Donnerstag, 30. November 2017

No Age: Haarige Angelegenheit

Auch schon wieder ganze fünf Jahre alt: Das letzte Album der kalifornischen Noise-Kombo No Age hieß "An Object" und datiert auf den Sommer 2013, nun schicken sich Randy Randall und Dean Allen Spunt an, Anfang 2018 die fünfte Platte hinterher zu schicken. "Snares Like A Haircut" soll am 26. Januar erscheinen und Stand heute kennen wir davon zwei Stücke - "Soft Collar Fad" und ganz frisch "Drippy". Live sind sie übrigens im nächsten Jahr zunächst in Hamburg gemeldet.

21.03.  Hamburg, Hafenklang

St. Vincent: Kehrseitenmusik [Update]

St. Vincent
„MASSEDUCTION“

(Loma Vista)

Natürlich sagt man so etwas nur hinter vorgehaltener Hand und auch dann noch ganz, ganz leise, denn hier sind Missverständnisse vorprogrammiert: Aber ist es nicht so, daß Männer, die sich selbst medienwirksam zu erbitterten Kämpfern für die Rechte der Frau, gar zu entschlossenen Feministen ausrufen, immer ein wenig suspekt, wenn nicht sogar etwas albern wirken? Denn auch wenn Intention klar und das Ansinnen ehrbar ist, wirkt es doch manchmal so, als wolle der Herr im Haus zeigen, wie man einen ordentlichen Feldzug führt, um am Ende des hoffentlich siegreichen Gefechts freudestrahlend prahlen zu können, ohne ihn, den Mann also, wäre das alles nicht so toll gelaufen? Nun gut, ganz so steil ist diese These auch wieder nicht, Fakt scheint jedenfalls: Gäbe es mehr Frauen vom Format einer Annie Clark aka. St. Vincent, wir müssten uns solche umständlichen Gedanken gar nicht erst machen.

Denn wie kaum eine andere Künstlerin ist sie bereit, jedweden weiblichen Wesenszug, ob körperlichen Schlüsselreiz oder bestechenden Intellekt, mit fröhlichem Lächeln in die Waagschale des Geschlechterkampfes zu werfen. Kopf und Bauch, Hirn und Herz, Liebe und Lust, zärtliche Sanftmut und knallender Peitschenhieb – sie kann all das und mehr nach Belieben abrufen und tut es, wie man hört, auf dem neuen Album mit zunehmender Freude. Wer sie zu Platte befragen wollte (so war in der zu ZEIT lesen), musste sich dazu in einen pinkfarbenen Holzkasten zwängen, Deutungen ihrer Texte begegnet sie geduldig, aber distanziert, verweist lieber darauf, dass ihre Songs wie die Bilder eines Rohrschach-Tests funktionieren – es könne und solle sich jeder seinen Teil daraus nehmen, eine Deutungshoheit gebe es nicht, biographische Bezüge Fehlanzeige.



Viele Freiheiten also, die sie sich nimmt und ebenso viele, die sie dem Hörer und der Hörerin anbietet. Der Sound, abgemischt vom experimentierfreudigen Treibauf Jack Antonoff, ist eine brodelnde Mischung aus bratzigem Gitarrenbrett, pulsierender Tanzmucke mit komplett geplündertem 80er- und 90er-Arsenal und zwischengeschobenen Atempausen wie dem wunderbaren „New York“ oder der Anmut von „Slow Disco“ gegen Ende der Show. Mit der Frage „Am I being seduced, or am I the seducer?” macht St. Vincent das Titelthema im dazugehörigen Song auf, holt ein paar Queen-Loops aus der Requisite und ergänzt: „I can't turn off what turns me on!“ Wir sind immer beides, die Verführten und die Verführer, wir ereifern uns über die Allgegenwärtigkeit und die Oberflächlichkeit des medialen Zirkus und mischen doch selbst ganz gern kräftig mit.

So ist das Album auch ein Stück Bewusstheit und Achtsamkeit, für die schnellen, überdrehten Momente, aber auch für die Kehrseiten der Umtriebigkeit. Wer die richtigen Pillen hat, hält zwar länger durch, ist aber auch nicht glücklicher, geschweige denn gerettet. Antworten sind nicht zu holen, die Zukunft ist ungewiß und wird es bleiben, die Liebe bringt Trost, aber manchmal eben auch den Schmerz. Ein paar Zeilen dazu gibt’s ganz zum Schluß: „And sometimes I go to the edge of my roof and I think I'll jump just to punish you. And if I should float on the taxis below, no one would notice, no one will know. And then I think what could be better than love, than love, than love?“ Ein buntes, zuweilen fast grelles Album ist das geworden, das keiner Versuchung widerstehen will und alles probiert. Wahrhaftig, trotzig, ein unendlicher Spaß, der immer auch eine traurige Kehrseite hat. http://ilovestvincent.com/

26.10.  Berlin, Huxley‘s

Update: Zum Ton das Bild - hier noch der Clip zur Single "Pills".

Other Creatures: Hoffnung für die Insel [Update]

Ganz ehrlich, viel zu lachen haben die Iren im Moment nicht. Rund um die Uhr bekommen sie auf den Deckel, weil sie mit dem Apfel-Konzern einen fragwürdigen Steuerdeal aushandelten, ihr Nationalheiligtum Bono steckt wegen seiner Liebe zu offshore platzierten Briefkästen selbst knietief im Shitstorm und wenn heute Abend auch noch die Quali gegen die lustigen Dänen danebengeht, ist man auf der Insel endgültig bedient. Da tut es gut, wenn wenigstens das Kerngeschäft, also weniger das Trinken, sondern eher das Singen, noch halbwegs funktioniert. Drei Jungs aus der Hauptstadt Dublin versuchen nämlich gerade recht erfolgreich, irischen Indierock auf den Radar zu schieben - zwei Stücke haben Dave Rogers, Fionn Fitzpatrick und Konrad Timon unter dem Namen Other Creatures abgeliefert und diese zeugen wenigsten von großem Talent, wenn es ums Songwriting geht. Das erste Kurzformat wie "The First EP" heißen, bei Trout Records erscheinen - hier also "Luxembourg" und das neue "Soft And Sweet".

Update: Auch auf der EP der neue Song "Birthal", für den hier den dazugehörigen Videoclip gibt.



The Soft Moon: Kriminelle Energie [Update]

Hatten wir schon erwähnt, daß Luis Vasquez aka. The Soft Moon ein neues Album angekündigt hat? Wenn nicht, dann nur, um den Spätsommer da draußen nicht unnötig zu irritieren, denn wenn der von den Plänen des Kaliforniers erfährt, ist schnell Schluß mit warm und sonnig. Einst bei Captured Tracks unter Vertrag, hat Vasquez kürzlich bei Sacred Bones unterschrieben und dort plant er seinen Einstand mit "Criminal", so der Name der Platte, für Februar 2018. Am tiefschwarzen Stil des Mannes hat sich ansonsten nicht viel geändert, überzeugen kann man sich davon auch anhand des ersten neuen Songs "Burn" mit Videoclip von Kelsey Henderson. Ein Statement oder besser ein Eingeständnis zum Werk selbst gibt es vom Künstler auch, er meint: "The concept of Criminal is a desperate attempt to find relief by both confessing to my wrongdoings and by blaming others for their wrongdoings that have affected me."

Update: Die nächste Single heißt "It Kills" und kommt zusammen mit Video und Tourdaten.

02.02.  Baden, One of a Million Festival
11.02.  Berlin, Urban Spree
12.02.  Berlin, Urban Spree
07.03.  München, Kranhalle
08.03.  Leipzig, UT Connewitz
09.03.  Hamburg, Hafenklang
10.03.  Köln, Gebaude 9
11.03.  Saarbrücken, Garage Club



Mittwoch, 29. November 2017

Calexico: Volles Programm

Haben wir doch tatsächlich die Meldung für das neue Album von Calexico verpaßt. Zum Glück gibt es mit dem heutigen Tag eine zweite Chance, denn die beiden Herren aus Arizona haben nach der ersten Vorauskopplung "End Of The World With You" die nächste vorgelegt und auch zu "Voices In The Field" gibt es einen hübschen Lyric-Clip. Die Platte heißt im Übrigen "The Thread That Keeps Us" und erscheint am 26. Januar bei ANTI- Records, und da Calexico um eine Tour nie verlegen sind, können wir auch schon mit den passenden Terminen für 2018 dienen.

09.03.  Hamburg, Große Freiheit
10.03.  Berlin, Tempodrom
11.03.  München, Muffathalle
17.03.  Fribourg, Fri-Son
18.03.  Zürich, X-Tra
19.03.  Linz, Posthof
21.03.  Stuttgart, Im Wizemann
23.03.  Köln, E-Werk




U.S. Girls: Gnadenlos

Es sind die Augen. Kein Zweifel. Und auch keine Gnade. Meg Remy, besser bekannt unter dem Pseudonym U.S. Girls, hat einen so intensiven, durchdringenden Blick, daß es einen bis ins Innerste friert. Schön (oder besser unschön) zu beobachten im neuen Video zur Single "Velvet 4 Sale", in welchem sie sich als Polizistin außer Dienst um einen ziemlichen Kotzbrocken kümmert - gespoilert wird allerdings nicht. Es ist dies nach "Mad As Hell" die zweite Single vom Album "In A Poem Unlimited", das am 16. Februar via 4AD erscheint.

Dienstag, 28. November 2017

Document: Seltenes Glück [Update]

Wann hat man schon mal die Gelegenheit, eine israelische Post-Punk-Band vorzustellen? Richtig, so gut wie nie. Wenn sie zudem noch so bestechend klingt wie Document aus Tel-Aviv mit ihrer neuen Single "Hustle", dann ist allemal ein Post angezeigt. Am 9. November werden die Herren um Leadsänger Nir Ben Jacob ihr Debütalbum "The Void Repeats" veröffentlichen, bis dahin darf schon mal fleißig vorgehört werden - ältere Sachen gibt's im Übrigen auch bei Bandcamp.

Update: Das wollen wir dann doch schnell teilen - die Jungs haben mit "Red Tape" einen weiteren Song dabei, keinen Deut schlechter als der letzte.

Freitag, 24. November 2017

W.H. Lung: Der Stadt die Ehre

Von W.H. Lung, einer immer noch sehr frischen Band aus Manchester, hatten wir hier im Frühjahr schon zwei Songs zu Gast und die waren so gut, daß der Name im Gedächtnis blieb und jetzt, da mit "WANT" ihre neue Single ansteht, etwas an Erinnerung zurückgebracht hat. Wir hören heute hypnotische Grooves, die ihrer Heimatstadt und deren Tradition die beste Ehre erweisen, wäre doch gelacht, wenn das nicht irgendwann vor größerem Publikum enden sollte.

Glassjaw: Atypisch

In gewisser Weise läßt sich die New Yorker Post-Hardcore-Kapelle Glassjaw mit Bands wie Deafheaven, Sunn O))) oder Ceremony vergleichen - ohrenbetäubender Krach, aber optisch weit weg vom genretypischen Klischee. Aber auch in Sachen Output bewegen sich Daryl Palumbo, Justin Beck, Travis Sykes und Chad Hasty auf einem sehr eigenen Level, ganze zwei Alben hatten die Herren bislang im Angebot, das letzte datiert mit "Worship And Tribute" immerhin schon auf 2002. Nun soll am 1. Dezember das dritte hinzukommen, "Material Control" erscheint bei Century Media und neben einem alten Stück aus dem Jahr 2015 ("new white extremity") wird sich auch die aktuelle Vorabsingle "shira" darauf finden.



Donnerstag, 23. November 2017

Familienalbum # 26: N.E.R.D.

Die Nachricht, daß Mr. Mir-macht-keiner-was-vor Pharrell Williams zusammen mit seinen Kollegen das Trio N.E.R.D. für eine neue Platte reaktiviert, geistert ja schon seit einiger Zeit durch das Netz, heute kamen nun via Twitter Cover, Titel und VÖ-Datum. Die allerdings rücken sofort in den Hintergrund, schaut man sich die Hülle der geplanten Platte an, denn natürlich springen dem Musik-Nerd (hüstel) haufenweise Bezüge zu ähnlichen Verpackungen ins Gesicht - angefangen bei der wohl berühmtesten Zunge der Rockhistorie über allerlei Ähnliches von großen und kleinen Namen. Also mußte flugs ein neues Familienalbum her, auch wenn wir uns damit ziemlich nah am vorangegangenen bewegen. Alle Angaben wie gewohnt von links nach rechts und oben nach unten gelistet. Ach ja, "No_One Ever Really Dies" - siehe oben - kommt am 15. Dezember, mit dabei auch Rihanna ("Lemon") - siehe unten - und André 3000.

N.E.R.D. "No_One Ever Really Dies", Alt-J "Dissolve Me", Atari Blitzkrieg And Digital Fiend "Neber Pills", Dilly Dally "Sore", Silk Rhodes "Silk Rhodes", Bleached "Can You Deal?", The Rotten Mangos "The Rotten Mangos", Wiz Khalifa "Something New Feat. Ty Dolla $ign", Inheaven "Bitter Town", Gentle Giant "Acquiering The Taste", Monty Python "Monty Python Sings", Al-One The Remedy "Sharptongue", The Rolling Stones Singles Box 1971 - 2006, Baby Woodrose "Love Comes Down", The Rolling Stones "Grrr!" Singles Collection, Cheech And Chong "Sleeping Beauty OST", Maroon 5 "Sugar"

Mittwoch, 22. November 2017

Faber: Unmißverständlich

Faber
Support: Frank Powers
Muffathalle, München, 21. November 2017

Bevor wir mit der amtlichen und in diesem Falle vollumfänglich zutreffenden Lobhudelei beginnen, zunächst noch ein, zwei Sätze aus der beliebten Kategorie „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“: Es wird einige (männliche) Geschlechtsgenossen geben, die die Welt seit Erscheinen des Debütalbums von Julian Pollina aka. Faber als ungerechter denn je empfinden, ein Gefühl, das mit dem gestrigen Abend eher noch drängender geworden ist. Der Junge aus Zürich hat auf diesem bekanntlich über ein Dutzend Lieder versammelt, die sich einen Dreck um politische Korrektheit und sonstige Empfindlichkeiten scheren, angefüllt mit allerlei obszönem Vokabular, das überall sonst den Empörungsbarometer sofort in den Grenzbereich katapultiert (kann man das eigentlich jugendgefährdend nennen, wenn die Jugend selbst solche Texte ausgelassen mitsingt?) – von Behutsamkeit, neuzeitlichem Frauenverstehertum, übertriebener Vorsicht nichts zu hören. Was anderen also um die Ohren gehauen wird, erntet hier begeisterten Applaus? Noch dazu sieht der Kerl nicht mal aus wie ein Posterboy und darf sich trotzdem, auch in München, verzückte Zurufe samt Kinderwunsch anhören. Konfrontiert man Frauen mit derlei verzweifelten Fragen, erntet man nicht selten ein geringschätziges Lächeln, das nichts anderes meint als: Oh Mann, du verstehst es einfach nicht. Verrückte Welt, verdammt!

Weil aber diese Welt gerade nichts weniger braucht als weinerliche Lamentos, wenden wir uns besser den erfreulichen Seiten des Abends zu. Vielleicht missverstehen manche den Jungen wegen eben jener wunderbar ungeschönten Poesie als wehleidiges, selbstgerechtes Arschloch (wahrscheinlich legt er’s gerade darauf an, sicher ist’s ihm halbwegs wurscht), auf der Bühne jedoch steht ein sympathischer, durchaus charmanter und manchmal auch ein wenig unbeholfen wirkender junger Mann mit einer beeindruckenden Präsenz und einer Stimme, zu der schon so viel gesagt ist und die einen doch immer wieder auf’s Neue umhaut. Ebenso wie seine Mitstreiter der grandiosen Goran Koç y Vocalist Orkestar Band, ein verwegner Haufen leidenschaftlicher Alleskönner, angefangen beim sprilligen Goran Koç an Klavier und Quetschkommode, dem Bassisten und Cellisten Janos Mijnssen, Max Kämmerling mit Gitarre und Darbuka (der einen umjubeltem, schwyzerdütschen Auftritt bei “Alles Gute” hat) und dem Vierschröter Tillmann Ostendarp an Schlagwerk und Posaune. Alle mit sichtbarem Spaß bei der Sache, um keinen Jux verlegen und in der Lage, die große Halle in Nullkommanix in ein schaukelndes Narrenschiff zu verwandeln.



Tatsächlich ist es so, daß gerade der nicht übermäßig komplizierte, spelunkenhafte Sound der Kapelle live das Zeug zum Aufputschmittel hat, also ohnehin schon famose Stücke wie “So soll es sein”, “Nichts”, “Wem du’s heute kannst besorgen” und “Es könnte schöner sein” noch eine Euphoriestufe höher heben kann und mit ausgelassenen Soli veredelt. Die tiefschwarze Seite (resp. Seele) Pollinas wird dabei nicht vergessen, sondern eher unterstrichen, wenn das Spießbürgertum Amok läuft, auf dem Straßenstrich die letzte Hoffnung vor die Hunde geht und jeder, der noch halbwegs bei Trost ist, sich lieber in die trügerische Heimeligkeit des Kaminfeuers verkriecht. Pollinas ganzer Körper ist dann ein einziges Vibrieren – selbst wenn er im Scherz meint, es tue ihm gut, mal zwei Stundes alles herauszuschreien, ahnt man doch, wie wichtig es ist, diesen Gefühlsstau in seinen Songs aufzulösen. Und was für eine Herausforderung es ist, das allabendlich vor tausenden Menschen zu tun. Das Traditionelle, Berechenbare ist ihm, für einen Schweizer überraschend genug, so verhasst wie die oberflächliche Beliebigkeit, “Bleib dir nicht treu!” appelliert er mit Nachdruck. Wer ihm zuhört dabei, kommt nicht umhin, ein paar Verletzungen oder leidlich verheilte Narben zu vermuten, seine Musik berührt und bringt mit etwas Glück im Innersten etwas zum Schwingen, das sich sonst nur selten hervorwagt.

Childcare: Rückmeldung

Die Entstehungsgeschichte der Londoner Band Childcare ist ja nun, mag sie stimmen oder nicht, hinlänglich bekannt, wir können uns also gleich auf die Musik stürzen. Nach einer Reihe vorzüglicher Singles war es einige Zeit recht still um das Quartett, vor einem Monat kam dann mit "Getting Over You" ein erstes Lebenszeichen, nun geht Track Nummer zwei "Pull Down Your Pen" auf die Reise - kein schlechter, wohlgemerkt.

Dienstag, 21. November 2017

Fever Ray: Im Hornissennest

Fever Ray
„Plunge“

(PIAS Coop)

Über die politische Meinungsäußerung von Musikern wird ja die Tage wieder reichlich diskutiert: Morrissey überrascht nicht wenige seiner Fans und schlägt sich mit dem neuen Album auf die Seite der Eurospektiker und Populisten, Nick Cave verbittet sich jedwede Verhaltensmaßregel von Seiten der Herren Eno und Waters, die ihrerseits wieder mit fast schon missionarischem Feuereifer antworten – es sind bewegte Zeiten, die zuweilen skurrile Blüten treiben. Nun ist das Rock- und Popbusiness seit jeher eher links und verortet, faierweise muß man allerdings feststellen, daß ein geordneter Gedankenaustausch auch hier kaum möglich ist, die Fronten sind hart, die Bereitschaft zu ergebnisoffener Diskussion geht gegen Null und die holzschnitthaften Einteilungen in gut und böse funktionieren weitesgehend prächtig. Soweit, so unbefriedigend – bleibt nur zu konstatieren, daß eine persönliche Meinung auch immer eine solche bleibt (auch wenn die Tragweite manchmal unterschätzt wird) und man mit einem humanistischen Weltbild noch immer am besten fährt.



Auch Karin Dreijer Andersson, Teil des Avantgarde-Popduos The Knife und seit 2009 solistisch unter dem Namen Fever Ray unterwegs, geht auf ihrer neuen, zweiten Platte überraschend offensiv zu Werke und reiht sich damit ein in die Liste der Frauen, die in diesem Jahr Pop, Politik und Feminismus maßgeblich miteinander verbunden und mitbestimmt haben: Austra, Feist, St. Vincent, Beth Ditto, Charlotte Gainsbourg, etc. Die Vermutung, die Wahl des wildgewordenen Toupetträgers zum Präsidenten Amerikas könnte diese Entwicklung maßgeblich befeuert haben, kommt dabei nicht von ungefähr. Man muß sich nur einen Track wie „This Country“ anhören, meilenweit entfernt von den geheimnisvoll verschlungenen Soundcollagen des Vorgängers, um eine Vorstellung vom Leidensdruck der schwedischen Künstlerin zu bekommen: „Free abortions and clean water, destroy nuclear, destroy boring! Lovers got love in a love fest, every time we fuck we win – this house makes it hard to fuck, this country makes it hard to fuck!“ Direkter geht es kaum. https://feverray.com/

Daten für die Europatournee 2018 hier.



Die Stücke von „Plunge“ sind voller mehr oder weniger direkter Verweise auf die Freiheit von Liebe, Lust, Begehren und Leidenschaft, auch die Videos zum Album bieten reichlich provokantes Bildmaterial zu Genderproblematik und Geschlechterrollen, zur grellen Obszönität einer Merrill Beth Nisker aka. Peaches ist’s da nur noch ein kleiner Schritt. Von der düster-melancholischen Aura des Debüts ist dabei nicht mehr viel übriggeblieben, vielmehr hat man den Eindruck, in ein ramponiertes Hornissennest geraten zu sein: Maschinengewehrloops, kreisende Helikopter, saftige Drone-Beats, das ganz große hypernervöse Hämmern bildet die Grundierung (exemplarisch „Wanna Sip“, „Falling“ „An Itch“), zusammengetragen durch eine erlesene Auswahl an Gastproduzenten wie Paula Temple, Deena Abdelwahed, Nídia, Peder Mannerfelt und Johannes Berglund. Dazu die schneidende Stimme Anderssons und als Krönung die elektrische Violine von Sara Parkman („Red Trail“). Daß am Ende die Liebe gewinnt, kann da nur ein schwacher Trost sein („The final puzzle piece, this little thing called love …“/„Mama’s Head“). Eine Platte, so aufreizend wie überwältigend – wait was worth it.

Young Fathers: Keine Sorgen [Update]

"You can't dance to it" - na, besten Dank auch! Solche Hinweise können sich nicht viele erlauben, diese Herren allerdings schon: Die Young Fathers haben sich mit einem neuen Song zurückgemeldet, ihrem ersten Lebenszeichen nach dem Beitrag auf dem Soundtrack zu "Trainspotting 2". Und "Lord", so der Name des Tracks, ist tatsächlich eher ein Choral ohne das kleinste Anzeichen von Tanzbarkeit, wer die vorangegangenen Werke der drei aus Edinburgh kennt ("Dead" und "White Men Are Black Men Too"), weiß allerdings, dass solche Elemente schon immer zu ihrem Repertoire gehörten. Kein Grund sich Sorgen zu machen also, der Rest - wann immer er auf Albumlänge erscheint - wird vermutlich wieder ganz anders daherkommen.

Update: Das beeindruckende Video stammt von Rianne White, einer Regisseurin aus Edinburgh.

09.04.  Berlin, Columbia Theater
11.04.  Zürich, Rote Fabrik

The Wombats: Schwerter zu Zitrusfrüchten [Update]

Hin und her überlegt - sollen wir noch mal oder besser doch nicht? Nun also doch: Die Liverpooler Band The Wombats hat einst Herzen tonnenweise zum Pochen und Schmelzen gebracht, von durchgetanzten Schuhen mal ganz abgesehen. Es wurde dann aber (nicht ganz zu Unrecht) stiller und stiller um die drei Herren, ihr letztes Album "Glitterbug" war zwar halbwegs erfolgreich, aber bei weitem nicht so prickelnd wie das famose Debüt. Und dennoch - am 9. Februar steht die Veröffentlichung ihrer bislang vierten Platte "Beautiful People Will Ruin Your Life" an und die erste Single "Lemon To A Knife Fight" läßt durchaus alte Qualitäten erkennen.

Update - Tourdaten:
06.04.  Münster, Jovel Music Hall
07.04.  Köln, E-Werk
10.04.  München, Theaterfabrik
11.04.  Zürich, Plaza Club
12.04.  Wien, Arena
15.04.  Berlin, Astra Kulturhaus
16.04.  Hamburg, Docks

Montag, 20. November 2017

Joan As Police Woman: Frau mit Seele

So richtig zu erklären ist das nicht, warum gerade diese Frau mit ihrer Musik nicht weitaus populärer ist: Joan Wasser, besser bekannt unter ihrem Moniker Joan As Police Woman, hat schon eine ganze Reihe wunderbarer Alben abgeliefert und man kann mit Fug und Recht behaupten, sie hat den Soul. Bekommt nur keiner mit - obwohl "keiner" natürlich eine böse Untertreibung ist, die nur zeigen soll, um wieviel erfolgreicher schlechte Musik heutzutage gehandelt wird als solch gute. Aber vielleicht ist das ja auch für etwas gut. Gerade jedenfalls hat sie den offiziellen Studionachfolger für ihre Platte "The Classic" aus dem Jahr 2014 angekündigt, "Damned Devotion" soll am 9. Februar bei Play It Again Sam erscheinen und natürlich ist die erste Single "Warning Bell" nichts weniger als grandios.

30.03.  Graz, PPC
31.03.  Wien, Ottakringer Brauerei
04.04.  Zürich, Kaufleuten
05.04.  Fribourg, Fri-Son
09.04.  Berlin, Festsaal Kreuzberg
10.04.  Hamburg, Knust

Sonntag, 19. November 2017

Boy Azooga vs. Pello: Unforgettable

Seltener Fall von Faust auf's Auge: Gerade hat das Billboard Magazine die Collagen des Londoner Künstlers Pello geteilt, der Adeles Coverporträts gekonnt auf ikonografische Plattenhüllen früheren Datums verklebt (hier die Arctic Monkeys und "Whatever People Say I Am, That's What I'm Not"), da kommt mit "Face Behind Her Cigarette" gleich der passende Soundtrack daher. Der Song stammt vom Quartett Boy Azooga aus Cardiff und swingt sich sofort ins Hörerohr. Das Stück ist laut Sänger Davey Newington als Hommage an den kürzlich verstorbenen, nigerianischen Musiker William Onyeabor zu verstehen, das Video stammt von Toby Cameron.

