Donnerstag, 10. Dezember 2020

Nightshift: Nicht zu verwechseln

Man muss sich schon ein wenig Mühe geben, will man etwas über diese schottische Band in Erfahrung bringen. Das liegt zum einen daran, dass sie so lange noch nicht existiert - erst 2019 fand das Quintett in dieser Konstellation gemeinsam den Weg ins Studio, um ihr selbstbetiteltes Debüt aufzunehmen. Zum anderen könnte es auch der Bezeichnung selbst liegen, denn Nightshift übt offenbar auf feierwütige Hobbymusiker*innen einen sehr großen Reiz aus und so gibt es unzählige Party- und Coverkapellen gleichen Namens auf dieser Welt und selbst in ihrer Heimatstadt Glasgow findet sich mindestens eine davon. Also: Bitte nicht verwechseln! Denn es wäre zu schade, würde man Eothen Stearn und Kollegen aus dem Blick verlieren, machen sie doch wirklich einen bemerkenswerten Sound zwischen Post-Punk, No Wave und Indierock. Angefangen haben sie beim Label CUSP Records, mittlerweile sind die fünf bei Trouble In Mind in Chicago gelandet und dort ist nun auch ihre neue Single "Make Kin" erschienen - im Frühjahr 2021 folgt dann das dazugehörige zweite Album "Zöe".

TroubleInMind · Nightshift "Make Kin" (Trouble In Mind Records)

Ghostpoet: Bittere Zwiesprache

Ein kleines Wort in Klammern ist bringt die Lösung, der Rest ist tiefe Dunkelheit: Der britische Künstler und Wahlberliner Obaro Ejimiwe alias Ghostpoet hat im Mai dieses Jahres sein fünftes Album veröffentlicht, es ist, was nicht weiter verwundert, wieder ein sehr düsteres geworden - gleichwohl war er selten besser als hier. Heute nun überrascht er mit einem neuen Stück, das er zunächst der gleichen Platte zuordnet, bei genauerem Hinsehen heißt diese aber jetzt "I Grow Tired But Dare Not Fall Asleep (Again)", ein digitaler Re-Release mit Bonustrack also. Wenn er "Bruised Fruit" allerdings an den Anfang stellt, spricht das nicht gerade für die Besserung seiner Stimmungslage, denn das sehr reduzierte Stück kommt als Zwiesprache mit dem Schöpfer daher und viel Hoffnung lässt sich nicht herauslesen. Von müden Knochen, schwer lastender Stille, Tristesse und Beklemmung ist die Rede, der Chorus gipfelt in einem Bekenntnis, das zugleich Bitte ist: "Lord I tried, but I'm a dead weight, leave me behind". Nichts, woran man sich aufrichten könnte - aber die Tage und die Nächte sind eben manchmal nicht danach.

Mittwoch, 9. Dezember 2020

Annabel Allum: Auf ihre ganz eigene Art

Es gibt für Künstlerinnen und Künstler momentan nur eine sehr beschränkte Palette, der gewohnten Profession nachzugehen - die Studios nicht offen oder nur beschränkt zugänglich, an Liveauftritte kaum zu denken, von finanziellen Einschränkungen gar nicht zu reden. Dass jede und jeder seine ganz eigenen Lockdown-Sessions einspielt, ist deshalb keineswegs verwerflich, wenn sie dazu noch gelingen, sogar höchst willkommen. Und diese hier sind bis jetzt mehr als gelungen: Annabel Allum, äußerst talentierte DIY-Musikerin aus London, hat erst kürzlich eine wunderbare, weil sehr eigenwillige Bearbeitung des Gossip-Klassikers "Standing In The Way Of Control" eingespielt - mit Beth Ditto teilte sie übrigens in früheren Tagen schon mal die Bühne. Nun schickt sie ein weiteres Cover hinterher und auch das ist besonders - Robert Smith's Indiehymne "Boys Don't Cry" (The Cure) nämlich klaut sie mehr oder weniger heimlich zwei Buchstaben und präsentiert somit ihre ganz persönliche Sicht der Dinge.



