Mittwoch, 29. August 2012

Im Neuen nichts Falsches

Cat Power „Sun“ (Matador)

Je mehr man in diesen Tagen über Chan Marshall zu lesen bekommt, desto häufiger fragt man sich, warum in aller Welt es ihr denn so viele Menschen übel nehmen, dass sie offensichtlich nicht mehr dieselbe ist, die sie vor sechs Jahren noch war. Zu dieser Zeit hatte sie gerade die tatsächlich wundervolle Platte „The Greatest“ veröffentlicht, ein Meilenstein entrückten, düsteren Singer-Songwriter-Pops – ein jeder gab vor, nichts lieber zu tun, als mit ihr mitleiden zu wollen. Dass Cat Power das dann tatsächlich auch tat, war der Preis, den sie für all die Umarmungen und Sympathieadressen zahlen musste – Alkohol, Drogen, Zusammenbrüche, sie absolvierte das komplette Programm und es darf als ein kleines Wunder gelten, dass sie, mittlerweile Teenagermutter, aus dem Strudel wieder herausgefunden hat und wieder Musik zu machen bereit war.

Und diese klingt dann halt auch ein wenig anders, weil das Leben, ihr Leben ein wenig anders geworden ist. Insofern ist „Sun“ natürlich nicht „The Greatest II“, sondern ihre Kehrtwende, ihre Zäsur, ihre Überlebensplatte geworden und man muss kein großer Sprachdeuter sein, um darauf auch die passenden Textpassagen zu entdecken. Dem schönen „Nothin But Time“ als Duett mit Iggy Pop darf man dabei ganz sicher eine Schlüsselrolle zuweisen – zu satten Arrangements singt Marshall dort „You wanna live your way of livin’ … the world is just beginning, it’s up to you to be a superhero, to be like nobody.” Dem Guardian schob sie den ungereimten Satz hinterher: “I can still smile and laugh and know that in my heart I'm making the right choices for myself. Maybe somebody else doesn't agree but that's not my problem.”

Sicher, die Stimme ist zwar noch rauh, aber das Fragile, das Unnahbare und Geheimnisvolle früherer Songs ist unwideruflich dahin – Marshall hat dagegen hörbar Spaß an elektronischen Verästelungen, an kratzigen Gitarren und geloopten Beats gefunden. Der Einstieg mit “Cherokee” ist mehr als geglückt, auch “Sun” und “Ruin” zeugen von Spieltrieb und Spaß an der Überraschung – etwas Latinoflair, ein paar Takte Tanzmusik, das ist in der Tat neu. Nicht jedes der Stücke auf der Platte wirkt so geschlossen wie der Auftakt, “Always On My Own” zerfällt ein wenig, “Silent Machine” böllert etwas unbeholfen, dafür können “Human Being” und “Real Life” mit klugen Ideen punkten.

Die Texte dazu behandeln sowohl das große Ganze als auch manches persönliche Dilemma, mal ist es die ratlose Arroganz der westlichen Welt (“I’ve seen gypsies who made it all the way, and kept going, kept rolling with nowhere to go … what are we doing? We’re sitting on a ruin“, Ruin), (ur)menschliche Befindlichkeiten (“You got the right to scream, you got your own voice…”, Human Being), dann wieder ihre eigene Wut und Befreiung (“3, 6, 9”) – sie springt zwischen den Themen wie den Stilen einher und setzt sich auch gern mal zwischen die Stühle.

Der Killertrack, ja auch so etwas gibt es neuerdings auf Cat-Power-Alben, steht ganz am Schluß – „Peace And Love“ schüttelt alles noch einmal kräftig durch, gibt den Erwartungen den letzten Tritt und feiert mit allerlei Wortspielereien die neue Freiheit. Gut möglich, dass Marshall mit diesem Album einen Schritt geht, den viele frühere Anhänger nicht bereit sind mitzugehen. Ganz offensichtlich geht es ihr jedoch gut dabei und – das nur am Rande – die neue Kurzhaarfrisur steht ihr wirklich fabelhaft. http://www.catpowermusic.com/

Komplettstream des Albums auf npr.

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