Samstag, 18. November 2017

Leyya: Alle gleich

Der Vermerk auf das neue Album war ja schon raus, jetzt gibt es Nachschub dazu: Leyya aus Wien bereichern das alpenländische Soundspektrum zwischen Einhorn, Wanda, Bilderbuch und Voodoo Jürgens bekanntlich um eine sehr entspannte Komponente und weil Entspannung auch viel mit Körperlichkeit zu tun hat, heißt ihre neue Platte eben "Sauna". Und meint den Ort, der "mit der Nackheit aller eine ultimative Gleichheit schafft" - so jedenfalls Marco Kleebauer und Sophie Lindinger. Zu den ersten beiden Singles "Zoo" und "Oh Wow" gesellt sich nun mit "Drumsolo" eine weitere hinzu, im nächsten Frühjahr ziehen die beiden dann auch noch mal durch die Saunaclubs dieses Landes (hüstel, hüstel).

30.01.  Linz, Posthof
01.02.  Dresden, Groove Station#
02.02.  München, Milla
03.02.  Darmstadt, Staatstheater
20.02.  Dortmund, FZW
22.02.  Hamburg, Häkken
23.02.  Berlin, Lido
24.02.  Nürnberg, Club Stereo
25.02.  Leipzig, Täubchenthal

Karl die Große: Endlich Abrüstung [Update]

Karl die Große
„Dass ihr Superhelden immer übertreibt“

(Golden Ticket)

Über den richtigen Umgang mit Worten ist ja in letzter Zeit viel geredet und geschrieben worden. Was aber meint überhaupt: Richtig? Sind es die toitschen Sprachbewahrer, die Dialektschützer und cordbehosten, rüschenblusigen Zeigefingerpädagogen, die hinter jedem vergessenen Komma gleich den Untergang des Abendlandes vermuten? Oder doch diejenigen, die den grob gehäckselten und schwer verständlichen Vorstadtsprech junger Menschen zur Kunstform erhoben haben? Die dann von steinalten Verlegern zwischen zwei Buchdeckel gepresst wird und hernach für die Wahl zum „Jugendwort des Jahres“ herhalten muss, von trendgierigen Adabeis kläglich gestammelt, von Pubertierenden mitleidig belacht? Es gibt Menschen, die meinen, die wahre Sprachgewalt würde sich in einer Länge von einhundertvierzig Zeichen bemessen, unglücklicherweise hat ein anderer, nicht ganz unwichtiger Mensch beschlossen, seine staatstragende Tätigkeit mitsamt seinem nicht eben besonders weiten Horizont in jenen begrenzten Raum zu pressen und haufenweise Hass und Häme über alles und jeden auszukübeln. Und nicht zuletzt behaupten wieder andere, daß klare, direkte und unbequeme Worte das einzig richtige wären, und meinen doch nur verletzende, anmaßende und verleumderische Tiraden, hinter denen man sich dann mittels eines Avatars bequem verstecken kann. Schwierige Sache das.

Wenn das Wort also vielen als scharfe Waffe gilt, wünscht man sich dann nicht ab und an das Ungenaue, Indifferente, Rätselhafte und auch das Sanfte her? Und landet dann bei jenen, denen Sorgfalt und Achtsamkeit mit dem Text qua Berufswahl eigen sind – den Lyrikern. Und später vielleicht auch bei Karl die Große. Nicht von ungefähr nämlich hat die Leipziger Formation ganz an den Anfang ihres Debütalbums eine Textzeile von Eva Strittmatter gestellt, „Lied aus Stille“ entstammt dem Gedicht „Vor einem Winter“ aus dem Jahr 1972 (das im Original eine etwas andere Richtung einschlägt) – hier stimmt es mit warmen Tönen und tröstenden Worten auf ein Werk ein, das dem New Soul huldigt, den Jazz kennt und mag und, wenn auch selten, vor rockigen Momenten zumindest keine Angst hat. Die fein gewobenen Sprachbilder von Sängerin Wencke Wollny lassen viel Platz für Assoziationen, man soll mehr ahnen denn wissen und sich nicht allzu sicher sein, Irritationen sind gewünscht.



So kontrastieren zum Beispiel die zaghaft wippenden Takte aus „Die Stadt“ mit einem düsteren Szenario, die Menschen blau, die Straßen blutrot, Grabesstille. Später das „Hamsterrad“ des tagtäglichen, nutzlosen Mühens, die Befangenheit, gleich danach der „Sisyphos“ nach Camus im klagenden, drängenden Tonfall, das stille „Kämmerlein“, wo wir unsere Wünsche und Sehnsüchte bewachen. Besonders gelungen: „Cowboy und Indianer“ mit einem Gastauftritt von Moritz Krämer und feinem Orgelswing, beim traurig melancholischen Titelstück im Anschluss kramt manche/r vielleicht eine Filmszene aus der Erinnerung – Kirsten Dunst, tapfer lächelnd, schickt ihren Spiderman los, die Welt zu retten, und weiß doch, dass sie ihn, den Superhelden, bereits wieder verloren hat: „Go get them, tiger!“ Es sind die leisen, weichen, auch schwelgerischen Arrangements, die der Band besonders eindrucksvoll gelingen, Stücke wie „Vergiss mein nicht“, ein Lied vom Scheitern, Hoffen, Unverzagen. Eine Aufforderung, die zu befolgen man gern bereit ist. https://www.karldiegrosse.de/

13.10.  Plauen, Malzhaus
21.10.  Aachen, Raststätte
28.10.  Magdeburg, Moritzhof
29.10.  Hamburg, Kukuun
01.12.  Oranienburg, Oranienwerk
02.12.  Leipzig, Neues Schauspiel
13.12.  Landau, Grauflächenkultivierug
15.12.  Augsburg, Kresslemühle
16.12.  Lindau, Kleines Zeughaus
17.12.  Ulm, Sauschdall
26.01.  Berlin, Privatkonzert
27.01.  Dresden, Altes Wettbüro
03.03.  Darmstadt, Schlosskeller

Update: Schönes Album, schöner Song - aktuell nachgeliefert das Video zum Song "Cowboy und Indianer" feat. Moritz Krämer.

Freitag, 17. November 2017

Morrissey: Überholt

Morrissey
„Low In High School“

(BMG)

Was ist denn da bloß passiert? Wie konnte es soweit kommen? Und wo fangen wir an? Eigentlich sollte man ja froh sein, daß überhaupt eine weitere Platte des alten Mozzers erschienen ist, denn klar war ja nicht einmal das. Ärger mit dem Label, Trouble auf der Tour, gesundheitliche Probleme, viel hätte nicht gefehlt und das bislang elfte Album von Steven Patrick Morrissey wäre auf lange Sicht ein unbekanntes geblieben. Nun gibt es allerdings nicht wenige, die sich in Kenntnis des neuen Werkes fragen: Wäre das so schlimm gewesen? Statt den Künstler nach eingehender Materialprüfung vorsichtig darauf hinzuweisen, daß er sich mit der Veröffentlichung keinen großen Gefallen tut, prahlt BMG als neuer Vertragspartner lieber von den enormen Fähigkeiten des Mannes und behauptet glatt, das größte Verdienst Morrisseys bestände aktuell darin, daß er den Zeitgeist einer sich ständig verändernden Welt erfasse. Wie bitte!? Den Zeitgeist? Vom ehemals scharfzüngigsten, wortgewaltigsten Verweigerungspoeten im Staate Cool Britannia zum – echt jetzt? – Zeitgeist-Seismographen? Wäre das so, wir müßten Trauer tragen.



Leider aber kommt es in Summe noch viel schlimmer. Man muß sich ja nicht gleich die niederschmetternde Kritik des NME zu eigen machen, der behauptet, es gäbe auf dem Album nur schwülstige Liebes- und kindische Antikriegslieder – Morrissey und die Musikzeitschrift sind seit Jahrzehnten in fast schon legendärer Abneigung verbunden. Aber auch ohne die Hasskappe läßt sich recht schnell erkennen, wie dünn und inspirationsarm die Platte geraten ist und wie sehr sich der einst so hoch gelobte Meister der feinen Klinge diesmal vergaloppiert hat. Beginnen wir der Einfachheit halber beim Cover: Axe the Monarchy. Ach Gottchen! Was vor Zeiten noch provokant und böse war, klingt heute seltsam altbacken und mau. Die Briten haben gerade weiß Gott andere Sorgen als ein folkloristisch anmutendes Königshaus und seine herzigen Hauptdarsteller, mit derartigen Parolen läßt sich die gravierende soziale Schieflage und gesellschaftliche Erosion der einst so stolzen Nation wohl kaum nachhaltig bekämpfen.

