbeischaut vielleicht etwas irritieren – keine Bange, mir geht das selbst nicht anders. Doch auch wenn man das brüderliche Abwatschen in der Tabloid Hell der letzten Wochen zum Erbrechen über hatte, muß man doch zugeben: Als Ergebnis kann man mit des einen, besonders aber mit des anderen Bruders Platte mehr als zufrieden sein.
Warum nur, diese Frage gleich zu Beginn, dieses unscharfe und verschwommene Tankstellen-Cover, auch bei weiteren Abbildungen gibt sich der Mann, den man über mangelndes Selbstbewußtsein noch nie klagen hörte, so ungewohnt zurückhaltend, nie en face, immer abgewandt, fast als hätte er Schiss, man könnte erkennen, wer für die Songs verantwortlich zeichnet. Dabei gibt es für übertriebene Bescheidenheit gar keinen Grund. Denn wie erwartet schreibt der Teil, der schon für einen Großteil der Perlen von Oasis zuständig war, im Vergleich zum Kraftmeier Liam auch die besseren Songs.
Und er tut das mit einer Verve, die einen wirklich staunen läßt: Orchesterklänge, Chorbegleitung, hymnischer Bombast, schwelgerische Melodien – da ist wenig vom rotzigen Lad als vielmehr Durchdachtes vom bestens aufgelegten „Liedermacher“ zu hören. „Everybody’s On The Run“ – herrlich und die ganz dicke Sahne, „Dream On“ nicht minder kalorienhaltig und bei „If I Had A Gun“ will der gute Junge die Knarre auch nur haben, um seiner Angebeteten ein Loch in die Sonne zu schießen – hier wird er regelrecht zum Träumer: „'Scuse me if I spoke too soon, my eyes have always followed you around the room. 'Cus you're the only God that I will ever need, I'm holding on and waiting for the moment to find me.“ Wow, Noel, bist Du’s?
”The Death Of You And Me” glänzt gar mit feinen Bläsersätzen und manch netter Augenzwinkerei (“the bottom of a bottle is every man's apostle ... I'm watching my tv, or is it watching me?”), für “AKA What A Live!” darf’s sogar ein bisschen Acid sein, erinnert ein wenig an die bessern Stücke von Deacon Blue (“Only Tender Love”) und Noel läßt den Tiger raus (“I'm gonna take that tiger outside for a ride”). Und schlechter wird das nicht – offensichtlich ist der Knabe so verdammt aufgeräumt, dass er auch den Rest noch gut über die Bühne bekommt. Das bissige „Soldier Boys And Jesus Freaks“ luftig bespielt, ein wenig Travis für „AKA Broken Arrow“ und ein verteufelt guter Drive bei „(Stranded On) The Wrong Beach“ – selbst das infernalische Getöse am Schluß geht in Ordnung.
Auf einem der angesprochenen Promobildchen sieht man Noel im Übrigen an einem dieser altehrwürdigen Theaterpaläste stehen – über ihm in großen Lettern der Schriftzug „It’s never too late to be what you might have been“. Zufall, Understatement, Lebensentwurf oder simply Bullshit – nach und mit diesem Album darf man ruhig die Frage stellen, warum in aller Welt der Junge sein Talent über die letzten dürren Jahre bei Oasis so verschwendet hat. Denn er mag vielleicht noch immer ein arroganter Kerl sein, mit dieser Platte ist er auf dem Weg zum gereiften Teamplayer.
http://www.noelgallagher.com/
Drei Äpfel
Freitag, 7. Oktober 2011
Cymbals Eat Guitars
Björk „Biophilia“ (One Little Indian)
Auch wenn Frau Gudmundsdottir mit der New Yorker Indieband Cymbals Eat Guitars kaum Berührungspunkte haben dürfte, so läßt sich deren eigentümlicher Name gut für die Vita der Isländerin verwenden. Ursprünglich entstammt die Bezeichnung ja einer Antwort von Lou Reed auf die Frage, wie denn der Sound von Velvet Underground bitteschön erklärt werden könne – im vorliegenden Falle umschreibt sie ziemlich genau die Wandlung Björks von der quirligen Frontfrau der Sugarcubes hin zum schillernden Gesamtkunstwerk – einzige Ergänzung: Die Gitarren sind schon seit längerer Zeit rückstandslos verdaut.
Aus dem eher unscheinbaren, koboldhaften Mädchen ist ja bekanntlich im Laufe der Jahre eine öffentlich mehrdimensional in Erscheinung tretende Persönlichkeit geworden – man kennt sie nicht mehr nur als Sängerin, sondern auch durch Filmschauspiel, Performance, als Modemuse, Gattin von Experimentalfilmer Matthew Barney und nicht zuletzt als politische Aktivistin. In gleichem Maße, wie ihr die Musik von einer Haupt- zum gleichwertigen Nebenbeschäftigung wurde und die dafür erzeugte Klangwelt zunehmend enigmatischer und entrückter geriet, schmolz jedoch die Zahl derer, die ihr zu folgen bereit sind. Als Künstlerin kann oder muss ihr das egal sein, allein für eine Musikerin ist es zumindest fragwürdig.
Kann man denn nun das neueste Opus „Biophilia“ ohne allen crossmedialen Schnickschnack auf einer herkömmlichen CD überhaupt noch anhören? Braucht man dazu ein Wörterbuch, ein Programmheft, eine Gebrauchsanweisung, einen Facebookaccount? Diese Fragen sind heutzutage ja nicht so ganz aus der Luft gegriffen und mancher reagiert, wie kürzlich in einer Kurzreplik der Süddeutschen zu lesen war, darauf schon fast allergisch und im leicht genervten Pofalla-Duktus. Fest steht jedenfalls: Ja, man kann sich „Biophilia“ auf herkömmliche Weise erschließen, und: Nein, es tut gar nicht so weh.
Sicher, es sind schon einige Prüfungen für den bereitwilligen Zuhörer enthalten – man fühlt sich ein wenig an die schwer konsumierbare Darwin-Oper „Tomorrow, In A Year“ des schwedischen Geschwisterpärchens The Knife erinnert – das Hauchen und Wimmern beispielsweise, welches das dumpfe Dröhnen von „Dark Matter“ begleitet, oder aber das tiefe Gurgeln der Orgelpfeifen bei „Hollow“, das urplötzlich in einen verstörenden, flirrenden Beat wechselt. Es ist aber nicht so, dass sich Björk endgültig von Melodie und Harmonie verabschiedet hätte, sie versteckt sie nur besser. Die beiden ersten Auskopplungen „Crystalline“ und „Virus“ sind bei aller Frickelei vergleichsweise stringente Stücke, ersteres mit knackigen Breakbeats als Outro und das andere sogar mit Anleihen an die Schmachtfetzen der Westernwelt von Sergio Leone.
Gleichwohl sind Konzentration und Mühe für diese Platte unerläßlich, sie bleibt schwere Kost und taugt zu keiner Zeit als wohltemperierte Kulisse. Wer sich aber darauf einläßt, darf als Lohn einige Überraschungen erwarten – etwa den derben Technoschwenk in „Mutual Core“, das Klanggewitter von „Sacrifice“ oder die anrührende Nähe von „Cosmogony“. Vielleicht kein Album, was man zur Zerstreuung auf Dauerschleife laufen läßt, faszinierend bleibt der Kosmos und seine Deutung dieser so eigenwilligen wie unbeirrbaren Frau allemal.
http://www.bjork.com/
Auch wenn Frau Gudmundsdottir mit der New Yorker Indieband Cymbals Eat Guitars kaum Berührungspunkte haben dürfte, so läßt sich deren eigentümlicher Name gut für die Vita der Isländerin verwenden. Ursprünglich entstammt die Bezeichnung ja einer Antwort von Lou Reed auf die Frage, wie denn der Sound von Velvet Underground bitteschön erklärt werden könne – im vorliegenden Falle umschreibt sie ziemlich genau die Wandlung Björks von der quirligen Frontfrau der Sugarcubes hin zum schillernden Gesamtkunstwerk – einzige Ergänzung: Die Gitarren sind schon seit längerer Zeit rückstandslos verdaut.