Samstag, 5. Dezember 2020

Oberpollinger 2020: Die besten Songs

25
DC Schneider
"Starbucks"
Single




24
Megaloh
"Was ist das"
EP "Hotbox"




23
Selena Gomez
"Look At Her Now"
Album "Rare"




22
Ela Minus
"Megapunk"
Album "Acts Of Rebellion"




21
All diese Gewalt
"Andere"
Album "Andere"




20
Eminem feat. Juice WRLD
"Godzilla"
Album "Music To Be Murdered By"




19
Nation Of Language
"The Wall And I"
Album "Introduction, Presence"




18
Amber Mark
"1894"
Single 




17
Azealia Banks
"Black Madonna"
Single




16
Alex The Astronaut
"Lost"
Album "The Theory Of Absolutely Nothing"




15
Haiyti feat. Veysel
"Barrio"
Album "Sui Sui"




14
Doves
"Carousels"
Album "The Universal Want"




13
Idles
"A Hymn"
Album "Ultra Mono"




12
Burna Boy
"Odogwu"
Single




11
The Clockworks
"Enough Is Never Enough"
Single




10
Chris Imler
"Protect Myself"
EP "Country Club"




9
Little Simz
"You Should Call Mom"
EP "Drop 6"




8
Sleaford Mods feat. Billy Nomates
"Mork N Mindy"
Album "Spare Ribs"




7
Blond
"Es könnte grad nicht schöner sein"
Album "Martini Sprite"




6
Hayley Williams
"Simmer"
Album "Petals For Amor"




5
The Magic Gang
"Think"
Album "Death Of The Party"




4
Bleachers feat. Bruce Springsteen
"Chinatown"
Single




3
Haim
"I Know Alone"
Album "Women In Music Pt. III"




2
Gewalt
"Deutsch"
Single




1
Lido Pimienta
"Nada"
Album "Miss Colombia"

Freitag, 4. Dezember 2020

Dagobert: Unterwegs im Düsterwald

Schon mal aufgefallen? Immer, wenn Krimis aus dem Sendegebiet Deutschland, Österreich und der Schweiz auf dem Programm stehen (und das ist in letzter Zeit eigentlich dauernd der Fall), sind Dronenflüge mit der Kamera über düstere und nebelverhangene Baumwipfel mindestens aller fünf Minuten offenbar für das Gruselbedürfnis der Zuschauer unabdingbar. Die Leute mögen sowas - und sie bekommen's reichlich. Auch der tolle Max Rieger alias All diese Gewalt hat sich kürzlich für sein Video zu "Andere" in dieser Hinsicht nicht lumpen lassen. Und weil wir gerade mit Steiner und Madlaina ohnehin bei den Eidgenossen unterwegs waren, können wir auch gleich noch Dagobert erwähnen, der heute ebenfalls für den 29. Januar sein neues Album "Jäger" angekündigt hat. Und zwar mit dem gleichnamigen Titelsong und, ihr habt es erraten, ganz viel Düsterwald (Regie: Adam Gräbedünkel). Zu ihm passt das allerdings auch ganz gut, da er generell über einen sehr speziellen Humor und eine ganz eigene Ästhetik verfügt, seine drei bislang erschienenen Platten hatten von Goth bis Schlager allerlei zu bieten, da kommen ihm die Themen Tod und Familie gerade recht. Wir könnten jetzt natürlich noch erwähnen, dass Dagobert mit bürgerlichem Namen Lukas Jäger heißt, aber das nimmt dem Ganzen wieder die schöne Pointe ... 

29.01.  Schaffhausen, TapTap
05.02.  Bern, Dampfzentrale
13.02.  Aarau, Kiff
20.02.  Basel, Hirschenegg
12.03.  Zürich, Plaza
31.08.  Nürnberg, Club Stereo
01.09.  Stuttgart, Merlin
02.09.  München, Kranhalle
03.09.  AT-Wien, Chelsea
07.09.  Köln, Gebäude 9
08.09.  Frankfurt, Zoom
09.09.  Berlin, Frannz Club
10.09.  Hamburg, Hebebühne
11.09.  Chemnitz, Atomino




Steiner und Madlaina: Von der Liebe und der Lust

Man möchte es nicht glauben, aber die deutschsprachige Musik tut sich mit dem Thema Sex noch immer etwas schwer. Mal stolpert es unbeholfen, mal kracht es zu laut (was nicht selten ordinär wirkt) - mit der Liebe und den Gefühlen mag es ja noch gehen, aber mit Gier, Verlangen und Lust hat man so seine Probleme. Mit Freude denkt man da an Ausnahmen wie Blond, Schnipo Schranke oder auch Faber. Soweit gekommen, ist es nicht weit zum ebenfalls sehr wertgeschätzten Duo Steiner und Madlaina, die ja bekanntlich am 29. Januar bei Glitterhouse ihr zweites Album "Wünsch mir Glück" veröffentlichen werden, die beiden ersten Singles "Wenn ich ein Junge wäre (Ich will nicht lächeln)" und "Prost, mein Schatz" hatten wir hier ja schon vorgestellt. Nun also "Denk was Du willst", ein gewaltiges, emotionales und überaus sinnliches Stück Musik mit einem schönen Video unter der Regie von Betty B und Caroline Hepting. Man liest, die Band selbst war überrascht, dass das Labelteam sich ohne Ausflüchte für diese Singleauskopplung entschied, mit soviel Mut hatten die beiden Frauen eigentlich gar nicht gerechnet. Sei's drum, das Stücke zählt jetzt schon zu den Favoriten der Platte.

02.11.  Stuttgart, Im Wizemann Club
03.11.  München, Ampere
05.11.  Magdeburg, Moritzhof
06.11.  Dresden, Beatpol
08.11.  Hamburg, Knust
09.11.  Bremen, Tower
10.11.  Münster, Gleis 22
11.11.  Essen, Zeche Carl
12.11.  Köln, Gebäude 9
17.11.  Freiburg, Jazzhaus
19.11.  Wien, Chelsea
20.11.  Nürnberg, Korns
22.11.  Wiesbaden, Schlachthof
23.11.  Hannover, Musikzentrum
25.11.  Leipzig, Täubchenthal
26.11.  Erfurt, HsD
27.11.  Berlin, Hole44



Shame: Gezielte Irritation [Update]

Das hatte sich Anfang September schon abgezeichnet, als die ersten aktuellen Töne über das Netz kamen, nun also Gewissheit: Shame werden am 15. Januar via Dead Oceans ihr zweites Album veröffentlichen. Geraunt wird von einer Neuausrichtung, von Überraschungen und dass kaum ein Stein auf dem anderen geblieben sei in der Zeit der Entstehung - fest steht jedenfalls der Titel der Platte "Drunk Tank Pink" und der Name des Songs, der "Alphabet" heute folgt. "Water In The Well" kommt mit einem Video von Pedro Takahashi und wurde wie auch die restlichen zehn Stücke von James Ford produziert, der wiederum schon mit den Arctic Monkeys, Foals, Florence And The Machine und Depeche Mode gearbeitet hat. Grund genug zur Freude ist das allemal, denn langweilig wird es mit dieser Platte und dieser Band sicher nicht werden.

Update: Ein weiterer Song vom kommenden Album macht die Runde - zu düsteren Bildern erzählt "Snow Day" vom Trennungsschmerz und dem Zurückgeworfensein auf das eigene Ich.




Donnerstag, 3. Dezember 2020

Ganser: Willkommene Dekonstruktion

Mancher/m mag das langweilig vorkommen, aber gerade wer ein Kind der 80er ist, der/dem geht beim Thema Remixkultur des längst vergangenen Jahrzehnts das Herz auf, sehnsüchtig blickt man dann auf das überreiche Material dieser Zeit. Dass sich heutzutage noch Künstler*innen mit der Dekonstruktion ihrer Songs beschäftigen, sie bereitwillig in fremde Hände geben, um daraus etwas Neues entstehen zu lassen, ist eher die Ausnahme denn die Regel und deshalb gilt es solche Anstrengungen unbedingt zu begrüßen. Wenn zudem noch unsere ausgewiesene Lieblingsband Ganser aus Chicago eine 12" mit ganzen fünf Neubearbeitungen anbietet, dann ist das ein regelrechter Glücksfall. Wer die Arbeit an den Tracks übernommen hat, ist ein wohlgehütetes Geheimnis, das peu á peu gelüftet werden soll. Seit heute wissen wir jedenfalls, dass der erste Streich "Bags For Life" in die Hände von Andy Bell gelegt worden ist. Bell ist ja hauptsächlich als ständiges (Ride) und ehemaliges (Oasis, Beady Eye) Mitglied diverser Bands bekannt, unter dem Namen GLOK hat er aber schon eine ganze Reihe von Reworks verbastelt, so unter anderem für Maps, Ride, Archive und bdrmm. Und wenn Ganser eher aus der Post-Punk-Ecke kommen und eigentlich Gitarren den Vorzug geben, so gibt Bell dem Song einen komplett neuen, jetzt elektrifizierten Charakter. Fast wie in alten Tagen also. Eine kleine Einschränkung trübt die Freude dann aber doch noch - die EP wird ab dem 1. April (haha) nur als digitale Variante zu haben sein. Das Design stammt im Übrigen erneut von Bassistin Alicia Gaines, im Haupt- oder Nebenberuf (je nach Sicht der Dinge) eine exzellente Grafikerin.



Mittwoch, 2. Dezember 2020

New Order: Neues und Rares [Update]

Okay, kann sein, dass sich manche/r unter rebellischer Musik vielleicht etwas anderes vorgestellt hat, aber die neue Single von New Order, die heute das Licht der Welt erblickte, heißt nun mal "Be A Rebel", da kann man noch so ratlos die Schultern zucken. Bei den späteren Sachen der Truppe aus Manchester hat man ja zuweilen den Eindruck, sie würden sich in einer Art Challenge mit den Pet Shop Boys befinden - gewonnen hat diejenige Band, welche zuerst als die jeweils andere wahrgenommen wird. Scherz beiseite, ihr letztes Album mit neuem Material stammt aus dem Jahr 2015 und man darf sagen, dass "Music Complete" zweifelsohne zu den besseren Veröffentlichungen des Quintetts gehörte. Die aktuelle Single eröffnet allerdings, soviel ist klar, nicht für eine weitere Platte, sondern für die Nordamerika -Tour, die New Order alsbald nachholen wollen. Dafür steht, das wenigstens entschädigt einen, für Anfang Oktober ein Reissue des Klassikers "Power Corruption And Lies" (1983) ins Haus und dieses wird - Achtung, Vinyl-Lovers! - begleitet von der Veröffentlichung derer vier 12"s, die nicht auf dem Originalalbum enthalten sind, als da wären "Blue Monday" (legendäres Floppy-Disk-Cover!), "Confusion", "Thieves Like Us" und "Murder" (s.u.).

Update: Heute kam nun das Video zur neuen Single um die Ecke, stammen tut es vom spanischen Künstler NYSU, der neben Stücken von Bastille, Archive und den Wild Beasts auch schon "Restless" von New Order bebilderte.





Sleaford Mods: Unzweideutige Widmung

Vielleicht ist das ein wenig ungerecht, aber so richtig wertgeschätzt wird dieses Jahr 2020 im Leben nicht mehr werden, jede/r will nur noch dass es vorbeigeht und am besten wäre es wohl, wenn das blöde Virus gleich mit verschwände. Nun, den Gefallen wird es uns nicht tun, doch zumindest in einer Hinsicht wird 2021 den Vorgänger locker überflügeln - wir werden ein neues Album der Sleaford Mods bekommen! Nun gab es zwar im Mai die wunderbare Retrospektive "All That Glue", doch obwohl auch dort schon neues Material zumindest angespielkt wurde, ist natürlich so eine vollwertige Studioplatte nicht zu verachten. Seit Oktober wissen wir dann auch, dass diese "Spare Ribs" heißen und am 15. Januar erscheinen soll, die erste Auskopplung "Mork N Mindy" als Kollaboration mit Billy Nomates war dann auch schon ein richtiger Treffer. Und nun also "Shortcummings" - eifrigen Leser des berüchtigten Kurznachrichtendienstes ist natürlich bekannt, dass Sänger Jason Williamson, wer könnte es ihm verdenken, ein äußerst gestörtes Verhältnis zu Boris Johnsons ehemaligem Schatten Dominic Cummings, einem der führenden Köpfe des Brexit, pflegt, insofern dürfte der Name des Songs nicht zufällig gewählt sein. Der Sound ist erneut von der knackigen Sorte, zum gewohnt dicken Basslauf gibt es eine feine Gitarrenspur - das Video stammt von Ian Tatham.

Dienstag, 1. Dezember 2020

Haiyti: Verdammt real

Haiyti
„Influencer“

(Hayati Musik)

War die nicht gerade … hat die nicht erst…? Ja, hat sie. Schon im Juli dieses Jahrs gab es von Haiyti eine volle Ladung neuer Songs, „Sui Sui“ hieß die und wenig überraschend war sie richtig gut. Gemäß dem Motto „Irgendwas ist immer“ darf man erwarten, dass einige am Tempo der Veröffentlichungen etwas auszusetzen haben – die gleichen wahrscheinlich, die an längeren Wartezeiten ebenso erwartbar herumnörgeln. Klar sind fünf Monate nicht viel und neunzehn Tracks nicht wenig, den kreativen Output der Wahlberlinerin deshalb vorschnell abzuschenken ist jedoch die schlechteste aller Ideen. Denn klar ist: Noch immer ist Ronja Zschoche eine wie keine, noch immer findet sie kaum Sparringspartner*innen, wenn sie in den Ring steigt. Das Ego riesig, die Punchlines fett, Stücke wie die neuen schreibt immer noch keine außer ihr und selbst die schwächeren sind besser als alles andere da draußen. 