Weiter zum Sound. Irgendwer hat Morrissey wohl gesteckt, daß fett spotzende Synthesizer, pathetische Choräle und dramatische Bläsersätze noch immer ganz schwer im Trend liegen, entsprechend großzügig ist er dann zusammen mit Produzent Joe Chiccarelli (der auch schon den mäßigen Vorgänger zu verantworten hatte), damit zu Werke gegangen. Grundsätzlich ist ja gegen Klangvielfalt und mutige Stilkombis absolut nichts einzuwenden, kommen sie aber so beliebig wie hier daher, werden sie vom Segen zur Plage. Kaum etwas, das sich auf Dauer im Ohr festhakt, selbstmitleidig trübes Balladieren wechselt mit breitbeinig rockenden, maßlos aufgepimpten Krawallstücken samt Laibach-Fanfaren, einzig ein paar ChaCha-Rhythmen und leichtfüßige Schwünge lassen sich als Ausnahme von der Regel heraushören. Der Rest schwankt zwischen stampfender Ideenlosigkeit und allzu lieblicher Schmachterei.



So krude der Sound, so krude leider auch die Lyrik. An die eigene Empfehlung „World Peace Is None Of Your Business“ hat sich Morrissey diesmal leider nicht gehalten, mehr noch, seine seltsam fatalistischen, ja populistischen Wortmeldungen sind ziemlich schwer zu ertragen. An die ermüdende Klage über fehlendes Heimatgefühl („Home Is A Question Mark“) hat man sich ja mittlerweile gewöhnt, doch was soll man von Zeilen wie den folgenden halten: „Hört auf, die Nachrichten zu sehen. Weil die Nachrichten euch Angst einjagen wollen, ihr euch klein und allein fühlt und das Gefühl bekommt, eure Gedanken wären nicht eure eigenen“ („Spend The Day In Bed“)? Über eine Jugend, die der politischen Meinungsbildung lebewohl sagt, muß sich jedenfalls nicht wundern, wer munter Zeilen trällert wie „All the young people they must fall in love, presidents come, presidents go and oh look at the damage they do.“

Natürlich ist es aller Ehren wert, sich mit dem Thema Holocaust auseinanderzusetzen, er tut das bei „The Girl From Tel-Aviv Who Wouldn‘t Kneel“ mit Bezug auf die Tagebücher der holländisch-jüdischen Lehrerin Etty Hillesum, die 1943 in Auschwitz umgebracht wurde. Der positive Eindruck relativiert sich allerdings durch die unkritische Art, mit der er später dem Staate Israel den Neid der anderen ins selbstgerechte Poesiealbum schreibt („Israel“), so daß der Jewisch Cronicle schon stolz schwärmt, es handle sich hier um eine „pro-zionistische Ballade“? Man weiß nicht so recht, was ihn antreibt. Was so toll und unterhaltsam am Brexit ist („Jackys Only Happy When She’s Up On The Stage“) und warum jemand wie er platt und platter textet. Fast ist man geneigt, dem NME am Ende doch noch beizupflichten, Morrissey hätte den Kopf besser im Schoß belassen („In Your Lap“/“When You Open Your Legs“), als ihn zum Denken zu nutzen. Und ja, vor diesem Hintergrund mischt sich, wie die SZ gerade schreibt, auch unter liebgewonnene Gassenhauer wie „Irish Blood, English Heart“ manch schiefer Ton. Zurück bleibt leider das Bild des trotzigem Grantlers, der dem Zeitgeist huldigt, indem er sich selbst rechts überholt. Schade drum.

Donnerstag, 16. November 2017

Smerz: Ganz vorn dabei [Update]

Ganz vorn dran ist man ja nie, aber wenn das Webportal Gorilla vs. Bear eine Band auf den Radar hievt, dann kann man sicher sein, daß der Hypefaktor ziemlich hoch ist. Smerz, das sind Catharina Stoltenberg und Henriette Motzfeldt aus Kopenhagen, haben nämlich gerade bei XL-Recordings (nicht von ungefähr home of Radiohead, Arca und The XX) ihre neue Single "Oh My My", ein maximal ausgebremstes Stück LoFi-Elektronik samt Schlafzimmer-Raps und Elfengesang, veröffentlicht, das Video dazu stammt von Michaella Bredahl. Daß es durchaus auch flotter geht, haben sie im vergangenen Jahr mit ihrer EP "Okey" und Tracks wie "Because" und "Blessed" bewiesen. Obwohl, beweisen müssen die beiden Gören schon mal gar nichts, denn cool sind sie sowieso. Hier gleich mal alle Sachen im Komplettdurchlauf.

Update: Für alle, die etwas länger brauchen, gibt es hier noch einen aktuellen Nachklapp - frisch gepreßt die neue Single "Half Life" plus einen weiteren Auftrittstermin - jetzt auch mit Video.

12.08.  Lehrte, Fuchsbau Festival
23.08.  Berlin, Kulturbrauerei
25.11.  Leipzig, Audio Invasion 2017







Hater: Unverändert [Update]

Gar nicht so lange her, da haben wir die schwedischen Hater für ihr feines Album "You Tried" gelobt, daß sie beim Label PNKSLM veröffentlicht hatten. Offenbar stand der Band um die bezaubernde Caroline Landahl der Sinn nach Veränderung, denn gerade haben die vier eine neue EP mit Namen "Red Blinders", diese soll am 1. Dezember mit vier neuen Stücken bei Fire Records erscheinen. Und um zu beweisen, daß sie an Qualität nichts verloren haben, schicken sie mit "Blushing" die erste Kostprobe davon in die Runde.

Update: Zum Innehalten, hier die zweite Single der neuen EP - "Rest".

Mittwoch, 15. November 2017

Hotel Lux: Zum Henker damit

Die Gleichzeitigkeit ist schon frappierend: Fünf Jungs, Süd-London, absolute beginners - hatten wir doch gerade?! Stimmt. Nach Shame nun also gleich noch ein paar Durchstarter. Diesmal Hotel Lux (genau, wie der Bully-Herbig-Streifen), nicht ganz so punky, aber wenigstens genauso dreckig und vielleicht eine Idee unvorhersehbarer. Sänger Lewis Duffin klingt ein wenig wie der junge Cave, optisch geht die Gleichung dann aber nicht ganz auf. Egal, nach der Debütsingle "Envoi" gibt es heute das ziemlich skurrile "The Last Hangman" und da haben wir dann ganz sicher ein Cave-Thema, schließlich erzählt der Song die Geschichte von Albert Pierrepoint, einem der berühmtesten Henker, der Anfang des 20. Jahrhunderts mehr als 400 Menschen die Schlinge um den Hals gelegt hat. Sinn für's Abseitige haben sie also schon mal.



Shame: Aber klar doch

Klar, auch wir hängen uns schamlos an jeden Hype dran und hoffen, daß wir ein paar billige Klicks, Likes, Follower mehr bekommen - wer sind wir denn? Wenn der NME schon hysterisch schreit und das komplette britische Empire wieder mal am durchdrehen ist, weil ein paar halbstarke Milchbärte die Worte London, Punk und Style auf das Vorzüglichste verbinden, da wollen wir doch dabei sein. Die Rede ist natürlich von Eddie Green, Charlie Forbes, Josh Finerty, Sean Coyle-Smith und Charlie Steen, die unter dem griffigen Namen Shame gerade unter den Angesagten die Angesagtesten sind, und so richtig wird der Rummel hierzulande Anfang Dezember losgehen, dann nämlich kommen die Kerle gemeinsam mit Gurr auf Tour durch die Gemeinden, im Gepäck so hübsche Knaller wie "Concrete", "Tasteless" und das aktuelle Stück "One Rizla" mit knuffigem Bauerhof-Filmchen. Wie eine Rakete - garantiert. Ach ja, am 12. Januar kommt dann auch via Dead Oceans das Debüt hinterher, "Songs Of Praise", klar doch.

03.12.  Frankfurt, Zoom
04.12.  Halle O2
06.12.  Köln, Gebäude 9
07.12.  Münster, Gleis 22
08.12.  Essen, Hotel Shanghai
09.12.  Dresden, Groove Station
11.12.  Hannover, Bei Chez Heinz
12.12.  Bremen, Lagerhaus
13.12.  Hamburg, Knust
14.12.  Braunschweig, Eule
15.12.  Rostock, Helgas Stadtpalast
16.12.  Berlin, Festsaal Kreuzberg





Moderate Rebels: Mehrwert

Viel zu schön, um in der täglichen Flut an Möchtegernhits unterzugehen: Die Londoner Band Moderate Rebels, erst kürzlich mit ihrer EP "Proxy" postiv aufgefallen, haben für den 8. Dezember via Everyday Life Recordings ihr Debütalbum "The Sound Of Security" angekündigt - ein Schelm, wer das mit S.O.S. abkürzt. Richtig ist vielmehr, daß die vier ein ganz feinen Sound pflegen, der auch - wie in der aktuellen Single "When The Cost Has No Value" - erstaunlich lässig und regelrecht beschwingt daherkommen kann. Definitiv ein weiterer Lichtblick im an Höhepunkten gewiß nicht armen Jahr 2017.