Aus dem eher unscheinbaren, koboldhaften Mädchen ist ja bekanntlich im Laufe der Jahre eine öffentlich mehrdimensional in Erscheinung tretende Persönlichkeit geworden – man kennt sie nicht mehr nur als Sängerin, sondern auch durch Filmschauspiel, Performance, als Modemuse, Gattin von Experimentalfilmer Matthew Barney und nicht zuletzt als politische Aktivistin. In gleichem Maße, wie ihr die Musik von einer Haupt- zum gleichwertigen Nebenbeschäftigung wurde und die dafür erzeugte Klangwelt zunehmend enigmatischer und entrückter geriet, schmolz jedoch die Zahl derer, die ihr zu folgen bereit sind. Als Künstlerin kann oder muss ihr das egal sein, allein für eine Musikerin ist es zumindest fragwürdig.
Kann man denn nun das neueste Opus „Biophilia“ ohne allen crossmedialen Schnickschnack auf einer herkömmlichen CD überhaupt noch anhören? Braucht man dazu ein Wörterbuch, ein Programmheft, eine Gebrauchsanweisung, einen Facebookaccount? Diese Fragen sind heutzutage ja nicht so ganz aus der Luft gegriffen und mancher reagiert, wie kürzlich in einer Kurzreplik der Süddeutschen zu lesen war, darauf schon fast allergisch und im leicht genervten Pofalla-Duktus. Fest steht jedenfalls: Ja, man kann sich „Biophilia“ auf herkömmliche Weise erschließen, und: Nein, es tut gar nicht so weh.
Sicher, es sind schon einige Prüfungen für den bereitwilligen Zuhörer enthalten – man fühlt sich ein wenig an die schwer konsumierbare Darwin-Oper „Tomorrow, In A Year“ des schwedischen Geschwisterpärchens The Knife erinnert – das Hauchen und Wimmern beispielsweise, welches das dumpfe Dröhnen von „Dark Matter“ begleitet, oder aber das tiefe Gurgeln der Orgelpfeifen bei „Hollow“, das urplötzlich in einen verstörenden, flirrenden Beat wechselt. Es ist aber nicht so, dass sich Björk endgültig von Melodie und Harmonie verabschiedet hätte, sie versteckt sie nur besser. Die beiden ersten Auskopplungen „Crystalline“ und „Virus“ sind bei aller Frickelei vergleichsweise stringente Stücke, ersteres mit knackigen Breakbeats als Outro und das andere sogar mit Anleihen an die Schmachtfetzen der Westernwelt von Sergio Leone.
Gleichwohl sind Konzentration und Mühe für diese Platte unerläßlich, sie bleibt schwere Kost und taugt zu keiner Zeit als wohltemperierte Kulisse. Wer sich aber darauf einläßt, darf als Lohn einige Überraschungen erwarten – etwa den derben Technoschwenk in „Mutual Core“, das Klanggewitter von „Sacrifice“ oder die anrührende Nähe von „Cosmogony“. Vielleicht kein Album, was man zur Zerstreuung auf Dauerschleife laufen läßt, faszinierend bleibt der Kosmos und seine Deutung dieser so eigenwilligen wie unbeirrbaren Frau allemal.
http://www.bjork.com/
Donnerstag, 6. Oktober 2011
The less you hear ...
DJ Shadow „The Less You Know, The Better“ (Verve)
Bei der Art von Platten, wie sie Josh Davis alias DJ Shadow produziert, hat es wenig Sinn, all die mühevoll miteinander verkabelten Effekte, geloopten Sequenzen und Klangschnipsel aufzuzählen, auch nicht die Assoziationen und Inspirationen, die daraus erwachsen. Handelt es sich hier doch nicht um Songs im konventionellen Sinn, sondern eher um die mehr oder weniger kunstvolle Aneinanderreihung von Soundminiaturen zu einem, wie die Internetplattform npr treffend schreibt, „epic film score without a film“.
Soweit, so bekannt und so gut. Das Problem an „The Less You Know...“ ist nun aber, dass Davis meinte, ohne Not seinen stilistischen Spielraum erweitern und, noch schwieriger, sich auch am ehedem verteufelt Liedhaften versuchen zu müssen, in der trügerischen Annahme, auch das werde ihm gelingen. Doch so sehr DJ Shadow auf dem Gebiet des turntablism als anerkanntes Genie gilt, so wenig ist er dies beim klassischen Songwriting. So mißraten ihm das von Tom Vek eingesungene „Warning Call“ als wavig-grummelndes Irgendwas und leider auch das seltsam dröge „Scale It Back“ mit Little-Dragon-Chanteuse Yukimi Nagano.
Glich sein Erfolgswerk „Endtroducing...“ von 1996 noch einer Operation am offenen Herzen zeitgemäßen Hip-Hops in all seinen verschiedenen Facetten, so wirkt das neue Album wie ein unsteter, beliebiger Flickenteppich, bei dem man sich wünscht, man hätte mehr von einem als immer mehr von so vielem gehabt. Gegen „Stay The Course“ und die entspannten Rhymes von Kelvin Mercer aka. De-La-Soul-Mastermind Posdnuos ist nichts zu einzuwenden, würden sie nicht von einem martialischen Mathmetalbrett („Border Crossing“) eingeläutet. Wir haben noch jazzige Breakbeats („Run For Your Life“), traurige Barmelodien („Sad And Lonely“), das bratzige BigBeat-Monster „I Gotta Rock“ und das befremdlich lärmende „Give Me Back My Nights“ („... the agony of my soul, the million endless solitary nights ...“) und jede Menge experimentelles Füllmaterial.
Was wäre denn so falsch daran gewesen, sich mit der Erinnerung an die fabelhaften Digable Planets, an Guru und seine Jazzmatazz, die Stereo MC’s zu begnügen, wem musste Davis beweisen, dass er so gar keine Angst vor dem Blick in entfernte Töpfe hat? Tracks wie das sanft wippende „Redeemed“ oder das geheimnisvolle Pochen von „Tedium“ zeigen ja, dass der Mann am besten ist, wenn er sich auf das Naheliegende beschränkt. Die Chance zum erneuten Meisterstück, auf das man so sehr gehofft hatte, wurde so leider vergeben.
http://www.djshadow.com/
Bei der Art von Platten, wie sie Josh Davis alias DJ Shadow produziert, hat es wenig Sinn, all die mühevoll miteinander verkabelten Effekte, geloopten Sequenzen und Klangschnipsel aufzuzählen, auch nicht die Assoziationen und Inspirationen, die daraus erwachsen. Handelt es sich hier doch nicht um Songs im konventionellen Sinn, sondern eher um die mehr oder weniger kunstvolle Aneinanderreihung von Soundminiaturen zu einem, wie die Internetplattform npr treffend schreibt, „epic film score without a film“.
Soweit, so bekannt und so gut. Das Problem an „The Less You Know...“ ist nun aber, dass Davis meinte, ohne Not seinen stilistischen Spielraum erweitern und, noch schwieriger, sich auch am ehedem verteufelt Liedhaften versuchen zu müssen, in der trügerischen Annahme, auch das werde ihm gelingen. Doch so sehr DJ Shadow auf dem Gebiet des turntablism als anerkanntes Genie gilt, so wenig ist er dies beim klassischen Songwriting. So mißraten ihm das von Tom Vek eingesungene „Warning Call“ als wavig-grummelndes Irgendwas und leider auch das seltsam dröge „Scale It Back“ mit Little-Dragon-Chanteuse Yukimi Nagano.
Glich sein Erfolgswerk „Endtroducing...“ von 1996 noch einer Operation am offenen Herzen zeitgemäßen Hip-Hops in all seinen verschiedenen Facetten, so wirkt das neue Album wie ein unsteter, beliebiger Flickenteppich, bei dem man sich wünscht, man hätte mehr von einem als immer mehr von so vielem gehabt. Gegen „Stay The Course“ und die entspannten Rhymes von Kelvin Mercer aka. De-La-Soul-Mastermind Posdnuos ist nichts zu einzuwenden, würden sie nicht von einem martialischen Mathmetalbrett („Border Crossing“) eingeläutet. Wir haben noch jazzige Breakbeats („Run For Your Life“), traurige Barmelodien („Sad And Lonely“), das bratzige BigBeat-Monster „I Gotta Rock“ und das befremdlich lärmende „Give Me Back My Nights“ („... the agony of my soul, the million endless solitary nights ...“) und jede Menge experimentelles Füllmaterial.
Was wäre denn so falsch daran gewesen, sich mit der Erinnerung an die fabelhaften Digable Planets, an Guru und seine Jazzmatazz, die Stereo MC’s zu begnügen, wem musste Davis beweisen, dass er so gar keine Angst vor dem Blick in entfernte Töpfe hat? Tracks wie das sanft wippende „Redeemed“ oder das geheimnisvolle Pochen von „Tedium“ zeigen ja, dass der Mann am besten ist, wenn er sich auf das Naheliegende beschränkt. Die Chance zum erneuten Meisterstück, auf das man so sehr gehofft hatte, wurde so leider vergeben.
http://www.djshadow.com/
Kondolieren Sie hier
Steve Jobs ist tot. Das ist sehr traurig. Dass gutgemeinte Anteilnahme auch in die Hose gehen kann, beweisen die flotten Schreiber von süddeutsche.de: In der Nachbarschaft so wichtiger Fragen wie "Häufiger Harndrang?" und den Werbebotschaften von http://www.frei-von-mundgeruch.de/ präsentiert die Seite geschmackssicher ihr interaktives, sensationelles Online-Kondolenzbuch unter der Headline "Ihre Worte für den verstorbenen Steve Jobs". Ohne Worte.
Mittwoch, 5. Oktober 2011
Warm ums Herz
We Were Promised Jetpacks
„In The Pit Of The Stomach“ (Fat Cat)
In der Disziplin „Melodischer Indie-Rock“ konnten im laufenden Jahr noch nicht viele Bands punkten, selbst wenn man die Schublade geräumig zimmert, sind die Erfolge eher übersichtlich: British Seapower unspektakulär, Boxer Rebellion mit nicht mehr als anderthalb überdurchschnittlichen Songs, die Antlers und Death Cab For Cutie am Ende doch zu zaghaft und über die White Lies breiten wir besser den Mantel des Schweigens. Einzig die Arctic Monkeys, wiewohl mittlerweile eher Pop als Rock, und die ewigen Bright Eyes vermochten zu überzeugen – das ist in Anbetracht der vermuteten Leistungsdichte eher mager.
Schön deshalb, von den Schotten We Were Promised Jetpacks nach ihrem Debüt „These Four Walls“ aus dem Jahr 2009 mit dem aktuellen Album einen würdigen Nachfolger präsentiert zu bekommen. Die Besetzung um Sänger Adam Thompson ist die klassische Variante: Gitarre, Gitarre, Bass, Schlagzeug und so unprätentiös wie die Instrumentierung vermuten lässt klingen sie auch. In die Liste der Vorbilder tragen sich zu unterschiedlichen Teilen Echo And the Bunnymen, Wedding Present und die frühen New Order ein – nicht die schlechteste Mischung möchte meinen. Von einer sonnigen Grundstimmung lässt sich nicht berichten, die zehn Songs eint ein eher kühler, dunkler und dennoch energischer Klang. Sie lassen sich viel Zeit, zählen, wenn es sein muß, ein Intro wie bei „Act On Impulse“ geduldig ein oder verlieren sich genüßlich in scheinbar endlosem Getrommel und Geschrammel („Pear Tree“).
Und auch wenn das nicht gerade superinnovativ ist – es macht Spaß. Gerade die Stücke, in denen man die wüsten Gitarrenorgien der ewig geliebten Wedding Present wiederzuerkennen glaubt („Picture Of Health“, „Boy In The Backseat“ und „Human Error“) versprühen so viel an jugendlicher Nervosität und Rebellentum, dass einem ganz warm ums Herz wird. Dass diese Art von Musik durchaus auch Potential für’s Stadion besitzt, möchte man bei dieser Gelegenheit gar nicht erwähnen, zu frisch sind die Erinnerungen an all die fehlgeleiteten Emporkömmlinge wie Snow Patrol, Coldplay oder auch die Kings Of Leon, die nun das weite Rund mit künstlichem Pathos und Mittelmaß langweilen. Vorerst touren We Were Promised Jetpacks erst einmal durch die Clubs des Landes – sie sollten sich den nächsten Schritt sehr gut überlegen.
http://wewerepromisedjetpacks.com/
„In The Pit Of The Stomach“ (Fat Cat)
In der Disziplin „Melodischer Indie-Rock“ konnten im laufenden Jahr noch nicht viele Bands punkten, selbst wenn man die Schublade geräumig zimmert, sind die Erfolge eher übersichtlich: British Seapower unspektakulär, Boxer Rebellion mit nicht mehr als anderthalb überdurchschnittlichen Songs, die Antlers und Death Cab For Cutie am Ende doch zu zaghaft und über die White Lies breiten wir besser den Mantel des Schweigens. Einzig die Arctic Monkeys, wiewohl mittlerweile eher Pop als Rock, und die ewigen Bright Eyes vermochten zu überzeugen – das ist in Anbetracht der vermuteten Leistungsdichte eher mager.
Schön deshalb, von den Schotten We Were Promised Jetpacks nach ihrem Debüt „These Four Walls“ aus dem Jahr 2009 mit dem aktuellen Album einen würdigen Nachfolger präsentiert zu bekommen. Die Besetzung um Sänger Adam Thompson ist die klassische Variante: Gitarre, Gitarre, Bass, Schlagzeug und so unprätentiös wie die Instrumentierung vermuten lässt klingen sie auch. In die Liste der Vorbilder tragen sich zu unterschiedlichen Teilen Echo And the Bunnymen, Wedding Present und die frühen New Order ein – nicht die schlechteste Mischung möchte meinen. Von einer sonnigen Grundstimmung lässt sich nicht berichten, die zehn Songs eint ein eher kühler, dunkler und dennoch energischer Klang. Sie lassen sich viel Zeit, zählen, wenn es sein muß, ein Intro wie bei „Act On Impulse“ geduldig ein oder verlieren sich genüßlich in scheinbar endlosem Getrommel und Geschrammel („Pear Tree“).
Und auch wenn das nicht gerade superinnovativ ist – es macht Spaß. Gerade die Stücke, in denen man die wüsten Gitarrenorgien der ewig geliebten Wedding Present wiederzuerkennen glaubt („Picture Of Health“, „Boy In The Backseat“ und „Human Error“) versprühen so viel an jugendlicher Nervosität und Rebellentum, dass einem ganz warm ums Herz wird. Dass diese Art von Musik durchaus auch Potential für’s Stadion besitzt, möchte man bei dieser Gelegenheit gar nicht erwähnen, zu frisch sind die Erinnerungen an all die fehlgeleiteten Emporkömmlinge wie Snow Patrol, Coldplay oder auch die Kings Of Leon, die nun das weite Rund mit künstlichem Pathos und Mittelmaß langweilen. Vorerst touren We Were Promised Jetpacks erst einmal durch die Clubs des Landes – sie sollten sich den nächsten Schritt sehr gut überlegen.
http://wewerepromisedjetpacks.com/
Churchhouse Rock
Vom Überraschungskonzert ein paar Bilder - Leslie Feist und Band gaben sich in der Church Of The Intercession in Harlem kurzfristig die Ehre, um ihr aktuelles Album zu promoten. Pitchfork hat ein paar schöne Bilder dazu - hier.
Montag, 3. Oktober 2011
Komplette Wurst
Keine Ahnung, ob jemandem wie Thom Yorke die sprichwörtliche Bedeutung des Wortes "Salamitaktik" geläufig ist, wahrscheinlich hat der Obermacker von Radiohead zur Zeit ohnehin seine Aufmerksamkeit schon wieder auf "the next big thing" gerichtet, also das Debütalbum seines zweiten Zweitprojektes Atoms For Peace. Entstanden in Zusammenarbeit mit Produzentenlegende Nigel Godrich und unter Mithilfe von keinem Geringeren als Basser Flea, wird die Veröffentlichung jedoch laut Auskunft des letzteren noch eine Weile auf sich warten lassen. Bis dahin kann Fan sich jedoch - damit zur Wurst - mit der endlich komplettierten Remixsammlung des letzten Radiohead-Albums "King Of Limbs" trösten. Die einzelnen Bearbeitungen von SBTRKT, Four Tet, Jamie XX, Caribou u.a. wurden ja dem erwartungsfrohen Hörer in den letzten Wochen und Monaten scheibchenweise kredenzt, nun stehen sie als kompletter Stream bei HypeMachine bereit und werden am 11. Oktober auch in physischer Form als Doppelalbum "TKOL Rmx 1234567" an der Wursttheke -äh, im Plattenladen gereicht. Na denn, Mahlzeit!