Bezog schon der Vorgänger seinen Reiz aus den düsteren Zwischentönen, den Zweifeln und ungewohnt heruntergebremsten Passagen, geht das aktuelle Album diesen Weg konsequent weiter. Natürlich gibt es sie noch, die knüppelharten Beats und die hastig hektischen Wutwortkasskaden, wo früher 100.000 Fans waren, zählt sie heute „100.000 Feinde“ – kennenlernen will sie trotzdem keinen von ihnen. Und doch ist das Gros jetzt eher dunkler, deeper LoFi-Rap, Haiyti wirkt irgendwie verloren, ja hilflos in ihren Stücken. „Macht kaputt, was mich kaputt macht“ hört man sie singen, aus dem „Serienmodell“ ist ein „On/Off Model“ geworden und glücklich wirkt sie dabei nicht. Frei nach dem Dschungel-Motto „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ taumelt und irrlichtert sie durch die Nacht, der Traum ist aus, die Kehrseiten scheinen – Klunker hin, Money her – zu überwiegen („Star und zurück“/“Holt mich raus“). 

Scheint ganz so, als wäre sie von einer allzu bitteren Realität eingeholt worden, „Zu real“ das alles: „Sie sagen der Weg ist das Ziel, doch ich frag mich, wann komm ich an?“ Die Lichter der Großstadt, sie flackern trügerisch („Tokio“), das Herz brennt wie „Benzin“, nicht mehr lang bis zum Infarkt. Auch wenn in Kielwasser viele Blaupausen hinterherschwimmen, die Zahl der Neider*innen groß ist, wer bitte kann denn hier mithalten, für wen sollte sie wohl „Influencer“ sein, um mal das meistgehasste Unwort auf dem Albumtitel zu zitieren. Eine seltsam schöne Platte in seltsamen, verwirrenden Zeiten, die Gesellschaft sick, der Mob, so klein und doch so laut, am Durchdrehen, kaum ein Stein bleibt auf dem anderen, wir wissen nichts und müssen trotzdem weiter.

Sonntag, 29. November 2020

DB Armitage: Floating in space

Die sonntägliche Rundreise präsentiert sich heute als eine Art Wechselbad verschiedenster Stile, Sounds und Charaktere: Den Anfang macht die Londoner Künstlerin Dalma Berger, die gerade unter ihrem Pseudonym DB Armitage ihre Debütsingle "Old Bones" veröffentlicht hat. Dem Synthpop der 80er verschrieben, verarbeitet sie in ihrem Song die Lyrics von David Bowies "Space Oddity" und weil es darum geht, das alte Selbst zurückzulassen auf dem Weg zu etwas Neuem, versucht sie dies auch im dazugehörigen Video, entstanden in Eigenregie, choreografisch umzusetzen. Was ihr, wie wir finden, eindrucksvoll gelingt. Der Track wird sich übrigens auf einer für das kommende Jahr angedachten EP befinden.




Benefits: Mitten ins Gesicht

Wir bleiben in England, reisen aus der Hauptstadt in die nordöstliche Küstenstadt Middlesbrough. Von dort stammt die Band Benefits, ein vierköpfiges Kollektiv, das laut Bandcamp seit 2019 eine Reihe spannender Singles veröffentlicht hat. Auch diese sehr elektronisch, im Gegensatz zum vorangegangenen Neuzugang allerdings sehr politisch, sehr aggressiv und mit deutlichen Wurzeln zum Hip-Hop. Die treffendste Beschreibung für ihren Sound liefern Kingsley Chapman, Robbie Major, Hugh Major und Jonny Snowball natürlich selbst: "We write songs about the urgencies that concern us. These songs are loud." In der Tat, denn die aktuelle Single "Traitors" schreit ihre Wut über die gegenwärtigen Zustände dem Zuhörer/Zuschauer direkt ins Gesicht ("We get the future you deserve!"), weiterführende Werkkunde mit "Shit Britain" und "Imperfect" hier vor Ort und ab besagter Seite.
 




Faux Real: Unterhaltung garantiert

Auch London, aber komplett andere Baustelle: Diese beiden Herren hier gehören schon lange mal in einen Post gepackt, heute klappt es endlich mal. Elliot und Virgile Arndt, zwei franko-amerikanische Brüder, haben im Mai dieses Jahres unter dem Namen Faux Real ihre selbstbetitelte Debüt-EP veröffentlicht, die Mischung, die man darauf findet, ist so wild wie ihre Live-Shows. Denn lange, bevor sie ernsthaft Musik gemacht und verkauft haben, gewannen die beiden ihr Publikum schon mit knallbunten Performances zwischen Fetisch-Party, Punk-Attitüde und Karaoke-Event oder - wie sie selbst es sagen würden: "mixing absurdist Frenglish poetry and Stooge-esque self-flagellation with ersatz athletics and improvised quasi-ballet." Das klingt angemessen strange und so ist auch ihre Musik, was für einen garantiert hohen Unterhaltugsfaktor sorgt. Im Übrigen sind sie eine der wenigen Bands, die über einen offiziellen TikTok-Account verfügen. Hier jedenfalls die Videos zu den Singles "Spooky Bois", "Kindred Spirit", "Boss Sweet", "Second Sweat" und als Bonus ein kleiner Live-Eindruck.










International Teachers Of Pop: Nachsitzen

Nummer vier sind nun ganz gewiss keine Newbies mehr, aber auch von der Insel und ein paar Neuigkeiten haben auch sie mitzuteilen: Die International Teachers Of Pop hatten ja im November 2019 einen Song im Programm, der vom angeblichen Diebstahl der Lieblingsschuhe handelte und keinen Geringeren als Sleaford-Mods-Frontmann Jason Williamson als Gast dabei hatte. In diesem Jahr erschien dann das Album "Pop Gossip" und von diesem stammt auch das Stück "A Change", zum welchem die Musikpädagogen nun ein Video präsentieren (wir flankieren hier der Vollständigkeit halber noch mit "Gaslight" und "Femenergy"). Fast zeitgleich erscheint eine Remix-EP mit drei Stücken, Sink Ya Teeth bearbeitet das Wiederhören mit "I Stole Yer Plimsoles", das ebenso bekannte "Flood The Club" kommt in einer Version von Thames Water und "Femenergy" als Honers Linguine And Clams Remix. Auf geht's!







Freitag, 27. November 2020

Shelter Boy: Vielseitig begabt

Letzte Woche BETTEROV aus Thüringen, heute dieser schlacksige junge Mann aus Sachsen - die Tage in Deutschland werden merklich kürzer, kälter und durchaus auch melancholischer. Shelter Boy ist das Projekt des jungen Dresdner Künstlers und Musikers Simon Graupner. Seit ungefähr zwei Jahren ist er einer größeren Öffentlichkeit solistisch bekannt und hat in dieser Zeit zwei EP veröffentlicht. Was nicht heißt, dass er zuvor untätig war - mehrere Jahre hat Graupner schon bei der Band Still Trees als Sänger und Gitarrist gemuckt, nun aber zählen erst einmal die eigenen Sachen. Zuerst war da die 12" "Mirage Morning", gefolgt von "Rock'n Roll Saved My Childhood" und weil sich die Vergleiche aufdrängten und die Welt Etiketten braucht, nannte man ihn fortan wahlweise die angelsächsische Variante von Mac De Marco oder King Krule. Ganz so falsch liegt man dabei mit Sicherheit nicht, schließlich hat es hier neben lockeren Britpop-Grooves auch vorsichtige Jazzelemente, Streichereinlagen und vor allem eine markante Stimme. Im Oktober nun ist seine Single "Calm Me Down" erschienen und die ist wirklich ein veritabler Hit geworden, dagegen gibt sich das aktuelle "Forever You'll Be Known" eher zurückhaltend besinnlich, schließlich geht es um Einsamkeit, Außenseitertum und jugendliche Schwermut. Das Video dazu ist übrigens unter Regie von Philipp Gladsome, Simon Graupner und Jonas Wirth entstanden. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass Graupner auch graphisch durchaus talentiert ist, auf seiner Website kann man für wenig Geld eine Reihe seiner Collagen erwerben, der Neustädter Skaterladen Feed My Soul hat sogar für kurze Zeit ein von ihm gestaltetes Board im Sortiment.