Freitag, 21. April 2017

Hendrik Otremba: Im Zwischenraum

Foto: Dirk Elsing
Hendrik Otremba
„Über uns der Schaum“

(Verbrecher Verlag)

Es ist wohl der größtmögliche Gegensatz, den er sich da – bewusst oder unbewusst – ausgesucht hat: Hendrik Otremba, Sänger der Münsteraner Post-Punk-Band Messer, hat ein Buch geschrieben, ein dunkler, atemloser, auch bedrohlicher Text. Und während der Plot dieses Detektiv-Romans meistenteils durch die kalten und unwirtlichen Gassen des Molochs Großstadt hetzt, zieht sich der Autor zum Atemholen vom Presserummel übers Osterwochenende in ein kleines Dörfchen an der Ostsee zurück. Kein Internet, gerade mal einen Telefonanschluß, ein paar Schafe, die Einwohnerzahl mehr als überschaubar. Ein Glück also, daß man ihn erreicht, wo doch der Terminplan zwischen Konzertreise und Leseabenden immer enger gestrickt wird. Doch bei Otremba wie gewohnt kein Anzeichen von Hast oder Unlust, bereitwillig und charmant gibt er Auskunft. Über die Verbindungspunkte zwischen Buch und Band, den Reiz der Charaktere, über den unbedingten Willen zu Abgrenzung und künstlerischem Anspruch.

Das ist ja nun kein schmales Novellenbändchen geworden, sondern ein ausgewachsener Roman mit fast dreihundert Seiten – hattest Du vorher Respekt vor so einem Unterfangen?

Nein, Respekt hatte ich da überhaupt keinen, weil ich ohnehin Schwierigkeiten damit habe, mich kurzzufassen. Obwohl natürlich lyrische Texte ganz anders funktionieren und ich da oft bewusst eine Verknappung vornehme. Wenn ich vorher an essayistischen oder journalistischen Sachen gearbeitet habe, dann waren die immer eher zu lang geraten, insofern gab es keine Sorge, nicht das zu schaffen, was ich mir vorgenommen hatte. Es gab auch keine so genaue Vorstellung, wie genau ich vorwärtskommen würde, außer einem Anfangssetting und einem Schlußbild existierte kaum Konkretes und so glich das Schreiben mehr einem Versuch, sich dieser Welt, die man aufgemacht hat, auszusetzen. Ab dem Punkt, da sich das Buch mit Leben füllte,  war es sogar so, daß sich der Text manchmal fast wie von selbst geschrieben hat, daß ich also nur noch beobachten und beschreiben musste, was geschieht – das waren mit die schönsten Momente bei dieser Arbeit.

Hattest Du vorher schon Ähnliches versucht oder war dieser Roman der sprichwörtliche Sprung ins kalte Wasser?

Ich habe vorher eine Reihe von Kurzgeschichten geschrieben, das waren aber eher unambitionierte Sachen, später gab es noch einige fragmentarische Texte unter dem Titel „Im toten Haus“, die dann ein Stück weit im Eingangskapitel von „Über uns der Schaum“ wiederkehren. Schon längere Zeit habe ich die Angewohnheit, mir vor dem Einschlafen vorzustellen, was ich wohl schreiben könnte, damit waren also die Ästhetik und auch der Erzählwille im Grunde schon vorhanden. Zudem hat mich das Thema Detektive schon lange interessiert, weshalb ja dann das aktuelle Messer-Album „Jalousie“ so wurde wie es ist. Ich habe übrigens als kleiner Junge, kaum daß ich das Schreiben lernte, immer einen Roman schreiben wollen und das war auch ein Detektivroman – der ging dann  aber über das Vorzimmer des Detektivs leider nicht hinaus ...

… also ist das ja fast ein Kindheitstraum?

Ja, ein bisschen schon. Ich war mir eigentlich immer ziemlich sicher, daß ich irgendwann mal ein Buch schreiben würde.

Ist es denn möglich, ein solches Buch, einen Krimi, ohne vorherige Planung, also ohne die genaue Vorstellung von Spannungsbogen und Dramaturgie, anzugehen?

Ich habe bei dem Buch überhaupt nicht das Gefühl, daß das ein Krimi sei, es gibt ja keinen Fall, kein Rätsel. Vielleicht verhält sich der Roman zu so etwas wie Kriminalliteratur, weil es die Kunstfigur des Detektivs gibt. Ich hatte aber schon eher ein literarischen Anspruch, eine eigene Welt zu erschaffen, die nicht auf ein bestimmtes Genre begrenzt ist.



Aber eine gewisse Spannung, die sich für den Leser langsam aufbaut, läßt sich beim Lesen nun nicht leugnen?

Ja, genau das war dann die Arbeit. Ich habe in Kauf genommen, daß bestimmte Szenen nicht den Gesetzen der Logik standhalten würden – das war mir ehrlich gesagt auch ziemlich egal. Das Verhältnis von Vergangenheit, Beobachtung, Gegenwart, Wahn, Traum, Rausch, das ist etwas, was mich schon immer interessiert und bei dem ich das Gefühl hatte, mich dort relativ selbstsicher bewegen zu können. Diese Zeitsprünge bestimmen eigentlich alles, was ich bisher geschrieben, woran ich künstlerisch gearbeitet habe – das Verhältnis von Beobachtungen, Träumen, Tatsachen, Erinnerungen, ich bewegen mich seit jeher gern dort, wo diese Grenzen verwischen. Das ist eben das, was ich für diesen Roman wollte, eine Welt zu erschaffen, die man einerseits erkennen, wo man sich dann aber doch nicht so sicher sein kann, wo genau man sich gerade befindet. Eine Irritation also, die zum einen kunstvoll ist, die aber doch dazu herausfordert, sich zu orientieren. In dieser Herausforderung steckt für mich generell der Sinn von Literatur, eben nicht in der Unterhaltung oder der Befriedigung von Erwartungen.

Es gibt ja eine offensichtliche Gleichzeitigkeit von Platte und Buch, wie kann man sich das in der Arbeit vorstellen, wie kam das zustande?

Wir waren im Auftrag des Goethe-Instituts vor einiger Zeit in China unterwegs und dort habe ich zusammen mit unserem Bassisten Pogo McCartney begonnen, mich für das Thema Detektive zu interessieren, schon dort haben wir uns überlegt, daß es doch interessant wäre, sich solch eine Detektivgeschichte einfallen zu lassen. Dabei ging es aber eher um dem Reiz der Detektivfigur an sich, die in der Regel zwar für das Gute steht, aber immer auch ein wenig halbseiden ist, ein Grenzgänger also. Es ergab sich dann, daß diese Gedanken auch für Messer interessant wurden – wir hatten spaßeshalber sogar kurz überlegt, uns in „Detektive“ umzubenennen. Ich habe also zugleich an das Album und an das Buch gedacht und auch begonnen, an beidem zu arbeiten. Und wenn ich das Gefühl hatte, daß bestimmte lyrische Sachen für mich noch nicht auserzählt waren, dann habe ich es halt für den Roman weitergesponnen, und manchmal hat das auch umgekehrt funktioniert. Letztlich sind davon aber nur noch wenige, sporadische Momente erkennbar geblieben – es geht da eher um die Grundstimmung, die beide Werke begleitet. Buch und Platte sind aber, das ist uns ganz wichtig, unbedingt getrennt zu sehen und bedingen einander nicht. „Jalousie“ ist das Ergebnis der Arbeit einer Band von fünf Leuten, das Buch habe ich allein geschrieben.



Über biographische Parallelen müssen wir ja sicher nicht sprechen, aber kann man sagen, daß Dir die Figur des Detektivs Joseph Weinberg vom Wesen her sehr sympathisch ist und Dir in gewisser Weise doch nahesteht?

Ja, aber eben weniger als Detektiv, sondern eher als Mensch. Es ist so, daß mir persönlich lyrische Texte schon immer sehr geholfen haben und ich mir gedacht habe, jetzt, da ich Weinberg derart beanspruche und malträtiere, möchte ich ihm mit den kleinen Gedichten, die im Roman erscheinen, gern auch etwas Tröstliches mitgeben, etwas, das mich auch immer begleitet hat. Grundsätzlich finde ich solche Menschen wie ihn immer spannend, die mit Widersprüchen leben, die sich ab und zu auch selbst im Weg stehen, die wie er auf der einen Seite tugendhaft und souverän sind, aber dann doch wieder alles kaputt machen und andere Menschen mit den Schlamassel hineinziehen.

Du wechselst, auch bei der Person des Detektivs, ab und zu die Erzählperspektive, kommst also vom Ich-Erzähler auch mal in die dritte Person – was wolltest Du damit bezwecken?

Ich wollte mich in diesen Momenten weiter wegbewegen vom Geschehen, bin da eher in der Beobachterposition und habe vielleicht auch Freude an bestimmten Bildern, die die Figur selbst gar nicht sehen würde, aus der ich sonst spreche. Also ein ganz bewusster Griff, vielleicht auch, um ein anderes Erzähltempo zu wählen. Ich habe auch viele Szenen eher wie durch eine filmische Kamera beobachtet, dafür war diese Perspektive einfach besser geeignet.

Du findest in dem Buch, ähnlich wie bei Messer schon, eine Vielzahl faszinierender, oftmals sehr düsterer Sprachbilder, die Bezüge zum Film Noir oder auch zur Gattung der Graphic Novells liegen nahe, gibt es da für Dich direkte Bezüge?

Mit Graphic Novells habe ich keine persönlichen Erfahrungen, der Gedanke, sich den Roman dahingehend vorzustellen, ist aber trotzdem sehr reizvoll. Zur Ästhetik des Film Noir fühle ich mich auf jeden Fall hingezogen. Ich mag solche Sachen, die so etwas wie eine Detektivgeschichte erzählen, ohne daß es unbedingt einen Detektiv geben muß, die Filmgeschichte liefert dazu ja tolle Beispiele – „Bladerunner“ von Ridley Scott oder David Lynchs „Blue Velvet“ beispielsweise. Ich finde übrigens, daß es auch in der Musik viele Dinge gibt, die ihrer Klarheit wegen über Jahre hinweg inspirierend sein können, ob das nun Krautrock ist oder die ganz frühen Elektronik-Sachen, die so viel innovative Strahlkraft haben, daß sie mehrere Generationen von Künstlern beeinflussen und überdauern. Und auch wenn mich die Hard-Boiled-Sachen wie Chandlers Marlowe u.a. natürlich schon irgendwie beeinflusst haben, waren es doch eher die Umwege, auf denen sie zu mir gelangt sind.



Ein Großteil der Handlung spielt ja in Megacities und ich unterstelle mal, Du hast solche Städte schon selbst erlebt. Faszinieren sie Dich eher oder schrecken sie einen mehr ab?

Ja, es gibt da in China diese Stadt Qingdao, wo wir auch mit Messer schon waren und die ich damals als wahnsinnig anziehend empfand. Ich habe dort viele Eindrücke, Bilder gesammelt, die auch später für die Ästhetik des Romans eine große Rolle spielten. Gleichzeitig haben solche Städte natürlich auch etwas sehr Verstörendes und Erschreckendes, weil man sieht, wie zwischen den titanischen Betonbauten verarmte Menschen im Elend dahinvegetieren. Das ist ja das Ambivalente daran, daß sie einerseits einen wahnsinnigen Sog entwickeln, aber auf der anderen Seite auch Orte sind, in denen ebensoviel Leid zu entdecken ist. Und trotzdem habe ich manchmal das Gefühl, daß Großstädte das Dämonische und Schlechte eher nach Außen kehren, auf dem Dorf oder in der Kleinstadt hingegen die schlimmen Tragödien viel eher hinter zugezogenen Gardinen verborgen bleiben. So gesehen macht mir das Dorf mehr Angst als die große Stadt.

Zum Schluss dann doch noch eine Frage an den Musiker: Müßtest Du ein Tape für das Fluchtauto von Maude und Weinberg aufnehmen, welche Musik dürfte darauf nicht fehlen?

Das ist interessant, denn während des Schreibens habe ich sehr viel elektronische Musik gehört, Industrial, Noise, sehr sphärische, strukturlose Sachen. Mir fällt aber ein, daß ich gerade eine Platte für mich entdeckt habe, die wahnsinnig gut als Score zum Roman passen würde: Sie stammt von der Kanadierin Buffy Saint-Marie, einer Künstlerin, deren Gesamtwerk eher in Richtung Country geht und eigentlich nicht ganz so meins ist. Sie hat aber 1969 ein Album namens „Illuminations“ veröffentlicht, das voller geisterhaften Synthesizer-Melodien ist und zum Zeitpunkt des Erscheinens ein kommerzieller Flop war – angeblich verleugnet sie es heute sogar. Ich habe diese Musik zwar erst nach Fertigstellung des Romans entdeckt, aber sie hat mich richtig gepackt und ich habe mir sofort gedacht, daß sie perfekt zu Weynberg und Maude passen würde.

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