Sonntag, 2. Oktober 2011
Zurück zur Natur
Feist “Metals” (Polydor)
Diese Platte ist, das muß man sagen, eine Enttäuschung. Und zwar eine wunderbare. Denn die Befürchtung, Leslie Feist würde es sich und uns nach ihrem locker beschwingten „The Reminder“ einfach machen und diesen Weg unverändert weitergehen, war da und war verführerisch. Weitermachen also mit „1234“, mit „I Feel It All“ und „My Moon My Man“, weiter mit den Werbejingles und dem ganzen guten Gefühl, das sich beim Hören der luftigen Melodien einstellte – es wäre ihr, denkt man, ein Leichtes gewesen und kaum jemand hätte es ihr übelgenommen. Und doch, das die gute Nachricht, ist sie zu klug, um diesen Erwartungen zu entsprechen und so an den Mainstream verloren zu gehen. Sie zeigt ihr, der Erwartung, die lange Nase und holt mit „Metals“ ein Album hervor, das wir nur schwer schlucken werden, das der spaßhungrige Konsument, so er überhaupt einen kompletten Durchgang schafft, kopfschüttelnd zur Seite legen wird: zu düster, zu arty, zu ambitioniert und zu verklausuliert. Zu sperrig – zum Glück.
Denn so wie sie uns in Anspruch nimmt, zwingt sie uns in die Songs hinein, in diese dumpfen, erdingen, bildgewaltigen Stücke über die Unwägbarkeiten, die Absonderlichkeiten, die Widersprüchlichkeiten der Natur, auch der menschlichen. Schon „The Bad In Each Other“ trägt schwer an dem Gefühl der Aussichtslosigkeit unserer Bemühungen in Beziehungen, fast sinnbildlich dafür der asynchron unterlegte Beat gegen Ende des Stückes. Auch „Graveyard“ naturgemäß nicht gerade ein ausgelassenes Juchheissassa, träge Bläser, dunkle Metaphern – selbst „Caught A Long Wind“ bleibt, trotz des verträumten Textes („feel old until the wings unfolded“) gedrückt am Boden, gehalten vom Gospelstomp der ganz alten Schule.
„How Come You Never Go There“ war die erste Single und als Vorauskopplung perfekt, nichts hätte einen besser in die Irre führen können, jeder glaubte zu wissen, wohin die Reise ging – Müßiggang, Leichtigkeit – Pustekuchen. Wer hätte denn schon mit dem gespenstischen „Commotion“, seinem nadelstichgleichen Wispern und dem plötzlich grollenden Männerchor gerechnet, mit dem Blues von „Anti-Pioneer“, den man ohne große Fantasie auch als politisches Statement lesen darf („when the flag changes colours, the language knows, when the month changes numbers, it’s time to go home“), wer hätte wirklich so eine große Sehnsucht nach sprichwörtlicher Erdverbundenheit bei Leslie Feist vermutet? Immer wieder bricht sich diese Bahn, nicht nur auf dem Cover scheint sie eins werden zu wollen mit der rohen Ursprünglichkeit, auch im feinfühligen „Cicadas And Gulls“ („Maps can be poems, when you’re on your own“) und bei „Get It Wrong Get It Right“ sucht sie die Versöhnung nicht im hektischen Drinnen, sondern im entlegenen, vereinsamten Draußen.
Irgendwo war kürzlich in anderem Zusammenhang das Wort „klangachtsam“ zu lesen, auch hier scheint es bestens zu passen. Was Feist zusammen mit den Dauerkumpanen Chilly Gonzalez und Mocky in diesen fünfzig Minuten als musikalisches und seelisches Panorama illustriert, ist erstaunlich und meisterhaft, sie bleibt einmal mehr in der Tradition der großen Geheimnisvollen: Kate Bush, Cat Power, auch Laurie Anderson oder Nick Drake. Und sie hat es geschafft, dem bisherigen Meisterwerk dieses Jahres, PJ Harveys „Let England Shake“, in aller Gegensätzlichkeit Gleichwertiges zur Seite zu stellen.
http://www.listentofeist.com/metals/
Diese Platte ist, das muß man sagen, eine Enttäuschung. Und zwar eine wunderbare. Denn die Befürchtung, Leslie Feist würde es sich und uns nach ihrem locker beschwingten „The Reminder“ einfach machen und diesen Weg unverändert weitergehen, war da und war verführerisch. Weitermachen also mit „1234“, mit „I Feel It All“ und „My Moon My Man“, weiter mit den Werbejingles und dem ganzen guten Gefühl, das sich beim Hören der luftigen Melodien einstellte – es wäre ihr, denkt man, ein Leichtes gewesen und kaum jemand hätte es ihr übelgenommen. Und doch, das die gute Nachricht, ist sie zu klug, um diesen Erwartungen zu entsprechen und so an den Mainstream verloren zu gehen. Sie zeigt ihr, der Erwartung, die lange Nase und holt mit „Metals“ ein Album hervor, das wir nur schwer schlucken werden, das der spaßhungrige Konsument, so er überhaupt einen kompletten Durchgang schafft, kopfschüttelnd zur Seite legen wird: zu düster, zu arty, zu ambitioniert und zu verklausuliert. Zu sperrig – zum Glück.
Denn so wie sie uns in Anspruch nimmt, zwingt sie uns in die Songs hinein, in diese dumpfen, erdingen, bildgewaltigen Stücke über die Unwägbarkeiten, die Absonderlichkeiten, die Widersprüchlichkeiten der Natur, auch der menschlichen. Schon „The Bad In Each Other“ trägt schwer an dem Gefühl der Aussichtslosigkeit unserer Bemühungen in Beziehungen, fast sinnbildlich dafür der asynchron unterlegte Beat gegen Ende des Stückes. Auch „Graveyard“ naturgemäß nicht gerade ein ausgelassenes Juchheissassa, träge Bläser, dunkle Metaphern – selbst „Caught A Long Wind“ bleibt, trotz des verträumten Textes („feel old until the wings unfolded“) gedrückt am Boden, gehalten vom Gospelstomp der ganz alten Schule.
„How Come You Never Go There“ war die erste Single und als Vorauskopplung perfekt, nichts hätte einen besser in die Irre führen können, jeder glaubte zu wissen, wohin die Reise ging – Müßiggang, Leichtigkeit – Pustekuchen. Wer hätte denn schon mit dem gespenstischen „Commotion“, seinem nadelstichgleichen Wispern und dem plötzlich grollenden Männerchor gerechnet, mit dem Blues von „Anti-Pioneer“, den man ohne große Fantasie auch als politisches Statement lesen darf („when the flag changes colours, the language knows, when the month changes numbers, it’s time to go home“), wer hätte wirklich so eine große Sehnsucht nach sprichwörtlicher Erdverbundenheit bei Leslie Feist vermutet? Immer wieder bricht sich diese Bahn, nicht nur auf dem Cover scheint sie eins werden zu wollen mit der rohen Ursprünglichkeit, auch im feinfühligen „Cicadas And Gulls“ („Maps can be poems, when you’re on your own“) und bei „Get It Wrong Get It Right“ sucht sie die Versöhnung nicht im hektischen Drinnen, sondern im entlegenen, vereinsamten Draußen.
Irgendwo war kürzlich in anderem Zusammenhang das Wort „klangachtsam“ zu lesen, auch hier scheint es bestens zu passen. Was Feist zusammen mit den Dauerkumpanen Chilly Gonzalez und Mocky in diesen fünfzig Minuten als musikalisches und seelisches Panorama illustriert, ist erstaunlich und meisterhaft, sie bleibt einmal mehr in der Tradition der großen Geheimnisvollen: Kate Bush, Cat Power, auch Laurie Anderson oder Nick Drake. Und sie hat es geschafft, dem bisherigen Meisterwerk dieses Jahres, PJ Harveys „Let England Shake“, in aller Gegensätzlichkeit Gleichwertiges zur Seite zu stellen.
http://www.listentofeist.com/metals/
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