Jamie T
“Trick”
(EMI/Universal)
In letzter Zeit ist ja wieder häufiger von der Deutschen liebstem Engländer die Rede und dies ist nicht, weil gerade die Karten neu gemischt worden sind, Boris Johnson, sondern angeblich noch immer der smarte Pop-Proll Robbie Williams samt Rehaugenblick und leicht ergrauter Geltolle. Warum sich daran nichts geändert hat, weiß eigentlich keiner genau zu sagen, denn so richtig britisch ist an dem Jungen so viel nicht mehr und karrieretechnisch hat der Gute (face the truth) seinen Zenit seit längerem überschritten. Zeit also, sich nach Alternativen umzuschauen und da fällt der Blick dieser Tage auf Jamie Alexander Treays, kurz Jamie T, der gerade seine neue und vierte Platte veröffentlicht und eigentlich alles hat, was man für besagten Job benötigt. Und das meint in erster Linie nicht die dicke Lippe, Coolness und eine ordentliche Portion Selbstüberschätzung, sondern zunächst einmal, und da müssen die jüngeren Zuhörer jetzt ganz stark sein, musikalisches Talent.
Denn nur wenigen Solokünstlern gelingt es, nahezu die komplette jüngere Musikhistorie der Insel so souverän und zugleich unterhaltsam auf Albumlänge zu komprimieren. Ähnlich wie auf dem fabelhaften Vorgänger „Carry On The Grudge“ ist wieder alles beisammen – „Trick“ bietet sowohl den rotzig-lässigen Punk von The Clash, Massive Attacks fetten Bristol-Sound, eine ähnlich dicke Hose wie die Gallaghers mit Oasis, Electrotrash á la Prodigy, Psychrockanleihen von Pink Floyd und – ja, sogar ein paar Schmachtfetzen aus der Werkstatt des ollen Robbie sind dabei. Schon der elektrische Grungerock der Vorabsingle „Tinfoil Boy“ war grandios gelungen, ebenso gut der 70‘s-Beat von „Power Over Men“ – mit gerappten Tracks wie „Drone Strike“, „Police Tapes“ und „Solomon Eagle“ (letzteres als Erinnerung an den gleichnamigen Quäker, der auch das Cover ziert) bringt er sich einmal mehr als legitimer Nachfolger von Mike Skinner alias The Streets ins Gespräch.
Allerdings macht er einem genau bei diesen drei Stücken ein wenig die Pointe kaputt, hat er doch neulich dem NME erzählt, daß er sich in letzter Zeit ziemlich viel mit Zack de la Rocha und Rage Against The Machine beschäftigt habe und man dies dem Album wohl anhöre – in der Tat, aber die feine englische Art ist das jetzt gerade nicht. Geschenkt, jedes der zwölf Stücke bietet einen neuen Dreh, eine weitere Überraschung – dramatische Streicher hier, locker gerockte Riffs dort, dazwischen ein paar Einspieler von befreundeten Musikern und Schauspielern wie Hollie Cook, Jack Fox und Florence Bell. Etwas Understatement gehört natürlich auch zum Plan, so singt der junge Mann aus Wimbledon in „Sign On The Times“ mit einigem Pathos in der Stimme: “But I wish I'd been a little more exceptional and I wish I'd been a little unconventional, but I was not enough.“ Naja, da wollen wir mal nicht zu bescheiden sein, so schlecht hat er das doch gar nicht gemacht und vom befürchteten Mainstream ist die Platte dann doch ein paar Umdrehungen entfernt, Gott sei Dank. http://jamie-t.com/
07.11. Berlin, Astra Kulturhaus
09.11. Wien, WUK
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