Cold Specks
„Neuroplasticity“
(Mute)
Ein wenig unangenehm ist einem das natürlich schon. Da hatte man vor zwei Jahren das Debüt von Al Spx aka. Cold Specks „I Predict A Graceful Expulsion“ ehrlich und anständig in höchsten Tönen gelobt, und nun stellt sich heraus, dass die Künstlerin selbst dieses Album eigentlich ziemlich doof findet. Hat sie so natürlich nicht wortwörtlich gesagt. Sie sagt ja ohnehin nicht besonders oft etwas, selten bekommt ein Journalist die Kanadierin, die ja nach einem Zwischenaufenthalt in London (fand sie auch nicht so toll) mittlerweile wieder in ihrem Heimatland, genauer in Montreal lebt und arbeitet, vor’s Mikrophon. Um so erstaunlicher ist also der Nachdruck, mit welchem sie zum Beispiel bei CreemMag und Q-Magazine ihren eigenen Erstling disst, zu simpel, zu wenig komplex sei er ihr geraten und die Konzerte, die sie zur Promotion der Scheibe unternommen habe, wären eine Tortur gewesen. Na gut.
Nun also „Neuroplasticity“, der Nachfolger – noch immer dieser eigenwillige Goth-Soul, noch immer eine recht düstere Angelegenheit und nach wie vor nicht viel Schlechtes daran zu finden. Entstanden ist ein Großteil der Songs ja noch auf englischem Boden, also in einem Cottage bei Glastonbury, die finale Abmischung, wieder von Jim Anderson, fand dann aber schon in Kanada statt und glaubt man ihren spärlichen Auskünften, so war beides – die landschaftliche Weite Englands als auch die großstädtische Lässigkeit von Montreal – wichtig für das Klangbild des Werkes. Auffällig oft, das vielleicht ein Unterschied zum besagten Debüt, gratwandert Cold Specks (wie die Kolleginnen PJ Harvey und Joan As Police Woman) in Richtung Blues, Psychrock und Jazz, die Bandbreite, das Repertoire sind also tatsächlich größer geworden. Ambrose Akinmusire, Freund und Musiker, den sie selbst schon unterstützte, steuert die maßvoll verstreuten, seltsam flackernden Trompetentöne bei und auch der knorrige Michael Gira gibt sich bei zwei Songs (“Exit Plan”, “A Season Of Doubt”) die Ehre.
Textliche Deutungen sind schwierig und werden auch von Seiten der Künstlerin – wer kann es ihr verdenken – nicht befreuert, einzig einen spirituellen Ansatz, den man hinter manchem der Stücke vermuten wollte, schließt sie kategorisch aus. Eine weitere Erkenntnis: Deutlich weniger Elektronik als zuvor schiebt sich in den Vordergrund, alles wirkt sehr erdig und analog. Glanzstücke des Albums sind zweifellos das traurig melancholische „Old Knives“ und die beiden Vorauskopplungen „Bodies At Bay“ und „Absisto“, auch „A Formal Invitation“, schwankend zwischen Zurückhaltung und treibender Gitarre, bleibt in guter Erinnerung. Und selbst wenn getragenes Moll und Schwermut die Lieder zu dominieren scheinen, ihr Ansinnen für „Neuroplasitcity“ ist dann doch ein recht simples: „I just want people to dance, I don’t want to make them shed a tear or two!” Ob’s funktioniert, bleibt abzuwarten. http://coldspecks.com/
19.09. Hamburg, Reeperbahn Festival
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