Björk: Gesamtkunstwerk [Update]

Kannste sagen, was de willst, eine neue Single von Björk ist immer einen Post wert. Wie lange der in der jetzigen Form bestehen bleibt, ist allerdings höchst fraglich, denn bislang gibt es ihre Single "The Gate" offiziell nur über Apfelmusik und Spotify, soll heißen, der Youtube-Link hier unten ist mehr als eine wackelige Angelegenheit. Sei's drum. An der kompletten Platte, die im Übrigen den naheliegenden Titel "Utopia" tragen wird, war laut Pitchfork zum wiederholten Male Arca beteiligt, zur vorliegenden Single soll es auch bald ein Video von Regisseur Andrew Thomas Huang geben, dort zu sehen natürlich auch das viel besprochene Gucci-Kleid von Alessandro Michele und die veredelte Steckfrise von Hairdresser, Verzeihung: -künstler James Merry. Gehört, wie wir wissen, alles mit zum Gesamtkunstwerk (Update: s.u.). Das Albumcover fügt sich im Übrigen nahtlos in die Reihe so seltsamer wie reizvoller Portraits ein - hier ein älteres Familienalbum dazu.

Update: Mit "Blissing Me" ist hier nun ein zweiter Song vom neuen Album unterwegs und hat sogar, wenn auch sehr vorsichtig, ein paar verschämte Beats zu bieten.



Dienstag, 14. November 2017

Men I Trust: Nicht zu überhören

Das sollte natürlich nicht passieren. Dass eine der talentiertesten Bands Kanadas, also Men I Trust aus Quebec, eine Reihe neuer Songs veröffentlichen und hier steht kein Wort darüber geschrieben. Wird natürlich nachgeholt. Da hätten wir zum einen das wunderbar luftig wippende "Tailwhip" (von dem Gorilla vs. Bear behauptet, es sei der Song des Jahres) und nun gerade noch "I Hope To Be Around" mit einem Video, das fast schon sedierend wirkt, so schön ist es geworden. Zusammen mit dem letztens vorgestellten "You Deserve This" gibt das einen leise berauschenden Dreiklang.



Screaming Females: Doch noch mehr [Update]

Nun kommt also doch noch mehr: Als wir vor einiger Zeit mit "Black Moon" einen neuen Song von Marissa Paternoster und den Screaming Females gepostet haben, war von einem weiteren Album noch nicht die Rede - nun soll am 23. Februar via Don Giovanni Records doch eines kommen. "All At Once" ist sein Name, die erste hochoffizielle Single nennt sich "Glass House" und kommt hier mit einem Clip von Kate Sweeney. Und an der Gitarre gastiert laut Stereogum der frühere Fugazi-Mann Brendan Canty. Ist doch mal was.

Update: Und hier ist dann der dritte Song vom neuen Album - "Deeply".



LCD Soundsystem: Für Anlieger

Und noch einmal eine schöne Nachricht, diesmal allerdings nur für Berlin, Anrainer und Reisewillige: LCD Soundsystem, kürzlich unter großem Ballyhoo ins Rampenlicht zurückgekehrt und zwar mit einem Album, daß keine noch so große Hoffnung enttäuschte, kommen im Sommer nächsten Jahres für ein Konzert in die Hauptstadt. Das ist nicht viel (vor allem wenn man sich die zehn !!! aufeinanderfolgenden Termine in Brooklyn anschaut), aber eben auch besser als nichts.

30.05.  Berlin, Tempodrom

Montag, 13. November 2017

Fever Ray: Rundreise

Das ist dann schon so etwas wie ein kleiner Traum: Karin Dreijer Andersson aka. Fever Ray wird nun also im kommenden Frühjahr auf Livetournee quer durch Europa ziehen und auch wenn Daten und Orte auf ihrer Website noch ziemlich wild durcheinandergewürfelt erscheinen und nicht so ganz klar ist, wann und wo welche Tickets zu haben sind, gibt es die Termine schon mal vorab. Das Album "Plunge" ist bekanntlich seit einigen Tagen zumindest als Download verfügbar, die physische Veröffentlichung muß wohl auch bis 2018 warten. Hier noch einmal in Reinschrift und dazu der neueste Clip zum fabelhaften Track "Red Trails".

19.02.  Wien, SiMM City
22.02.  München, Muffathalle
23.02.  Lausanne, Les Docks
24.02.  Zürich, Volkshaus
28.02.  Berlin, Columbiahalle
13.03.  Hamburg, Docks
17.03.  Köln, Palladium

Samstag, 11. November 2017

Chrystal: Noch viel vor [Update]

Mutter zu sein ist ja grundsätzlich erst einmal nichts Ungewöhnliches. Wenn man allerdings wie Chrystal gerade mal 26 Jahre alt ist und schon eine neunjährige Tochter hat, dann bedeutet das, daß man ziemlich früh ziemlich viele Erfahrungen machen durfte, die sich viele Frauen für später aufheben. Und zwar deutlich später. Aufgewachsen im nordenglischen Bolton, die Schule so leidlich und eher schlecht als recht absolviert, mäßig coole Vorstadtclubs, mit 22 angefangen, Songs zu schreiben, besser nicht die Musik der Mutter gehört, sondern Aaliyah, solche Sachen (nachzulesen in einem Artikel des i-D-Magazines). Und hier nun also die erste Single "Waves", die tatsächlich so klingt, als hätten Lily Allen und M.I.A. zusammen gejammt - na, ein bisschen jedenfalls. Man sollte sie mal im Auge behalten, da könnte noch was draus werden, der Lebenslauf hat ja noch viel Platz für Spannendes...

Update: Und da ist schon der zweite Song - "New Shoes", immer noch ziemlich lässig.

Queens Of The Stone Age: Nichts zu holen

Queens Of The Stone Age
Support: Broncho
Zenith, München, 10.November 2017

Vielleicht hat sie es ja einfach nur gut gemeint, die Halle? Wollte einem den Abschied leichter machen? Es ist nun mal so: Über die Jahre hat sich vor jedem Besuch des Münchner Mehrzweckungetüms Zenith eine Erwartungshaltung eingestellt, die zwischen „Oh Mann, schon wieder endlos weit da raus gurken?“ bis „Na ja, ganz so schlimm wird es schon nicht werden“ pendelte und dann, von sehr seltenen Ausnahmen abgesehen, in einem Erlebnis gipfelte, das eben doch viel schlimmer wurde als befürchtet. Das Stahlmonster mag ja unter architektonischen Gesichtspunkten durchaus interessant sein, akustisch allerdings und somit als Rahmen für Konzerte mit einer Kapazität von über 5.000 Zuschauern ist es schlicht eine Katastrophe. Nun weiß, wer in München wohnt, um die Alternativlosigkeit dieser Spielstätte auf der trostlosen Brache im Norden der Stadt, ohnehin gilt die Regel: Musst Du Dir eine Band im Zenith anschauen, bist Du leider um Jahre hintendran. Soll heißen, München bietet, wenn schon nicht in erfreulicher großer, so doch wenigstens ausreichender Anzahl jede Menge Clubs, Klein- und Kleinsthallen, die ein Konzerterlebnis unmittelbarer und lohnender machen als in besagten, überdimensionierten Klanggräbern, wo es lange nicht mehr um Hörgenuss, sondern nur noch um Beschallung geht. Was aber machen mit so erfolgreichen und guten Bands wie Josh Hommes Queens Of the Stone Age, deren Anhang einfach nicht mehr in einen Probekeller passen will, deren Popularität Massen zieht und Platz fordert?

Da beginnt das eigentliche Dilemma, denn just diese Band hatte ja gerade mit „Villains“ eines der besten Alben ihrer Geschichte vorgelegt, hatte altbekannte Stoner-Tugenden mit dem coolen Hüftschwung des Rock’n Roll versöhnen können und Hits im Gepäck, die förmlich nach einem adäquaten Liveerlebnis schrien. Den kläglichen Soundbrei allerdings, mit dem sie dann dem erwartungsvollen Publikum serviert wurden, hatten weder Band noch Anhänger wirklich verdient. Wobei man an dieser Stelle auch die Ton-Crew nicht gänzlich von Schuld freisprechen darf, denn eingedenk der erwähnten Ausnahmeerlebnisse vor Ort weiß man, dass es sehr wohl möglich ist, mit einiger Mühe für einen ordentlichen Klang zu sorgen. Wenn aber die ausschließliche Maxime heißt: Regler auf, Feuer frei!, dann ist nicht viel Gutes zu erwarten – das Ergebnis an diesem Abend war entsprechend. Egal, an welchem Punkt der Halle man sich befand, der Brei wurde nicht genießbarer, sondern bestenfalls lauter – einfache Dinge wie Rhythmusempfinden, Tiefe und Komplexität der Arrangements oder auch nur die scharfkantigen Mathmetal-Riffs (bei den Queens bekanntlich kein unwesentliches Qualitätsmerkmal), alles nicht zu haben. Oder eben nicht in der Qualität, die man bei Musikern dieser Kategorie erwarten durfte.

Was doppelt schade war, denn die Setlist hätte durchaus als Quelle der Verzückung dienen können: Auch wenn „Avon“ als eines der ältesten Stücke auf der Strecke von Oberhausen nach München offenbar verlustig ging, waren doch jede Menge Killer im Programm – „Monsters In The Parasol“, „Leg Of Lamb“ und „The Lost Art Of Keeping A Secret“ vom 2000er-Werk „Rated R“, natürlich „A Song For The Dead“, „Go With The Flow“ und „No One Knows“ vom Meilenstein „Songs For The Deaf“, das fabelhafte „If I Had A Tail“ durfte den Abend sogar eröffnen. Auch die klassische Lichtshow, ergänzt durch lustig wippende Slalomstangen, wäre dazu angetan gewesen, einen gelungenen Vortrag abzurunden. Hätte, wäre, zu viel Konjunktiv: Ist die Lokalität für Triumphe nicht gemacht und bleibt dazu die Sorgfalt auf der Strecke, dann ist auch für die besten Musiker und stärksten Songs nichts zu holen. Wer sich hingegen einfach den Schädel mit dumpf hämmerndem Einerlei vermöbeln lassen will, dem reicht dazu die semiprofessionelle Anlage jeder beliebigen Spelunke in der Stadt, der Weg dorthin ist zudem nicht so weit und das Bier gibt’s in Gläsern statt im schnöden Plastik. Sollte das jetzt zu viel Gejammer gewesen sein – auch kein Problem, kommt bestimmt nicht wieder vor. Denn der Schwur ist getan: Das Zenith ist ab heute aus dem Kalender gestrichen, endgültig. Danke München.

Freitag, 10. November 2017

Sgrow: Unterwegs nach Hause

Sgrow
„Circumstance“
(No Forevers)

Da wird’s wohl wieder mal Zeit, einem Klischee Lebewohl zu sagen: Seit 2015 machen Vilde Nupen und Kristoffer Lislegaard gemeinsam Musik und zwar nicht, wie sich das der bildungsferne Gewohnheitseuropäer so von Norwegern vorstellt, knorrig-schwermütige Seemanns-Shanties für endlos dunkle und natürlich maßlos alkoholisierte Polarnächte. Sondern fein gewirkten, klug verbastelten Elektrosound mit wippenden Clubtunes, sphärischem Trance und dronig fetten Noisebeats. Nach der Veröffentlichung ihres Debütalbum “Terrors and Ecstasies“ sind die beiden, quasi als Geräuschesammler, viel unterwegs gewesen, das Reisetagebuch listet Orte wie Florenz und Toronto, und jede neue Umgebung brachte neben technischen Herausforderungen auch viel Input für ihr Songwriting mit sich, gab ihnen immer wieder die Chance, ihre Herangehensweise zu überdenken, sich neu zu erfinden, zu improvisieren.



Herausgekommen ist dabei eine ganze Menge frischen Materials, das sie nun auf mehrere EPs verteilen und so erscheint mit „Circumstance“ (einen passenderen Titel hätten sie tatsächlich kaum finden können) nun das erste Kurzformat, das den vieltönigen Klangkosmos des Duos auf’s feinste widerspiegelt. Dem zurückhaltend zarten Eingangstrack „Is Anyone Where They Want To Be“ setzen sie das nervös flackernde „Feel Something“ entgegen, „Kismet“ wiederum nimmt erst langsam Fahrt auf, nach experimentellen Sequenzen und kühler Maschinenmusik setzt dann „Minds Eye“ einen Schlußpunkt, dessen akustische Gitarrenloops auch Jamie Smith und The XX gut zu Gesicht gestanden hätten. Viele schöne Ideen dicht an dicht verbaut, die Gesangsspuren, so liest man, haben sie dann in einem heimischen Holzschuppen in der Nähe von Oslo dazugemischt. In der Ferne gefunden, daheim vollendet, wenn das nicht ein weiteres Klischee bedienen würde, man müßte es glatt so hinschreiben…

Xul Zolar: Früher Kommen [Update]

Normalerweise kommt so etwas aus dem zertrümmerten Königreich über dem Ärmelkanal oder den skandinavischen Talenteschmieden. Dachte man schon vor Monaten, als das Debüt "Happy Freedom" der Kölner Band WOMAN hereinschneite und solche Schlüsse umgehend pulverisierte. Und nun schon wieder. Und nicht ohne Verbindung, denn die ebenfalls aus der Domstadt stammenden Xul Zolar touren derzeit mit ersteren und man sollte rechtzeitig zu den Auftritten erscheinen, denn auch der Support ist - wie man unschwer hört und sieht - nicht zu verachten. Manchem Auskenner sind sie vielleicht schon zuvor mal über die Bühnenbretter gelaufen, denn auch für die Battles, Future Islands oder auch SOHN waren die vier Herren schon als Aufmacher unterwegs. Seit der Gründung im Jahr 2011 sind von ihnen diverse Kurzformate erschienen, nun ist für den 19. Januar via Asmara Records ihr erstes Album "Fear Talk" angekündigt, die aktuelle Single "NYE" gibt es samt sepiafarbenem Retroclip von Leri Matehha gleich mal hier vor Ort.

18.11.  Düsseldorf, Tanzhaus NRW
24.11.  Köln, Arttheater
01.12.  Essen, Hotel Shanghai
02.12.  Berlin, Kantine Berghain
05.12.  Hamburg, Uebel und Gefährlich
07.12.  Leipzig, Kulturzentrum So und So
08.12.  Stuttgart, Kellerklub
09.12.  Frankfurt, Lotte Lindenberg

Update: Und hier gleich noch ein weiterer wunderbarer Song vom Album - "Soft Drones".



Die Mausis: Grausamkeiten

Klar könnte man jetzt versuchen, eine gewitzte Rezension zu schreiben. Aber warum denn? Für einen der seltenen Fälle, wo der Song mal für sich spricht, ist jede zusätzliche Bemerkung unnützes Beiwerk. Am Ende kommt nur Schwachsinn raus und damit ist dann auch wieder keinem gedient. Also nur die Fakten: Die wunderbaren Stella Sommer (Die Heiterkeit) und Max Gruber (Dragsal) haben heute zusammen eine EP unter dem Namen Die Mausis bei Buback Tonträger veröffentlicht, ganze vier Songs finden sich darauf und alle haben, man vermutet es schon, das Mausgraue zum Thema. "Was kann ein Mausi dafür", die ausgekoppelte Single, hat sogar ein hübsches Filmchen bekommen, das Mini-Album - nur um dem Namedropping noch die fehlende Krone aufzusetzen - wurde von Max Rieger (Die Nerven) abgemischt. Ob die beiden Teilzeitnager mit dem Werk auf Tour gehen, war noch nicht zu erfahren, mit Sicherheit wird das aber ein MustSee werden. Genug der Worte, nur noch das Motto: "Sei schlau, bleib grau." Alles gesagt.

Tocotronic: Die durch die Hölle gehen

Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Zeiten ziemlich ungemütlich sind. Und das meint nicht das Wetter. Und trotzdem war es nicht selbstverständlich, daß Tocotronic, sonst eher in den Metaebenen zu Hause, dem Unwesen da draußen eine unzweideutige Ansage widmen. Machen sie aber. Am 26. Januar wird das bislang zwölfte Album "Die Unendlichkeit" der Hamburger Band erscheinen, es soll sich in zwölf autobiografische Kapitel gliedern - und gleich die erste Single "Hey Du" läßt überraschenderweise an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Das Video dazu ist eine schnurgerade Fahrt durch die deutsche Vorstadtspießerhölle. Und besonders erfreulich: Die Herren haben auch gleich ein paar Termine zur Verlautbarung ins Netz gestellt - VVK läuft bereits. Ach ja, den zweiten heute erschienenen Song "1993" gibt es im Stream bei Spotify.

06.03. Bremen, Schlachthof
07.03. Münster, Sputnikhalle
08.03. Heidelberg, Halle 02
09.03. Erlangen, E-Werk
11.03. Erfurt, Stadtgarten
12.03. Wiesbaden, Schlachthof
13.03. Köln, E-Werk
14.03. Hannover, Capitol
17.03. Hamburg, Große Freiheit 36
06.04. Leipzig, Werk II
07.04. Essen, Weststadthalle
08.04. Stuttgart, Theaterhaus
11.04. Freiburg, E-Werk
12.04. München, Tonhalle
13.04. Salzburg, republic
14.04. Dresden, Alter Schlachthof
16.04. Berlin, Columbiahalle
28.07. Wien, Arena Open Air

Donnerstag, 9. November 2017

City Calm Down: Gute Antwort

Hin und wieder taucht auch hier die Frage auf, wo er denn geblieben ist, der gute alte Gitarrenpop. Vor zwei Jahren hatten City Calm Down aus Melbourne diese mit dem recht gelungenen Debüt "In A Restless House" ausreichend beantwortet und auch heute liefern sie mit ihrer neuen Single "In This Modern Land" den Beweis, daß noch nicht alle Hoffnung verloren ist. Mit dem Album zum Song ist im Frühjahr 2018 via I Oh You Records zu rechnen, zuvor wird erst mal fleißig getourt, die Termine folgen.

Mittwoch, 8. November 2017

Belly: Broccoli, Baby!

Das hätten wir ja fast noch vergessen: Tanya Donelly is back! Für gewissenhafte Follower und Fans natürlich nicht erst seit gestern, haben Belly doch schon Anfang Oktober auf der Crowdfunding-Plattform PledgeMusic ein neues Album in Aussicht gestellt. Nun dürfen wir auch akustisch daran teilhaben, denn die Band hat einen ersten Song - nach ganzen 22 Jahren Abstinenz und ihrem letzten Album "King" auf der Spendenseite geteilt. Interessanterweise ist es keine Eigenkomposition, sondern ein Cover des 68'er Knallers "Hushabye Mountain" aus dem Film "Chitty Chitty Bang Bang" von Albert R. Broccoli. Kurzer Hinweis noch an die deutsche Wiki-Seite der Band: Könnte jetzt wieder auf Gegenwart geschaltet werden ...

Dienstag, 7. November 2017

Steve Buscemi's Dreamy Eyes: Untertauchen

Schon lustig: Zeitgleich mit diesem Song kam auch einer aus Finnland - dieser allerdings von einer Band namens Have You Ever Seen the Jane Fonda Aerobic VHS? (die hier auch früher schon mal zu Gast waren), sie scheinen also viel Sinn für Humor zu haben da oben im Norden. Gut, Steve Buscemi's Dreamy Eyes kommt dagegen ein wenig brav daher, dafür klingt ihr Dreampop-Sound ein Stück gefälliger, auch spannender. Das Quartett aus der schwedischen Hauptstadt jedenfalls wird am 24. November ihre Debüt-EP "Four Waters" via Rama Lama Records veröffentlichen, hier ist davon schon mal die erste Single "Swim Deep" zu hören.

Montag, 6. November 2017

Dama Scout: Unter Beobachtung [Update]

Okay, damit ist es entschieden - widmen wir den Rest des heutigen Tages noch zum Gitarrentag um. Nach Material der kalifornischen SOAR gibt es nämlich an gleicher Stelle schon den nächsten feinen Song, diesmal von einer Band namens Dama Scout. Das Trio stammt aus dem schottischen Glasgow und hat im vergangenen Jahr eine Reihe von Stücken online gestellt, die auch den Perlentauchern von der BBC aufgefallen sind. Nicht nur die werden deshalb die neue, selbstbetitelte EP von Eva Lui (Gesang), Luciano Rossi (Bass, Keyboard) und Danny Grant (Drums) mit Ungeduld erwarten, könnte schließlich gut sein, daß da noch mehr draus wird. Hier jedenfalls der erste von vier Tracks "Suzie Wong".

Update: Dann wollen wir mal schnell nachholen - nachdem vor einiger Zeit schon "Sugar" ergänzt werden konnte, dürfen wir heute noch "Toothache" ergänzen.

Sonntag, 5. November 2017

King Krule: Freischwimmer

King Krule
„The Ooz“

(XL Recordings)

Auch heute, da das Internet das gesamte gesellschaftliche Leben schon komplett und unumkehrbar durchdringt und lenkt (nicht wenige meinen: in seinen Klauen hat), verwundert die Bereitwilligkeit, mit der Mitmenschen ihre Privatsphäre, ihr Intimstes und Innerstes dem voyeuristischen, ja gierigen Blick des Netzes preisgeben, sich angreifbar machen, bloßstellen und zwar ganz ohne jeden Zwang. Was den einen als vermeintlicher Quell der Selbstbestätigung normal und harmlos erscheint, empfinden andere als befremdlichen Leichtsinn, verstörend oder sogar bedrohlich. Interessant ist dabei nicht nur die Frage, wo die Grenze zwischen unterhaltsamem Mitteilungsbedürfnis und krankhafter Selbstdarstellungssucht verläuft, sondern auch, ob zwischen Kunst und Kommerz ein Unterschied gemacht werden muss. Womit wir bei Archy Marshall aka. King Krule wären. Natürlich ist nicht anzunehmen, daß der blassgesichtige Rotschopf mit der rostigen Stimme den Inhalt seiner Songs eins zu eins aus dem eigenen Lebenslauf übersetzt hat – ein Irrtum, dem sich bekanntlich viele Künstler ausgesetzt sehen.



Der Schluss aber liegt nahe, daß für die düstere Grundstimmung vieler seiner Stücke auf den beiden bislang erschienenen Alben „6 Feet Beneath The Moon“ und nun eben „The Ooz“ sehr persönliche, unmittelbare Erlebnisse ursächlich sind. Denn auch wenn Marshall seine Worte zu bildhaften, kryptischen Rätseln baut, wimmelt es darin doch von allerlei Dämonen, tieftraurigen Gestalten und bedrückenden Schatten, ist kaum je Trost zu finden. „I’m alone, I’m alone, in deep isolation, in the dead of night, in the dead of night“ („Locomotive“) – das schreibt gewiß kein vergnügter Teenager, dem Zeit seines jungen Lebens alle Türen und Tore offenstanden und der eine sorglose Kindheit vorweisen kann. Der würde sich sicher nicht sehnlichst die Rettung aus dem „kingdom of trash“ („Lonely Blue“) erträumen. Viel eher geht es hier um traumatische Erfahrungen der Jugend, auch in der eigenen Familie („Logos“), um die eigenen Unzulänglichkeiten, oft als Last und Ungerechtigkeit empfunden und Grund für Ablehnung und Benachteiligung („A Slide In (New Drugs)“) oder auch die wesensverändernde Wirkung von Drogen („Emergency Blimp“).



Mit dem Zauberer von Oz oder anderen Märchen hat das alles aber herzlich wenig zu tun, vielmehr greift Marshall im Titel der Platte auf seine musikalischen Anfänge unter dem Pseudonym Zoo Kid zurück und weiter auf eine Marotte seines Bruders, der seine eigene Band Words Backwards nannte – beides vermischt er nun im wörtlichen Sinne und liefert so eine weitere Anekdote. Andere kann der Hörer auf Umwegen beispielsweise in „Czech One“ entdecken, eine Anspielung auf tatsächlich vorhandene tschechische Wurzeln des Protagonisten, wild verdrahtet mit Marshalls Erinnerungen an eine Filmsequenz der Sopranos. Nicht nur hier kann man eine spielerische Lust an der Verquickung von Realität und Fiktion entdecken, die manchen Text in einem seltsam unscharfen Licht erscheinen lassen. Die dunkelgraue Kulisse und der eingangs erwähnte Ernst werden so wieder etwas relativiert. Kurz vor Schluss bei „Midnight 01 (Deep See Diver)“ gelingt Marshall der Freischwimmer im übrigen ganz ohne doppelten Boden, da meint man mit ihm zusammen aus dem Dunkel ans Licht zu steigen, um hernach im versöhnlichen Licht von „La Lune“ davonzutreiben.

Zum Sound des Albums noch ein paar Worte: „The Ooz“ ist ein wahres Kaleidoskop an verschiedenartigen Stilen, Färbungen, Klangwelten. Zuvorderst natürlich hauptsächlich vom Jazz und vom Pop geführt und geprägt, erlaubt sich der Junge dennoch mutige Ausflüge in Richtung Punk und Rockabilly, gehören neben den gewohnt verschleppten Beats und Loops auch kreischende Gitarren und dreckige Bassgrooves zum Repertoire („Vidual“, „Half Man, Half Shark“), alles dicht verschränkt und auf verblüffende Weise arrangiert. Gibt es hier mal die downgepitchte Stimme der befreundeten New Yorkerin Okay Kaya, anderswo den Gastauftritt des philippinischen Musikers Eyedress, ein paar gesampelte Lyrics von Billie Holiday und selbst der Vater des Künstlers meldet sich im letzten Drittel zu Wort. Komplex und ganz und gar nicht einfach zu haben das alles, King Krule ist weit davon entfernt, Musik als leichtgewichtiges Entertainment zu liefern. Insofern erübrigt sich die zu Beginn gestellte Frage nach mutwilligem Leichtsinn im Dienste der Kunst – dies hier ist Seelenarbeit der leidenschaftlichen Sorte. http://kingkrule.co.uk/

30.11.  Zürich, Rote Fabrik
01.12.  Köln, Bürgerhaus Stollwerck
03.12.  Hamburg, Uebel und Gefährlich
04.12.  Berlin, Astra