Freitag, 19. August 2016

Messer: Mögliche Selbstfindung

Messer
„Jalousie“
(Trocadero)

„What is behind the jalousie? 
There’s nothing behind the jalousie. 
It is all a lie.“ 

Keine Angst, die wollen nur irritieren: Es wäre sicher vollkommen okay gewesen, hätten Messer ein weiteres Mal eine von diesen scheppernden, windschiefen Post-Punk-Platten abgeliefert, mit denen sie seit 2012 für Furore sorgen. Hendrik Otrembas Stimme hätte wieder alles in Fetzen gerissen, klirrende Gitarren, tiefschwarzer Bass, trockenes Schlagzeugwummern, nicht die schlechteste Idee. Dennoch haben sie die bessere gewählt. Messer wollten sich verändern, wollten sich Zeit lassen mit dem Nachfolger von „Im Schwindel“ und „Die Unsichtbaren“, Dinge ausprobieren, umbauen, Neues wagen. Der Umsturz ist es nicht geworden, aber die Richtung ist eine andere – neue Schichten, neue Klänge, neue Perspektiven. Und neues Personal. Der Abschied von Pascal Schaumberg, der Einstieg eines zweiten Drummers und eines neuen Gitarristen lassen sich quasi nachhören, an mancher Stelle des Albums funkt und jazzt es schon mal recht ungewohnt und Pogo McCartneys aktuelles Lieblingsspielzeug, eine Orgel, schiebt sich deutlich in die jetzt facettenreichere Kulisse.

Dunkel und wütend sind sie geblieben, vielleicht haben sich die Schattierungen geändert, gibt es nun in den Arrangements und auch bei Otrembas Gesang mehr Zwischentöne als zuvor. Mit Unterstützung von Jochen Arbeit (Einstürzende Neubauten), mit Micha Achers (The Notwist) wundervoller Trompete und den Gaststimmen von Stella Sommer (Die Heiterkeit) und Katarina Maria Trenk (Sex Jams) sind nunmehr Stücke entstanden, die vieles können: Mal zieht es einen in den düsteren Malstrom hinab, mal schwebt man im fahlen Licht des Planetenstaubs dahin oder spürt das lustvoll fiebrige Zucken der Lust am eigenen Körper. Der Wandel hat Musik und Musiker erfasst und schiebt die Grenzen deutlich auseinander. Wo sich der Zorn vor Jahren noch einzig im Schrei manifestierte, findet die Band nun neue Ausdrucksformen – auf den psychedelischen Taumel folgt die monoton pochende Künstlichkeit programmierter Beats, das wilde Geschredder der Gitarren wird durch feinkörnige, diffuse Soundflächen unter- und aufgebrochen, Stücke wie „So sollte es sein“, „Die Hölle“ und „Schaumbergs Vermächtnis“ als Widmung an den alten Freund zeigen die neuen Wege auf.

Und auch textlich geht es einen weiteren Schritt voran – weg von der Aussichtslosigkeit, der unbedingten Tristesse. Zwar bleibt es dabei, Otremba will und wird dem Zuhörer nichts erklären, er bewegt sich bewusst weiter im Ungefähren seiner Metaphorik, zieht die Zwei- der Eindeutigkeit vor. Aber wenn da ein Licht im Dunkel des Tunnels auftaucht, dann ist es nicht immer der sprichwörtlich entgegenkommende Zug, dann ist das Unsagbare auch mal der Trost, die Schönheit und die Liebe. „Doch diese Welt läßt sich nicht träumen, sie läßt sich leben einfach so, gib mir dein Herz, ich will es hüten, das Flimmern schweigt, chercher les mots“, heißt es an einer Stelle ganz unverstellt, kurze Zeit später schwebt er zweisam unter dem Schaum der Tage dahin und bei „Der Mann, der zweimal lebte“ greift ihn die Leidenschaft und läßt ihn im Wortsinn liebesvoll schwärmen. In seltener Direktheit dagegen die Zeilen für „Schwarzer Qualm“, wo er sich reibt und stößt an der deutschen Identität und allem, was diese tut und auch läßt vor den Grenzen unserer umzäunten Idylle. Es ist wieder ein großer Wurf geworden, auch weil Messer sich nicht auf Gewohntes verlassen wollten. Den Rest wird ein jeder allein suchen müssen und mancher findet dabei vielleicht ein Stück seiner selbst. http://gruppemesser.blogspot.de/

28.10.  Essen, Zeche Carl
29.10.  Bremen, Lagerhaus
30.10.  Bielefeld, Forum
31.10.  Kaiserslautern, Kammgarn
01.11.  Wiesbaden, Schlachthof
02.11.  Köln, Gebäude 9
03.11.  Berlin, Frannz
04.11.  Giessen, MuK
05.11.  Stuttgart, Zwölfzehn
06.11.  Wien, B72
07.11.  München, Kranhalle
08.11.  Dresden, Groovestation
09.11.  Leipzig, Naumanns
10.11.  Jena, Kassablanca
11.11.  Hannover, Cafe Glocksee
12.11.  Hamburg, Molotow
03.12.  Münster, Gleis 22

Keine Kommentare: