New Order
„Music Complete“
(Mute Records)
Ganz ehrlich: Die Messer waren gewetzt, die Hinrichtung schon vorbereitet. Einstieg über das klassische Odd-Couple-Zerwürfnis (Waters/Gilmour, Collins/Gabriel, Townshend/Daltrey waren notiert), da hätten Hook und Sumner mit ihren kindischen Sandkastenstreitereien wunderbar hineingepaßt und nach der Veröffentlichung der ersten Single “Restless”, die nun wirklich eine ziemlich schwache Nummer abgab, war die Richtung klar und das Urteil gesprochen. Nun wird man von älteren Herren und Damen in dieser Branche, nimmt man Johnny Cash, Leonhard Cohen und Marianne Faithfull mal beiseite, nicht oft überrascht, in diesem speziellen Fall muss man allerdings unumwunden der Wortmeldung von Barry Walters aus dem amerikanischen Rolling Stone folgen, der da schrieb: "Just as [Ian] Curtis' suicide inspired his bandmates to reinvent themselves as New Order in 1980, Hook's departure frees them to create their most varied and substantial work in decades", Ansage – Punkt.
Und das ist nicht übertrieben: Man hat tatsächlich den Eindruck, Sumner und Kollegen hätten sich auf dem ersten Album der Post-Hook-Ära seit langem mal wieder richtig freischwimmen, austoben können, mit einem neuen Bassisten an Bord (Tom Chapman) und der Wiedergängerin Gillian Gilbert haben die fünf lustvoll gegen jede Erwartung gearbeitet und dabei ein Meisterstück abgeliefert. Was gibt es nicht alles zu hören: schiefen, schlierigen Synthrock (“Singularity”), ganze drei Stücke mit Elly Jackson aka. La Roux, von denen das pumpende “Plastic” das stringenteste und der Moroder-Glampop von “Tutti Frutti” das überraschendste ist. Gutgelaunten Diskofunk (der mit Hook so ganz sicher nicht funktioniert hätte), wilden Stilmix samt eigenwilliger Percussions und dem Gegrummel von Iggy Pop (“Stray Dog”), die Streicher werden, nicht gerade zimperlich, bis hin zu Rondo Veneziano verbaut und wenn dann ein paar Gitarren erklingen, dann schimmern und schillern diese Hooks (ist das so noch politisch korrekt?!) auf allerschönste Weise.
Natürlich gibt es auch Reminiszenzen und Grüße an die eigene Vergangenheit, als der Sound von New Order, das darf man ohne Wehmut sagen, noch ein unverwechselbarer, identitätsstiftender war. Gerade in “Academic” und “Nothing But A Fool” werden die Nostalgiker einiges wiedererkennen, was vieler Menschen Jugend als Soundtrack begleitet hat – ein paar melancholische Schleifen, angeschlagene Akkorde aus dem Retrobaukasten, sparsam eingesetzt und doch immer noch für die eine oder andere Erinnerung gut. Dass sie das Ganze kaum noch für sich allein stehen lassen, sondern mit Psychrock oder gar krassem Techno (“Unlearn This Hatred“) versetzen, spricht für Mut, Innovationsgeist und den unbedingten Willen, keinesfalls in allzu rückwärtsgewandte Verhaltensmuster zu fallen. Ob’s dafür noch den leicht süßlichen Kehraus mit Brendan Flowers und obendrauf ein Glockenspiel gebraucht hätte, nun gut – unterm Strich bleibt es trotzdem ein im besten Sinne verrücktes Album, zur Ruhe legen können sich gern die anderen. http://www.neworder.com/newordernow
11.11. Berlin, Tempodrom
Und dennoch zwei aktuelle Mixe der ersten Single "Restless":
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen