„Fluidum“
(TMC Records)
Mit dem Punk, auch dem deutschen, ist das so eine Sache. Vorbei die Zeiten, da weniger als nichts zu können ausreichte, um die Welt für sich zu interessieren, vorbei die Zeit, da man allein mit den drei großen „A“ wie Agression, Attitüde und Authentizität seine Anhänger fesselte und die Scouts sich reihenweise ins Messer stürzten, wenn ein anderes Label mal wieder schneller in Unterschrift unterm Plattenvertrag hatte. Heute ist Punk Retro in Potenz, heute regieren gehobener Anspruch, politische Konsensfähigkeit und ein langer Atem. Heute hat man’s schwer. Das hindert offenbar auch hierzulande wenige junge Menschen daran, sich an der Musik abzuarbeiten, die schon vor gut fünfunddreißig Jahren die einfachste und direkteste war, um auf den Punkt zu kommen – Bands wie Messer, Frau Potz, Turbostaat, Adolar, Feine Sahne Fischfilet aso. decken zwischen Emo und Deutschpunk ein ansprechend vielfältiges Spektrum ab.
Nun also auch Die Nerven aus der Hauptstadt des Gröfazbahnhofs – drei Jungs, die mit „Fluidum“ ihr physisches Debüt bei This Charming Man Rec. veröffentlichen, nachdem sie mit „Asoziale Medien“ und ihrem veritablen Coverhit „Sommerzeit Traurigkeit“ (nach Lana Del Rey) schon ein Achtungszeichen im Netz setzen konnten. Der Sound der drei gibt sich hart und ausreichend wavig, um dezente Erinnerungen an die Fehlfarben zu wecken, wenigen kommt vielleicht auch eine frappierende Ähnlichkeit mit den frühen Sachen der Dresdner Punkrockkapelle Kaltfront in den Sinn – mit Sicherheit kein Fehler. Gleich zum Start haben Julian Knoth, Max Rieger und Kevin Kuhn vom Instanzblatt SPEX kräftig eine mitbekommen – herablassend, aufgesetzt, selbstverliebt sei ihr Stil, alles wirke unangenehm kalkuliert und hochnäßig und so geben die Berliner gleich einer ganzen Generation eine pauschale Watschn mit auf den Weg.
Was natürlich die Frage aufwirft, ob kalkulierte Rotzigkeit dem Punk nicht von jeher immanent war, ja ihm geradezu in die McLarensche Wiege gelegt wurde – eine sortenreine Trennung von ebenjener Attitüde und Authentizität war und ist kaum möglich und wohl auch nicht gewünscht. Selbst der zweite große Kritikpunkt der allwissenden Redaktion, die diffuse, beliebige und verschrobene Nörgelei, hinter welcher sich Die Nerven angeblich verstecken, greift nicht wirklich. Zynischerweise könnte man behaupten, wohl dem, der eine klaren Feind habe (wie etwa Feine Sahne Fischfilet in der national befreiten vorpommerschen Provinz) – dem anderen dann aber seine Orientierungslosigkeit, seine gefühlte Ohnmacht und Fremdbestimmtheit zum Vorwurf zu machen und auf die Schlaffheit gleich der ganzen ach so antriebsschwachen Jugend umzudichten zeugt nicht von viel Verständnis und Einfühlungsvermögen.
Sicher pendeln sich die Texte der Stuttgarter desöfteren in verwaschenen Bildern ein, die mantraartig vorgetragen, fast beschworen werden – den Körper als Waffe („Schrapnell“), die vergebliche Wut („Morgen breche ich aus“), den Schein, das Sein und den Selbstbetrug („Irgendwann geht’s zurück“) – da muss man sich seinen Teil, seinen Anknüpfungspunkt schon sorgsam suchen. Eingebettet in die wuchtige, kreischende Geräuschkulisse, die trotzdem die Melodie nicht scheut, wird das Ganze dann aber zu einem durchaus ansprechenden Vortrag in Sachen Ratlosigkeit, Missmut, Abscheu und wilder Empörung. Und so recht viel Falsches möchte man, für dieses Alter versteht sich, daran nicht erkennen. Denn mit Retro hat das nun wiederum nicht viel zu tun. Thumbs up! http://dienerven.tumblr.com/
Und weil das neueste Video der Stuttgarter hier schon gepostet wurde, gibt's einfach noch mal die vielgerühmte Coverversion als würdigen Nachschlag ...
3 Kommentare:
Das Authenzitäts-A hast Du Dir doch grad ausgedacht, oder? Ausgerechnet Punk... das war doch die Jugendbewegung, die am plakativsten mit den Authentizitätsmythen brach...
Ansonsten hast Du natürlich recht: Die Nerven sind famos.
Weiß nicht recht - irgendwie wollten doch auch alle von unten kommen, aus dem Dreck, credibility also, Authentizität eben. Ging bei den Pistols ja gehörig schief, machte aber nix. Egal, je öfter man besagtes Wort schreibt, um so komplizierter wird's - belassen wir's besser dabei ;-)
Ich ging jetzt auch von so einem Punk-Idealbild aus, dem es um das geringstmoegliche Identifikationspotential geht. Wer in Lederjacke und mit Iro in der Fußgängerzone Bier trinkt, wird es schon häufig mit der Authentizität haben. Überhaupt, was in Deutschland aus Punk wurde, war ja allzuoft eher ein Hippie-Rocker-Zwitter. So vom Weltbild her. Und da ist “Authentizität“ natürlich zentral. Dass nun ausgerechnet die Castingband aus dem Hause Westwood-McLaren etwas mit Credibility am Hut hatte, wäre mir neu, aber wie Du ja auch sagtest: fair enough... ;-)
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