Petite Noir
„La Vie Est Belle/Life Is Beautiful“
(Domino Records)
Überraschungen sind, nicht erst seit die dazugehörigen Schokoeier fein säuberlich in blaue Jungs- und rote Mädchenware getrennt wurden, wirklich selten geworden. Yannick Ilunga, einer der derzeit schillerndsten Persönlichkeiten im Popgeschäft, ist mit seinem Debüt mal eine richtig gute gelungen. Der Junge bemüht ja in diesem Zusammenhang gern die von ihm selbst erdachte Wortschöpfung des ‚Noirwave‘ und wenn man seinen Lebenslauf liest und das vorliegende Album hört, weiß man, dass dies ein sehr dehnbarer Begriff sein muss. Geboren in Belgien, aufgewachsen im südafrikanischen Molloch Kapstadt, jetzt in London zu Hause, versuchte sich Ilunga zunächst in der Metalcore-Kombo Fallen Within und danach als Teil des Elektroduos Popskarr. Zumindest den Einflüssen der letzten Station kann man auf „La Vie Est Belle…“ noch nachspüren, ansonsten zeichnet sich der Erstling dadurch aus, dass er wie kaum eine andere Platte dieses Jahres konsequent sämtliche Strömungen der 80er und 90er bis zur Mitte der 2000er Jahre zu einem neuen, verheißungsvollen Sound formt – das ist Petite Noir, das ist Noirwave.
Es ist schon bemerkenswert, wie selbstverständlich und gekonnt Ilunga den europäischen Pop einer Zeit, die ja von vielen immer noch verschämt und eher als peinliche Entgleisung wahrgenommen wird, für seine Zwecke vereinnahmt – die Namen, die einem bei diesen Songs in den Sinn kommen, könnten denn auch unterschiedlicher nicht sein: David Byrne, Kele Okereke, Simon Le Bon, natürlich Roland Orzabal und seine Tears For Fears, er nähert sich der Musik dieser Vorbilder mit dem gesunden Selbstbewußtsein eines Devonté Hynes, der unter dem Pseudonym Lightspeed Champion (für das ähnlich betitelte „Live Is Sweet! Nice To Meet You“) schon ähnlich virtuos zu Werke ging. Und natürlich beläßt es Petit Noir nicht bei cleverer Retroaufkoche, sondern mischt dem Ganzen Funk, den Afrobeat eines Fela Kuti und Hip Hop bei (im Titelstück hat er sich dafür den kongolesischen Rapper Baloji an die Seite geholt) und wenn es dem Spaß dient, wird schnell auch mal Olivia Newton-John’s Grease-Hymne „You’re The One That I Want“ verbastelt („MDR“).
Das alles ergibt eine angenehm bunte und durchaus aufregende Mixtur, dicke Synthies, treibende Percussions, helle Bläsersätze, mal kommt Ilunga uns mit dunklem, vollem Timbre, dann wieder croont er mit einer Hingabe, als hätte er seine Lehrjahre unter der Ägide von Schmachtkönig George Michael verbracht. Manch einer, der sich dieser Tage an ungezwungenem und zeitgemäßem Pop mit Seele versucht, dürfte gehörig neidisch werden – von Langeweile ist auf diesem Album so gar nichts zu spüren, die Mehrdimensionalität macht es im Übrigen um einige Längen interessanter als die Werke von Kwabs, The Weeknd oder auch Okereke selbst. Zusammen mit der Coverart von Lina Victor und dem Video zu „Best“ von Travys Owen arbeitet Ilunga nicht zuletzt an einer neuen, gern auch provokativen afrikanischen Popästhetik, für Deutschland gibt es im Übrigen noch zwei Livetermine, die dringend zu empfehlen sind, wo man sich zumindest akustisch von den Qualitäten des jungen Mannes überzeugen lassen kann.
23.09. Berlin, Badehaus Szimpla
25.09. Hamburg, Reeperbahn Festival
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