Donnerstag, 25. Februar 2010

Gehört_109



Joanna Newsom “Have One On Me” (Drag City)
Wenn man sich mit dem neuen, vielerorts nahezu hymnisch besprochenen Album von Joanna Newsom (SpiegelOnline, 10 Pts.) befassen will, kommt einem dreierlei sehr gelegen: Zum ersten ein Artikel in der Süddeutschen aus dem Dezember 2006 zum Debüt “Ys”, verfaßt vom an dieser Stelle schon oft und gern zitierten Carl Bruckmaier. Der Titel des überaus lesenwerten Schriftstücks lautet “Volksseuche Folk-Musik: Klangmolke aus dem Mittelalter”. Als weiterer Anhaltspunkt dient Bruckmaiers gewohnt knapp gefaßte Kurzkritik dieser letzten Platte auf seiner Seite “Le Musterkoffer”. Diese läßt allerdings leider nicht mehr originalgetreu, sondern nur noch sinngemäß rekapitulieren – Bruckmaier meinte damals, obwohl sein zweiter Name “prätentiöser Scheiß” wäre, ginge ihm das dann doch deutlich zu weit. Zuletzt steht natürlich das neue Opus selbst zur Beurteilung an, es sollte wohl etwas Epochales, Riesengroßes werden, unter drei CD’s (!) bzw. sechs (!!) Vinylplatten ließ sich das offensichtlich nicht drücken. Ach ja, ein schauerliches Etikett noch dazu: Prog-Folk. Huaaaah, da schwindelt’s einen förmlich … Ansonsten: Wer Ohren hat, der höre, wer seinen Verstand jedoch behalten will, übertreibe es besser nicht oder lasse es lieber gleich bleiben. Bisher gab es dank Monty Python den “Absolut Tödlichen Witz” für den Fronteinsatz – diese Platte kann zweifellos weitaus Schlimmeres bewirken.
Wer lesen will: Carl Bruckmaier in der SZ

Gefunden_50


"Fehlt nur noch Rock'n'Roll ..."

Süddeutsche Zeitung vom Donnerstag, 25.02.2010 (c) Wolfgang Horsch

Mittwoch, 24. Februar 2010

Gehört_108



Blood Red Shoes "Fire Like This" (V2)
Natürlich geht der Vergleich erst einmal ins Leere, denn die Blood Red Shoes sind nun nicht gerade das, was man eine Riot-Girl-Band nennt - man täte dem Partner von Sängerin Laura-Mary Carter wohl Unrecht, schließlich mühen sich die beiden schon seit fünf Jahren gemeinschaftlich am wachsenden Erfolg. Dennoch liegt die Assoziation nahe, denn das Duo aus Brighton macht eigentlich da weiter, wo amerikanische PunkrockbandInnen (oha) in den Neunzigern aufgehört haben: L7, Hole und zuletzt mit etwas längerem Atem auch Sleater Kinney, sie alle könnten als Referenz für den Sound der Blood Red Shoes herhalten. Und das sind ja beileibe nicht die schlechtesten Vorbilder. "Fire Like This", das zweite Album: Das legt los, das will raus, "Don't Ask", betörende Hooks für "Light It Up", weiter, weiter ... "When We Wake" zum Luftholen ... mein Problem bei der Platte ist, dass sie mit zunehmender Dauer nichts an Spannung draufzusetzen hat, kennt man die ersten Songs, ist der Rest nicht weiter überraschend. Es bleibt bis zum Schluß gutes Handwerk, keine Frage, auch Steven Ansell am Micro (Keeping It Close, Heartsink, Colours Fade) macht seine Sache gut. Für ein Album mit Wiedererkennungswert, für eine bleibende Erinnerung fehlen mir aber ein paar Drehs mehr an Variation, an kreativem Mut.
http://www.bloodredshoes.co.uk/

Montag, 22. Februar 2010

Gehört_107



Johnny Cash „American VI: Ain’t No Grave“ (American)
Wenn ich mir vorgenommen hatte, die Rezension über das aktuelle Album von Johnny Cash mit ein paar sarkastischen, kritischen Worten zur Verkaufspolitik seines Labels zu schmücken, so hatte dieses Vorhaben eine ernüchternd geringe Halbwertzeit – ein paar Takte des ersten Songs, alles dahin. Ich habe recht schnell begreifen müssen, wie sehr mir diese Stimme, diese Songs gefehlt haben und wie unwichtig vor diesem Hintergrund das vielleicht zweifelhafte Gebahren der Plattenfirma erscheint, wirklich jedes noch so unbekannte Stück Cashs aus dem Fundus zu graben und auf ein neues Coveralbum zu pressen. Es ist egal, weil dieser Mann trotz seiner am Ende brüchigen und weniger vollen Stimme noch immer eine solche Würde und Gegenwärtigkeit ausstrahlt, dass einem fast jeder Song gleichsam zu einer Offenbarung, einem gesungenen Trost aus dem Jenseits zu geraten scheint. Gut, ich habe nicht geweint, aber Rührung schlecht verbergen können, wenn der alte Mann „O Death, where is thy sting, o grave, where is thy victory“ intoniert (I Corinthians 15:55). Auch der Titelsong haut einen schlichtweg um, düsteres Stompin’, trauriges Banjo – man möchte meinen, Cash war auch vorher nicht viel besser. Sheryl Crows „Redemption Day“ wächst wie viele Stücke vorher durch seine Adaption und durch die Rubin’sche Reduktion gleichermaßen zu etwas Größerem, anderes wie „For The Good Times“ seines Freundes und Weggefährten Kris Kristofferson hat die erhabene Patina schon und wird im Wissen um die gemeinsame Wegstrecke der beiden zur respektvollen Verbeugung. Hank Snows „I Don’t Hurt Anymore“ aus den Fünfzigern mutet fast beschwingt an, der Text enthält ohnehin viel Aufbauendes für die ewig Zweifelnden. Noch älter „Cool Water“ von Bob Nolan, eine gesungene Meditation aus scheinbar längst vergangenen Zeiten – auch das ein Verdienst Cashs, solche Songs ins Heute zu bringen und sie im besten Sinne zeitgemäß klingen zu lassen. Ein klagendes Cello für ein anrührendes „Last Night …“, bevor sich Johnny Cash mit „Aloha Oe“ versöhnlich und verträumt von uns verabschiedet, wieder einmal, „… until we’ll meet again“. Sicher kann man dieses Album handwerklich auch kritischer beurteilen, mein Part soll das jedoch nicht sein, dafür fehlen mir sowohl Abstand als auch Fachkenntnis. Ich bin einfach nur dankbar für ein paar Worte und Akkorde welche die Seele zum Schwingen bringen – manchmal kann eben auch das Entscheidende so wunderbar einfach sein …
http://www.johnnycash.com/

Donnerstag, 18. Februar 2010

Gehört_106



Bomb The Bass „Back To Light“ (K7)
Wer wie ich Bomb The Bass Ende der achtziger Jahre kurz nach ihrem Debütalbum „Into The Dragon“ inkl. des Killertracks „Beat Dis“ zugunsten damals angesagterer Kollegen wie The Prodigy oder den Chemical Brothers aus den Augen verloren hatte, der hat sich wahrscheinlich in den Augen der Experten gröbster Mißachtung schuldig gemacht. Allzu schnell wird sich das jedoch nicht überprüfen lassen, die nachfolgenden Alben aufzuarbeiten braucht wohl eine ganze Menge mehr Zeit als ich momentan zur Verfügung habe. Und ist möglicherweise auch gar nicht nötig. Denn nach so langer Zeit der Abstinenz klingt gerade ihr neustes Werk „Back To Light“ vielleicht umso reizvoller und interessanter. Zehn feine Clubnummern, dunkel pumpend und pochend, druckvoll noch immer, mal New Wave, mal Air wie sie klingen müssten, wollten sie noch irgendwie relevant sein. Das Brazzige ihrer Anfangstage haben Bomb The Bass längst hinter sich gelassen, der Adrenalinschub aus gepushten BPM ist einer deutlich vielschichtigeren Instrumentierung gewichen; düster flächigen Trance kann es nennen, wer ohne Etikett nicht auskommt. Mancher mag das langweilig oder eintönig nennen und sicher, das Rad haben auch sie nicht neu erfunden, aber die entspannten Beats lassen deutlich mehr Raum für phantasievolles Kopfkino und sind auf Dauer auch definitiv weniger anstrengend. Herauszuheben vielleicht „Burn Less Brighter“ als dezent angetriebener Electrowave und das abschließende Instrumetal "Milakia", geadelt und gefeatured von Depeche-Mode-Mastermind Martin Gore. Wer also Futter für die Kopfhörer braucht oder eine längere einsame Autofahrt gewinnbringend untermalen will, dem sei dieses Album wärmstens empfohlen.
http://www.back-to-light.com/

Mittwoch, 17. Februar 2010

Gefunden_49



Das ist dann mal eine Ansage: Die offizielle Postille des Vatikan "L' Osservatore Romano" hat die endgültig unfehlbaren Top Ten der Rock- und Popalben der vergangenen Jahrzehnte veröffentlicht. Was ihn dazu trieb, ob Benedikt XVI. diese Alben auch auf dem iPod zu laufen hat, keiner weiß es so genau. Fest steht, dass Gutes und weniger Gutes Eingang in die Liste gefunden hat, soll sich ein jeder selbst seinen Psalm drauf machen - Kommentare durchaus erwünscht:

The Beatles “Revolver”
Pink Floyd “The Dark Side of The Moon”
Oasis “(What’s the Story) Morning Glory?”
Michael Jackson “Thriller”
U2 “Achtung Baby”
Fleetwood Mac “Rumours”
Donald Fagen “The Nightfly”
Carlos Santana “Supernatural”
Paul Simon “Graceland”
David Crosby “If I Could Only Remember My Name”

Gehört_105



Lightspeed Champion „Live Is Sweet! Nice To Meet You“ (Domino)
Bei der Lektüre der Besprechungen rund um die Musik von Devonté Hynes schwingt stets eine gewisse Ratlosigkeit mit, was von diesem Vogel wohl zu halten ist. Was hier verunsichert ist die fast unverschämte Selbstverständlichkeit, mit der der Mann unter dem Namen Lightspeed Champion, farbiger Amerikaner mit englischen Wurzeln, scheinbar ohne die kleinste Mühe die Spielarten des größtenteils „weißen“ Indiepop beherrscht. Bisher hatten wir die Beastie Boys und Eminem, die das naturgemäß „schwarze“ Terrain des HipHop und Rap besetzten und sich dafür auch zu Recht die Achtung der Szene verdienten. Was andersherum vor einigen Jahren u.a. mit BlocParty begann, kulminiert nun in Hynes zu einem weiteren Höhepunkt – nun haben wir, wenn die Political Correctness diesen Ausdruck durchgehen läßt, einen ‚Black Morrissey’. Denn mindestens die ersten vier Songs auf „Live Is Sweet ...“ können es in puncto Grandezza und Emphase ohne weiteres mit dem Mozzer himself aufnehmen, und nach der versponnenen Spielerei „The Big Guns Of Highsmith“ legt Hynes mit „Romart“ und dem schwelgerischen „I Don’t Wanna Wake Up Alone“ sofort nach. Sofern es Zweifel gab, ob er auch den zackigen Franzpop von der Insel hinbekommt – mit „Madame Van Damme“ entkräftet er auch diese. Dass Hynes in der Folge musikalisch etwas den Faden zu verlieren scheint und der Rest des Albums stellenweise fast operettenhaft daherkommt, möchte man ihm gerne nachsehen. Vielleicht aber zählen ja neben den Smiths auch Queen zu seinen Vorbildern – Fehler wäre das bestimmt keiner. Fazit: Dass diese Platte einerseits eine grundsympathische und zu Herzen gehende Stimmung aufbauen kann und zum anderen die ohnehin kleiner werdenden Grenzen zwischen den Ethnien im Musikbusiness mit einem Mal beiseitezuwischen vermag – dieses Verdienst kann man Lightspeed Champion gar nicht hoch genug anrechnen.

Sonntag, 14. Februar 2010

Angespielt_2



Im Fahrwasser von "Dürfen/Lassen" der Axolotl-Roadkill-Debatte wieder ans Tageslicht gespültes Mashup des britischen DJs Eric Kleptone: Netzmusik, zwei Versionen, ganz im Stile der mittlerweile legendären Radio Soulwax/2ManyDJs-Sessions.
http://soundcloud.com/kleptones

Samstag, 13. Februar 2010

Gehört_104



LaBrassBanda „Übersee“ (Trikont)
Auf die berüchtigte Frage, ob denn auch für sie das zweite Album das schwerste gewesen sei, würden LaBrassBanda vermutlich mit einem lässigen „Geh weida, so an Schmarren!“ antworten. Naheliegend ist der Gedanke deshalb, weil sich „Übersee“ so mühe- und nahtlos zum Vorgänger fügt, als wäre es nur ein neues Kapitel im großen Ganzen. Und genau das wollte man ja auch. Wer wie ich schon „Habediehre“ als grandiose Unterhaltung erlebt hat, wer von dieser teils gewitzten, teils melancholischen Mundart schon angefixt war, brauchte dringend mehr von diesem Stoff – „Übersee“ liefert reichlich nach. Die Änderungen zum Debüt scheinen marginal, es gibt mehr Text, mehr Tempo und den verschiedenen Spielarten des Chiemgau Brass wird – sorry für die Verhackstückung – vielleicht noch eine Art Brassfloor hinzugefügt. LaBrassBanda bleiben bei alledem weit genug entfernt von Mode, Modernität oder Zeitgeist (Bauersbua: „Vo deine moderna Musi wird mir schlecht ...“), ursprünglich weiterhin, sympathisch sowieso. Und wenn man irgendeinen programmatischen Standpunkt herauslesen möchte, dann vielleicht die anhaltende Verweigerung der gleichmacherischen Verständlichkeit – denn wo ein Münchner Tatort gänzlich hochdeutsch daherkommt und der bayerische Dialekt auch sonst eher bei Comedy und Kabarett zu Hause scheint, wird er hier wieder im besten Sinne herkunftsbewußt und stilprägend eingesetzt. Da heißt es sich auf den Hosenboden setzen und, dem Idiom nicht uneingeschränkt mächtig, Texte entschlüsseln. Die Belohnung folgt prompt, LaBrassBanda erweisen sich auch auf „Übersee“ als Meister der Poesie. Mit „Rotes Hoserl“ und „VW Jetta“ gelingen ihnen feinfühlige, etwas unbeholfene Liebeslieder, das wunderbare „Ringelbleame“ kontrastiert auf überraschende Art stakkatoartigen Beat mit verschämtem, traurigem Schuldeingeständnis der eigenen Unzulänglichkeit. Auch „Doda Has“ rührt an, wohingegen bei „Des konnst glam“, „Inter Mailand“ und „Ragga“ der gewohnt beißende Spott amüsiert. Ein Höhepunkt für mich, der ich Lebenseinstellung, Haltung herauslesen möchte („Da Stress vo aussn lasst mi kalt, schau liaba zua wie d’Welt si malt …“), zweifellos „Deyda“ – die Worte lassen einen ganz still werden, bringen zusammen mit der bedächtigen, warmen Instrumentierung eine angenehme Ruhe zustande, so klingt mir das Ganze wie eine gesungene, angenehm schwingende Fortsetzung von „Paby“ aus dem ersten Album. Man wünscht ihnen, dass sie dieses Niveau noch lange zu halten vermögen, zu wenig davon ist da um den eigenen Bedarf zu decken …
http://www.labrassbanda.com/

Dienstag, 9. Februar 2010

Gehört_103



The Knife „Tomorrow, In A Year“ (Universal)
Die Geschwister Karin Dreijer Andersson und Olof Dreijer alias The Knife haben zusammen mit den Remixern Mt. Sims und Planningtorock auf einer Doppel-CD die Entwicklungsgeschichte des Menschen nach Charles Darwin als eine Art elektronische Oper vertont und ich habe sie mir angehört – komplett. Das ist die eine Seite, die einfache. Weitaus schwieriger könnte es sein, die Eindrücke und Empfindungen dazu auf Papier bzw. auf den Bildschirm zu bringen. Für solche Fälle ist es förderlich, seine Grenzen zu kennen – man muß sich nämlich in Anlehnung an den guten Evolutionsprofessor nicht unbedingt bewußt zum Affen machen. Eine Rezension des Werkes könnte also ungefähr so klingen: „Die Atonalität der didaktischen Rhythmik im Hinblick auf die hochkomplexe Paraphrasierung der aleatorischen Improvisation erscheint bei dieser Verdichtung von chromatischen Dominantseptakkorden und synkopischen Kadenzen deutlich überzogen.“ Für alle, die sich mit solcher Metaphorik auskennen, mag das im Zweifelsfall recht informativ klingen – der große Rest findet’s wahrscheinlich einfach nur albern. Klartext also ist gefragt: Ich hab’s gehört und ich kann ehrlicherweise damit so überhaupt nichts anfangen. Die Bandbreite zwischen überambitionierter Kunstkacke und wagemutiger, genialischer Offenbarung ist hier so groß, dass ich sie beim besten Willen nicht einzuschätzen vermag, allein die längere Beschäftigung mit dieser Musik bereitet mir schon Magengrimmen und Hirnsausen. Keine Wertung also, muß sich wer anders drum kümmern, ich selbst halte mich da mal besser raus ...

Sonntag, 7. Februar 2010

Angespielt_1



Ein Song, ein Satz: Gut für den Tag, besser für die Nacht - herrlich hypnotisch, taumelnd wie das Video selbst - belgischer Dancefloor, warum nicht?
Stromae "Alors On Danse"

Freitag, 5. Februar 2010

Gehört_102



Husky Rescue „Ship Of Light“ (Catskill)
Natürlich schrillen da die Alarmglocken – Achtung! – Skandinavien + Piepsstimme, hatten wir doch alles schon, Lykke Li und El Perro Del Mar waren die aktuellsten Exemplare. Und doch meine ich lohnt sich bei Husky Rescue das Innehalten, hier abzuwinken wäre etwas voreilig. Denn zum einen kann die Band aus Finnland mit besonders schönen und durchaus interessanten Facetten des Indiepop aufwarten, und überhaupt – wer ließe sich nicht gern von einer Sängerin mit dem klangvollen Namen Reeta-Leena Korhola den Kopf verdrehen. Man kann sich der Faszination dieser Stücke kaum entziehen – natürlich ist alles kräftig überzuckert und somit wahrlich nichts für Freunde von Kettensäge und Hackebeil. Hier wird fein ziseliert, die Akkorde glitzern und schillern in jedem Song aufs Neue. Alles perlt so schön, mal gemächlich (Sound Of Love, Wolf Trap Motel), gern auch mal etwas flotter (Fast Lane, We Shall Burn Tonight), immer haben sie einen kleinen Überraschungsbeat in der Hinterhand – nie sonderlich aufgeregt, aber stets aufregend. Bei „They Are Coming“ schaut man lustigerweise drei Mal um die Ecke, wer denn da so schräg pfeift – Spaßvögel also auch noch. Mit all der Vielschichtigkeit und eingestreuten Mikroelektronik geht diese Platte somit ganz klar an die Kategorie „Music For Headphones“ – ein funkelndes Kleinod.

