Dienstag, 12. Juli 2011

Gebellte Wut



Casper „XOXO“ (Four Music)
Zwei Songs gehört und schon fertig mit der Welt – was einem da auf „XOXO“ entgegenrollt ist weit entfernt von einer freundlichen Begrüßung. Benjamin Griffey alias Casper, keine dreißig, geboren in der ostwestfälischen Provinz nahe Bielefeld und in den USA aufgewachsen, ist also keiner, der es sich und seinen Hörern leicht machen will. Äußerlich eher Streichelzoo als Wolfsgehege und doch meint es der Junge bitter ernst – die Stimme ein einziges wütendes und gepresstes Bellen, wund gerieben im Diskurs, kein BlingBling und kein Stylegedöns, nichts für Puristen und nichts für Poser.

Auch bei der Wahl der Waffen war Casper nicht zimperlich, bedenkenlos kreuzt er den Breitwandmetal von Rammstein („Der Druck steigt“, „Blut sehen“) mit Synthiegebirgen und Backroundchören Marke Polarkreis 18 („Alaska“), von iLiketrains leiht er sich die epische Schwermut und von Dendemann den schnoddrigen Wortwitz – Berührungsängste sind nicht auszumachen. Zwischendrin noch ein paar Reminiszenzen an die eigene Vergangenheit und die guten alten Bekannten Indierock und Punk verteilt – mal läßt er die „Smiths-Platten sprechen“ („XOXO“), dann outet er sich als Fan von Distillers-Frontfrau Brody Dalle und ganz am Schluß („Kontrolle/Schlaf“) kommt auch noch Ian Curtis zu Vorbildehren, ein bunter Reigen des musikalischen Wutbürgertums.

Viel mehr als vom Ton lebt diese Platte natürlich vom Text – Casper fletscht, beißt, brennt und schreit sich die Seele aus dem Leib, seine Raps lassen an Klarheit nichts zu wünschen übrig und retten manchen Song, dessen Sound vielleicht etwas zu gewöhnlich geraten ist, durch den einen, den klugen Reim. Natürlich fragt man sich ab und an, ob es denn wirklich so schlimm steht um die Jugend und ihr Auskommen in diesem Lande („Deutschland krank vor Zorn, die Kinder haben komplett den Verstand verloren“/Blut sehen), aber weil er es denn mit so viel Emphase und Leidenschaft vorbringt ist man geneigt, ihm all das glauben: den Wunsch, sich manchmal einfach wegzustehlen („Auf und davon“), den anrührenden Schmerz um den Verlust eines Freundes („Michael X“), das bittere Räsonieren über Männlichkeit, Vaterrolle und Selbstbehauptung („Grizzly Lied“) und die Sehnsucht danach, der Welt abhanden zu kommen („Lila Blau“/“Kontrolle/Schlaf“).

Die beiden Duette sind eher zwiespältiger Natur – Thees Uhlmann (Tomte) singt nicht, er dehnt und knödelt wieder einmal jeden einzelnen Vokal und tut so mit seiner Hälfte dem Titelsong keinen Gefallen – Marterias dunkles Brummeln in der Verliererhymne „So perfekt“ hat dagegen keine schwerwiegenden Auswirkungen, das Stück bekommt auch mit ihm einen guten Dreh. Dass „Die letzte Gang der Stadt“ dem Funk gehört war nicht zu erwarten, paßt aber trotzdem gut ins Bild. Ein feines Album also, ohne Angst, aber mit viel Karacho – neben Clueso sicher einer der populärsten Grenzgänger auf dem Stuttgarter Label und im Lande allgemein.

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