Mittwoch, 5. September 2012

Mann-Frau-Lieder

The Avett Brothers “The Carpenter”
(Universal)

Na klar – da hat mal wieder keiner dran gedacht! Da kleben sie jedem dahergelaufenen Rapper, wenn er mindestens ein Delphin-Tattoo vorweisen kann und seiner Oma nur lang genug mit dem Baseballschläger vor dem Gesicht herumfuchtelt, einen dieser Warnaufkleber von wegen “Explicit Lyrics” auf die Verpackung seiner CD. Auf die Idee, dass es auch in die andere Richtung gehen könnte, ist niemand gekommen. Egal, wer also demnächst da drüben die Wahlen gewinnt – es wäre dringend zu prüfen, ob hier nicht ein Hinweis “Parental Advisory – Tearjerking Lyrics” Abhilfe schaffen könnte.

Die Avett Brothers aus North Carolina jedenfalls, seit 2000 im Geschäft, wären ein ganz heißer Kandidat für den besagten Sticker, denn auch auf ihrer neuen Platte “The Carpenter” lassen sie wirklich keine Gelegenheit aus, dem Zuhörer die Tränen in die Augen zu treiben. Und sie tun das, jetzt mal mit dem nötigen Ernst, auf ganz fabelhafte Art und Weise. Was die beiden Avett-Brüder zusammen mit Bob Crawford ihren folkigen Bluegrass-Stücken an Texten mit auf den Weg geben, ist von ausgesucht hoher Güte, nie platt, sondern voller Fantasie und Bildhaftigkeit. Schon das erste Stück “The Once And Future Carpenter” rührt an, wenn sie singen “
And my life is but a coin, pulled from an empty pocket, dropped into a slot with dreams of sevens close behind and hope and fear go with it, and moon and the sun go spinning, like the numbers and fruits before my eyes, sometimes I hit, sometimes it robs me blind.”

Es geht in allen Liedern um des einfachen (Zimmer)Mannes Gefühlswelt, seine Irrungen, Leidenschaften, Enttäuschungen, sein Glück – mal erwischt es ihn ohne Gnade (“You and I were the same, live and die were the same”), dass auch die Grenzen zwischen Leben und Tod nicht mehr zu existieren scheinen (“Live And Die”), dann will die endlose Traurigkeit nicht aus dem Herzen verschwinden (“Winter In My Heart”). Das “Pretty Girl From Michigan” lassen die Jungs ebenso rocken wie später die Erinnerungen an Paul Newman, zum getragenen “February Seven” wird das Cello gestrichen. Die großen Nummern auf “The Carpenter” aber haben sie sich für die zweite Hälfte aufgehoben.

“Through My Prayers” ist ein Klagegesang über Ungesagtes, über all die Dinge, die einem noch einfallen, wenn der, dem man sie hätte sagen sollen, schon weg ist, wenn also nur noch das Gebet bleibt, um das eigene Versagen zu bemänteln. Das folgende “Down With The Shine” möchte man gern als Infopost an all diejenigen versenden, die glauben, ewige Jugend sei das erstrebenswerteste Gut hier auf Erden, die den Kult um Hochglanz und Perfektion zur Religion erheben:
„It's in with the new and out with the old. Out goes the warm and in comes the cold. It's the most predictable story told. It's in with the young and it's out with the old.“

Dass es am Ende auch die jungen Väter noch erwischt, hätte man ahnen können – “A Fathers First Spring”. Es geht um Eleanor, Scott Avetts jüngst geborene Tochter, und die Zeilen dazu lassen keine Zweideutigkeit zu: “If I die it's for you … The realest thing I ever felt, was the blood on the floor and the love in your yell … When I'm in my sweet daughter's eyes, my heart is now ruined for the rest of all times.” Vielleicht etwas dicke, wem solche Ereignisse aber noch in naher Erinnerung sind, der weiß, dass hier der Kitsch gern die Hand zu Gruß ausstreckt. Egal, wundervolle Mann-Frau-Lieder allesamt, wieder einmal herrlich geweint. www.theavettbrothers.com

Der Komplettstream des Albums zur Zeit bei npr.

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