Donnerstag, 4. Februar 2010

Gehört_101



Sade „Soldier Of Love“ (Sony BMG)
Soll mir keiner kommen und erzählen, mit Sade habe er nix und niemals was am Hut gehabt. Man muß keine komplette Werkanalyse betrieben haben oder um die nigerianischen Wurzeln der Britin wissen. Es reicht, zwei, drei Songs anzuspielen, vorzugsweise die ganz frühen Sachen wie „Your Love is King“, „The Sweetest Taboo“ oder „Smooth Operator“ und sofort dürfte einem jeden klar sein, dass es ohne Sade keinen ordentlichen Schieber (hochdeutsch: Engtanz) und somit wohl auch die eine oder andere Beziehung nicht gäbe. Zehn Jahre sind seit ihrer letzten mäßig erfolgreichen Platte vergangen, das sind in der Branche fast schon Portishead-Dimensionen.
Man kann mutmaßen, dass „Soldier Of Love“ nicht ganz ohne Grund mit einem Stück wie „The Moon And The Sky“ beginnt, bildet es doch den Grundcharakter des Albums recht gut ab – behutsame Modernisierung des Sounds im Stile von Mirwais’ Madonna-Abmischungen, angedeutete Gitarrenbreaks, hier ein „Pleep“, da ein „Plopp“, aber nie übertrieben, dazu der samtweiche Gesang von Sade, die sich gegen Ende sogar zu einer Art Rap hinreißen läßt, eine durchaus verträgliche Mischung. Der Titelsong läßt dann schwereren Beat auffahren, könnte so auch von Massive Attack, in diesen Tagen für ihr eigenes Comeback hochgelobt, stammen – doch trotz aller Klangspielereien gelingt es Sade immer wieder, den Track gleichsam wieder einzufangen und ihn zu ihrem eigenen zu machen. Dass sie mit dem Barpiano noch kann, es die alte Sade also auch noch gibt, zeigen Stücke wie „Morning Bird“ oder „In Another Time“, soulige, smoothe Nummern, die bestens für den funktionieren, der genügend Sentiment hat, sich darauf einzulassen. Das gilt auch für das todtraurige „Long Hard Road“, Liebesleid auf der akkustischen Gitarre, Streicher inklusive – schön, jawoll. Der Song „Baby Father“ ist als Rührstück über frühe Vaterfreuden sicher Geschmackssache, „Skin“ wiederum klingt ein wenig zu sehr nach Schablone, aber über Durchschnitt will man hier nicht jammern, wo die doch Klasse ganz eindeutig überwiegt. Ein richtiger Clubhit könnte dagegen „Bring Me Home“ werden, sehr lässige Beats, das lädt geradezu ein zum entspannten Federn. Was also soll man sagen – über diese Rückkehr kann man sich ehrlich freuen, der eine oder andere möchte vielleicht noch eine Grußadresse anhängen: „Siehst Du, Whitney, so wird das gemacht, so wird ...!“

Dienstag, 2. Februar 2010

Gehört_100



Gil Scott-Heron „I’m New Here“ (XL)
So manch einer wird sich fragen, welcher tiefere Sinn und Nutzen im Rezensieren und Bloggen wohl liegen mag. Nun, für den User läßt sich das schwer beurteilen – den kennt man schließlich nicht. Für den, der schreibt, liegt der Fall klarer: Er wird gewiß nicht dümmer dabei. Und das gilt vor allem für die speziellen Fälle, bei denen man von den Dingen, die es zu beurteilen gilt, nahezu keinen blassen Schimmer hat. Beispiel: Gil Scott-Heron. Wenn man zurück ist vom Contentfishing, ohne das man ehrlicherweise nicht auskommt, weiß man: Dieser Mann spielt defintiv in einer eigenen Liga, und die heißt nicht Kreisklasse. Man muß deshalb nicht meine Theorie, nach der seine Mannschaft im Sturm mit den vergleichsweise jungen Grandmaster Flash und Africa Bambaataa besetzt ist, teilen. Fest steht, Gil Scott-Heron ist ein Großer, einer der schon allein durch seine Präsenz Respekt einflößt, einer also, wie es sie im schnellebigen Musikbusiness nur noch selten gibt. Der Plattentitel kann durchaus in mehrerer Hinsicht als reines Understatement gedeutet werden – entweder er kokettiert mit seinem Alter, seiner Erfahrung im Kreise der jungen, ambitionierten Soul-, Jazz- und Hiphopszene, oder er meint tatsächlich, mit seiner Art Musikverständnis so weit aus der Zeit zu sein, dass er sich erst einmal neu orientieren, gleichsam neu anmelden muß in dieser Welt aus Attitüde, Coolness, Perfektionismus und Glamour. Die aktuelle Platte hat jedenfalls mit seinen früheren Songs wie „The Bottle“, „It’s Your World“ oder auch „The Revolution Will Not Be Televised“ nur noch begrenzte Ähnlichkeit – „I’m New Here“ präsentiert sich so dunkel wie Scott-Herons Vergangenheit selbst, eine unheilvoll pochende und äußerst faszinierende Mischung aus Poetry Slam und Slum Poetry. Alles erscheint „stripped to the bones“ – karg, auf das nötigste beschränkt. Und all das hat trotzdem Soul, viel Seele, jede der kurzen Erzählungen, Interludes, welche die einzelnen Songs umrahmen, auch die Stücke selbst: Das barmende „Me And The Devil“, der behutsam gezupfte Titelsong, der traurige Blues von „I’ll Take Care Of You“, ebenso der düstere Sprechgesang bei „Your Soul And Mine“. „New York Is Killing Me“ scheint vom Knochenmann selbst geschrieben, „The Crutch“ besteht fast nur aus ein paar Drums und einer eher hilflosen Melodie. Aber das eben ist es, was diese Platte so reizvoll macht – sie hat so gar nichts anziehendes, nichts, was sich anschmeichelt oder schön und gefällig aussehen will. Und doch hat Produzent Richard Russell damit das geschafft, was Rubin mit Cash angestellt hat: Er läßt ihn berühren und hält ihn so in dieser Zeit. 28 Minuten, wofür andere Jahre brauchen. Hochachtung. http://gilscottheron.net/

Wissen macht autsch!



Von einem prominent besetzten Wissensforum, wie es die SZ seit geraumer Zeit ausrichtet, kann man mit Recht geballte Fachkompetenz erwarten - immerhin zahlt man pro Abend satte 60 Euro dafür dass man am Ende klüger ist als wie zuvor. Was in der neuen Vortragsreihe allerdings das ZDF-Darling Cherno Jobatey mit seinem fulminant betitelten Auftritt "Digitale Macht - Die stille Revolution" zu suchen hat, bleibt etwas rätselhaft. Dieser Mann, der seine Vita selbst "Chernostory" nennt (okay, da kann man sich ein augenzwinkerndes "Chernobyl" nicht verkneifen - sorry!) und laut einem FAZ-Artikel der "heiterste Wecker der Nation" sein soll, hat meines Wissens nur eine Revolution angezettelt: Turnschuhe zum Anzug im Öffentlich-Rechtlichen. Und das sollte weiß Gott nicht als Verdienst, sondern als ewiges Schandmal in seinem Lebenslauf stehen. Dass er mit Humor nicht ganz so viel am Hut hat, weiß man spätestens seit "Zimmer Frei!" - wer will, kann das dann selber testen: 20. Juli 2010, Verlagsgebäude Süddeutsche Zeitung. Chernobashing!