Kanye West
"Yeezus"
(Def American/Universal)
Viel Platz nach oben bleibt da in der Tat nicht mehr für den Gottgleichen, den Yeezus Christ Superstar, den Mann, der so sehr im Mittelpunkt zu stehen scheint, dass er keinen Schatten wirft. Vor zwei Jahren mit dem fulminanten „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“ schon ebenso grandios wie outstanding, kurze Zeit später zusammen mit Buddy Jay-Z auf dem goldenen Thron – nur eine Atempause, keine Frage, denn Kanye West ist niemand, der die Aufmerksamkeit seiner Umgebung zu teilen versteht und nur wenige (wie eben jenen Jesus) lässt er neben sich gelten. Obwohl: „I just talked to Jesus, he said, ‘What up Yeezus?’ I said, ‘Shit I'm chilling, trying to stack these millions’. I know he the most high, but I am a close high, mi casa es su casa, that's that Cosa Nostra, I am a God” – klingt nicht so, als hätte da jemand ein Gleichstellungsproblem. Größenwahnsinnig? Auf jeden Fall! Und als Musiker meint Künstler meint Showman nach wie vor die garantiert beste Unterhaltung.
Man darf vermuten, dass Kanye West bei aller Ironie der sanftmütige Heiland eher fremd ist, der aber, der mit hitzigem Furor die Händler aus dem Tempel treibt, seiner Person und Kunstfigur am nächsten kommt. Denn wie auf keinem seiner bisherigen Alben bläst West auf „Yeezus“ zur Attacke, formt er jeden der Tracks zur Kriegserklärung, proppevoll mit unmißverständlichen Tiraden gegen alles und jedermann. Der mittlerweile knüppeldicke Drone- oder Doomrap, den außer ihm so keiner zur Aufführung bringt, schält zu jeder dieser Dirty-Speach-Suaden die Membranen aus dem Boxengehäuse – „On Sight“, ein wildgewordenes, spuckendes Daft-Punk-Monster, „Black Skinhead“ mit dem prachtvollen Marilyn-Manson-Riff, martialisch, kampfbesessen, todesmutig. An das berüchtigte „I Am God“ hat Rick Rubin bekanntlich Hand angelegt, nur wenige Wochen vor Fertigstellung des Albums soll er dazugerufen worden sein und konnte doch noch einiges umkrempeln. Es heult und zetert wie im besten Splatterstreifen, West poltert hier wie beim folgenden „New Slaves“ gegen alte Denkschablonen und schwarzen Rassismus (eines seiner Lieblingsthemen): „I don't wanna hear what some ni**as might do, old ni**as mentally still in high school” – oh ja, viel Feind, viel Ehr.
Was seine Heiligkeit für „Yeezus“ an Samples und Gastauftritten aufbietet, ist wiederholt so beeindruckend wie überraschend: Wenn sich Frank Ocean in seiner Paradedisziplin R’n’B mit West im Vocoder-Duett misst (“New Slaves”), Justin Vernon über tiefschwarzen Synthflächen und kreischenden Einschüben auf Chief Keef trifft (“Can’t Handle My Liquor”) oder mit Nina Simone und Billy Holiday posthum zwei Königinnen des Jazz für edle Patina sorgen (“Blood On The Leaves”, “Guilt Trip”), das ist bei aller Pose und Eitelkeit wirklich perfekt inszeniert, oder anders: Selten lagen Anspruch und Wirklichkeit näher beieinander als hier. Der gelungenen Beispiele wären noch viele zu nennen: die übereinandergetürmten Blechkaskaden (Wagner durch die Hintertür?) bei “Blood On The Leaves”, der wunderbare Popcaan-Shanty in „Guilt Trip“ und der düstere Auftritt von King Louie zu Beats von Gesaffelstein.
Da fällt es am Ende nicht so ins Gewicht, dass das Schlußstück „Bound 2“, aufgehübscht durch die Ponderosa Twins Plus One und Brenda Lee und ebenfalls durch Rick Rubins Finger gegangen, mit seinen „uh-huh-honey“-Loops ein wenig an den Nerven zerrt (auch wenn das wiederum nur beweist, dass sich West durchaus seinen Sinn für Humoriges bewahrt hat). Ebenjenen Rubin darf gern auch zitieren, wer Argumentationshilfe zu Kanyes Verteidigung gegen allgegenwärtige Nörgelei sucht – immerhin war der schon mit LL Cool J, den Beastie Boys und Public Enemy im Studio, als die meisten der eifrigen Kritiker noch eine Ente auf der Schürze hatten: „He [Kanye West] is a true artist who happens to make music under the wide umbrella of hip-hop. He is in no way beholden to hip-hop’s typical messaging musical cliches. Hip-hop is a grander, more personal form because of his contributions, and hopefully his work will inspire others to push the boundaries of what’s possible in hip-hop." Word. www.kanyewest.com
1 Kommentar:
"...Der mittlerweile knüppeldicke Drone- oder Doomrap, den außer ihm so keiner zur Aufführung bringt..."
Naja, meiner Meinung nach hat der gute Kanye in letzter Zeit einfach viel Death Grips gehört und versucht deren Stil in den Mainstream zu übertragen. Neu ist das nicht unbedingt... dennoch eine gelungene Platte.
Wer aber experimentellen Drone-/Doom-/Noise-/Whatever-Rap hören möchte, sollte lieber "The Money Store" in den Player legen.
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